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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 23.03.2009
Aktenzeichen: 11 LA 490/07
Rechtsgebiete: AufenthG, LuftSiG, LuftVG


Vorschriften:

AufenthG § 58
AufenthG § 82 Abs. 4
LuftSiG § 12
LuftVG § 29 Abs. 3
Die Rechtswidrigkeit einer Abschiebungshaft lässt die Kostenerstattungspflicht eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers für aus der Haft erfolgte Transporte nicht entfallen.

Wird er anschließend auf dem Luftweg abgeschoben, hat er die Kosten auch notwendiger Begleitpersonen (z.B. Polizeibeamter) zu tragen.

Ein der Abschiebung entgegenstehender Wille des Ausländers ist für den Piloten auch bei Ausübung der Bordgewalt von Rechts wegen unbeachtlich.

Die Hoheitsgewalt der Polizeibehörden wird durch die sog. Bordgewalt des Piloten nicht ausgeschlossen und endet nicht mit Schließen der Bordtüren eines Flugzeugs.


Gründe:

Der Kläger wendet sich gegen die Auferlegung von Abschiebungskosten.

Der 1978 in B. geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Nach wiederholten Straftaten wurde er durch Bescheid vom 25.1.2000 vollziehbar ausgewiesen und am 25.10.2001 in die Türkei abgeschoben. Nach illegaler Wiedereinreise verbüßte er bis zum 12.5.2003 eine Restfreiheitsstrafe in der JVA C.. Im Anschluss daran wurde er in der JVA D. in Abschiebehaft genommen. Aus der Abschiebehaft wurde er am 24.6.2003 erneut auf dem Luftweg von E. nach Istanbul abgeschoben.

Im Zusammenhang mit einem Antrag des Klägers auf Befristung seiner Wiedereinreisesperre nahm ihn die Beklagte mit Bescheid vom 7.11.2005 für die Kosten seiner Abschiebungen in Anspruch. Insoweit streiten die Beteiligten um die Kosten der Botschaftsvorführung vom 27.5.2003 (151,66 €) und des Transports zum Flughafen (77,92 €) anlässlich der Abschiebung vom 24.6.2003 sowie um die Personal- und Flugkosten der beiden Abschiebungen (5.921,56 €) in Höhe von insgesamt 5.921,56 €. Kosten der Abschiebehaft werden wegen deren Rechtswidrigkeit nicht mehr geltend gemacht.

Das Verwaltungsgericht hat die gegen den Kostenbescheid erhobene Klage abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe diese Kosten gemäß § 67 Abs. 1 AufenthG zu tragen. Die Botschaftsvorführung und der Flughafentransport seien unabhängig von der Rechtswidrigkeit seiner Abschiebehaft erforderlich gewesen. Auch die Begleitung durch jeweils zwei Beamte während seiner Rückführungen sei erforderlich gewesen. Deren Rechtswidrigkeit ergebe sich auch nicht aus fehlenden Eingriffsbefugnissen der Beamten. Bis zum Schließen der Bordtüren des Flugzeugs stünden den Beamten die originären Eingriffsbefugnisse nach Maßgabe des Bundespolizeigesetzes zu. Danach könne der die sog. Bordgewalt nach § 12 Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) ausübende Flugzeugführer jedenfalls seine Eingriffsbefugnis auf die mitreisenden Beamten delegieren. Entgegen der Auffassung des Klägers erfüllten die Abschiebungen auf dem Luftweg auch nicht den strafrechtlichen Tatbestand der Freiheitsberaubung; gegen die Abschiebung als Zwangsmaßnahme gebe es kein Notwehrrecht des Betroffenen.

Zur Begründung seines Zulassungsantrags macht der Kläger geltend: Ernstliche Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) an der Richtigkeit des Urteils bestünden, weil sich die Rechtswidrigkeit der Abschiebungshaft auf die Botschaftsvorführung und den Transport zum Flughafen auswirke. Diese Maßnahmen hätten nicht "aus der Abschiebehaft" erfolgen dürfen. Hinsichtlich der polizeilichen Begleitung ergäben sich solche ernstlichen Zweifel daraus, dass die privaten Luftverkehrsgesellschaften keine Beliehenen seien, die bei einer Abschiebung öffentlich-rechtlich tätig würden. Die "Bordgewalt" des Luftfahrzeugführers sei beschränkt auf den Zweck der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung an Bord des in Flug befindlichen Luftfahrzeugs und erlaube es diesem nicht, einen Betroffenen gegen seinen Willen zu befördern und dies durch Zwangsmittel durchzusetzen. Es fehle dem Flugfahrzeugführer an einer delegierbaren Zuständigkeit. Eine zwangsweise Beförderung sei deshalb als Freiheitsberaubung zu werten, gegen die dem Betroffenen ein Notwehrrecht zustünde. Nach dem Schließen der Bordtüren dürften die Bundespolizeibeamten gegenüber dem Betroffenen keinerlei Zwangsmaßnahmen mehr ausüben. Die Rechtssache habe auch grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Ob Kosten der Zuführung eines Betroffenen aus der Abschiebungshaft bei deren Rechtswidrigkeit erstattungsfähig seien, sei über den Einzelfall hinaus wegen der Häufigkeit rechtswidriger Inhaftierungen mit nachfolgenden Maßnahmen dieser Art klärungsbedürftig. Vergleichbares gelte für die Frage, ob Kosten eines von Bundespolizeibeamten begleiteten zwangsweisen Transports durch ein privates Luftverkehrsunternehmen erstattungsfähig seien. Auch diese Rechtsfrage sei bislang nicht obergerichtlich entschieden worden und betreffe ebenfalls zahllose Betroffene.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Der geltend gemachte Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor, da ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils nicht bestehen.

Ernstliche Zweifel sind gegeben, wenn auf Grund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der angestrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, B. v. 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458). Die Richtigkeitszweifel müssen sich allerdings auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (BVerwG, B. v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 -, DVBl. 2004, 838; Nds. OVG, B. v. 12.2.2008 - 5 LA 326/04 -, www.dbovg.niedersachsen.de, m. w. Nachw.).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.

Der Einwand des Klägers, die Rechtswidrigkeit der Abschiebungshaft wirke sich auf die Kostenerstattung für die Botschaftsvorführung und den Transport zum Flughafen aus, begründet keine solchen Richtigkeitszweifel. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht zu Recht die Auffassung vertreten, dass insoweit ein Zusammenhang nicht besteht.

Der begleitete Transport zum Flughafen ist als Teil der Abschiebung gemäß § 58 AufenthG eine Vollstreckungshandlung der Ausländerbehörde zur Durchsetzung einer vollziehbaren Ausreiseverpflichtung. Diese Maßnahme setzt weder voraus, dass sich der Ausreisepflichtige gemäß § 62 AufenthG in Abschiebungshaft befindet, noch baut sie in rechtlicher Hinsicht darauf auf. Vielmehr ist sie - wie auch die Abschiebungshaft - eine selbständige, der Sicherstellung einer tatsächlichen Ausreise des Ausreisepflichtigen dienende Vollstreckungsmaßnahme. Eine für die Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit bedeutsame rechtliche Wechselwirkung zu weiteren Vollstreckungsmaßnahmen - wie z.B. die Abschiebungshaft - ist grundsätzlich nicht gegeben. Insoweit bildet allein die gemeinsame Zielrichtung der Umsetzung einer vollziehbaren Ausreisepflicht eine verbindende Klammer. Die Rechtmäßigkeit einer solchen Vollstreckungsmaßnahme beurteilt sich regelmäßig nach den jeweiligen dem Charakter der Vollstreckungshandlung entsprechenden rechtlichen Anforderungen, ohne dass es dabei auf die rechtliche Beurteilung anderer Vollstreckungshandlungen ankommt, die ihrerseits - wie z. B. die Abschiebungshaft gemäß § 62 AufenthG - möglicherweise spezielleren Anforderungen genügen müssen. So ist es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des zwangsweisen Verbringens des vollziehbar ausreisepflichtigen Klägers zum Flughafen grundsätzlich ohne Bedeutung, an welchem Aufenthaltsort man seiner tatsächlich habhaft geworden ist und aus welchen Gründen er sich hier aufgehalten hat. Dass dies im Fall einer Abschiebungshaft ein - rechtswidrig - erzwungener Aufenthaltsort gewesen sein mag, begründet nicht die Annahme, sein Verbringen von diesem Ort sei ebenfalls rechtswidrig. Mit dem Transport wird ein rechtswidrig erzwungener Haftaufenthalt beendet, nicht aber perpetuiert. Allein der Umstand, dass es dem Kläger infolge der Haft tatsächlich nicht möglich war, sich seinerseits durch rechtswidriges Verhalten - wie z. B. unangekündigtem Wohnsitzwechsel oder Untertauchen - dem tatsächlichen Zugriff der Beklagten unter Verletzung seiner Ausreisepflicht zu entziehen, macht die erfolgte Verbringung zum Flughafen nicht rechtswidrig.

Vergleichbares gilt für die auf § 82 Abs. 4 AufenthG beruhende Botschaftsvorführung des Klägers. Auch diese setzt eine Abschiebungshaft nicht voraus. Die zwangsweise Durchsetzung (Satz 2) der Verpflichtung zur dortigen Vorstellung (Satz 1) knüpft als Vollstreckungshandlung ebenfalls allein in tatsächlicher Hinsicht an den Aufenthaltsort des Ausländers an. Die Rechtswidrigkeit einer Abschiebungshaft ist insoweit ohne Belang. Auch der Durchsetzung dieser Verpflichtung hätte sich der Kläger allein durch rechtswidriges Verhalten entziehen können.

Dass infolge der Verbringung aus der JVA D. bei der Botschaftsvorführung oder beim Transport zum Flughafen tatsächlich höhere Kosten angefallen wären als im Fall einer Entlassung des Klägers aus der vorhergehenden Strafhaft in der JVA C. ist im Übrigen nicht geltend gemacht.

Keine ernstlichen Zweifel begründet der an der sog. Bordgewalt des Luftfahrzeugführers anknüpfende Einwand des Klägers, weder die begleitenden Polizeibeamten noch der Luftfahrzeugführer seien nach Schließen der Bordtür des Flugzeugs berechtigt, ihn zur Mitreise zu zwingen. Zwar mag es zutreffend sein, dass nach Sinn und Zweck der Beleihung mit Hoheitsgewalt zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung an Bord (§ 12 LuftSiG, zuvor § 29 Abs. 3 LuftVG) eine restriktive Auslegung dahingehend geboten sein mag, dass diese Regelung grundsätzlich nicht zur Mitnahme eines Fluggasts gegen dessen erklärten Willen ermächtigt. Doch begründet dies nicht die Rechtswidrigkeit einer von Bundespolizeibeamten unter Begleitung des Ausreisepflichtigen mit einer Flugreise durchgeführten Abschiebung.

Zunächst ist der (erklärte) Wille eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers, der zwangsweisen Durchsetzung dieser Verpflichtung zu widersprechen, von Rechts wegen grundsätzlich unbeachtlich, so dass der Flugfahrzeugführer nicht bereits aus diesem Grund gehindert ist, den Ausländer mitreisen zu lassen. Insoweit erstreckt sich der Geltungsanspruch der Rechtsordnung auf das gesamte Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland einschließlich deren Luftraums. Dieser Grundsatz der vollen und ausschließlichen Souveränität der Staaten über ihren Luftraum (Territorialitätsprinzip) ist im Rahmen der Weltluftverkehrsordnung allgemein anerkannt (Hobel/von Ruckteschell, Kölner Kompendium des Luftrechts, 2008, Band 1, Teil II, Rn. 44, 69 ff; vgl. auch www.luftrecht-online.de/einzelheiten/sonstiges/hoheit.htm). Hieraus folgt zugleich, dass die Zuständigkeiten nationaler Sicherheitskräfte nicht prinzipiell an der Bordtür eines Flugzeugs enden, diese vielmehr auch "an Bord" zur Aufrechtherhaltung von Sicherheit und Ordnung zur Ausübung ihrer Eingriffsbefugnisse ermächtigt sind.

Spezielle normativ wirkende Vereinbarungen oder Regelungen, die eine dahingehende Einschränkung der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland bewirkten, gibt es nicht. Dies ist auch dem Abkommen über strafbare und andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen (sog. Tokioter Abkommen) von 1963 nicht zu entnehmen, dessen Vereinbarungen auf die Notwendigkeit zielen, außerhalb nationaler Hoheitsbereiche die Ausübung von Hoheitsgewalt an Bord von Luftfahrzeugen bei internationalen Flügen "extraterritorial" rechtlich abzusichern durch die sog. Bordgewalt des Luftfahrzeugführers (vgl. www.luftrecht-online.de/einzelheiten/sonstiges/hoheit.htm sowie www.luftrecht-online.de/einzelheiten/luftfahrer/bordgewalt.htm). Vielmehr dient das Tokioter Abkommen, dass dementsprechend im Grundsatz nur Anwendung findet, solange sich das im Flug befindliche Luftfahrzeug außerhalb des Hoheitsgebiets eines Staates befindet (Art. 1 des Gesetzes vom 4.2.1969 i.V.m. Kapitel I Artikel 1 Absatz 2 des Tokioter Abkommens), der Gewährleistung ununterbrochener Ausübung von Hoheitsgewalt durch Beleihung des Luftfahrzeugführers auch innerhalb des Hoheitsgebietes der Vertragsstaaten (Art. 1 des Gesetzes vom 4.2.1969 i.V.m. Kapitel I Artikel 1 Absatz 2, Kapitel III des Tokioter Abkommens). Damit haben die Vertragsstaaten die Ausübung der Bordgewalt des Luftfahrzeugführers auf und über ihrem Staatsgebiet zugelassen, um dem Bedürfnis Rechnung zu tragen, das sich regelmäßig das zur Vollstreckung befugte Personal insbesondere eines überflogenen Staates nicht an Bord des Luftfahrzeugs aufhält (www.luftrecht-online.de/einzelheiten/luftfahrer/ bordgewalt.htm), ohne damit ihre territoriale Hoheitsgewalt aufzugeben. Insbesondere hat auch der Luftfahrzeugführer das Rechts des Staates, in dessen Gebiet er sich mit seinem Luftfahrzeug befindet, zu beachten und zu befolgen (Hobe/von Ruckteschell, a.a.O., Teil III Rn. 58; ebenso www.luftrecht-online.de/einzelheiten/luftfahrer/ bordgewalt.htm). Anders als für diplomatische Missionen (§ 22 Abs. 1 Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen) oder für die Truppe einer Vertragspartei des NATO-Truppenstatuts gibt es somit keine Regelungen zur Exterritorialität oder Immunität unter (partieller) Aufgabe der Hoheitsgewalt für bei anderen Staaten eingetragene Luftfahrzeuge bzw. von ausländischer Luftverkehrsgesellschaften (Westphal/Stoppa, Ausländerrecht für die Polizei, 3. Auflage, Anm. 20.8.3). So unterfällt die Bekämpfung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit - bis hin zur Kaperung des Luftfahrzeugs durch Terroristen unmittelbar nach dem für den Beginn des Flugs maßgeblichen Schließen der Bordtür (Art. 1 des Gesetzes vom 4.2.1969 i.V.m. Kapitel III Artikel 5 Absatz 2 des Tokioter Abkommens) - keineswegs nur der "Bordgewalt" als einer ausschließlichen Hoheitsgewalt des Luftfahrzeugführers. Die nationalen Sicherheitskräfte sind vielmehr im Hoheitsgebiet ihres Staates zum Einschreiten ermächtigt, ob sie sich nun innerhalb oder außerhalb des Luftfahrzeugs befinden (vgl. zu § 4a BPolG insb. Schladebach, Sky Marshals im Luftverkehrsrecht, NVwZ 2006, 430; Ronellenfitsch/Glemser, Sky Marsahll und unruly passenger, JuS 2008, 892). Soweit in der Literatur unter Bezugnahme auf die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage vom 27.7.1999 (14/1454) aus der Legalbeleihung des Luftfahrzeugführers ein "Vorrang der Bordgewalt" abgeleitet und hieraus gefolgert wird, mitreisende Polizeibeamte übten selbst keine Hoheitsrechte mehr aus (Baumann, Die "Bordgewalt" bei Abschiebungen auf dem Luftweg als Rechtsproblem, ZLW 2000, 174; Ritter, Begleitung von Rückführungen durch staatliche und private Sicherheitskräfte in Luftfahrzeugen, Die Kriminalpolizei, 2000, 94) bleibt unbeantwortet, wodurch der "Vorrang" der Bordgewalt eine ausschließende Wirkung bezüglich der staatlichen Hoheitsgewalt im Übrigen gewinnt. Zutreffend weisen Westphal/Stoppa darauf hin, dass selbst bei Annahme eines Vorrangs der Bordgewalt des Flugfahrzeugführers die gesetzliche Zuständigkeit der Polizei erhalten bleibt (Westphal/Stoppa, a.a.O.). Mit der Begründung vom 7.11.2003 zum Entwurf des Luftsicherheitsgesetzes (BR-Drucks. 827/03, S. 34 f) hat die Bundesregierung aus der Stellung des Flugfahrzeugführers als Beliehenen vielmehr gefolgert, dass dieser den originären Hoheitsträger nicht bei seiner hoheitlichen Aufgabenwahrnehmung hindern könne. § 12 Abs. 1 LuftSiG stelle dies durch Normierung der Legalbeleihung wie zuvor § 29 Abs. 3 S. 1 LuftVG "ausdrücklich klar". Die Hoheitsbefugnisse des Luftfahrzeugführers stellen deshalb nach der Gesetzesbegründung lediglich eine "Ergänzung" der im allgemeinen von den Luftfahrtbehörden wahrgenommenen Gefahrenabwehr dar; eine Aufgabenwahrnehmung anderer Behörden, insbesondere von Organen des Bundes ist dadurch nicht ausgeschlossen (BR-Drucks. 827/03, S. 34 f). Infolgedessen ist die anderslautende Äußerung der Bundesregierung vom 27.7.1999 obsolet. Zudem hat der Gesetzgeber mit § 4a BPolG geregelt, dass die Bundespolizei zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Sicherheit oder Ordnung an Bord deutscher Luftfahrzeuge eingesetzt werden kann.

Ist somit der entgegenstehende Wille des vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers für den Luftfahrzeugführer insbesondere bei Ausübung der ihm mit der Bordgewalt verliehenen Hoheitsgewalt rechtlich unbeachtlich und sind von ihm ausgehende Störungen der Sicherheit und Ordnung deshalb unabhängig von seiner Motivation zu unterbinden, so ist neben einem Einschreiten mitreisender Polizeibeamter kraft eigener Zuständigkeit auch ein von der Bordgewalt des Luftfahrzeugführers abgeleitetes Eingreifen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken ausgesetzt. So können Fluggäste selbst ohne Ermächtigung durch den Flugfahrzeugführer angemessene vorbeugende Maßnahmen treffen, wenn sie ausreichende Gründe für die Annahme haben, dass ein solches Vorgehen unmittelbar notwendig ist, um die Sicherheit des Luftfahrzeugs oder der Personen oder Sachen an Bord zu gewährleisten (Art. 1 des Gesetzes vom 4.2.1969 i.V.m. Kapitel III Artikel 6 Absatz 2 des Tokioter Abkommens). Sind mitreisende Polizeibeamte im Übrigen jedenfalls bis zum Eintritt des Luftfahrzeugs in den Luftraum eines anderen Staates - neben dem Luftfahrzeugführer - kraft eigener Zuständigkeit zur Wahrung von Sicherheit und Ordnung berufen, so ist der Einwand des Klägers, mit Schließen der Bordtür gebe es im Luftfahrzeug keine Hoheitsgewalt, die ihn rechtmäßig gegen seinen Willen zur Teilnahme am Flug zwingen könnte, nicht tragfähig. Seine hieran anknüpfenden Schlussfolgerungen zur Rechtswidrigkeit der Abschiebung und fehlenden Kostentragungspflicht können demzufolge ebenfalls nicht durchgreifen. Welche Verfahrensweise im Kollisionsfall von Bordgewalt und polizeilicher Zuständigkeit geboten ist (Westphal/Stoppa, a.a.O.) und welche Bedeutung dem Eintritt des Luftfahrzeugs in den Luftraum anderer Staaten zukommt, kann vorliegend offen bleiben. Jedenfalls wird die insoweit vollzogene Abschiebung dadurch nicht rechtswidrig. Auch werden keine Kosten der Abschiebung geltend gemacht, die infolge der erforderlichen Flugbegleitung durch Polizeibeamte nicht zu diesem Zeitpunkt bereits unvermeidbar entstanden wären. Die Abschiebung mit einem Luftfahrzeug einer privaten Luftverkehrsgesellschaft ist jedenfalls auch nicht deshalb eine aus Rechtsgründen von vornherein ungeeignete Maßnahme, weil der Luftfahrzeugführer bei Eintritt in den Luftraum eines anderen Hoheitsträgers nunmehr wegen des entgegenstehenden Willens des Abzuschiebenden gehindert wäre den Flug fortzusetzen. Hierfür ist nichts ersichtlich. Vielmehr wird er ggf. unter Ausübung der Bordgewalt für eine ungestörte Fortsetzung des Flugs Sorge tragen.

Die vom Kläger vertretene Rechtsauffassung wirft auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf, deren Klärung im Interesse einer einheitlichen Rechtsanwendung oder der Fortbildung des Rechts geboten wäre (vgl. Sodan u.a., Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Auflage, § 124 Rn. 127; Schoch u.a., Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Elfg., § 124 Rn. 30; Bader u.a., Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Auflage, § 124 Rn. 43). Insoweit besteht kein Klärungsbedürfnis, da sich die vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen in Anwendung allgemeiner Rechtsgrundsätze auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung aus in sich nicht zweifelhaften Vorschriften beantworten lassen (vgl. Sodan u.a., a.a.O., § 124 Rn. 127; Schoch u.a., a.a.O., § 124 Rn. 32; Bader u.a., a.a.O., § 124 Rn. 46). Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen. Die an die für die Gerichte unverbindliche Beantwortung der genannten Kleinen Anfrage anknüpfenden Rechtszweifel sind - wie dargelegt - zwischenzeitlich überholt und waren ersichtlich unbegründet. Eine divergierende Rechtsprechung hat der Kläger nicht dargelegt. Vielmehr bejahen die Verwaltungsgerichte in ständiger Rechtsprechung die Erstattungsfähigkeit entsprechender Abschiebungskosten (vgl. BVerwG, U. v. 14.3.2006 - 1 C 5/05 -, NVwZ 2006, 1182; Nds. OVG, B. v. 9.1.2007 - 11 LA 389/06 - n.v.; OVG NRW, U. v. 18.6.2001 - 18 A 702/97 -, NVwZ-RR 2002, 69; OVG Hamburg, U. v. 7.10.1998, Bf V 45/96, juris; Hailbronner, Ausländerrecht, 61. Elfg., § 67 AufenthG Rn. 7 f). Zudem ist die Frage, ob mitreisende Polizeibeamte letztlich in eigener oder abgeleiteter Zuständigkeit einschreiten können, aufgrund der Unbeachtlichkeit eines entgegenstehenden Willens des vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers im Streit um die Kosten der Abschiebung letztlich nicht entscheidungserheblich.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Ende der Entscheidung

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