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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 08.02.2006
Aktenzeichen: 11 LA 82/05
Rechtsgebiete: GG, VwGO


Vorschriften:

GG Art. 3 I
GG Art. 103 I
VwGO § 152a
1. Für eine Gegenvorstellung besteht kein substantieller Anwendungsbereich, der es rechtfertigen könnte, sie im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit neben der Anhörungsrüge gemäß § 152 a VwGO weiter zuzulassen (Bestätigung des Senatsbeschlusses vom 3.5.2005 - 11 ME 131/05 -, NJW 2005, 2171).

2. Mit einer Anhörungsrüge kann nicht nur die Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend gemacht werden, sondern auch die schwerwiegende Verletzung von anderen Prozessgrundrechten, die sonst nur im Wege der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden könnte, wie z. B. des Grundrechts aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot.


Gründe: Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf einer Waffenbesitzkarte. Die Polizeidirektion Hannover stellte dem Kläger im Jahre 1977 eine Waffenbesitzkarte aus, in die ein Revolver eingetragen ist. Mit Urteil vom 10. April 2002 verurteilte das Landgericht B. den Kläger wegen Betruges (Datum der Tat war der 12. April 1994) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung. Mit Bescheid vom 14. April 2004 widerrief die Polizeidirektion Hannover die dem Kläger erteilte Waffenbesitzkarte wegen waffenrechtlicher Unzuverlässigkeit, wies den Kläger an, die Waffenbesitzkarte zurückzugeben und ordnete an, die in die Waffenbesitzkarte eingetragene Schusswaffe nachweislich innerhalb eines Monats nach Unanfechtbarkeit der Verfügung unbrauchbar zu machen oder einem Berechtigten zu überlassen. Hierzu stützte sie sich auf § 5 Abs. 1 Nr. 1 b WaffG 2002. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Bezirksregierung Hannover mit Widerspruchsbescheid vom 2. September 2004 als unbegründet zurück. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 8. Februar 2005 abgewiesen. Den dagegen gerichteten Zulassungsantrag hat der Senat mit Beschluss vom 8. Februar 2006 zurückgewiesen. Gegen den Beschluss vom 8. Februar 2006 hat der Kläger am 10. März 2006 Gegenvorstellung erhoben. Mit Verfügung vom 20. März 2006 hat der Berichterstatter den Kläger darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Senats mit Inkrafttreten des Anhörungsrügengesetzes am 1. Januar 2005 im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit eine Gegenvorstellung neben der Anhörungsrüge des § 152 a VwGO nicht mehr statthaft sei. Dem hält der Kläger mit Schriftsatz vom 29. März 2006 entgegen, dass die Gegenvorstellung wegen des begrenzten Anwendungsbereiches der Anhörungsrüge auf die Verletzung rechtlichen Gehörs weiterhin zulässig sei. Die Gegenvorstellung des Klägers ist unzulässig. Für eine Gegenvorstellung gegen unanfechtbare gerichtliche Entscheidungen ist nach dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz) vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3220) am 1. Januar 2005 kein Raum mehr. Nach der durch das vorgenannte Gesetz in die Verwaltungsgerichtsordnung eingefügten Vorschrift des § 152 a ist nach deren Abs. 1 Satz 1 das Verfahren fortzuführen, wenn die Entscheidung nicht anderweitig anfechtbar/korrigierbar ist und das Gericht den Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Mit der Einfügung dieser Vorschrift sind sonstige außerordentliche Rechtsbehelfe, wie etwa Gegenvorstellungen, gegen unanfechtbare Entscheidungen nicht mehr statthaft (Beschl. d. Sen. v. 3.5.2005 - 11 ME 131/05 -, NJW 2005, 2171). Die vom Kläger zitierten Beschlüsse des BSG vom 28. Juli 2005 (- B 13 RJ 178/05 B -, NJW 2006, 860) und des BFH vom 20. Dezember 2005 (- VIII B 199/05 -, veröffentl. in Juris) geben dem Senat keine Veranlassung, von seiner Auffassung abzurücken. Die beiden Bundesgerichte sind in den vorzitierten Beschlüssen der Ansicht, dass die Gegenvorstellung neben der Anhörungsrüge weiterhin zulässig sei. Maßgebliche Erwägung ist, dass die Anwendbarkeit der Anhörungsrüge auf entscheidungserhebliche Verstöße gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs beschränkt sei, während die Gegenvorstellung das Ziel verfolge, den Fachgerichten die Möglichkeit zu eröffnen, ihr Verhalten unter bestimmten rechtlichen Gesichtspunkten nochmals zu überprüfen und ggf. zu korrigieren (BSG, Beschl. v. 28.7.2005 - B 13 RJ 178/05 B, a.a.O.). Die Gegenvorstellung gehört zu den außerordentlichen Rechtsbehelfen. Solche "außerhalb des geschriebenen Rechts" geschaffenen Rechtsbehelfe sind unvereinbar mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit (vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.4.2003 - 1 PBvU 1/02 -, BVerfGE 107, 395 = NJW 2003, 1924). Der Senat sieht deshalb keine Veranlassung, nach Einführung der Anhörungsrüge weiterhin eine Gegenvorstellung gegen unanfechtbare Entscheidungen zuzulassen. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17. August 2005 (2. Kammer des 1. Senats - 1 BvR 1165/05 -, veröffentl. in Juris) bestärkt den Senat in dieser Haltung. Mit der vorgenannten Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht eine zivilgerichtliche Verwerfung einer Anhörungsrüge wegen Verletzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin aus Art. 3 Abs. 1 und 20 Abs. 3 i.V.m. 103 Abs. 1 GG aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der angegriffene Beschluss über eine Anhörungsrüge einer Prüfung am Willkürmaßstab des Art. 3 Abs.1 GG nicht standhalte. Von Willkür sei auszugehen, wenn der Richterspruch unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar sei und sich daher der Schluss aufdränge, dass er auf sachfremden Erwägungen beruhe. Dies sei beispielsweise der Fall, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm vom Gericht nicht berücksichtigt werde. Von einem solchen Sachverhalt sei in dem anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahren auszugehen, weil das Landgericht die offensichtlich einschlägige Norm des § 321 a ZPO in der Fassung des Anhörungsrügengesetzes nicht angewendet habe. Daneben sei auch das Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, weil das Landgericht zugunsten der Beschwerdeführerin die nach der vorgenannten Vorschrift gebotene Möglichkeit des Rechtsschutzes gegen Verletzungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör auch durch landgerichtliche Berufungsurteile infolge der Nichtberücksichtigung des § 321 a ZPO nicht eröffnet habe. Der Senat versteht die vorstehend dargestellten Beschlussgründe dahin, dass nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts mit der Anhörungsrüge nicht nur eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend gemacht werden kann, sondern jedenfalls auch die schwerwiegende Verletzung von anderen Prozessgrundrechten, die sonst nur im Wege der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden könnte, wie hier das Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot. Eine ergänzende oder alternative Zulassung der Gegenvorstellung kommt danach nicht mehr in Betracht (vgl. hierzu auch Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, Vorb. § 124, RdNr. 9 ff.). Denn nach dem bisherigen Verständnis der Gegenvorstellung vor Inkrafttreten des Anhörungsrügengesetzes zielte sie als Anregung an das Gericht, im Wege der Selbstkontrolle die eigene Entscheidung noch einmal zu überdenken (BVerwG, Beschl. v. 22.11.1993 - 11 C 24.93 -, NJW 1994, 674), im wesentlichen darauf ab, durch Abänderung eines unanfechtbaren Beschlusses einen schwerwiegenden Fall der Verletzung von Verfahrensgrundrechten oder prozessualen Unrechts zu korrigieren (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.7.1986 - 2 BvR 152/83 -, NJW 1987, 1319; BVerwG, Beschl. v. 8.3.1995 - 11 C 25.93 -, NJW 1995, 2053; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand Oktober 2005, Vorb. § 124 RdNr. 18). Für die Gegenvorstellung ist somit ein substantieller Anwendungsbereich, der es rechtfertigen könnte, sie weiterhin neben der Anhörungsrüge zuzulassen, nicht erkennbar. Die Gegenvorstellung des Klägers, einmal ihre Zulässigkeit unterstellt, wäre auch unbegründet. Der Kläger rügt in seiner fünf Punkte umfassenden Gegenvorstellung, dass der Senat in seinem den Zulassungsantrag zurückweisenden Beschluss vom 8. Februar 2006 die §§ 45 und 58 WaffG 2002 rechtsfehlerhaft ausgelegt (1.), den § 49 VwVfG fehlerhaft nicht beachtet (2.), ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zu Unrecht verneint (3.), das Rückwirkungsverbot außer Acht gelassen (4.) und mögliche Grundrechtsverletzungen nicht beachtet (5.) habe. Dieses Vorbringen gibt keine Veranlassung, den Beschluss vom 8. Februar 2006 zu ändern. Es zeigt, gemessen an dem oben wiedergegebenen Prüfungsmaßstab für eine Gegenvorstellung, keine schwerwiegenden Rechtsverletzungen auf. Die Ausführungen des Klägers erschöpfen sich vielmehr in einer Kritik der vom Gericht gewonnenen richterlichen Überzeugung. Sie sollen den Senat dazu bewegen, seine Meinung zu ändern. Mit dieser Zielrichtung ist die Gegenvorstellung jedoch nicht statthaft. Eine Umdeutung der Gegenvorstellung in eine Anhörungsrüge kommt hier nicht in Betracht, da der Kläger diese Möglichkeit auf eine entsprechende Anfrage des Senats hin kategorisch ausgeschlossen hat. Im Übrigen wäre eine Anhörungsrüge auch nicht begründet, da der Kläger - wie bereits erwähnt - die materiell-rechtliche Würdigung des Senats angreift, ohne dass hier ausnahmsweise ein Verstoß gegen das Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot vorliegen könnte.

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