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Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 23.03.2009
Aktenzeichen: 10 LA 438/08
Rechtsgebiete: AufenthG, EMRK, VwGO


Vorschriften:

AufenthG § 55 Abs. 1
AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 2
EMRK Art. 8 Abs. 1
VwGO § 114 S. 2
Durch die Ausweisung werden die nach Art. 8 EMRK geschützten Bindungen eines Ausländers nicht nachteilig berührt, wenn dieser bereits vollziehbar ausreisepflichtig war.

Fall einer hilfsweise verfügten Ermessensausweisung.


Gründe:

I.

Die im Oktober 1987 in D. (Kosovo) geborene Klägerin wendet sich gegen ihre Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland. Sie reiste mit ihren Eltern 1988 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte wiederholt ohne Erfolg ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Nach Auslaufen der asylrechtlichen Aufenthaltsgestattung im Juni 1990 war sie vollziehbar ausreisepflichtig. Sie verließ die Erich-Kästner-Schule (Förderschule) in E. mit Ende der 8. Klasse ohne Abschluss. Auch in dem nachfolgenden Berufgrundbildungsjahr (BGJ) im Bereich Hauswirtschaft erreichte sie keinen erfolgreichen Bildungsabschluss. Die Klägerin und ihre Familie waren stets auf öffentliche Mittel angewiesen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Klägerin trat vielfach strafrechtlich in Erscheinung. Zuletzt wurde sie unter Einbeziehung früherer jugendgerichtlicher Verurteilungen zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt; seit dem 2. November 2007 befindet sich die Klägerin in Haft.

Nach vorheriger Anhörung wies der Beklagte die Klägerin mit Bescheid vom 9. Juni 2008 unbefristet aus der Bundesrepublik Deutschland aus. Er führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Die Klägerin sei zwingend nach § 53 Nr. 1 AufenthG auszuweisen, weil sie innerhalb von fünf Jahren zu Freiheitsstrafen von mehr als 3 Jahren verurteilt worden sei. Selbst wenn ein Ermessen eröffnet wäre, wäre der Ausweisung aufgrund der von der Klägerin ausgehenden kriminellen Energie sowie der Fülle und Vielfalt der begangenen Delikte Vorrang vor einem weiteren Verbleib der Klägerin im Bundesgebiet zu geben. Daneben seien die Voraussetzungen einer Ausweisung nach § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AufenthG aufgrund der unerlaubten Einreise der Klägerin und der wiederkehrenden Straftaten der Klägerin gegeben. Gründe, die nach § 55 Abs. 3 AufenthG einer Ausweisung entgegenstehen könnten, seien nicht erkennbar. So verfüge die Klägerin über familiäre Bindung im Bundesgebiet, allerdings sei sie aufgrund ihres Alters auf einen familiären Beistand nicht mehr zwingend angewiesen. Sonstige Bindungen lägen nicht vor. Zur Sicherstellung ihres Lebensunterhalts sei sie auf öffentliche Mittel angewiesen. Sie sei nicht erwerbstätig, verfüge über keinen schulischen oder beruflichen Abschluss und habe eine Berufsausbildung nicht begonnen. Eine Abschiebung sei mit Blick auf Art. 8 EMRK nicht rechtlich unmöglich. Im Hinblick auf die Garantien des Art. 8 Abs. 1 EMRK sei festzustellen, dass sich die Klägerin in die hiesigen Gegebenheiten nicht eingegliedert habe. Die Klägerin bzw. ihr Familienverband habe den Aufenthalt im Bundesgebiet erzwungen. Der Aufenthalt sei zu keiner Zeit legalisiert worden. Von einer Integration sei nicht auszugehen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Klage, die das Verwaltungsgericht mit der Maßgabe abgewiesen hat, dass die unbefristete Ausweisung der Klägerin gemäß § 55 AufenthG erfolgt.

II.

Der Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Der von ihr allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor bzw. ist von der Klägerin nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt worden.

Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen dann, wenn gegen die Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts gewichtige Gründe sprechen. Das ist regelmäßig der Fall, wenn ein die Entscheidung tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, Kammerbeschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163, 1164). Dem Darlegungserfordernis des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO ist genügt, wenn innerhalb der Antragsfrist aus sich heraus verständlich näher dargelegt wird, dass und aus welchen Gründen dieser Zulassungsgrund vorliegen soll. Die dem Revisionsrecht nachgebildete Darlegungspflicht bestimmt als selbständiges Zulässigkeitserfordernis den Prüfungsumfang des Rechtsmittelgerichts. Sie verlangt qualifizierte, ins Einzelne gehende, fallbezogene und aus sich heraus verständliche, auf den jeweiligen Zulassungsgrund bezogene und geordnete Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinander setzen. Hierbei ist als Mindestvoraussetzung für die Darlegung zu verlangen, dass geltend gemacht wird, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist, und dass die Sachgründe hierfür bezeichnet und erläutert werden.

Nach Maßgabe dessen kann die Berufung nicht zugelassen werden.

Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner die Klage abweisenden Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Zwar liege der Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG nicht vor, die Ausweisung der Klägerin sei aber nach § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AufenthG gerechtfertigt. Die Ermessenserwägungen des Beklagten seien unter Berücksichtigung der mit Schriftsatz vom 18. September 2008 erfolgten Ergänzung nicht zu beanstanden.

Dagegen wendet die Klägerin ein: Die angefochtene Ausweisung könne nicht auf § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AufenthG gestützt werden. Die Entscheidung des Beklagten sei ermessensfehlerhaft. Der Beklagte habe nicht angemessen berücksichtigt, dass sie - die Klägerin - in der Bundesrepublik Deutschland sozialisiert sei. Sie sei hier aufgewachsen. Diese Entscheidung hätten ihre Eltern getroffen. Letztlich sei es auch eine Entscheidung des Staates gewesen, den Aufenthalt ihrer Familie nicht zu beenden. Es sei nicht von Belang, ob ihr Aufenthalt rechtmäßig oder rechtswidrig gewesen sei. Sie habe keine Verbindung in ihr Heimatland. Im Hinblick hierauf habe der Beklagte allein auf die angebliche Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts abgestellt. Zudem sei sie in schwierigen familiären Verhältnissen aufgewachsen. Der Beklagte habe nicht berücksichtigt, dass sie im Vollzug ein völlig verändertes Verhalten gezeigt habe. Insoweit habe die JVA F. eine positive Prognose bescheinigt. Die Skepsis hinsichtlich der günstigen Sozialprognose könne durch nichts belegt werden; einzige Begründung seien die Straftaten in der Vergangenheit gewesen. Der Beklagte scheine mit seiner Entscheidung, eine stationäre Suchttherapie nicht zu finanzieren, seine eigenen fehlerhaften Ermessensgründe zu schaffen. Die angeblich zweifelhaften Erfolgsaussichten der Therapie seien aus der Luft gegriffen. In den Ermessenserwägungen werde ausgeführt, dass sie dem erzieherischen Einfluss ihrer Eltern entglitten und alkoholsüchtig sei. Ihr offenkundiger Wandel in Bezug auf Konsum von Alkohol werde vom Beklagten negiert. Es sei zudem eher ein positives Signal, dass sie dem Einfluss ihrer Eltern nicht mehr ausgesetzt sei. Schließlich habe der Beklagte in dem angefochtenen Bescheid keine Ermessenserwägungen angestellt, weil er von einer gebundenen Entscheidung ausgegangen sei. Die späteren Ermessenserwägungen stellten daher keine Ergänzung, sondern ein Nachholen der Ermessenentscheidung dar.

Diese Einwände rechtfertigen nicht die Zulassung der Berufung. Aus ihnen ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die angefochtene Ausweisung der Klägerin ihre rechtliche Grundlage in § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AufenthG findet und rechtmäßig ist. Dass die Klägerin die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Bestimmung aufgrund der von ihr begangenen zahlreichen Straftaten verwirklicht hat, ist offenkundig und wird auch nicht in Zweifel gezogen.

Die Klägerin legt mit ihrem Zulassungsantrag nicht dar, dass die Ausweisungsverfügung des Beklagten ermessensfehlerhaft ist. Im Hinblick hierauf hat das Verwaltungsgericht die Ausübung des Ermessens durch den Beklagten nur dahin zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 114 Satz 1 VwGO). Dabei kann die Behörde ihre Ermessenserwägungen noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen (§ 114 Satz 2 VwGO), nicht jedoch eine unterbliebene Ermessensentscheidung nachholen.

Zunächst kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Beklagte hinsichtlich der Ausweisung sein Ermessen nicht ausgeübt hat und deshalb versucht hat, eine fehlende Ermessensentscheidung nachzuholen. Der Beklagte hat die Ausweisung zunächst auf § 53 Nr. 1 AufenthG gestützt und festgestellt, dass in diesem Fall ein Ermessen nicht eröffnet sei. Er hat aber weiter ausgeführt, dass im Falle einer Ermessensentscheidung angesichts der von der Klägerin ausgehenden kriminellen Energie sowie der Fülle und Vielfalt der begangenen Delikte die Ausweisung sowohl aus generalpräventiven als auch spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt sei. Daneben hat der Beklagte in dem angefochtenen Bescheid die Ausweisung der Klägerin auch nach § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AufenthG als gerechtfertigt angesehen und dargelegt, dass der Ausweisung die in § 55 Abs. 3 AufenthG genannten Gründe nicht entgegenstünden. Indem sich der Beklagte mit den Anforderungen des § 55 Abs. 3 AufenthG näher auseinandergesetzt hat, hat er sein Ermessen ausgeübt. Bei diesen Gründen handelt es sich um Gesichtspunkte, die bei der Ermessensentscheidung über die Ausweisung zu berücksichtigen sind, nicht jedoch um tatbestandliche Voraussetzungen für eine Ausweisung nach § 55 Abs. 1 AufenthG. Es findet sich kein Anhalt, dass der Beklagte in Bezug auf die Ausweisung nach § 55 Abs. 1 AufenthG von einer gebundenen Entscheidung ausgegangen ist. Hiernach ist es nicht zu bestanden, wenn das Verwaltungsgericht die während des gerichtlichen Verfahrens vom Beklagten ergänzten Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO berücksichtigt hat.

Entgegen dem Vorbringen der Klägerin liegt hier ein Ermessensfehlgebrauch nicht in der Weise vor, dass der Beklagte nicht alle entscheidungserheblichen Tatsachen und Gesichtspunkte in die Abwägung der widerstreitenden Interessen einbezogen hat. Er hat die zugunsten der Klägerin sprechenden Belange, soweit ihm diese mitgeteilt worden oder aus dem Verfahren bekannt gewesen sind, in seine unter dem 18. September 2008 ergänzte Ermessensentscheidung eingestellt und entsprechend ihrer Bedeutung mit den für eine Ausweisung streitenden öffentlichen Belangen abgewogen.

Dies trifft insbesondere in Bezug auf die Einwände der Klägerin im Hinblick auf eine gefestigte Integration in der Bundesrepublik Deutschland zu. Insoweit steht die Ausweisung der Klägerin auch im Einklang mit Art. 8 EMRK. Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens; Art. 8 Abs. 2 EMRK regelt die Zulässigkeit von Eingriffen von staatlichen Stellen in die Ausübung dieses Rechts. Wesentliches Ziel der Vorschrift ist der Schutz des Einzelnen vor willkürlicher Einmischung der öffentlichen Gewalt in das Privat- und Familienleben. Allerdings begründen die EMRK und damit auch die Garantien des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht das Recht eines Ausländers, in einen bestimmten Staat einzureisen oder sich dort aufzuhalten und nicht ausgewiesen zu werden (vgl. EGMR, Urteil vom 16. September 2004 - 11103/03 [Ghiban ./. Deutschland] -, NVwZ 2005, 1046, 1047 und Urteil vom 16. Juni 2005 - 60654/00 [Sisojeva ./. Lettland] -, InfAuslR 2005, 349). Über die Einreise, den Aufenthalt und die Abschiebung fremder Staatsangehöriger zu entscheiden, ist nach allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen vielmehr das Recht der Vertragsstaaten (vgl. EGMR, Urteil vom 16. September 2004, a.a.O., und Urteil vom 7. Oktober 2004 - 33743/03 - [Dragan u.a. ./. Deutschland] -, NVwZ 2005, 1043, 1044). Ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens lässt sich angesichts dieser Regelungskompetenz der Vertragsstaaten nicht schon allein mit dem Argument bejahen, ein Ausländer halte sich bereits seit geraumer Zeit im Vertragsstaat auf und wolle dort sein Leben führen (vgl. EGMR, Urteil vom 7. Oktober 2004, a.a.O.).

Durch die Ausweisung werden die nach Art. 8 EMRK geschützten Bindungen der Klägerin nicht nachteilig berührt. Da die Klägerin bisher nicht über einen Aufenthaltstitel verfügt und deshalb ohnehin vollziehbar ausreisepflichtig ist, treten die Wirkungen einer Ausweisung nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG nicht ein. Eine spätere Aufenthaltsbeendigung erfolgt vielmehr auf Grundlage der bestehenden Abschiebungsandrohung. Zudem ist davon auszugehen, dass der Beklagte der Klägerin wegen ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe der Roma aus dem Kosovo aufgrund des Erlasses des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres, Sport und Integration vom 24. Oktober 2008 über die Rückführung in die Republik Kosovo nach ihrer Haftentlassung erneut eine Duldung erteilen wird. Daher steht unmittelbar eine Aufenthaltsbeendigung nicht bevor. Zwar kann die Klägerin grundsätzlich abgeschoben werden, sobald das Abschiebungshindernis entfallen ist. Da die Klägerin aber bisher stets geduldet worden ist, ist der Beklagte nach § 60a Abs. 5 AufenthG verpflichtet, gegenüber der Klägerin eine etwaige Abschiebung anzukündigen, so dass die Klägerin hinreichend Gelegenheit hat, gegen eine angekündigte Abschiebung gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen (vgl. EGMR, Urteil vom 13. Oktober 2005 - 40932/04 [Yildiz ./. Deutschland] -, juris).

Ungeachtet dessen kommt im Hinblick auf den Schutz des Privatlebens einer aufenthaltsrechtlichen Entscheidung grundsätzlich Eingriffsqualität in Bezug auf Art. 8 Abs. 1 EMRK nur dann zu, wenn der Ausländer ein Privatleben, das durch persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen charakterisiert ist, faktisch nur noch im Aufenthaltsstaat als Vertragsstaat der EMRK führen kann. Ob eine solche Fallkonstellation für einen Ausländer in Deutschland vorliegt, hängt zum einen von der Integration des Ausländers in Deutschland, zum anderen von seiner Möglichkeit zur (Re-)Integration in seinem Heimatland ab. Gesichtspunkte für die Integration des Ausländers in Deutschland sind dabei eine zumindest mehrjährige Dauer des Aufenthalts in Deutschland, gute deutsche Sprachkenntnisse und eine soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse, wie sie etwa in der Innehabung eines Ausbildungs- oder Arbeitsplatzes, in einem festen Wohnsitz, einer Sicherstellung des ausreichenden Lebensunterhalts einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel und dem Fehlen von Straffälligkeit zum Ausdruck kommt. Maßgeblich zu berücksichtigen ist auch die Rechtmäßigkeit des bisherigen Aufenthalts (vgl. EGMR, Urteil vom 8. April 2008 - 21878/06 [Nnyanzi ./. Vereinigtes Königreich], Newsletter Menschenrechte 2008, S. 86).

Für eine Integration der Klägerin in die hiesigen Lebensverhältnisse spricht, dass sie sich seit mehr als 20 Jahren im Bundesgebiet aufhält. Es ist ferner davon auszugehen, dass sie ihrer Schulpflicht nachgekommen ist und die deutsche Sprache beherrscht. Zudem hat die Klägerin ihre wesentlichen familiären und sozialen Bindungen im Bundesgebiet. Allerdings kommt hier dem langjährigen Aufenthalt ein besonderes Gewicht nicht zu. Denn die Klägerin war - abgesehen von der Aufenthaltsgestattung während des ersten Asylverfahrens - vollziehbar ausreisepflichtig und deshalb lediglich geduldet. Es ist nicht von erheblicher Bedeutung, dass der Aufenthalt der Klägerin im Bundesgebiet nicht auf ihre Entscheidung zurückzuführen ist. Im Übrigen ist die Klägerin ihrer vollziehbaren Ausreisepflicht auch nach Eintritt ihrer Volljährigkeit im Oktober 2005 nicht nachgekommen. Diese Gesichtspunkte hat der Beklagte seiner Entscheidung zugrunde gelegt.

Es ist nicht zu beanstanden, dass der Beklagte davon ausgegangen ist, dass insgesamt überwiegende Gründe gegen eine gefestigte Integration in der Bundesrepublik Deutschland sprechen. Die Klägerin hat eine Förderschule besucht und diese mit Ende der 8. Klasse ohne Abschluss verlassen. Auch in dem nachfolgenden Berufsgrundbildungsjahr hat die Klägerin einen erfolgreichen Schulabschluss nicht erreichen können. Ihr ist es weiterhin nicht gelungen, eine Berufsausbildung zu beginnen oder eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. In wirtschaftlicher Hinsicht ist der Klägerin nicht ansatzweise eine Integration gelungen. Vielmehr ist sie in der Vergangenheit stets auf öffentliche Leistungen zur Sicherstellung ihres Lebensunterhalts einschließlich Krankenversicherungsschutzes angewiesen gewesen. Daneben hat die Klägerin ihre weitergehenden Bedürfnisse durch die zahlreichen Eigentumsdelikte befriedigt. Aufgrund der bisherigen schulischen Leistungen ist nicht zu erwarten, dass die Klägerin nach ihrer Entlassung aus der Haft ihren Lebensunterhalt selbständig bestreiten kann. Zu Recht ist der Beklagte davon ausgegangen, dass die Klägerin bis zu ihrer Inhaftierung keine berufliche Perspektive hatte. Auch in der Folgezeit hat sich die berufliche Situation nicht entscheidend verändert. Weder den Berichten der JVA F. noch den Darlegungen der Klägerin lässt sich in diesem Zusammenhang entnehmen, dass nunmehr die begründete Aussicht besteht, dass die Klägerin nach ihrer Haftentlassung zeitnah eine Ausbildung beginnen oder eine ihren Lebensunterhalt sichernde Erwerbstätigkeit aufnehmen wird.

Gegen eine Integration der Klägerin spricht aber vor allem, dass sie während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet über einen längeren Zeitraum vielfach und erheblich straffällig geworden ist. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Verurteilungen für die einzelnen Taten im unteren Bereich des Strafrahmens geblieben sind. Hieraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass es sich um unbedeutende Straftaten handelt. So hat das Amtsgericht G. - Jugendschöffengericht - durch Urteil vom 4. Dezember 2007 festgestellt, dass zum einen deutliche Reiferückstände bei der Klägerin vorliegen und zum anderen unter Berücksichtigung der früheren abgeurteilten Straftaten und der Massivität der Delinquenz schädliche Neigungen bei der Klägerin gegeben sind. Die Straftaten liegen auch nicht längere Zeit zurück. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass die Klägerin die Straftaten im Umfeld sehr schwieriger familiärer Verhältnisse begangen hat. Denn eine Vielzahl der Straftaten, die schließlich zu einer Verurteilung zu einer Jugendstrafe geführt haben, beging die Klägerin, nachdem sie die Wohnung ihrer Eltern im November 2005 verlassen hatte.

Weiter ist davon auszugehen, dass eine Integration der Klägerin in ihrem Heimatland nicht mit unzumutbaren Schwierigkeiten verbunden ist. Zwar ist sie in ihrem Heimatland nicht aufgewachsen. Allerdings ist davon auszugehen, dass sie über ihre Eltern zumindest mit den grundlegenden sozialen und kulturellen Gegebenheiten ihrer Volksgruppe vertraut ist. Des Weiteren kann angenommen werden, dass - zumindest in den ersten Jahren des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland - die Klägerin die Muttersprache ihrer Eltern erlernt hat, so dass zu erwarten ist, dass ihr in sprachlicher Hinsicht eine Integration in ihrem Heimatland aller Voraussicht nach leichter fallen wird. Dass die wirtschaftlichen Verhältnisse in ihrem Heimatland schwieriger sind als in Deutschland, lässt in Anbetracht des Alters der Klägerin eine Rückkehr dorthin nicht als unzumutbar erscheinen. Hiernach erweist sich die ablehnende Entscheidung des Beklagten als verhältnismäßig im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK.

Der Einwand der Klägerin, der Beklagte habe nicht oder nicht hinreichend ihren positiven Wandel berücksichtigt, erweist sich nicht als tragfähig. Vielmehr hat der Beklagte unter Bezugnahme auf die angeführten Stellungnahmen der JVA F. diese Gesichtspunkte zugrunde gelegt, zugleich aber darauf hingewiesen, dass die günstige Sozialprognose mit Skepsis zu betrachten sei. Diesbezüglich weist der Beklagte zu Recht darauf hin, dass bei der Klägerin aufgrund der massiven Delinquenz schädliche Neigungen vorgelegen haben und sie Bewährungsversagerin ist. Da die Klägerin ausländerrechtlich und wegen ihres Ausbildungsstandes beruflich ohne Perspektive ist, ist die Annahme des Beklagten nicht zu beanstanden, dass die Klägerin aller Voraussicht nach nicht in der Lage sein wird, ihren Lebensunterhalt nachhaltig durch eigene Erwerbstätigkeit sicherzustellen. Auch im Hinblick auf die angesprochene Suchttherapie steht nicht zu erwarten, dass selbst im Falle eines Erfolgs dieser Maßnahme die Klägerin aller Voraussicht nach in der Lage sein wird, künftig ihren Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Begründete Anhaltspunkte für eine günstigere Prognose lassen sich weder den Stellungnahmen der JVA F. noch den Darlegungen der Klägerin entnehmen. Deshalb kommt dem Einwand der Klägerin hinsichtlich der Finanzierung, Durchführung und Erfolgsaussichten einer Suchttherapie eine entscheidungserhebliche Bedeutung nicht zu.

Soweit die Klägerin einwendet, die Entscheidung des Beklagten sei ermessensfehlerhaft, weil er seiner Entscheidung zugrunde gelegt habe, dass sie dem erzieherischen Einfluss ihrer Eltern entglitten und alkoholsüchtig sei, und damit ihren offenkundigen Wandel hinsichtlich des Alkoholkonsums nicht anerkennt, ergeben sich hieraus keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Die Richtigkeit der Annahme des Beklagten, dass bei der Klägerin eine Alkoholabhängigkeit besteht, unterliegt keinen Zweifeln. Der Beklagte stellt damit aber nicht in Frage, dass die Klägerin während der Haft abstinent lebt und insoweit eine Grundlage für ein geändertes Konsumverhalten geschaffen hat. Hieraus kann aber nicht mit hinreichender Sicherheit gefolgert werden, dass der Klägerin auch in wirtschaftlicher Hinsicht eine Integration nachhaltig gelingen wird und deshalb eine Gefahr erneuter Straffälligkeit nicht gegeben und damit spezialpräventive Gründe für eine Ausweisung nicht bestehen. Vielmehr sprechen die zuvor aufgezeigten Gesichtspunkte gegen eine günstige Prognose.

Mit der Ablehnung des Antrages auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Satz 1 ZPO abzulehnen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den vorstehenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

Ende der Entscheidung

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