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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 08.05.2006
Aktenzeichen: 1 ME 7/06
Rechtsgebiete: BauGB, NBauO


Vorschriften:

BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 1
BauGB § 35 Abs. 3
NBauO § 69 Abs. 6
Lagert ein Landwirt Heuballen bis zu einer Höhe von 4,50 m unmittelbar gegenüber einer Neubausiedlung, kann dies trotz der Privilegierung des Landwirts gegen das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme verstoßen (Verbot schikanierender Baumaßnahmen).
Gründe:

Der Antragsteller, der den im Eigentum seines Vaters stehenden landwirtschaftlichen Betrieb Schützenstraße 36 in C. bewirtschaftet, wendet sich gegen die für sofort vollziehbar erklärte Verfügung des Antragsgegners vom 8. November 2005, durch die ihm aufgegeben worden ist, eine etwa in 200 m Luftlinie und straßenmäßig etwa 325 m von der Hofstelle entfernte Lagerstätte für Heuballen auf dem Flurstück 199/18 unter Fristsetzung bis zum 30. November 2005 zu räumen bzw. die dort gelagerten Heuballen zu entfernen. Nach den Feststellungen des Antragsgegners erreichte die Lagerung der Heuballen zum damaligen Zeitpunkt eine Gesamtlänge von ca. 80 m, davon - vorgesetzt - ca. 35 m einlagig und etwa 45 m in drei übereinander gestapelten Lagen mit einer Höhe von etwa 4,50 m (zum optischen Eindruck der "wallartig" gelagerten Heuballen wird auf die zahlreichen zum Vorgang genommenen Fotos verwiesen). Die Lagerstätte verläuft parallel zu dem von der Schützenstraße östlich abzweigenden Blökenweg. An den Blökenweg schließt nördlich in Höhe des östlichen Bereiches des Flurstücks 199/18 das überplante und mit Wohnhäusern bebaute Gebiet des Bebauungsplanes Nr. 1.5 der Gemeinde C. an. Nachdem der Antragsteller im Sommer 2005 (zunächst) etwa 200 Heuballen vor dem Neubaugebiet gelagert hatte, kam es zu erheblichen Nachbarbeschwerden, die dann letztlich zu dem Einschreiten des Antragsgegners mit der hier streitigen Verfügung vom 8. November 2005 führte. Zur Begründung der Verfügung hat der Antragsgegner im Wesentlichen angeführt: Die Lagerstätte für Heuballen unterliege sowohl der Genehmigungspflicht des § 68 Abs. 1 NBauO als auch den bauplanungsrechtlichen Vorschriften der §§ 29 ff BauGB. Die Lagerstätte diene nicht dem vom Antragsteller geführten landwirtschaftlichen Betrieb, da ein vernünftiger Landwirt - auch und gerade unter Berücksichtigung des Gebotes größtmöglicher Schonung des Außenbereichs - die Heuballen nicht an dem gewählten Standort gelagert hätte, sondern vielmehr unmittelbar auf der Hofstelle. Dem Vorhaben ständen auch öffentliche Belange in Form des hier verletzten Gebotes der Rücksichtnahme entgegen. Bei einer dauerhaften Einrichtung der Lagerstätte würde ein Zersetzungs- und Fäulnisprozess mit möglicherweise erheblichen Geruchsbelästigungen eintreten.

Den beim Verwaltungsgericht gestellten Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 25. November 2005 hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 22. Dezember 2005 abgelehnt. Zur Begründung hat es angeführt, dass offen bleiben könne, ob die Lagerstätte genehmigungspflichtig i.S. des § 68 NBauO sei oder ob die Freistellungsvoraussetzungen des § 69 NBauO i.V.m. Nr. 11.4 des Anhangs vorlägen. Nach der letztgenannten Regelung seien nur vorübergehend genutzte, unbefestigte Lagerplätze für landwirtschaftliche und erwerbsgärtnerische Erzeugnisse wie Kartoffel-, Rübenblatt- und Stohmieten genehmigungsfrei. Nach § 69 Abs. 6 NBauO müssten nämlich auch genehmigungsfreie Baumaßnahmen die Anforderungen des öffentlichen Baurechts erfüllen. Die Lagerstätte für Heuballen erfülle die planungsrechtlichen Voraussetzungen des § 35 BauGB nicht. Der der angegriffenen Verfügung beigefügten Begründung sei zu folgen. Hinsichtlich des Gebotes der Rücksichtnahme sei ergänzend anzumerken, dass dieses auch ein Verbot "schikanierender Baumaßnahmen" enthalte. Es seien keinerlei sachlich durchgreifende betriebliche Gründe dafür vorgetragen worden, warum die Lagerstätte für Heuballen gerade an dem gewählten Standort angelegt worden sei bzw. angelegt werden müsse. Der Zweck liege vielmehr im Wesentlichen darin, die angesiedelten Nachbarnutzungen negativ zu beeinträchtigen. Wegen der verwaltungsgerichtlichen Ausführungen im Einzelnen wird auf den angegriffenen Beschluss Bezug genommen.

In dem dagegen gerichteten Beschwerdeverfahren hat sich der Senat im Anschluss an den Vortrag des Antragstellers (insbesondere Seite 3 seines Schriftsatzes vom 24. Februar 2006) um eine vergleichsweise Beendigung des Verfahrens bemüht. Dem Vergleichsvorschlag des Senats vom 1. März 2006 hat der Antragsteller nach Ablauf von mehreren Wochen, nach dem Vortrag des Antragsgegners auch sein Vater bei einer persönlichen Vorsprache im Bauamt, nicht zugestimmt. In seinem Schriftsatz vom 24. Februar 2006 hatte der Antragsteller ein mögliches Entgegenkommen - noch - wie folgt formuliert: "Um den Bewohnern der Neubausiedlung, auf deren Druck hin offensichtlich der Antragsgegner erst tätig geworden ist, entgegenzukommen, wäre der Antragsteller im Sinne einer dauerhaften einvernehmlichen Regelung bereit, die in den Flurstücken 205/25 und 199/18, gelegen am Blökenweg, vorhandenen Senken zu beseitigen (Planschieben), um dann die erforderlichen Rundballen (Futtermittel) entlang des Blökenweges auf den Flurstücken 200/25 und 199/18 bis zur Grenze der Neubausiedlung wie in der Anlage mit "Plan 2" bezeichnet zu lagern."

Die Beschwerde des Antragstellers, bei der der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur die dargelegten Gründe überprüft, hat keinen Erfolg. Der Senat folgt der vom Antragsgegner vertretenen und vom Verwaltungsgericht geteilten Auffassung, dass der Errichtung der Lagerstätte, bestehend aus einer dreilagigen Schicht von Heuballen bis zu einer Höhe von etwa 4,50 m, in unmittelbarer Nachbarschaft zu der sich nördlich anschließenden Neubausiedlung öffentliche Belange i.S. des § 35 Abs. 3 BauGB entgegenstehen, und zwar in der Form des Verstoßes gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Dass auch der dem privilegierten landwirtschaftlichen Betrieb des Antragstellers dienende Lagerplatz für Heuballen dem im Rahmen des § 35 Abs. 3 BauGB zu beachtenden Gebot der Rücksichtnahme unterliegt, ist jedenfalls seit dem grundlegenden Urteil des BVerwG vom 25. Februar 1977 (IV C 22.75 -, DVBl 1977, 722 = BauR 1977, 244 = BRS 32 Nr. 155 = BVerwG 52, 122) in eindeutiger Weise geklärt. Das BVerwG hat dazu das Folgende angeführt: "Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme (objektiv-rechtlich) begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schützwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute kommt, um so mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, um so weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Bei diesem Ansatz kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmepflichtigen nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dabei muss allerdings demjenigen, der sein eigenes Grundstück in einer sonst zulässigen Weise baulich nutzen will, insofern ein Vorrang zugestanden werden, als er berechtigte Interessen nicht deshalb zurückzustellen braucht, um gleichwertige fremde Interessen zu schonen. Das gilt noch verstärkt, wenn sich bei einem Vergleich der beiderseitigen Interessen derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, zusätzlich darauf berufen kann, dass das Gesetz durch die Zuerkennung einer Privilegierung seine Interessen grundsätzlich höher bewertet wissen will, als es für die Interessen derer zutrifft, auf die Rücksicht genommen werden soll". Das Gebot der Rücksichtnahme ist damit nicht einseitig: Es gilt das Gebot der Gegenseitigkeit der Rücksichtnahme als allgemeiner Grundsatz des Baurechts. Das Gebot der Gegenseitigkeit der Rücksichtnahme erfasst insbesondere Nutzungen, die - wie auch hier - geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen (BVerwG, Urt. v. 18.5.1995 - 4 C 20.94 -, DVBl 1996, 40 = NVwZ 1996, 379 = BVerwGE 98, 235).

Die nach diesen Grundsätzen vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen einerseits des Antragstellers an der Lagerung der Heuballen nach seinen Vorstellungen gerade an dem von ihm gewählten Standort gegenüber dem Neubaugebiet und andererseits dem Interesse der in dem Neubaugebiet wohnenden Anlieger an der Verschonung von einer ihnen vorgesetzten Heuballen-"Wand" mit einer Höhe von etwa 4,50 m geht zu Lasten des Antragstellers aus. Allerdings bewertet der Senat das Gewicht der landwirtschaftlichen und daher privilegierten Belange des Antragstellers an einer freien Standortwahl zur Lagerung der Heuballen auf den ihm zur Verfügung stehenden Flächen als nicht unerheblich. Vor diesem Hintergrund spricht nach der derzeitig ersichtlichen Sachlage wenig dafür, dass der Antragsteller etwa gehalten wäre, seine Heuballen auf seiner Hofstelle unterzubringen. Vielmehr unterliegt es grundsätzlich seinem betriebs- bzw. landwirtschaftlichen Ermessen, die für die Versorgung seiner Tiere erforderlichen Heuballen dort zu lagern, wo es seinen Vorstellungen am ehesten entspricht. Dass dies im Hinblick auf das Erfordernis des "Dienens" des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB nicht zwingend auf oder jedenfalls nahe bei seiner Hofstelle sein muss, zeigt die inzwischen bekannte und durchaus als üblich zu umschreibende vergleichbare Lagerung von Heu- und Strohballen anderer Landwirte abgesetzt von der Hofstelle. Dass das Gebot der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs eine Lagerung von Heuballen im Außenbereich grundsätzlich nicht zuließe, lässt sich damit nicht halten.

Die Besonderheit der vorliegenden Sachverhaltsgestaltung liegt aber darin, dass der vom Antragsteller gewählte Standort für die Lagerung der Heuballen im Nahebereich zur nördlich anschließenden Wohnbebauung liegt. Dies führt zwar nicht von vornherein zu einem Verstoß gegen das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme. Denn betriebs- bzw. landwirtschaftliche Gegebenheiten können dies durchaus begründen und im Einzelfall eine andere Standortwahl auch ausschließen. Derartige Gründe sind hier aber gerade nicht ersichtlich bzw. vom Antragsteller vorgetragen. Der Antragsteller hat nicht einmal im Beschwerdeverfahren eindeutige Gründe benannt, die den Schluss nahe legten, dass die Lagerstätte für Heuballen gerade auf dem östlichen Teilbereich seines Flurstücks 199/18 unmittelbar gegenüber der Neubausiedlung angelegt werden müsste. Zwar legt die derzeit ersichtliche Sachlage die Folgerung nahe, dass etwa ein Standort parallel zur Schützenstraße nicht möglich ist. Der Antragsteller verweist insoweit darauf, dass seine Flächen - wegen eines trennenden Straßengrabens - von dort aus nicht angefahren werden können. Dieser Vortrag wird durch die vorgelegten Fotos auch eher belegt als widerlegt. Vergleichbares dürfte auch für den rückwärtigen Bereich der Hofstelle und die sich daran anschließenden Nutzflächen gelten. Der Antragsteller bezieht sich insoweit auf die Vernässung dieser Bereich; dazu hat er ebenfalls Fotos vorgelegt, die dieses nachvollziehbar machen. Anderes gilt dagegen nach seinem eigenen Vortrag für seine Flächen westlich des abknickenden Winkels des Blökenweges. Gegenteilig hat der Antragsteller diese Flächen jedenfalls noch in seinem Schriftsatz vom 24. Februar 2006 sozusagen "angeboten", um - mit seinen eigenen Worten - zu einer "dauerhaften einvernehmlichen Regelung" zu kommen. Der Senat sieht vor diesem Hintergrund Raum, diesem "Angebot" im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung der gegenteiligen Interessen der Beteiligten eine gewichtige Bedeutung beizumessen. Stehen dem Antragsteller - ohne weiteres zumutbare - Ausweichflächen zur Lagerung der Heuballen zur Verfügung, ist deren Lage zur Hofstelle sogar noch näher, als der von ihm derzeitig vorgezogene Standort, und kann er für diese Wahl keine handfesten und überzeugenden Argumente vortragen "als dass er es nun einmal so möchte", kommt den Belangen der im Neubaugebiet wohnenden Anlieger ein dann überwiegendes Gewicht zu. Die Standortwahl des Antragstellers kann nach den derzeit ersichtlichen Umständen mit dem Verwaltungsgericht nur als "schikanierende Baumaßnahme" bewertet werden, dem das Gebot der Rücksichtnahme entgegensteht. Zu Recht ist daher der Antragsgegner in diesem besonderen Einzelfall gegen die Anlegung der Lagerstätte eingeschritten.

Ende der Entscheidung

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