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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 26.09.2006
Aktenzeichen: 11 LA 196/05
Rechtsgebiete: GG, NGefAG, VwVfG


Vorschriften:

GG Art. 2 II 2
GG Art. 104
GG Art. 20 III
NGefAG § 11
NGefAG § 14
NGefAG § 18
VwVfG § 35 S. 2
Die vollständige Abriegelung eines Ortes für mehrere Stunden durch Polizeikräfte kann gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen (hier bejaht).
Gründe:

Der Zulassungsantrag der Beklagten bleibt erfolglos.

Am 11./12. November 2003 fand ein sog. Castor-Transport in das Zwischenlager Gorleben statt. Der letzte Teil der Straßentransportstrecke führte auf der L 256 an der Ortschaft Laase vorbei. Nachdem es am Nachmittag und am Abend des 11. November 2003 zu Blockaden der Transportstrecke durch Castor-Gegner in Nachbarorten westlich von Laase gekommen war, erließ die Einsatzleitung der Polizei am 11. November 2003 um 23.53 Uhr folgende Anordnung:

1. An allen Zufahrtswegen und -straßen nach Laase sind am jeweiligen Ortsrand durch Einsatzkräfte Absperrungen einzurichten.

2. An den Absperrungen ist das Verlassen der Ortschaft Laase zu unterbinden, der Zutritt allerdings zu gewähren.

3. Innerhalb der Ortschaft Laase ist ein ungehinderter Personenverkehr zu gewährleisten.

Abweichend von dieser Anordnung wurden innerhalb der Ortschaft Laase im Bereich der Straßen Steindamm/Kreuzweg zeitweise Absperrungen errichtet. Auf einem Grundstück am Kreuzweg befand sich ein Zirkuszelt ("Musenpalast"), in dem in dieser Nacht eine Harry-Potter-Lesung stattfand. Am 12. November 2003 um 5.09 Uhr wurden die Absperrmaßnahmen an den Zufahrtswegen und -straßen zur L 256 aufgehoben, nachdem der Castor-Transport Laase passiert hatte.

Die Klägerin, die in Schnega wohnt, hielt sich in der Nacht vom 11. zum 12. November 2003 in Laase auf, um gegen den Atommülltransport zu demonstrieren. Ihren Angaben zufolge hatte sie ihren Pkw in Laase geparkt und wollte nach einem zu Fuß erfolgten Besuch im Nachbarort Grippel, bei dem sie Bekannte und Freunde getroffen habe, gegen 0.30 Uhr mit ihrer Begleiterin von Laase nach Hause zurückfahren. Dies sei ihnen aber von der Polizei verwehrt worden. Erst gegen 5.30 Uhr morgens hätten sie sich mit dem Pkw auf den Heimweg machen können. An einer Straßenblockade habe sie niemals teilnehmen wollen.

Ebenso wie andere Betroffene beantragte die Klägerin am 12. Dezember 2003 u.a. die Feststellung der Rechtswidrigkeit der gegen sie gerichteten polizeilichen Maßnahmen vom 11./12. November 2003. Mit Urteil vom 19. Mai 2005 gab das Verwaltungsgericht - unter Abweisung der Kläge im Übrigen - diesem Antrag statt und stellte fest, dass die am 11. November 2003 um 23.53 Uhr angeordnete und am 12. November 2003 um 5.09 Uhr aufgehobene Errichtung von Absperrungen an allen Zufahrtswegen und Zufahrtsstraßen nach Laase am jeweiligen Ortsrand, mit denen das Verlassen der Ortschaft Laase unterbunden worden ist, rechtswidrig war. Zur Begründung führte es aus:

Die Einrichtung von Absperrungen durch die Polizei rings um Laase in der Nacht vom 11. zum 12. November 2003, die keine Ingewahrsamnahme im Sinne des § 18 NGefAG darstelle, sei rechtswidrig gewesen. Es habe zwar eine konkrete Gefahr bestanden, die ein Einschreiten der Polizei gerechtfertigt habe. Die Beklagte habe nachvollziehbar dargestellt, dass am Abend des 11. November 2003 sowie in der Nacht vom 11. zum 12. November 2003 zwei Straßenblockaden in der unmittelbaren Nähe von Laase stattgefunden hätten. Sie habe ferner nachvollziehbar dargelegt, dass es in den Jahren 2001 und 2002 zu Straßenblockaden auch in Laase gekommen sei, bei denen die Demonstranten am Nachmittag angereist seien und dann in der Nacht die Transportstrecke blockiert hätten. Auch am Nachmittag und Abend des 11. November 2003 habe sich eine infolge der "Absetzbewegungen" von den anderen Blockadeorten immer größer werdende Zahl von zuletzt ca. 500 Personen in der Ortschaft Laase aufgehalten; darunter hätten sich nach Einschätzung der Beklagten ca. 50 bis 100 gewaltbereite Störer befunden. Hinzu komme, dass in der Nacht vom 11. zum 12. November 2003 der Castor-Transport die Ortschaft Laase passieren sollte. Angesichts dieser Gesamtumstände habe die konkrete Gefahr bestanden, dass es in Laase - wie in den Vorjahren - zu einer Straßenblockade kommen könnte.

Die vollständige Abriegelung des Ortes Laase habe jedoch gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen. Denn zur Verhinderung der Gefahr einer Straßenblockade auf der Transportstrecke innerhalb der 50 m-Verbotszone wäre es ausreichend gewesen, an sämtlichen Zugängen von der Ortschaft Laase zur L 256 Straßensperren einzurichten, um ein Eindringen von Castor-Gegnern in die 50 m-Verbotszone und die Errichtung einer Straßenblockade zu verhindern. Es sei kein hinreichender Grund dafür ersichtlich, dass nicht nur die Zugänge zur L 256, sondern nach der von der Beklagten vorgelegten Kartenskizze sämtliche Ausfallstraßen vollständig abgeriegelt worden seien.

Auch im Hinblick auf die von der Beklagten ferner geltend gemachte, aber nicht weiter belegte Gefahr von Blockaden in Grippel oder anderen Orten durch die ca. 500 Personen, die sich in Laase aufgehalten hätten, hätte zum einen die - weniger einschneidende - Möglichkeit bestanden, die Transportstrecke durch ein entsprechendes Polizeiaufgebot entlang der Straße in Grippel oder anderen Orten zu schützen. Polizeikräfte hierfür hätten offenbar in ausreichender Zahl zur Verfügung gestanden. Zum anderen hätte die - ebenfalls weniger einschneidende - Möglichkeit bestanden, an den Ortsausgängen von Laase "Kontrollstellen" einzurichten, an denen gewaltbereite Personen und Personen, hinsichtlich derer konkrete Anhaltspunkte dafür vorgelegen hätten, dass sie sich an rechtswidrigen Aktionen beteiligen wollten, hätten "abgefangen" werden können.

Jedenfalls habe eine vollständige Abriegelung der Ortschaft Laase gegen das Übermaßverbot verstoßen. Es hätten keine Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass die in Laase anwesenden ca. 500 Personen gewaltbereit gewesen seien oder die Begehung von Straftaten beabsichtigt hätten. In einem solchen Fall wäre stattdessen eine Ingewahrsamnahme zulässig gewesen. Lediglich 50 bis 100 Personen seien nach den Angaben der Beklagten, die nicht weiter konkretisiert und belegt worden seien, gewaltbereit gewesen. Hinsichtlich des weitaus größten Teils der in Laase anwesenden Personen habe auch nach der eigenen Einschätzung der Beklagten allenfalls angenommen werden können, dass diese bereit gewesen sein könnten, sich in Laase, Grippel oder irgend einem anderen Ort an einer Straßenblockade zu beteiligen. Viele - wie die Klägerin des vorliegenden Verfahrens - hätten sich aber lediglich nach Hause begeben wollen und seien damit sog. Nichtstörer gewesen. Eine vollständige Abriegelung des Ortes Laase über einen Zeitraum von mehr als fünf Stunden bedeute eine erhebliche Beschränkung der Bewegungsfreiheit der dort sich aufhaltenden Personen. Ein solch schwerwiegender Eingriff (gegenüber 500 Personen) in ein Grundrecht stehe außer Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg, wenn damit - wie hier - lediglich verhindert werden solle, dass sich die - unbestimmte - Gefahr realisieren könnte, dass eine - unbestimmte - Personenzahl möglicherweise an einer Straßenblockade teilnehme.

Entgegen der Auffassung der Beklagten bestehen weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) vor.

1. Die Beklagte wendet sich gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Errichtung der Absperrungen rings um den Ort Laase habe gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstoßen. Es gehe bereits zu Unrecht davon aus, dass die streitige Maßnahme nicht erforderlich gewesen sei, um (dauerhafte) Blockaden zu verhindern. Die von dem Verwaltungsgericht vorgeschlagenen "Ersatzmaßnahmen" wären ungeeignet gewesen. Es sei falsch, dass durch ein entsprechendes Polizeiaufgebot entlang der Transportstrecke die Möglichkeit bestanden hätte, die Bildung einer Sitzblockade auf der L 256 im Bereich der Ortschaft Laase zu verhindern. Insbesondere die Erfahrungen aus dem Jahr 2002 hätten gezeigt, dass die Einrichtung einer Sperrlinie durch mehrere Hundertschaften am Fahrbahnrand der L 256 nicht zum gewünschten Erfolg geführt habe. Kurz vor dem geplanten Zeitpunkt des Beginns des damaligen Straßentransports sei aus der Ortschaft Laase heraus eine offensichtlich straff geführte Menschenmenge von mehr als 500 Personen auf die Fahrbahn der L 256 gelangt und habe dort eine Sitzblockade gebildet. Im Jahr 2003 hätten durch die zeitgleich bestehende Einsatzlage in Grippel sowie weitere Einsatzanlässe weniger Polizeikräfte zur Bewältigung der Lage in Laase zur Verfügung gestanden als im Jahr 2002.

Ebenso wenig wäre die Einrichtung von Kontrollstellen rechtlich und tatsächlich geeignet gewesen, die Bildung einer Sitzblockade auf der Transportstrecke zu verhindern. Kontrollstellen im Sinne von §14 NGefAG dürften nur zur Verhinderung von Straftaten gemäß § 27 VersG eingerichtet werden. Demgegenüber sei das Ziel der streitigen Maßnahme insbesondere die Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten von besonderer Bedeutung, nämlich der Bildung einer Sitzblockade auf der L 256 entgegen dem bestehenden Versammlungsverbot, gewesen. Darüber hinaus eröffne diese Befugnis nicht die Möglichkeit, Personen grundsätzlich am Passieren der Kontrollstelle zu hindern.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts habe die Polizei im Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung von 50 bis 100 gewaltbereiten Störern ausgehen dürfen, da diese Erkenntnis auf zwei unterschiedlichen Quellen beruht habe. Des Weiteren habe auch davon ausgegangen werden müssen, dass sich der größte Teil der in der Ortschaft Laase befindlichen Personen an einer Blockade der Transportstrecke habe beteiligen wollen. Laase selbst habe eine sehr geringe Einwohnerzahl. Das hohe Aufkommen von ortsfremden Personen am Tage des Transports und in der Nacht des Straßentransports hänge ausschließlich mit dem hiergegen gerichteten Protest zusammen. Das sei auch in den Jahren 2001 und 2002 zu beobachten gewesen.

Schließlich könne dem Verwaltungsgericht auch nicht darin gefolgt werden, dass die streitige Maßnahme gegen das Übermaßverbot verstoße. Ohne die Einrichtung von Absperrungen wäre es zur Bildung einer Sitzblockade auf der L 256 im Bereich der Ortschaft Laase gekommen. Diese hätte aufgrund der zeitgleichen Einsatzanlässe erst nach etlichen Stunden geräumt werden können. Damit hätten die betroffenen Personen wie bereits im Jahr 2002 mehrere Stunden unter freiem Himmel in einem Gewahrsamsbereich verbringen müssen. Dies hätte aber gegenüber der im Jahr 2003 angeordneten freiheitsbeschränkenden Maßnahme der Absperrung des Ortes Laase auch unter Berücksichtigung der ungünstigeren Witterungsbedingungen einen schwerwiegenderen Eingriff, nämlich eine Freiheitsentziehung in Form der Ingewahrsamnahme, dargestellt. Die nunmehr gewählte Maßnahme sei deshalb unter den in Frage kommenden Mitteln das mildeste.

Diese Einwände der Beklagten sind aber nicht geeignet, die Feststellung und Bewertung des Sachverhalts einschließlich seiner rechtlichen Würdigung durch das Verwaltungsgericht ernstlich in Zweifel zu ziehen.

Die Beklagte hat als Rechtsgrundlage für die getroffene Maßnahme, die in der Form einer Allgemeinverfügung im Sinne des § 35 Satz 2 VwVfG in Verbindung mit § 1 Nds. VwVfG ergangen ist, die polizeiliche Generalklausel des § 11 NGefAG (seit dem 19.12.2003 Nds. SOG) genannt. Danach können die Verwaltungsbehörden und die Polizei die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine Gefahr abzuwehren, soweit nicht die Vorschriften des Dritten Teils die Befugnisse der Verwaltungsbehörden und der Polizei besonders regeln. Die polizeiliche Generalklausel ist deshalb nur anwendbar, wenn eine spezielle Ermächtigung fehlt (vgl. Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 3. Aufl., F Rdnr. 701; Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 13. Aufl., S. 76). Das Verwaltungsgericht hat im Einzelnen dargelegt, dass die streitigen Absperrungen keine polizeirechtlichen Standardmaßnahmen, insbesondere keine Ingewahrsamnahme (vgl. § 18 NGefAG) im Sinne des Dritten Teils (des NGefAG) darstellen. Ein Rückgriff auf die polizeiliche Generalklausel ist deshalb grundsätzlich zulässig (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 4.10.2002 - 1 S 1993/02 -, NVwZ 2003, 115 = DÖV 2003, 127; OVG Bremen, Urt. v. 24.3.1998 - 1 BA 27/97 -, NVwZ 1999, 314 = NordÖR 1998, 345; Rachor, a.a.O., F Rdnr. 701 ff.; Herzmann, Ausgangssperren auch in Deutschland?, DÖV 2006, 678, 680 f.). Allerdings wird in Teilen des Schrifttums die Generalklausel dann nicht für anwendbar gehalten, wenn die in Rede stehende Maßnahme zwar nicht ausdrücklich, der Kreis in Betracht kommenden Maßnahmen aber abschließend geregelt sei (vgl. Rachor, a.a.O., F Rdnr. 703). Abschließenden Charakter habe der Katalog der Standardbefugnisse indes nur gegenüber solchen Maßnahmen, deren Eingriffsintensität die der vergleichbaren Standardmaßnahmen übersteige. Dies ergebe sich aus dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts, der um so höhere Anforderungen an die Regelungsdichte einer Norm stelle, je intensiver die Frage stehende Maßnahme in die Rechte des Betroffenen eingreife. Eine derartige Fallkonstellation liegt aber hier nicht vor.

Die streitige Anordnung führte dazu, dass die Ortschaft Laase weder von den Einwohnern noch von den sich dort ebenfalls aufhaltenden Besuchern über einen Zeitraum von mehr als fünf Stunden verlassen werden konnte. Darin liegt ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Danach ist die Freiheit der Person "unverletzlich". Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schützt dieses Grundrecht die im Rahmen der geltenden allgemeinen Rechtsordnung gegebene tatsächliche körperliche Bewegungsfreiheit vor staatlichen Eingriffen (vgl. etwa Beschl. v. 13.12.2005 - 2 BvR 447/05 -, NVwZ 2006, 579 = NdsRpfl. 2006, 121). Nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG darf die in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit der Person nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes beschränkt werden. Freiheitsbeschränkung (Art. 104 Abs. 1 GG) und Freiheitsentziehung (Art. 104 Abs. 2 GG) grenzt das Bundesverfassungsgericht nach der Intensität des Eingriffs ab. Freiheitsentziehung ist die schwerste Form der Freiheitsbeschränkung. Eine Freiheitsbeschränkung liegt vor, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt gegen seinen Willen daran gehindert wird, einen Ort aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten, der ihm an sich (tatsächlich und rechtlich) zugänglich ist. Der Tatbestand der Freiheitsentziehung kommt nur in Betracht, wenn die - tatsächlich und rechtlich an sich gegebene - körperliche Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin aufgehoben wird (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 15.5.2002 - 2 BvR 2292/00 -, BVerfGE 105, 239 = NJW 2002, 3161) und der Betroffene an einem eng begrenzten Ort festgehalten wird (Maunz/Dürig, GG, Kommentar, Art. 104 Rdnr. 7). Hieran gemessen handelt es sich bei der streitigen Maßnahme nicht um eine Freiheitsentziehung, wie etwa die in § 18 NGefAG geregelte Ingewahrsamnahme, sondern um eine (bloße) Freiheitsbeschränkung. Die betroffenen Personen durften zwar für mehr als fünf Stunden die Ortschaft Laase nicht verlassen, waren aber - von gewissen Erschwernissen durch die zeitweise durchgeführten Absperrungen im Bereich der Straßen Steindamm/Kreuzweg abgesehen - innerhalb des Ortes grundsätzlich nicht an einer Fortbewegung gehindert. Außer Betracht zu bleiben haben hier die Ingewahrsamnahmen von ca. 20 Personen im Verlauf der Einkesselung. Denn das Verwaltungsgericht hat insoweit die jeweiligen Rechtsstreitigkeiten mit Beschlüssen vom 19. Mai 2005 an das Amtsgericht Dannenberg verwiesen. Da die streitige Maßnahme somit von ihrer Eingriffsintensität her hinter einer Ingewahrsamnahme zurückblieb, ist die Anwendbarkeit der polizeilichen Generalklausel nach der Auffassung des Senats auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Gesetzesvorbehalts ausgeschlossen.

Allerdings hat die Polizei im Rahmen der Gefahrenabwehr nicht nur diejenigen Maßnahmen zu treffen, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen für erforderlich hält (vgl. § 5 Abs. 1 NGefAG), sondern sie hat dabei auch die Grundrechte und den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (vgl. § 4 NGefAG). Polizeiverfügungen sind ferner grundsätzlich gegen Störer im Sinne der §§ 6 und 7 NGefAG zu richten. Nur ausnahmsweise kommt die Inanspruchnahme nicht verantwortlicher Personen in Betracht (vgl. § 8 NGefAG). Bei polizeilichen Allgemeinverfügungen - wie hier - gelten grundsätzlich die gleichen Voraussetzungen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt das Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ein besonders hohes Rechtsgut dar, in das nur aus wichtigen Gründen eingegriffen werden darf (vgl. BVerfG, Beschl. v. 13.12.2005, a.a.O.). Dies muss erst recht gelten, wenn von einer Beschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit neben potenziellen Störern auch Nichtstörer betroffen sind. Denn nicht für die eigentliche Gefahr verantwortliche Personen können - wie bereits erwähnt - nur ausnahmsweise im Rahmen eines sog. polizeilichen Notstandes in Anspruch genommen werden. In einem solchen Fall ist ein besonders strenger Maßstab an die Zulässigkeit von Freiheitsbeschränkungen anzulegen. Das Vorgehen gegen Nichtstörer muss sich auf das sachlich und zeitlich Unumgängliche beschränken (vgl. Götz, a.a.O., S. 108). Die Maßnahme muss nicht nur zur Gefahrenabwehr geeignet, sondern auch erforderlich und angemessen sein. Von mehreren voraussichtlich gleich geeigneten Mitteln ist dasjenige zu wählen, das den Einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt. Das Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne verlangt, dass die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe stehen darf. Die Prüfung an diesem Maßstab kann dazu führen, dass ein an sich geeignetes und erforderliches Mittel des Rechtsgüterschutzes nicht angewandt werden darf, weil die davon ausgehenden Grundrechtsbeeinträchtigungen den Zuwachs an Rechtsgüterschutz überwiegen, so dass der Einsatz des Schutzmittels als unangemessen erscheint (so BVerfG, Beschl. v. 4.4.2006 - 1 BvR 518/02 -, DVBl. 2006, 899). Um diese Anforderungen zu erfüllen, darf insbesondere ein Vorgehen gegen die eigentlichen Störer bzw. eine Beseitigung der Gefahr durch die Polizei auf andere Weise keine Aussicht auf Erfolg versprechen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.3.2001 - 1 BvQ 15/01 -; NJW 2001, 1411 = DVBl. 2001, 797; Herzmann, DÖV 2006, 678, 681). Diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben ist die Einsatzleitung der Polizei im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Anordnung (sog. ex ante-Prognose) nicht hinreichend gerecht geworden.

Der Senat hält die Kritik der Beklagten an der Einschätzung des Verwaltungsgerichts, durch ein entsprechendes Polizeiaufgebot hätte die - weniger einschneidende - Möglichkeit bestanden, die Straßentransportstrecke selbst wirksam vor Blockaden zu schützen, für nicht berechtigt. Das Verwaltungsgericht hat dies damit begründet, dass Polizeikräfte hierfür offenbar in ausreichender Zahl zur Verfügung gestanden hätten, wie die Abriegelung von zwei Ortschaften (Laase und Teilbereiche von Grippel) gezeigt hätten. Die Beklagte hat demgegenüber geltend gemacht, durch die zeitgleich bestehende Einsatzlage in Grippel sowie weitere Einsatzanlässe hätten zur Bewältigung der Lage in Laase weniger Polizeikräfte zur Verfügung gestanden als im Jahr 2002, als es mehreren Hundertschaften trotz Bildung einer Sperrlinie am südlichen Fahrbahnrand der L 256 nicht gelungen sei, eine Sitzblockade von mehr als 500 Personen, die aus der Ortschaft Laase gekommen seien, zu verhindern. Diese Behauptung reicht aber nicht aus, um die gegenteilige Annahme des Verwaltungsgerichts zu erschüttern. Allerdings steht das Gebot, vor der Inanspruchnahme von Nichtstörern eigene Kräfte gegen die Störer einzusetzen, unter dem Vorbehalt der Verfügbarkeit solcher Kräfte (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.3.2001, a.a.O.). Auch ist eine ständige lückenlose Präsenz der Polizeikräfte an der langen Transportstrecke nicht möglich (vgl. Senatsbeschl. v. 16.9.2005 - 11 LA 318/04 -). Andererseits ist aber allgemein anerkannt, dass polizeiliche Verfügungen nicht lediglich der Erleichterung polizeilicher Arbeit dienen dürfen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl.v. 4.10.2002 - 1 S 1963/02 -, NVwZ 2003, 115 = DÖV 2003, 127; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl., S. 415; Rachor, a.a.O., F Rdnr. 247). Faktische Schwierigkeiten bei der Ermittlung von Störern rechtfertigen deshalb nicht ohne Weiteres die Beeinträchtigung von Rechtsgütern Dritter. Außerdem genügt die pauschale Behauptung einer Behörde nicht, dass sie wegen der Wahrnehmung anderer Polizeiaufgaben und trotz der Hinzuziehung externer Kräfte zu einem wirksamen Schutz der Transportstrecke ohne die Inanspruchnahme von Nichtstörern voraussichtlich nicht in der Lage sei (s. dazu auch BVerfG, Beschl. v. 24.3.2001 - 1 BvQ 13/01 -, NJW 2001, 2069 = DVBl. 2001, 897 zur vergleichbaren Situation im Versammlungsrecht). Vielmehr bedarf es konkreter Nachweise (vgl. Hoffmann-Riem, Neuere Rechtsprechung des BVerfG zur Versammlungsfreiheit, NVwZ 2002, 257, 264; Kniesel/Poscher, Die Entwicklung des Versammlungsrechts 2000 bis 2003, NJW 2004, 422, 429). Daran fehlt es hier.

Dem Senat ist bekannt, dass bei dem in Rede stehenden Castor-Transport 2003 einschließlich Bundesgrenzschutz und Polizeikräfte anderer Länder rd. 12.500 Beamte im Einsatz waren (HAZ v. 4.11.2004). Die Beklagte hat aber auch im Zulassungsverfahren nicht belegen können, dass diese große Zahl von Polizeikräften nicht in der Lage war, die Straßentransportstrecke in dem hier interessierenden Abschnitt zu überwachen. Eine personelle Verstärkung in diesem Bereich hätte gerade deswegen nahe gelegen, weil die Beklagte selbst vorgetragen hat, dass das Einrichten einer einfachen bzw. losen Sperrlinie im Jahre 2002 nicht zum gewünschten Erfolg geführt habe. Dazu hätte um so mehr Anlass bestanden, als die Beklagte angegeben hat, bereits am Nachmittag des 11. November 2003 habe der Personen- und Fahrzeugverkehr in Richtung Laase deutlich zugenommen. Vor diesem Hintergrund hätten mehr Polizeikräfte als im Jahr 2002 in dem Streckenabschnitt zwischen Grippel und Laase zusammengezogen werden müssen, um der dort zu erwartenden Gefahrenlage zu begegnen, zumal der Castor-Transport in diesem Zeitpunkt schon den größten Teil der Strecke zurückgelegt hatte, so dass sich die Polizei auf den Schutz des verbleibenden Straßenabschnitts konzentrieren konnte. Hinzu kommt, dass - worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat - Polizeikräfte auch durch die dann nicht erforderliche Absperrung der Ortschaft Laase frei geworden wären. Dass nicht ausreichend Polizeikräfte für diesen Teil der Transportstrecke zur Verfügung gestanden haben sollen, erscheint deshalb fraglich. Im Übrigen hat die Klägerin unwidersprochen vorgetragen, das Vorgehen der Polizei im Zuge des Castor-Transports im November 2004, als es nicht zu einer Einschließung der Ortschaft Laase gekommen sei, habe gezeigt, dass die reine Objektsicherung der Straßentransportstrecke ausreichend und erfolgversprechend sei.

Aber selbst wenn man der Auffassung wäre, dass nicht genügend Polizeikräfte zur Verfügung standen, um die Straßentransportstrecke in dem hier interessierenden Abschnitt wirksam vor Blockaden zu schützen, ist mit dem Verwaltungsgericht davon auszugehen, dass die - ebenfalls weniger einschneidenden - Möglichkeiten bestanden hätten, an den Ortsausgängen von Laase Straßensperren oder Kontrollstellen einzurichten. Die von der Beklagten gegen diese alternativen Vorgehensweisen erhobenen Bedenken vermögen nicht zu überzeugen.

Soweit die Beklagte dem Verwaltungsgericht entgegenhält, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die Errichtung von Kontrollstellen nicht vorgelegen hätten, ist dies mit ihrem sonstigen Vorbringen nur schwer zu vereinbaren. Es ist richtig, dass Kontrollstellen nach § 14 Abs. 1 NGefAG nur eingerichtet werden dürfen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass - im Einzelnen bezeichnete - Straftaten begangen werden sollen. Dies bedeutet, dass die Verhütung von Ordnungswidrigkeiten nicht Zielsetzung der Errichtung von Kontrollstellen im Sinne des § 14 NGefAG sein darf. Die Einsatzleitung der Polizei ging aber - wie die Beklagte im Zulassungsverfahren noch einmal bekräftigt hat - im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung von 50 bis 100 gewaltbereiten Störern im Bereich der Ortschaft Laase aus, so dass aus ihrer damaligen Sicht auch Straftaten nach § 27 VersG (vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 5 NGefAG) zu befürchten waren. Es erscheint deshalb widersprüchlich, wenn die Beklagte nunmehr im Zulassungsverfahren die Einrichtung von Kontrollstellen unter Hinweis darauf, dass die Teilnahme an einer Sitzblockade auf der L 256 entgegen dem bestehenden Versammlungsverbot lediglich eine Ordnungswidrigkeit sei, für unzulässig hält. Im Übrigen obliegt es letztlich den Verwaltungsgerichten, im Einzelfall nachträglich festzustellen, ob die Einrichtung einer Kontrollstelle bzw. Straßensperre rechtmäßig war oder nicht.

Ebenso wenig kann die Beklagte mit Erfolg einwenden, dass § 14 NGefAG nicht die Möglichkeit biete, Personen grundsätzlich am Passieren der Kontrollstelle zu hindern. Liegen nämlich Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten vor, darf die Polizei die verdächtigten Personen anhalten, ihre Identität ermitteln und einen Datenabgleich vornehmen (vgl. etwa Rachor, a.a.O., F Rdnr. 513). Stellt sich dabei heraus, dass der Betreffende bereits als Gewalttäter in Erscheinung getreten ist, kommt eine Ingewahrsamnahme aus präventiven Gründen in Betracht (vgl. Rachor, a.a.O., F Rdnr. 344 f. u. 515 f.). Auf diese Weise hätten in der Nacht des 11./12. November 2003 an den Ortsausgängen von Laase erkennbar gewaltbereite Personen "herausgefiltert" werden können, während Nichtstörern das Verlassen der Ortschaft Laase hätte ermöglicht werden können. Darüber hinaus kann eine Ingewahrsamnahme nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 b NGefAG schon gerechtfertigt sein, um eine unmittelbar bevorstehende Begehung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit, wozu auch ein Verstoß nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG gehört, zu verhindern (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 23.6.2005 - 22 W 32/05 -, NVwZ-RR 2006, 254; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 27.9.2004 - 1 S 2206/03 -, NVwZ-RR 2005, 540 = DÖV 2005, 165). Dies würde dann auch für Personen gelten, bei denen der konkrete Verdacht bestand, dass sie sich an rechtswidrigen Blockadeaktionen innerhalb der 50 m-Verbotszone beteiligen wollten.

Schließlich kommt es hier auch deshalb nicht auf die Frage an, ob die Voraussetzungen des § 14 NGefAG erfüllt gewesen wären, weil jedenfalls die angeordnete vollständige Abriegelung der Ortschaft Laase von der Eingriffsintensität her über die vom Verwaltungsgericht als milderes Mittel zur Diskussion gestellte Einrichtung von Kontrollstellen bzw. Straßensperren hinausging. Wenn eine derartige Einschließung - wie oben ausgeführt - grundsätzlich auf die polizeiliche Generalklausel gestützt werden darf, muss dies erst recht für weniger einschneidende Maßnahmen gelten.

Die Rüge der Beklagten, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts habe davon ausgegangen werden müssen, dass sich der größte Teil der in der Ortschaft Laase befindlichen Personen an einer Blockade der L 256 beteiligen wollte, greift ebenfalls nicht durch.

Die Inanspruchnahme von Nichtstörern ist - wie dargelegt - nur ausnahmsweise im Rahmen eines polizeilichen Notstandes zulässig. An die Prognose, ob eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegt, dürfen keine zu geringen Anforderungen gestellt werden. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen insofern nicht aus. Erforderlich sind vielmehr konkrete ordnungsbehördliche Erkenntnisse, die allerdings auch einschlägige Erfahrungen aus der Vergangenheit einbeziehen können. Hiernach kann eine Vielzahl von Personen, die sich in einem bestimmten Gebiet aufhalten, nicht von vornherein unter einen Pauschalverdacht gestellt werden. Lässt sich nämlich nicht ohne Weiteres feststellen, wer in welchem Ausmaß als Störer anzusehen ist, kann grundsätzlich nicht automatisch von einem möglichen unfriedlichen bzw. rechtswidrigen Verhalten einzelner Personen auf die Störereigenschaft aller Betroffenen geschlossen werden (vgl. Hermanns/Hönig, Die Einschließung bei Versammlungen als Rechtsproblem, NdsVBl. 2002, 201, 204). Dabei verkennt der Senat nicht, dass sich potenzielle Störer von Nichtstörern oft nur schwer unterscheiden lassen. Dies enthebt die Polizei aber nicht von der Pflicht, so weit wie möglich die erforderlichen Differenzierungen vorzunehmen und in erster Linie gegen die Störer vorzugehen. Das Verwaltungsgericht hat der Beklagten in diesem Zusammenhang vorgehalten, sie habe weder konkretisiert noch belegt, dass der weitaus größte Teil der in Laase anwesenden Personen beabsichtigt habe, sich in Laase, Grippel oder irgend einem anderen Ort an einer Straßenblockade zu beteiligen. Sie habe lediglich eine völlig unbestimmte Zahl von 50 bis 100 Personen genannt, die gewaltbereit gewesen seien. Der Beklagten ist es im Zulassungsverfahren nicht gelungen, diese Einschätzung des Verwaltungsgerichts in Frage zu stellen.

Was die Zahl der potenziellen Gewalttäter angeht, hat die Beklagte lediglich mitgeteilt, dass diese Information auf zwei unterschiedlichen Quellen beruht habe, ohne dazu aber nähere Angaben zu machen bzw. aussagefähige Unterlagen vorzulegen. Sie hat ferner eingeräumt, dass potenzielle Störer im weiteren Einsatzverlauf in Laase nicht angetroffen worden seien. Sie führt dies im Wesentlichen darauf zurück, dass diese Personengruppe sich offenbar in der Zeit zwischen der Anordnung der Einrichtung von Absperrungen bis zu deren ca. eine Stunde später erfolgten Umsetzung nach Grippel begeben habe. Dort seien später dann auch tatsächlich Personen festgestellt worden, über die einschlägige Erkenntnisse aus der Vergangenheit vorgelegen hätten. Einen Nachweis für diese Behauptung hat die Beklagte jedoch nicht geführt.

Die Beklagte leitet ihre von der Auffassung des Verwaltungsgerichts abweichende Einschätzung, dass sich der größte Teil der in der Ortschaft Laase befindlichen Personen an einer Blockade der L 256 habe beteiligen wollen, ferner daraus her, dass das hohe Aufkommen von ortsfremden Personen in Laase, das selbst eine sehr geringe Einwohnerzahl habe, am 11./12. November 2003 ausschließlich mit dem Protest gegen den Castor-Trans­port zusammenhänge. Dies habe sich bereits in den Vorjahren gezeigt. In Laase selbst existierten nicht ausreichend kommerzielle Möglichkeiten zur Übernachtung. Die Einrichtung des "Musenpalastes" in Laase habe nicht nur ausschließlich einen künstlerischen Zweck verfolgt, sondern habe auch dazu dienen sollen, Teilnehmern von Aktionen gegen den Straßentransport bis zu dessen Beginn in den Nachtstunden eine warme Unterkunft zu gewähren. Diese Ausführungen der Beklagten beruhen aber weitgehend auf Vermutungen. Es fehlen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Mehrheit der in Laase anwesenden ca. 500 Personen die Straßentransportstrecke tatsächlich blockieren wollte. Soweit auf Vorkommnisse aus früheren Jahren verwiesen wird, hat die Beklagte bereits keinerlei Angaben zur personellen Kontinuität der möglichen Störer gemacht. Dass sich relativ viele ortsfremde Personen zu der fraglichen Zeit in Laase aufgehalten haben, kann zudem auch andere Ursachen gehabt haben als die von der Beklagten vermuteten. So ist es durchaus denkbar, dass ein nicht unerheblicher Teil der Anwesenden lediglich an den kulturellen Veranstaltungen im "Musenpalast" teilnehmen oder seinen Protest gegen den Castor-Transport friedlich zum Ausdruck bringen wollte. Demonstrationen und andere Versammlungen waren nämlich außerhalb des 50 m-Korridors grundsätzlich zulässig. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang angeführt, dass nach seinen Erkenntnissen ein Teil der auswärtigen Besucher nicht an Straßenblockaden teilnehmen, sondern lediglich "nach Hause gehen" wollte. Dazu gehörte auch die Klägerin, die sich zwar in Laase aufgehalten hatte, um gegen den Atommülltransport zu demonstrieren, aber in der Nacht vom 11. zum 12. November 2003 gegen 0.30 Uhr mit ihrem Pkw nach Hause zurückfahren wollte. Nach alledem konnte die Einsatzleitung der Polizei nicht von vornherein als wahrscheinlich unterstellen, dass ein wesentlicher Teil der in Laase anwesenden ca. 500 Personen sich an rechtswidrigen Blockadeaktionen beteiligen würde. Damit verstößt die vorgenommene vollständige Abriegelung der Ortschaft Laase über einen Zeitraum von mehr als fünf Stunden auch gegen das Übermaßverbot. Das Vorgehen der Polizei stand in keiner angemessenen Relation zu dem angestrebten Zweck. Der gegenteilige Standpunkt der Beklagten, ohne die Durchführung der angegriffenen Maßnahme wäre es unweigerlich zur Bildung einer Sitzblockade auf der L 256 im Bereich der Ortschaft Laase gekommen, die erst nach etlichen Stunden hätte geräumt werden können, stellt eine Spekulation dar, für die eine gesicherte Tatsachengrundlage fehlt. Angesichts dessen musste auch nicht der weiteren Behauptung der Beklagten nachgegangen werden, die potenziellen Störer aus Laase hätten dann - wie bereits im Jahr 2002 - mehrere Stunden unter freiem Himmel in einem Gewahrsamsbereich verbringen müssen, was eine einschneidendere Maßnahme als die streitige Anordnung gewesen wäre.

2. Ebenso wenig ist ein Verfahrensmangel nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zu erkennen.

Der Senat hat bereits Zweifel, ob die Beklagte ihrer Darlegungspflicht nach § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO ordnungsgemäß nachgekommen ist. Die erhobene Aufklärungsrüge (vgl. § 86 Abs. 1 VwGO) setzt regelmäßig die Darlegung voraus, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären, welche Beweismittel zur Verfügung gestanden hätten, weshalb sich die unterbliebene Beweisaufnahme hätte aufdrängen müssen, welches Ergebnis die Beweisaufnahme voraussichtlich gebracht hätte und inwiefern das angefochtene Urteil darauf beruhen kann (vgl. etwa Happ, in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 124 a Rdnr. 75). Die Beklagte hat dazu lediglich Folgendes ausgeführt:

"Es stellt sich darüber hinaus die Frage, ob ein Verfahrensfehler dergestalt vorliegt, dass das Verwaltungsgericht im Rahmen der Amtsermittlung gehalten gewesen wäre, die Realisierungsmöglichkeiten seiner vorgeschlagenen "Ersatzmaßnahmen" insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Kräfteeinsatzes zu erfragen. Die letztlich die Entscheidung tragenden Fragen sind aber am Ende der mündlichen Verhandlung nicht mit den Beteiligten erörtert worden. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts kann auf der unzureichenden Sachverhaltsermittlung beruhen."

Mit diesen Ausführungen hat die Beklagte aber den angeblichen Verfahrensmangel nicht - wie erforderlich - substantiiert und schlüssig dargetan.

Darüber hinaus legen die zitierten Ausführungen der Beklagten eher nahe, dass sie nicht eine Aufklärungsrüge erheben, sondern eigentlich einen Gehörsverstoß in der Form einer sog. Überraschungsentscheidung geltend machen will. Aber selbst eine derartige Umdeutung würde dem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg verhelfen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stellt sich eine Entscheidung dann als "Überraschungsurteil" dar, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. J. Schmidt, in: Eyermann, a.a.O., § 108 Rdnr. 24 und Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 138 Rdnr. 146 f., jew. m. Nachw. a. d. Rspr.). Ein derartiger Fall liegt aber hier nicht vor.

Die Klägerin hatte bereits im erstinstanzlichen Verfahren schriftlich geltend gemacht, dass mildere Maßnahmen (etwa die reine Objektsicherung der Straße oder Absperrmaßnahmen zur Transportstrecke hin) in Betracht gekommen wären. In der mündlichen Verhandlung hat sie sogar einen entsprechenden Beweisantrag gestellt. Es wäre Sache der Beklagten gewesen, zu diesen Fragen von sich aus vorsorglich im erstinstanzlichen Verfahren, spätestens in der mündlichen Verhandlung näher Stellung zu nehmen. Angesichts des Vortrags der Klägerin hätte sie damit rechnen müssen, dass es auf diese Fragen bei der gerichtlichen Entscheidungsfindung ankam. Das Gericht ist überdies grundsätzlich nicht verpflichtet, den Beteiligten vorab seine Rechtsauffassung mitzuteilen, da eine Gesamtwürdigung letztlich erst in der abschließenden Beratung vorgenommen werden kann (vgl. etwa Neumann, a.a.O., § 138 VwGO Rdnr. 148). Von einer unzulässigen Überraschungsentscheidung, die einen Gehörsverstoß nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO begründen würde, kann deshalb nicht die Rede sein.

Ende der Entscheidung

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