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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 27.09.2007
Aktenzeichen: 11 LB 108/07
Rechtsgebiete: Europäisches Übereinkommen, Übereinkommen z. Verminderung der Staatenlosigkeit, VwVfG


Vorschriften:

Europäisches Übereinkommen über Staatsangehörigkeit zur Verminderung der Staatenlosigkeit
Übereinkommen z. Verminderung der Staatenlosigkeit
VwVfG § 48
VwVfG § 48 Abs. 1 S. 1
VwVfG § 48 Abs. 2 3 Nr. 1
Während der Minderjährigkeit eines Kindes kann dessen durch eine Täuschungshandlung der Eltern erlangte Einbürgerung grundsätzlich jedenfalls dann zurückgenommen werden, wenn es dadurch nicht staatenlos wird.
Gründe:

Die Kläger wenden sich gegen die Rücknahme von Einbürgerungen, die Ausweisung, die Rückgabe von Reiseausweisen sowie gegen die Befristung von Aufenthaltserlaubnissen.

Die 1969 und 1971 geborenen Kläger zu 1) und 2) reisten im September 1989 in das Bundesgebiet ein. Sie stellten unter dem Alias-Nachnamen "{I.}" Asylanträge und gaben an, als Staatenlose aus dem Libanon zu kommen. Ende 1989 wurde die Klägerin zu 3) geboren.

Im Oktober 1990 lehnte das Bundesamt die Asylbegehren der Kläger zu 1) und 2) ab, weil Asyl keinen Schutz vor allgemeinen Bürgerkriegsgefahren (im Libanon) gewähre.

Im November 1990 nahmen die Kläger ihre Asylanträge zurück und erhielten aufgrund des Erlasses des Niedersächsischen Innenministeriums vom 18. Oktober 1990 - im Folgenden Bleiberechtserlass 1990 - eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die ab 1991 als Aufenthaltsbefugnis fortgalt.

Die Kläger zu 4) bis 7) wurden zwischen 1991 und 1996 geboren. Sie erhielten ebenfalls befristete Aufenthaltsbefugnisse.

Bei den Anträgen auf Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis gaben die Kläger zu 1) und 2) für sich und ihre Kinder weiterhin jeweils den Alias-Namen {I.} an und bezeichneten sich als ungeklärte Staatsangehörige aus Beirut/Libanon.

Etwa im Herbst 1998 informierte der Landkreis {J.} den Beklagten, dass er im Hinblick auf eine Familie namens "{I.}", die angeblich aus dem Libanon stamme, tatsächlich aber aus den Orten Yenilmez und Ückavak bei Savur/Mardin aus der Türkei stammen solle, Ermittlungen durchführe. Dabei sei auch die Telefonnummer des Klägers im vorliegenden Verfahren ({A.} {I.}) gefunden worden.

Nachdem der Landkreis {J.} auf eine entsprechende Nachfrage im April 1999 mitgeteilt hatte, dass die Ermittlungen bislang negativ verlaufen seien, stellte der Beklagte den Klägern zu 1) und 2) auf entsprechende Anträge Reiseausweise gemäß dem Übereinkommen vom 28. September 1954 aus (sog. Staatenlosen-Ausweis).

Den 1989, 1991 und 1994 geborenen Klägern zu 3) bis 5) wurde am 13. Juli 1999 eine Einbürgerungsurkunde ausgehändigt. Die Einbürgerung beruhte auf dem "Gesetz zur Verminderung von Staatenlosigkeit" (v. 29.6.1977 idF v. 15.7.1999, BGBl I 1977, 1101; 1999,1618).

Den 1995 und 1996 geborenen Klägern zu 6) bis 7) erteilte der Beklagte jeweils befristete Aufenthaltserlaubnisse.

Aufgrund von weiteren Hinweisen über Täuschungen der Kläger zu 1) und 2) erwirkte der Beklagte im Sommer 2002 einen Durchsuchungsbeschluss beim Amtsgericht {K.}. Die Durchsuchung der Wohnung der Kläger zu 1) und 2) führte zu keinen weiteren Erkenntnissen.

Im Oktober 2002 beantragte der Beklagte über das Bundeskriminalamt und Interpol ein Personenfeststellungsverfahren für die Türkei und den Libanon.

Im April 2003 beantragten die Kläger erneut unter dem Namen {I.} und unter Hinweis auf den Geburtsort Beirut und ihre ungeklärte Staatsangehörigkeit die Verlängerung der bisher erteilten Dokumente.

Etwa Anfang Mai 2004 kam der Beklagte in den Besitz eines Registerauszuges, der die Kläger zu 1) bis 6) als türkische Staatsangehörige mit dem Namen {B.} aus Yenilmez bei Savur/Mardin auswies. Dieser Registerauszug wurde dem die Kläger damals (und heute) vertretenden Anwalt zugefaxt. Daraufhin erklärten die Kläger zu 1) und 2) am 18. Mai 2004 vor dem Beklagten:

"Ich gebe zu, dass ich in Wirklichkeit {A.} {B.} heiße und nicht wie bisher angegeben, {A.} {I.}. Meine Frau heißt {C.} {B.}, der Name {L.} {I.} ist auch falsch. Wir sind türkische Staatsangehörige. Wir haben nie im Libanon gelebt. Wir sind bereit, freiwillig in die Türkei auszureisen. Wir werden schnellstmöglich türkische Papiere beim Generalkonsulat in Hannover beschaffen. Wir wollen über IOM ausreisen. Wir erhalten eine Ausreisefrist von 2 Monaten ."

Die Kläger beantragten noch im Mai 2004 eine Berichtigung ihrer Namen beim Standesamt {K.} und wiesen in diesem Schreiben ebenfalls darauf hin, dass sie bis zum Tage der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland (6.9.1989) in der Türkei unter dem Namen {B.} gelebt hätten und dass die seitdem in Deutschland benutzten Personalien frei erfunden seien.

Der Beklagte erteilte den Klägern zunächst eine Duldung, um ihnen Gelegenheit zu geben, sich die für die Ausreise erforderlichen türkischen Ausweise zu beschaffen.

Unter dem 19. Mai 2004 wies der Prozessbevollmächtigte die Beklagte darauf hin, dass für die Rücknahme der Einbürgerung der Kläger zu 3) bis 5) keine Rechtsgrundlage vorhanden sei.

Mit Schreiben vom 26. Mai 2004 teilte der Beklagte dem Bevollmächtigten der Kläger mit, es werde gegenwärtig geprüft, ob die Aufenthaltserlaubnisse der Kläger zu 6) und 7) zu befristen, die Einbürgerungen zurückzunehmen und gegen die Kläger zu 1) und 2) Ausweisungen zu verfügen seien.

Daraufhin erwiderten die Kläger zu 1) und 2) , ihre Kinder, die Kläger zu 3) bis 7), hätten in der Türkei keine Existenzmöglichkeit, sie verstünden sich als Deutsche. Die Verständigung zwischen ihnen erfolge nur auf Deutsch, da die Kinder weder arabisch noch kurdisch sprächen. Zudem seien sie in ihrer sozialen und kulturellen Entwicklung ausschließlich durch die deutsche Sozialisation geprägt. Es wurden Stellungnahmen der Lehrer der Kläger zu 3) bis 7). vorgelegt.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 20. Juli 2004 nahm der Beklagte die Einbürgerungen der Kläger zu 3) bis 5) mit Wirkung auch für die Vergangenheit zurück und forderte diese Kläger auf, die Einbürgerungsurkunden zurückzugeben. Darüber hinaus wies er die Kläger zu 1) und 2) aus der Bundesrepublik aus und forderte sie auf, die für sie erstellten Reiseausweise zurückzugeben. Die Aufenthaltserlaubnisse der Kläger zu 6) und 7) befristete der Beklagte nachträglich auf den Tag der Bekanntgabe des Bescheides. Er forderte die Kläger zur Ausreise auf und drohte die Abschiebung in die Türkei an. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus: Rechtsgrundlage der Einbürgerung sei Art. 2 des Gesetzes zur Verminderung der Staatenlosigkeit gewesen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift - Staatenlosigkeit der Kinder - hätten jedoch nie vorgelegen. Tatsächlich seien die Kläger zu 3) bis 5) immer türkische Staatsangehörige gewesen. Die Einbürgerung sei durch arglistige Täuschung im Sinne des § 48 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG erlangt worden. Zwar hätten die Kinder selbst nicht arglistig gehandelt, aber die sie vertretenden Eltern. Diese, die Kläger zu 1) und 2), hätten die deutschen Behörden bewusst und wissentlich über ihre Identität getäuscht. Im Rahmen des auszuübenden Ermessens seien die schutzwürdigen Interessen der Kläger zu 3) bis 5) an der Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit und an dem Verbleib in Deutschland, mit dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung abzuwägen. Auch sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Zugunsten der Kläger zu 3) bis 5) sei zu berücksichtigen, dass sie ihre Kindheit und Schulzeit in Deutschland verbracht hätten und seit 1999 davon ausgegangen seien, sie wären deutsche Staatsangehörige. Diese privaten Interessen müssten jedoch nach Abwägung hinter dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme der Einbürgerung zurücktreten. Es sei davon auszugehen, dass die Kinder in der Türkei schnell die türkische Sprache erlernen und sich dort integrieren würden. Dem stehe nicht die durch diverse Unterlagen belegte tatsächliche Integration der Kinder in Deutschland entgegen. Zu berücksichtigen sei zudem, dass bei Aufrechterhaltung der Einbürgerung die Kläger zu 1) und 2) als Eltern ihrerseits über Art. 6 GG Ausweisungsschutz in Anspruch nehmen könnten, obgleich sie bewusst die Behörden getäuscht hätten. Auch generalpräventive Gründe sprächen für die Rücknahme der Einbürgerung. Im Interesse einer geordneten Einwanderung müsse Ausländern deutlich gemacht werden, dass durch falsche Angaben erschlichene Einbürgerungen keinen Bestand hätten.

Die Ausweisung der Kläger zu 1) und 2) beruhe auf §§ 45 Abs. 1, 46 Nr. 2 i. V. m. § 92 AuslG. Sie hätten zur Erlangung von Aufenthaltsgenehmigungen bewusst falsche Angaben gemacht. Im Zusammenhang mit der Einbürgerung ihrer Kinder hätten sie sich der mittelbaren Falschbeurkundung durch Verschweigen der türkischen Staatsangehörigkeit ihrer Kinder schuldig gemacht. Die Ausweisung sei darüber hinaus auf § 46 Nr. 6 AuslG zu stützen, da die Kläger zu 1) und 2) für sich und ihre Familienmitglieder in der Vergangenheit in erheblichem Maße Sozialhilfe (nämlich in Höhe von rd. 190.000,-- Euro) in Anspruch genommen hätten. Im Rahmen des Ausweisungsermessens sei dem langjährigen Aufenthalt der Kläger zu 1) und 2) im Bundesgebiet (über 15 Jahre) kein Gewicht beizumessen, da der Aufenthalt auf ihren bewusst unzutreffenden Angaben beruhe. Sonstige für einen weiteren Verbleib im Bundesgebiet sprechende Gründe seien nicht ersichtlich. Die Ausweisung sei darüber hinaus auch aus generalpräventiven Gründen erforderlich, um andere Ausländer von vergleichbaren Handlungen abzuhalten.

Die Aufenthaltserlaubnisse der Kläger zu 6) und 7) seien gemäß § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG auf den Tag der Bekanntgabe des Bescheides zu befristen. Mit der Ausweisung der Eltern, der Kläger zu 1) und 2), sei die Voraussetzung für die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen an die Kläger zu 6) und 7) entfallen, da die Eltern infolge der Ausweisung ihrerseits nicht mehr über Aufenthaltserlaubnisse verfügten. Im Rahmen des auszuübenden Ermessens sei auch insoweit den öffentlichen Belangen an einer Befristung der Aufenthaltserlaubnisse der Vorrang zu geben. Zwar hätten auch diese Kinder ihre Kindheit bislang in Deutschland verbracht. Im Interesse einer geordneten Zuwanderung sei es jedoch wichtig deutlich zu machen, dass durch unzutreffende Angaben kein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet erwirkt werden könne. Der Zweck der erteilten Aufenthaltserlaubnis, nämlich das familiäre Zusammenleben im Bundesgebiet zu ermöglichen, sei durch die Ausweisung der Kläger zu 1) und 2) entfallen. Die familiäre Lebensgemeinschaft könne nunmehr in der Türkei fortgesetzt werden.

Dagegen legten die Kläger Widerspruch ein.

Im August 2004 teilten sie mit, dass der Kläger zu 1) im April 2004 wegen Nichtableistung des Wehrdienstes durch einen entsprechenden Beschluss des türkischen Ministerrates ausgebürgert worden sei.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2005 zurück und führte u. a. aus, die Ausbürgerung des Klägers zu 1) führe zu keiner anderen rechtlichen Bewertung. Zum einen könne der Kläger zu 1) auch als nichttürkischer Staatsangehöriger im Rahmen der Familienzusammenführung zu seiner Frau und den Kindern, die nach wie vor die türkische Staatsangehörigkeit hätten, in die Türkei reisen, etwaige vorübergehende zeitliche Trennungen zur Durchführung des Visumsverfahrens seien zumutbar; zum anderen sei es dem Kläger zu 1) möglich, seine Wiedereinbürgerung zu beantragen.

Die Kläger haben am 24. Juni 2005 Klage erhoben.

Sie haben im Wesentlichen ausgeführt: Bei der Rücknahme der Einbürgerungen habe der Beklagte sein Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Es sei nicht ausreichend, lediglich darauf hinzuweisen, dass sich die Kinder das Verhalten ihrer gesetzlichen Vertreter zurechnen lassen müssten. Zudem sei (gar) nicht nachgewiesen, dass die Kläger die türkische Staatsangehörigkeit besäßen. Der Kläger zu 7) (Isa) sei z. B. in dem vorgelegten türkischen Registerauszug gar nicht erwähnt. Im Übrigen gebe es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urt. v. 24.5.2006 - 2 BvR 669/04 -, InfAuslR 2006, 335 = DVBl. 2006, 910) keine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme der Einbürgerung, da § 48 VwVfG hierfür nicht ausreiche.

Unter dem 13. März 2006 haben der Beklagte und die Kläger zu 1) und 2) einen "Vertrag" geschlossen, wonach der Aufenthalt der Familie bis zum 1.1.2009 geduldet wird, soweit die Familie alle notwendigen Maßnahmen ergreift, um Passpapiere für die Türkei zu erlangen, der Kläger zu 1) sich um den erneuten Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit bemüht, und der Kläger zu 1) versucht den Lebensunterhalt der Familie aus eigener Arbeit zu sichern.

Die Kläger haben beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 20. Juli 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 2005 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 21. Juni 2006 hat das Verwaltungsgericht zwar die Aufforderung an die Klägerin zu 2), den für sie ausgestellten Reiseausweis zurückzugeben, als rechtmäßig angesehen, im Übrigen den angefochtenen Bescheid aber aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen die Auffassung vertreten, nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 24. Mai 2006 (a. a. O.) gebe es keine Rechtsgrundlage für die Rücknahme der den Klägern zu 3) bis 5) erteilten Einbürgerungen. Die Frage, welche Auswirkung ein Fehlverhalten im Einbürgerungsverfahren auf den Bestand der Staatsangehörigkeit Dritter habe, die an diesem Fehlverhalten nicht beteiligt seien, bedürfe vielmehr nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts einer Antwort durch den Gesetzgeber. Nach dieser gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG bindenden Entscheidung stelle § 48 VwVfG in Verbindung mit § 1 Nds. VwVfG keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme der Einbürgerungen dar, denn die Kläger zu 3 bis 5) hätten nicht bewusst über ihre Identität getäuscht, da sie im Zeitpunkt der Aushändigung der Einbürgerungsurkunden erst zwischen 5 und 9 Jahre alt gewesen seien. Da es schon an einer zureichenden Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Einbürgerungen fehle, komme es nicht darauf an, ob der Beklagte das Rücknahmeermessen fehlerfrei ausgeübt habe. Da die Rücknahme der Einbürgerungen rechtswidrig sei, seien die Kläger zu 3) bis 5) auch nicht verpflichtet, die Einbürgerungsurkunden zurückzugeben. Seien die Kläger zu 3) bis 5) somit weiterhin deutsche Staatsangehörige, stehe der Ausweisung der Kläger zu 1) und 2) der Grundsatz der Achtung des Familienlebens aus Art. 6 GG gegenüber. Dies führe dazu, dass das Ausweisungsermessen des Beklagten auf Null reduziert sei und die Kläger zu 1) und 2) als Eltern von deutschen Staatsangehörigen ebenfalls im Bundesgebiet verbleiben müssten. Die Kläger zu 6) und 7) hätten aufgrund ihrer deutschen Geschwister, mit denen sie in familiärer Gemeinschaft lebten, ebenfalls ein Aufenthaltsrecht über § 27 AufenthG. Der Kläger zu 1) sei nicht verpflichtet, den ihm erteilten Reiseausweis zurückzugeben, denn aufgrund der Ausbürgerung aus der Türkei sei er (weiterhin) als Staatenloser anzusehen. Demgegenüber sei die Klägerin zu 2) verpflichtet, ihren Ausweis zurückzugeben; die Voraussetzungen für die Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose lägen in ihrer Person nicht vor, weil sie türkische Staatsangehörige sei. Sie habe die Aushändigung des Reiseausweises durch arglistige Täuschung über ihre Identität bewirkt, so dass der Reiseausweis ermessensfehlerfrei von ihr habe zurückgefordert werden können.

Dagegen richtet sich die vom Senat wegen grundsätzlicher Klärungsbedürftigkeit zugelassene Berufung des Beklagten.

Der Beklagte trägt im Wesentlichen vor: Bei den vom Verwaltungsgericht genannten Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts (a. a. O.) habe es sich nicht um tragende, für jenen Rechtsstreit wesentliche Gründe gehandelt, sondern nur um sogenannte obiter dicta, auf die sich die Bindungswirkung nicht erstrecke. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Einbürgerung von Kindern wegen arglistigen Verhaltens der Eltern zurückgenommen werden könne, sei in jener Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht entscheidungserheblich gewesen. Zudem sei in dem dem Bundesverfassungsgericht zugrunde liegenden Fall der Kläger nach Rücknahme der Einbürgerung staatenlos geworden, während im vorliegenden Verfahren bei Rücknahme der Einbürgerung die türkische Staatsangehörigkeit nach wie vor bestehe.

Während des Berufungsverfahrens ist der Kläger zu 1) am 16. Oktober 2006 wieder in die Türkei eingebürgert worden. In dem von der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Ankara hierzu ermittelten Personenstandsregisterauszug ist nunmehr auch der Kläger zu 7) (Isa) als türkischer Staatsangehöriger mit aufgeführt.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern, soweit das Verwaltungsgericht dem Begehren der Kläger entsprochen hat, und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie wiederholen ihr bisheriges Vorbringen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, soweit es der Klage stattgegeben hat. Die Klage ist insgesamt abzuweisen; denn der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig.

1) Aufhebung der Einbürgerungen der Kläger zu 3) bis 5):

Die Aufhebung der Einbürgerungen der Kläger zu 3) bis 5) ex tunc ist ermessensfehlerfrei erfolgt.

Die Einbürgerung dieser Kläger beruhte auf Art. 2 des Ausführungsgesetzes zu dem Übereinkommen vom 30. August 1961 zur Verminderung der Staatenlosigkeit und zu dem Übereinkommen vom 13. September 1973 zur Verringerung der Fälle von Staatenlosigkeit (v. 29.6.1977 i. d. F. v. 15.7.1999 - BGBl. 1977, 1101; 1999, 1618, abgedruckt bei Hailbronner, Staatsangehörigkeitsrecht, 4. Aufl. 2005, S. 1056, 1170 u. 1187 - sog. Gesetz zur Verminderung der Staatenlosigkeit ). Danach wird ein seit der Geburt Staatenloser auf seinen Antrag eingebürgert, wenn er im Geltungsbereich des Bundesgebietes geboren ist, seit fünf Jahren rechtmäßig seinen dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet hat und der Antrag vor Vollendung des 21. Lebensjahres gestellt ist. Nach dem Kenntnisstand des Beklagten waren die Kläger zu 3) bis 5) im Zeitpunkt der Einbürgerung (1999) staatenlos, weil ihre Eltern sich seit ihrer Einreise in das Bundesgebiet kontinuierlich als staatenlose Kurden aus dem Libanon bezeichnet hatten. Nachdem der Beklagte anhand eines türkischen Personenregisterauszuges im Mai 2004 festgestellt hatte, dass die Kläger tatsächlich türkische Staatsangehörige waren und die Kläger zu 1) und 2) auch einräumten, bis zur Einreise in das Bundesgebiet bei Savur / Mardin in der Türkei gelebt zu haben, konnte der Beklagte die Einbürgerungen zurücknehmen. Rechtsgrundlage hierfür ist § 1 Nds. VwVfG i. V. m. § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG.

a) Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Mai 2006 (- 2 BvR 669/04 - InfAuslR 2006, 335 = DVBl. 2006, 910) steht der Anwendung von § 48 VwVfG nicht entgegen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 3.6.2003 - 1 C 19/02 - BVerwGE 118,216) die Rücknahme einer durch Täuschung bewirkten Einbürgerung nach § 48 VwVfG als zulässig angesehen. Hinsichtlich der Rücknahme der Einbürgerung von an der Täuschungshandlung nicht beteiligten Kindern hat es u. a. ausgeführt: "Gleichwohl sind Fallkonstellationen möglich, die in § 48 VwVfG keine hinreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zur Wiederherstellung eines gesetzmäßigen Rechtszustandes finden, weil die grundrechtlich geschützte Erwartung eines Eingebürgerten eine am Maßstab des Gesetzes ausreichend vorhersehbare Verwaltungsentscheidung verlangt.

Dies ist denkbar in Fällen, in denen wesentliche Fragen der sachlichen und zeitlichen Reichweite der Rücknehmbarkeit von Einbürgerungen durch § 48 LVwVfG BW nicht grundrechtsspezifisch und konkret gelöst werden. Die Regelungsbedürftigkeit der Aufhebung von Einbürgerungen sowie der Nichtigkeit von Einbürgerungsakten zeigt sich insbesondere bei im vorliegenden Fall nicht einschlägigen Konstellationen, in denen die Rechtmäßigkeit der Einbürgerung von Angehörigen, insbesondere Kindern im Vordergrund steht. Hier stellen sich besondere grundrechtsbezogene Probleme, die eine hinreichend bestimmte Entscheidung des Gesetzgebers angezeigt erscheinen lassen. Die Frage, welche Auswirkung ein Fehlverhalten im Einbürgerungsverfahren auf den Bestand der Staatsangehörigkeit Dritter haben kann, die an diesem Fehlverhalten nicht beteiligt waren, bedarf einer Antwort durch den Gesetzgeber. Der Gesetzgeber könnte darüber hinaus den durch die Einbürgerung bewirkten Vertrauenstatbestand durch spezifische Regelungen Rechnung tragen, die die Möglichkeit, die Staatsangehörigkeit zurückzunehmen, einschränken, indem er insoweit z. B. Befristungsregelungen oder Altersgrenzen einführt. Auch unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechtsberechtigten besteht eine Vielfalt möglicher Lösungswege bei der Rücknehmbarkeit der Einbürgerung, die dazu führt, dass der Gesetzgeber die angemessenen Lösungen selbst auszuwählen und auszugestalten hat."

Diese Ausführungen führen jedoch nicht dazu, im vorliegenden Fall § 48 VwVfG als Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Einbürgerung nicht in Betracht zu ziehen.

aa) Zum einen sind die zitierten Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts lediglich als obiter dicta zu werten. In jenem Fall ging es nämlich (nur) um die Rücknahme der Einbürgerung eines ursprünglich nigerianischen Staatsangehörigen, der aufgrund der §§ 8, 9 StAG eingebürgert worden war, über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses im Bundesgebiet und damit über seine Fähigkeit, seinen Lebensunterhalt zu sichern, arglistig getäuscht hatte und dessen Einbürgerung zurückgenommen wurde. Das Bundesverfassungsgericht hat die Rücknahme der Einbürgerung als rechtmäßig angesehen, selbst wenn der Betreffende - wovon nach dem Sachverhalt auszugehen war - dadurch staatenlos werde. Kinder waren in jenem Fall nicht vorhanden. Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts waren für den betreffenden Fall mithin ohne entscheidungserhebliche Bedeutung. Obiter dicta können aber keine Bindungswirkung entfalten (vgl. Strecker, Subjektive und objektive Grenzen der Bindungswirkung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen gem. § 31 Abs. 1 BVerfGG, DÖV 1995, 978,984). Entsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 5. September 2006 (1 C 20/05 - AuAS 2007, 3) auch lediglich ausgeführt, das Bundesverfassungsgericht habe in jenem Urteil vom 24. Mai 2006 dem Gesetzgerber "nahegelegt", Auswirkungen eines Fehlverhaltens im Einbürgerungsverfahren auf dem Bestand der Staatsangehörigkeit Dritter (hier der Kinder), die an diesem Fehlverhalten nicht beteiligt gewesen seien, gesetzlich zu regeln.

bb) Zum anderen sind die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts deswegen nicht auf den vorliegenden Fall zu übertragen, weil in dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall bei Aufhebung der Einbürgerung die Staatenlosigkeit des Betreffenden (bzw. seiner Kinder, wenn es welche gegeben hätte) drohte. Staatenlosigkeit steht im vorliegenden Verfahren jedoch nicht zu befürchten; die Kläger sind vielmehr (eindeutig) türkische Staatsangehörige.

cc) Schließlich ermöglicht § 48 VwVfG auch für die vorliegende Fallkonstellation eine "ausreichend vorhersehbare Verwaltungsentscheidung" im Sinne der o. a. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

So hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 9. September 2003 (1 C 6/03, a. a. O.) deutlich gemacht, dass die Rücknahme der von einem Elternteil durch bewusste Täuschung erwirkten Einbürgerung eines minderjährigen Kindes eine eigenständige Ermessensentscheidung nach § 48 Abs. 1 VwVfG erfordert. Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung sei zu berücksichtigen "ob das Kind an der Täuschung beteiligt war, oder ihm eine eigenständige Täuschungshandlung vorzuwerfen ist. Darüber hinaus sind etwaige eigene schutzwürdige Belange des Kindes in die Ermessenserwägungen einzustellen. Dies gilt umso mehr, je älter das Kind ist und je besser es sich in die deutschen Lebensverhältnisse integriert hat. Diesen Belangen ist das öffentliche Interesse an der Herstellung gesetzmäßiger Zustände auf dem Gebiet des Staatsangehörigkeitsgesetzes mit dem ihm zukommenden besonderen Gewicht gegenüberzustellen (vgl. Urt. v. 3.6.2003 - 1 C 19.02)."

Darüber hinaus sind die Rücknahmekriterien von Einbürgerungen an vergleichbaren Regelungen in internationalen Übereinkommen auszurichten.

So regelt das "Übereinkommen zur Vermindung der Staatenlosigkeit" (vom 30.8.1961, abgedr. bei Hailbronner, StAG, 4. Aufl., 2005, S. 1170, ratifiziert für die Bundesrepublik Deutschland durch Gesetz vom 29. 6. 1977 - BGBl. II 1977, 597 -) u. a. folgendes:

Art. 6:

Erstreckt sich nach dem Recht eines Vertragsstaats der Verlust oder Entzug der Staatsangehörigkeit einer Person auf den Ehegatten oder die Kinder, so ist für diese der Verlust vom Besitz oder Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit abhängig.

Art. 8:

Abs. 1

Ein Vertragsstaat darf keiner Person seine Staatsangehörigkeit entziehen, wenn sie dadurch staatenlos wird.

Abs. 2

Ungeachtet des Absatzes 1 kann einer Person die Staatsangehörigkeit eines Vertragsstaates entzogen werden,

a) ...,

b) wenn die Staatsangehörigkeit durch falsche Angaben oder betrügerische Handlungen erworben worden ist.

Diese Regelungen gehen mithin davon aus, dass sich der Verlust oder der Entzug der Staatsangehörigkeit einer Person grundsätzlich auch auf den Ehegatten oder die Kinder erstrecken kann, solange diese dadurch nicht staatenlos werden. Bei Täuschungshandlungen wird darüber hinaus auch Staatenlosigkeit in Kauf genommen, wobei offen ist, ob dieses nur hinsichtlich der konkret täuschenden Person gilt oder auch für weitere Familienangehörige.

Die Wertungen dieses Übereinkommens sind von wesentlicher Bedeutung, weil die Einbürgerung der Kläger zu 3) bis 5) auf diesem Übereinkommen bzw. dem dazu erlassenen "Gesetz zur Verminderung der Staatenlosigkeit"( v. 29.6.1977 - aaO) beruht (vgl. hierzu auch Beschl. d. Senats v. 9.12.2003 - 11 ME 236/03 -).

Das "Europäische Übereinkommen über Staatsangehörigkeit" (vom 6.11.1997 - abgedr. bei Hailbronner, StAG, 4. Aufl., 2005, S. 1203, ratifiziert für die Bundesrepublik Deutschland durch Gesetz vom 13. Mai 2004 - BGBl. II 2004, 578) bestimmt u.a. folgendes:

Art. 7

Abs. 1

Ein Vertragsstaat darf in seinem innerstaatlichen Recht nicht den Verlust der Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes oder auf seine Veranlassung vorsehen, außer in folgenden Fällen:

....

b) Erwerb der Staatsangehörigkeit des Vertragsstaates durch arglistiges Verhalten, falsche Angaben oder die Verschleierung einer erheblichen Tatsache, die dem Antragsteller zuzurechnen sind

....

f) Feststellung während der Minderjährigkeit eines Kindes, dass die durch innerstaatliches Recht bestimmten Voraussetzungen, die zum Erwerb der Staatsangehörigkeit des Vertragsstaates kraft Gesetzes geführt haben, nicht mehr erfüllt sind

Abs. 2:

Ein Vertragsstaat kann - außer in den Fällen des Abs. 1 Buchstabe c und d - den Verlust seiner Staatsangehörigkeit für Kinder vorsehen, deren Eltern diese Staatsangehörigkeit verlieren. Kinder verlieren jedoch diese Staatsangehörigkeit nicht, wenn einer ihrer Elternteile sie behält.

Abs. 3

Ein Vertragsstaat darf - außer in den in Absatz 1 Buchstabe b genannten Fällen - in seinem innerstaatlichen Recht den Verlust der Staatsangehörigkeit nach den Absätzen 1 und 2 nicht vorsehen, wenn der Betreffende dadurch staatenlos würde.

Das Übereinkommen gestattet also den Verlust der Staatsangehörigkeit für den Fall einer Täuschung, erstreckt in Art. 7 Abs. 2 diese Verlustmöglichkeit auch auf Kinder des Täuschenden und nimmt in Art. 7 Abs. 3 diese Fallkonstellation (sogar) von dem Verbot eines Staatsangehörigkeitsverlusts, der zur Staatenlosigkeit führt, aus; d.h. nach der Wertung des Übereinkommens können auch minderjährige Kinder die Staatsangehörigkeit verlieren, weil ein Elternteil getäuscht hat, selbst wenn die Kinder dadurch staatenlos würden. Zudem kann generell bei Minderjährigen eine kraft Gesetzes erworbene Staatsangehörigkeit entzogen werden, wenn die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind.

Zusammenfassend lässt sich beiden internationalen Übereinkommen nach Sinn und Zweck als Mindestaussage entnehmen, dass während der Minderjährigkeit eines Kindes grundsätzlich ein Verlust der Staatsangehörigkeit festgestellt werden kann, soweit dadurch keine Staatenlosigkeit eintritt.

Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass § 48 VwVfG eine zureichende Rechtgrundlage darstellt.

b) Die Voraussetzungen für eine Rücknahme nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG liegen vor.

aa) Da die Kläger zu 3) bis 5) tatsächlich nie staatenlos waren, sind ihre Einbürgerungen von Anfang an rechtswidrig gewesen.

bb) Die Einbürgerungen sind durch bewusste Täuschung (§ 48 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG) erlangt worden. Die Kläger zu 3) bis 5) müssen sich insoweit das Verhalten ihres gesetzlichen Vertreters zurechnen lassen (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.9.2003 - 1 C 6/03 - BVerwGE 119, 17 = InfAuslR 2004, 77).

cc) Der Beklagte hat sein Rücknahmeermessen erkannt und dieses fehlerfrei ausgeübt.

Er hat bei seiner Entscheidung berücksichtigt, dass die 1989, 1991 und 1994 geborenen Kläger zu 3) bis 5) an den Täuschungshandlungen, die zu ihrer Einbürgerung geführt haben, nicht beteiligt waren - dazu wären sie aufgrund ihres Altes im Zeitpunkt der Einbürgerung im Jahre 1999 (10, 8 und 5 Jahre) auch gar nicht imstande gewesen - und dass die Kläger im Bundesgebiet geboren wurden, auf einen weiteren Verbleib im Bundesgebiet vertraut haben und zudem seit 1999 glaubten, deutsche Staatsangehörige zu sein. Er hat die zum Nachweis der Integration vorgelegten Schulbescheinigungen für die Kinder zur Kenntnis genommen. Aus diesen ergibt sich folgendes:

{M.}, Klägerin zu 3), geboren 1979,

Die Wolfgang-Borchert-Schule, eine Sonderschule, befürwortet im Juni 2004 den Verbleib von {M.} in Deutschland, {M.} besuche die 7. Klasse, sie spreche gut deutsch und sei völlig integriert und beliebt. Auf jeden Fall solle sie ihren Schulabschluss in Deutschland beenden.

{N.} (Klägerin zu 4), geboren 1991

Die Orientierungsstufe bescheinigt im Juni 2004, dass sie die Klasse 6 besucht. Sie spreche nur deutsch, sie sei durch die soziale und kulturelle Entwicklung in Deutschland geprägt, sie sei integriert und habe einen deutschen Freundeskreis und komme in der Schule ohne Schwierigkeiten mit.

{F.} (Kläger zu 5), geboren 1994

Laut Stellungnahme vom Juni 2004 besucht er (ebenfalls) die Sonderschule (Wolfgang-Borchert-Schule) in der 4. Klasse. Er spreche nur deutsch, gehöre zu leistungsstärksten Schülern, seine positive Entwicklung würde durch einen Schul- bzw. Landeswechsel nach dortiger Einschätzung erheblich gestört werden.

Den dort genannten Gesichtspunkten hat der Beklagte ermessensfehlerfrei kein wesentliches Gewicht beigemessen.

Allein die zwischen der Einbürgerung und ihrer Rücknahme verstrichene Zeit von rd. fünf Jahren führt nicht zur Einschränkung des Ermessens.

Zum einen haben die Kläger zu 1) und 2) für sich und ihre Kinder noch im April 2003 ausdrücklich an den unzutreffenden Personalien festgehalten; auch konnte der Beklagte erst im Mai 2004 nachweisen, dass es sich um türkische Staatsangehörige handelt. Zum anderen waren die Kläger zu 3) bis 5) im Zeitpunkt der Rücknahme der Einbürgerung ca. 16, 13 und 10 Jahre alt, befanden sich also noch nicht in einem Alter, in dem Kinder üblicherweise ein eigenes schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand ihrer Staatsangehörigkeit entwickelt haben (vgl. zu diesem Gesichtspunkt Urt. d. erk. Gerichts v. 13.7.2007 - 13 LC 468/03 - juris). Die Kläger zu 3) bis 5) waren noch minderjährig, unterlagen der Weisungsbefugnis ihrer Eltern und hätten mit ihnen - wenn die Eltern das bestimmt hätten - auch in die Türkei ausreisen müssen. Schon aus diesem Grund ist der vorliegende Fall nicht mit dem der Entscheidung des OVG Berlin-Brandenburg (Urt. v. 19.10.2006 - 5 B 15.03 -, juris) zugrundeliegenden Sachverhalt vergleichbar, in dem es um die Einbürgerung eines Volljährigen (aus Pakistan) und deren Rücknahme nach 8 1/2 Jahren ging. Es kann daher offen bleiben, ob der Auffassung des OVG Berlin-Brandenburg zu folgen ist, wonach die Frage, ob eine zeitnahe Rücknahme der Einbürgerung vorliegt, u.U. in Anlehnung an strafrechtliche Verjährungsbestimmungen oder die im Bundeszentralregistergesetz enthaltenen Fristen zu beantworten sei. Die in § 24 Abs. 2 StAngRegG enthaltene Fristbestimmung von 5 Jahren ist im vorliegenden Fall schon deswegen unbeachtlich, weil § 24 StAngRegG sich nur auf den Anwendungsbereich der Einbürgerung deutscher Volkszugehöriger bezieht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.4.1898 - 1B 54.89 - NVwZ-RR 1990, 220; Beschl.d. Sen. v. 9.12.2003 - 11 ME 236/03 -). Im Übrigen ergibt sich aus den o.a. internationalen Übereinkommen, dass während der Minderjährigkeit eines Kindes eine Rücknahme der Einbürgerung grundsätzlich möglich ist.

Der nachgewiesenen Integration der Kläger zu 3) bis 5) im Bundesgebiet hat der Beklagte ermessensfehlerfrei entgegengehalten, dass die Kinder aufgrund ihres Alters in der Türkei noch die dortige Sprache erlernen und sich auch sonst in die dortigen Verhältnisse integrieren können. Lediglich ergänzend ist anzumerken, dass der Senat Zweifel hat, dass die Kläger zu 3) bis 5) ebenso wie ihre Geschwister tatsächlich nur deutsch sprechen wie ihre Eltern behaupten. Dieses würde nämlich voraussetzen, dass auch die Eltern (Kläger zu 1) und 2)) sich zu Hause lediglich auf Deutsch unterhalten. Dieses erscheint aber fraglich, weil die 1969 und 1971 geborenen Eltern bis zur Ausreise 1989 in dem Gebiet von Savur / Mardin in der Türkei gelebt haben, in dem nach Kenntnis des Senats entweder türkisch, kurdisch oder aber arabisch gesprochen wurde und davon auszugehen ist, dass die Eltern ihre Heimatsprache an die Kinder weitergeben. Dieses kann aber letztlich auf sich beruhen.) Dass eine Integration im Bundesgebiet bereits besteht, während sie in der Türkei erst noch erfolgen muss, führt nicht dazu, der Integration im Bundesgebiet ein ausschlaggebendes Gewicht beizumessen. Gerade die Aufnahme in die Gemeinschaft der Staatsangehörigen mit den daraus folgenden gewichtigen gegenseitigen Verpflichtungen stellt besondere Anforderungen an die Ordnungsmäßigkeit des Einbürgerungsvorganges. Der Wiederherstellung gesetzmäßiger Zustände kommt damit ein besonderes Gewicht zu (vgl Hailbronner, StAG, 4. Aufl. 2005, Art. 16 Rdn. 36).

Im Rahmen ihrer Ermessenserwägungen hat der Beklagte weiter zutreffend darauf hingewiesen, dass - sollten die Einbürgerungen der Kläger zu 3) bis 5) nicht zurückgenommen werden - die übrigen Kläger, also auch die Kläger zu 1) und 2) als Eltern ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet über Art. 6 GG / Art. 8 EMRK erlangen würden, obgleich die Kläger zu 1) und 2) bewusst und vorsätzlich seit der Einreise im Bundesgebiet (1989) über ihre Identität getäuscht hatten. Diesem Gesichtspunkt konnte der Beklagte ein ausschlaggebendes Gewicht beimessen. Die Kläger zu 1) und 2 haben nämlich nicht nur bei ihrer Einreise einen falschen Namen angegeben, sondern haben in jedem Antrag auf Verlängerung der ihnen erteilten Aufenthaltsgenehmigung die fehlerhaften Angaben wiederholt. Selbst nachdem der Beklagte im Sommer 2002 einen Durchsuchungsbeschluss erwirkt hatte, den Klägern zu 1) und 2) also deutlich sein musste, dass bei dem Beklagten Bedenken am Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen bestanden, haben die Kläger zu 1) und 2) weiterhin die unzutreffenden Personalien angegeben, zuletzt noch im April 2003. Erst als ihnen aufgrund der von dem Beklagten erlangten türkischen Personenstandsauszüge im Mai 2004 ihre türkische Staatsangehörigkeit nachgewiesen werden konnte, haben sie sich bei ihrer Vorsprache im Mai 2004 bereit erklärt, freiwillig aus Deutschland auszureisen und die erforderlichen Papiere beim Generalkonsulat zu beschaffen. Entgegen dieser Erklärung haben sie sich in der Folgezeit dann allerdings nicht um eine entsprechende Ausreise bemüht, sondern sich unter Hinweis auf die Einbürgerung ihrer drei Kinder weiterhin für einen Verbleib im Bundesgebiet eingesetzt.

Das Bundesverfassungsgericht hat im o. a. Urteil vom 24. Mai 2006 (a. a. O.) bereits darauf hingewiesen, dass "eine Rechtsordnung, die sich ernst nimmt, nicht Prämissen auf die Missachtung ihrer selbst setzen dürfe, sie schaffe sonst Anreize zur Rechtsverletzung, diskriminiere rechtstreues Verhalten und untergrabe damit die Voraussetzungen ihrer eigenen Wirksamkeit". Würde man eine Aufhebung der Einbürgerung der Kläger zu 3) bis 5) im vorliegenden Fall nicht für zulässig erachten, würden die langjährigen Täuschungshandlungen der Kläger zu 1) und 2) auf dem "Umweg" über die Einbürgerung der Kläger zu 3) - 5) "belohnt". Dieses Ergebnis zu vermeiden kann von dem Beklagten als wesentlicher Ermessensgesichtspunkt angeführt werden.

Der Beklagte konnte in seine Ermessenserwägungen auch die generalpräventive Überlegung mit einfließen lassen, dass durch die Rücknahme der Einbürgerungen anderen Ausländern vor Augen zu führen ist, dass vorwerfbar unzutreffende Angaben weder für Eltern noch für deren Kinder zu einem dauernden Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet führen können.

Die Rücknahme der Einbürgerung der Kläger zu 3) bis 5) ex tunc ist daher ermessensfehlerfrei erfolgt.

2. Ausweisung der Kläger zu 1) und 2).

Die Kläger zu 1) und 2) haben mit ihren unzutreffenden und wissentlich falschen Angaben zu ihrer Identität die Strafvorschrift des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (früher: § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG) erfüllt. Zudem haben sie für sich und ihre Familienangehörigen Sozialhilfe (in Höhe von rd. 190.000 Euro) in Anspruch genommen. Ihre auf § 55 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 6 AufenthG (früher: § 46 Nr. 2 und Nr. 6 AuslG) beruhende Ausweisung ist daher unter Ermessensgesichtspunkten nicht zu beanstanden.

Auf besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG (früher: § 48 AuslG) können die Kläger zu 1) und 2) nicht verweisen. Die hierfür erforderlichen Voraussetzungen liegen nicht vor. Insbesondere leben sie nicht (mehr) mit deutschen Familienangehörigen in einer familiären Lebensgemeinschaft, weil die Einbürgerungen der Kläger zu 3) bis 5) - wie oben dargelegt - ermessensfehlerfrei aufgehoben worden sind.

Die für eine spezialpräventiv begründete Ausweisung erforderliche Wiederholungsgefahr liegt vor. Die langjährigen Täuschungshandlungen der Kläger zu 1) und 2) lassen den Schluss zu, dass sie sich auch in Zukunft nicht an die Rechtsordnung im Bundesgebiet halten werden. Dies wird auch dadurch bestätigt, dass sie sich nach Aufdeckung ihrer tatsächlichen Identität am 18. Mai 2004 schriftlich bereit erklärten in die Türkei zurückzukehren, sich an diese Erklärung aber schon einen Tag später nicht mehr gebunden fühlten.

Darüber hinaus ist die Ausweisung auch aus generalpräventiven Gründen geboten, worauf das Verwaltungsgericht zu Recht hingewiesen hat. Es besteht ein erhebliches öffentliches Interesse daran, anderen Ausländern vor Augen zu führen, dass durch bewusst unzutreffende Angaben erwirkte Aufenthaltstitel keinen dauerhaften Verbleib im Bundesgebiet gewähren.

Die Kläger zu 1) und 2) können sich auch nicht auf einen etwaigen Ausweisungsschutz nach dem ARB 1/80 berufen. Zum einen gehören sie nicht zum assoziationsberechtigten Personenkreis. Zwar ist der Kläger zu 1) wieder türkischer Staatsbürger. Bereits das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Urteil jedoch darauf hingewiesen, dass sowohl der Kläger zu 1) als auch die Klägerin zu 2) ihren Aufenthaltstitel im Bundesgebiet durch eine Täuschung über ihre Identität erlangt haben und dass ein so erlangtes Aufenthaltsrecht (gar) keine ordnungsgemäße Beschäftigung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 begründen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.4.2005 - 1 C 9/04 -, NVwZ 2005, 1329). Darüber hinaus ist auch nicht ersichtlich, dass die Kläger zu 1) und 2) überhaupt die Beschäftigungszeiten des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erfüllen. Zum anderen wäre aufgrund des aufgezeigten Verhaltens der Kläger zu 1) und 2) die Ausweisung auch nach Art. 14 ARB 1/80 gerechtfertigt.

3. Befristung der Aufenthaltsgenehmigung für die Kläger zu 6) und 7).

Die auf § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG) (früher: § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG) gestützte Befristung begegnet keinen Bedenken. Die Voraussetzungen für eine weitere Geltung der den Klägern zu 6) und 7) zur Wahrung der Familieneinheit erteilten befristeten Aufenthaltserlaubnis liegen nicht (mehr) vor, weil auch sie türkische Staatsangehörige sind und ihr Aufenthalt im Bundesgebiet nicht mehr erforderlich ist. Die Familie kann vielmehr gemeinsam in der Türkei leben. Die von der Schule für die Kläger zu 6) und 7) abgegebenen Stellungnahmen

{G.} (Kläger zu 6), geboren 1995

Er besucht nach einer Stellungnahme vom Juni 2004 die Sprachheilklasse der Wolfgang-Borchert-Schule, er sei gut in die Klassengemeinschaft integriert, komme in den Lernbereichen zurecht, könne in deutsch kommunizieren, sein Vater halte regelmäßig Kontakt zur Schule.

{H.} (Kläger zu 7), geboren 1996

Laut Stellungnahme vom Juni 2004 besucht er die "Schule im Borsteler Grund" und zwar dort die Klasse SKG".

rechtfertigen keine andere Entscheidung.

Hinsichtlich aller Kläger ist zudem zu berücksichtigen, dass der Beklagte sie - sofern sie sich zügig um Heimreisedokumente sowie um Unabhängigkeit von öffentlichen Leistungen bemühen - zur Regelung ihrer Angelegenheiten (noch) bis zum 1. Januar 2009 dulden wird (vgl. Vertrag vom 13.3.2006, GA Bl. 44). Damit ist den Klägern ausreichend Zeit eingeräumt, den Umzug in die Türkei vorzubereiten.

4) Rückgabe der erteilten Reiseausweise:

Da der Kläger zu 1) wieder türkischer Staatsangehöriger ist, hat der Beklagte von ihm gemäß §§ 52, 48 VwVfG zu Recht die Rückgabe des ihm erteilten Reiseausweise für Staatenlose gefordert:

Die Rückgabe des der Klägerin zu 2) erteilten Ausweises ist nicht Streitgegenstand, weil das Verwaltungsgericht diese Rückgabeaufforderung bereits als rechtmäßig angesehen hat und das Urteil insoweit rechtskräftig geworden ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 Abs. 2 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, weil es grundsätzlich klärungsbedürftig ist, unter welchen Voraussetzungen die auf einer Täuschung der Eltern beruhende Einbürgerung von Kindern zurückzunehmen ist.

Ende der Entscheidung

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