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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 21.02.2008
Aktenzeichen: 11 LB 417/07
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 81 b 2. Alt.
Nach Ablauf eines Zeitraums von fünf Jahren ist die erneute Abnahme von Zehnfinger- und Handflächenabdrücken bei einem bereits in der Vergangenheit erkennungsdienstlich behandelten Beschuldigten grundsätzlich nicht zu beanstanden.
Tatbestand:

Gegenstand des Verfahrens ist die Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen durch die Beklagte.

Der am 19. Februar 1970 geborene Kläger wurde nach Aktenlage nach einem in den Jahren 1998/99 gegen ihn geführten Strafverfahren vom Amtsgericht F. wegen Diebstahls in besonders schwerem Fall und Versuch desselben sowie wegen Betruges bei insgesamt ca. 750 nachgewiesenen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Das Amtsgericht G. verurteilte ihn am 19. Januar 2004 zudem wegen Diebstahls in besonders schwerem Fall zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren.

Erkennungsdienstlich behandelt wurde der Kläger am 18. April 1995 und am 11. September 1996 in Nordrhein-Westfalen sowie am 23. Januar und am 3. Februar 1999 in Bayern. Die erkennungsdienstlichen Behandlungen am 18. April 1995, 23. Januar und 3. Februar 1999 umfassten neben der Erstellung von Lichtbildern jeweils auch die Abnahme von Zehnfinger- und Handflächenabdrücken.

Im Jahre 2005 ermittelte die Polizeiinspektion H. /I. gegen den Kläger wegen des Verdachts des Aufbruchs von Spindanlagen in einem Hallenbad und in zwei Saunaanlagen mit jeweils anschließender Abhebung von Bargeld mittels entwendeter EC-Karten im Zeitraum vom 30. März bis 13. Juli 2004. Nachdem ein von der Kreispolizeibehörde J. erlassener Bescheid über die Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen von dieser nach Darstellung der Beklagten wegen eines Formfehlers aufgehoben worden war, ordnete die Polizeiinspektion H. /I. mit Bescheid vom 22. Juli 2005 die erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers an. Die getroffene Anordnung erstreckt sich auf die Abnahme von Zehnfinger- und Handflächenabdrücken, die Erstellung eines dreiteiligen Lichtbildes und einer Ganzaufnahme, die Feststellung äußerer körperlicher Merkmale sowie die Durchführung von Messungen. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger sei seit dem Jahre 1996 wiederholt polizeilich in Erscheinung getreten. Im Rahmen der aktuellen Ermittlungen habe er bereits eine der ihm zur Last gelegten Taten eingeräumt. Damit sei die Schlussfolgerung gerechtfertigt, dass er auch künftig strafrechtlich in Erscheinung treten könne. Diese Einschätzung werde nicht dadurch in Frage gestellt, dass sich der Kläger in Strafhaft befinde und diese noch bis Ende Dezember 2008 andauern werde, denn in der Justizvollzugsanstalt sei der Kläger Freigänger. Entsprechend der dem Bescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung erhob der Kläger gegen die getroffene Anordnung zunächst Widerspruch.

Im Hinblick auf eine vom Amtsgericht K. am 2. August 2005 gegen den Kläger verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten wegen besonders schweren Diebstahls in sieben Fällen und versuchten besonders schweren Diebstahls in sechs Fällen stellte die Staatsanwaltschaft E. das für die Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen anlassgebende Ermittlungsverfahren am 25. Oktober 2005 gemäß § 154 Abs. 1 StPO ein. Mit Schreiben vom 13. Dezember 2005 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass in Niedersachsen seit 1. Januar 2005 die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens bei der Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen nicht mehr vorgesehen sei, und ersetzte die Rechtsbehelfsbelehrung des angegriffenen Bescheides durch eine auf die Möglichkeit der Klageerhebung verweisende Belehrung.

Der Kläger hat daraufhin am 11. Januar 2006 Klage erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen geltend gemacht: Die erneute erkennungsdienstliche Behandlung sei unverhältnismäßig. Lichtbilder sowie Zehnfinger- und Handflächenabdrücke seiner Person lägen bereits aus den früheren erkennungsdienstlichen Behandlungen vor. Lichtbilder seien zudem auch in den Jahren 2002 und 2004 polizeilich bzw. in der Justizvollzugsanstalt angefertigt worden. Bei Fingerabdrücken handele es sich um unveränderliche Merkmale. Die Durchführung erneuter erkennungsdienstlicher Maßnahmen empfinde er als entwürdigend und erniedrigend. In der Justizvollzugsanstalt habe er sich in psychologische Behandlung begeben. Darüber hinaus seien die Einstellung des anlassgebenden Ermittlungsverfahrens und die Fortdauer des Strafvollzugs zu berücksichtigen, der sich nach der zuletzt erfolgten strafgerichtlichen Verurteilung voraussichtlich verlängern werde.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Polizeiinspektion H. /I. vom 22. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 13. Dezember 2005 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat erwidert: Die strafprozessuale Einstellung des anlassgebenden Ermittlungsverfahrens sei unerheblich. Allein entscheidend sei, dass im Zeitpunkt der Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung ein Ermittlungsverfahren gegen den Kläger geschwebt habe. Die angeordneten Maßnahmen seien trotz der in früheren Jahren erfolgten erkennungsdienstlichen Behandlungen notwendig. Dem Landeskriminalamt Niedersachsen lägen noch keine Daten über den Kläger vor, weil die früheren erkennungsdienstlichen Maßnahmen in anderen Bundesländern erfolgt seien. Nach den erkennungsdienstlichen Richtlinien des Bundeskriminalamts seien neue Lichtbilder zudem unter anderem dann anzufertigen, wenn seit der letzten Aufnahme mehr als ein Jahr vergangen sei.

Mit Urteil vom 13. Februar 2007 hat das Verwaltungsgericht den Bescheid der Polizeiinspektion H. /I. vom 22. Juli 2005 insoweit aufgehoben, als damit die Aufnahme von Zehnfinger- und Handflächenabdrücken verfügt worden ist. Die darüber hinausgehende Klage hat es abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Das Klagebegehren sei dahin auszulegen, dass sich die Klage lediglich gegen die Verfügung der Polizeiinspektion H. /I. richte, denn entgegen der Auffassung des Klägers habe die Beklagte mit Schreiben vom 13. Dezember 2005 einen Widerspruchsbescheid nicht erlassen. Die Klage sei fristgerecht erhoben worden und auch ansonsten zulässig, jedoch nur teilweise begründet. Soweit die Kreispolizeibehörde J. eine auf denselben Sachverhalt gestützte Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen aufgehoben habe, binde dies die Beklagte bzw. die ihr nachgeordneten Polizeibehörden nicht. Wegen des bei Erlass des angefochtenen Bescheides gegen den Kläger anhängigen Ermittlungsverfahrens sei der Kläger zu Recht als Beschuldigter im Sinne des § 81b 2. Alt. StPO angesehen worden. Der spätere Wegfall der Beschuldigteneigenschaft infolge der Einstellung des Strafverfahrens berühre die Rechtmäßigkeit der angeordneten Maßnahmen nicht. Unter Berücksichtigung der Vielzahl der vom Kläger begangenen Straftaten und der im Rahmen des Strafvollzugs nach dem Vortrag der Beklagten bestehenden Möglichkeit des Freigangs sei auch die Annahme einer hinreichenden Wiederholungsgefahr nicht zu beanstanden. Die angeordneten erkennungsdienstlichen Maßnahmen seien allerdings nicht in vollem Umfang notwendig. Die erneute Abnahme von Zehnfinger- und Handflächenabdrücken sei nicht gerechtfertigt. Die betroffenen körperlichen Merkmale seien grundsätzlich unveränderlich. Der Beklagten sei es deshalb zumutbar, auf die bei anderen Polizeibehörden aus früheren erkennungsdienstlichen Behandlungen des Klägers vorliegenden Daten zurückzugreifen. Dass dies aussichtslos wäre, habe die Beklagte nicht dargelegt. Hinsichtlich der weiteren angeordneten erkennungsdienstlichen Maßnahmen sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit demgegenüber gewahrt.

Auf den Antrag der Beklagten hat der Senat die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil wegen besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) insoweit zugelassen, als der Klage vom Verwaltungsgericht teilweise stattgegeben worden ist.

Zur Begründung der Berufung trägt die Beklagte unter Bezugnahme auf ihr Vorbringen im Zulassungsverfahren vertiefend vor: Das Muster der Papillarleisten der Finger und Hand-innenflächen verändere sich im Laufe des Lebens eines Menschen zwar nicht von Natur aus. Veränderungen der Papillarleistenstruktur seien aber insbesondere durch Verletzungen der Haut mit späterer Narbenbildung, mechanische oder chemische Beanspruchung, krankhafte Veränderungen der Haut und infolge des natürlichen Alterungsprozesses möglich. Durch Veränderungen dieser Art könne der Abgleich von Tatortspuren mit vorhandenen Abdrücken der Finger bzw. Handinnenflächen erschwert oder sogar unmöglich gemacht werden. Dies werde durch zu biometrischen Verfahren gewonnene wissenschaftliche Erkenntnisse belegt. Da insbesondere Verletzungen der Finger bzw. Handinnenflächen auch bei alltäglichen Verrichtungen auftreten könnten, seien Veränderungen des Musters der Papillarleisten umso wahrscheinlicher, je länger die letzte erkennungsdienstliche Behandlung zurückliege. Vor diesem Hintergrund sei in den erkennungsdienstlichen Richtlinien des Bundeskriminalamts vorgesehen, dass Finger- und Handflächenabdrücke unter anderem dann erneut anzufertigen seien, wenn die letzte erkennungsdienstliche Maßnahme dieser Art mehr als fünf Jahre zurückliege. Dies treffe auf den Kläger zu. Unabhängig davon sei zu berücksichtigen, dass der Kläger bei auf das Land Niedersachsen beschränkten Datenbankrecherchen anhand von Finger- bzw. Handflächenabdrücken nicht ermittelt werden könne, weil über ihn beim Landeskriminalamt Niedersachsen keine entsprechenden Daten vorlägen. Hinsichtlich der bundesweiten Recherchemöglichkeiten sei zu beachten, dass Handflächenabdrücke erst seit dem Jahre 2003 abgeglichen werden könnten. Da seither noch keine neuen Handflächenabdrücke des Klägers angefertigt worden seien, habe eine Aufnahme in die bundesweite Datenbank insoweit nicht erfolgen können. Unter Vorlage eines daktyloskopischen Gutachtens des Landeskriminalamts Niedersachsen vom 16. März 2007 macht sie schließlich geltend, die dem Kläger zuletzt im Jahre 1999 abgenommenen Zehnfingerabdrücke wiesen hinsichtlich mehrerer Finger unklare Stellen und Beeinträchtigungen im Papillarlinienbild auf. Für die vergleichende Untersuchung mit an einem Tatort aufgefundenen Spurenfragmenten seien die Abdrücke daher nicht geeignet.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil teilweise zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in dem noch streitgegenständlichen Umfang für zutreffend. Das erst nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts erfolgte Vorbringen der Beklagten zur Erforderlichkeit der erneuten Abnahme von Fingerabdrücken rügt er als verspätet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, soweit es der Klage stattgegeben hat. Die Klage ist insgesamt abzuweisen, denn der Bescheid der Polizeiinspektion H. /I. vom 22. Juli 2005 ist auch hinsichtlich der Anordnung der erneuten Aufnahme von Zehnfinger- und Handflächenabdrücken des Klägers rechtmäßig.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist allein die von der Polizeiinspektion H. / I. getroffene Anordnung der Abnahme von Zehnfinger- und Handflächenabdrücken des Klägers. Soweit mit Bescheid vom 22. Juli 2005 auch die Erstellung von Lichtbildern, die Feststellung äußerer körperlicher Merkmale und die Durchführung von Messungen angeordnet worden ist, ist das erstinstanzliche Urteil mangels Einlegung eines Rechtsmittels teilrechtskräftig geworden (vgl. zur Teilrechtskraft allg.: Blanke in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 128 Rdnr. 7; Redeker/von Oertzen, VwGO, 14. Aufl., § 128 Rdnr. 1). Offen bleiben kann, ob sich die teilweise eingetretene Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts auch darauf erstreckt, dass die Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen dem Grunde nach gerechtfertigt ist, weil insbesondere der Kläger als Beschuldigter im Sinne von § 81b 2. Alt. StPO anzusehen ist. Denn ebenso wie hinsichtlich der Auslegung des Klageantrags und der Beurteilung der Zulässigkeit der vom Kläger erhobenen Anfechtungsklage folgt der Senat jedenfalls auch insoweit den zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen in diesem Umfang auf die erstinstanzliche Entscheidung Bezug (vgl. zur Zulässigkeit der Bezugnahme etwa: BVerwG, Beschl. v. 3.1.2006 - 10 B 17/05 -, juris, m. w. N.).

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist die noch streitgegenständliche Anordnung der Abnahme von Zehnfinger- und Handflächenabdrücken aber im Sinne des § 81b 2. Alt. StPO notwendig.

Nach § 81b 2. Alt. StPO dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit es für Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Die Vorschrift dient der vorsorgenden Bereitstellung von Hilfsmitteln für die künftige Erforschung und Aufklärung von Straftaten. Die Notwendigkeit erkennungsdienstlicher Maßnahmen bemisst sich dementsprechend danach, ob der Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalls - insbesondere angesichts der Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten, seiner Persönlichkeit sowie unter Berücksichtigung des Zeitraums, währenddessen er strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist - Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene künftig oder anderwärts gegenwärtig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen - den Betroffenen schließlich überführend oder entlastend - fördern könnten (BVerwG, Urt. v. 19.10.1982 - 1 C 29/79 -, BVerwGE 66, 192 ff. = NJW 1983, 772 ff.; Urt. v. 23.11.2005 - 6 C 2/05 -, NJW 2006, 1225 f.). Notwendig für Zwecke des Erkennungsdienstes ist nur die Erhebung von solchen erkennungsdienstlichen Unterlagen, die für zukünftige Ermittlungen geeignet sind und diese fördern könnten. Wegen der Begrenzung der erkennungsdienstlichen Maßnahmen auf das notwendige Maß ist ferner zu fordern, dass im konkreten Einzelfall die Schwere des mit der konkreten erkennungsdienstlichen Maßnahme verbundenen Grundrechtseingriffs nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht des mit der Maßnahme verfolgten öffentlichen Interesses namentlich an der Aufklärung künftiger Straftaten steht (Urt. des Senats v. 28.6.2007 - 11 LC 372/06 -, juris, und v. 28.9.2006 - 11 LB 53/06 -, Nds. VBl. 2007, 42 ff.; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 18.12.2003 - 1 S 2211/02 -, NVwZ-RR 2004 572 ff.).

Für die Beurteilung der Notwendigkeit erkennungsdienstlicher Maßnahmen ist nicht (nur) auf den Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung, sondern auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Vornahme dieser Maßnahmen abzustellen. Im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle kommt es deshalb auf die Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz - hier also auf den Zeitpunkt der Berufungsverhandlung - an (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.10.1982, a. a. O.).

Nach diesen Grundsätzen ist die hinsichtlich der Beurteilung der Notwendigkeit der Abnahme von Zehnfinger- und Handflächenabdrücken von der Polizeiinspektion H. / I. und der Beklagten angestellte Prognose gerechtfertigt, dass der Kläger auch künftig strafrechtlich in Erscheinung treten könnte. Bereits das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die polizeiliche Einschätzung vor allem durch die Vielzahl der dem Kläger nachgewiesenen Straftaten getragen wird. Hinzu kommt, dass der Kläger wiederholt wegen Diebstahls in besonders schwerem Fall belangt worden ist und sich auch durch die Verurteilung zu Freiheitsstrafen nicht von der Begehung weiterer ähnlich gelagerter Taten hat abhalten lassen. Wie das für die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung anlassgebende Ermittlungsverfahren verdeutlicht, bei dem der Kläger entsprechend der von ihm nicht angegriffenen Begründung des angefochtenen Bescheides zumindest eines der ihm bezogen auf den Zeitraum vom 30. März bis 13. Juli 2004 wiederum zur Last gelegten Diebstahlsdelikte eingeräumt hat, ist er auch zuletzt schon kurz nach der am 19. Januar 2004 erfolgten Verurteilung durch das Amtsgericht G. zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren erneut rückfällig geworden. Dass die Staatsanwaltschaft das anlassgebende Ermittlungsverfahren eingestellt hat, steht der Berücksichtigung der darin gewonnenen Erkenntnisse nicht entgegen. Dies gilt schon deshalb, weil die Einstellung nicht mangels hinreichenden Tatverdachts gemäß § 170 Abs. 2 StPO, sondern lediglich im Hinblick auf die gegenüber der zuvor erfolgten Verurteilung durch das Amtsgericht K. zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten angenommene untergeordnete Bedeutung der dem Kläger zur Last gelegten Straftaten gemäß § 154 Abs. 1 StPO erfolgt ist und der Kläger die Begehung zumindest einer der Taten bereits eingeräumt hatte (vgl. zur Berücksichtigung sogar nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellter Strafverfahren bei Fortbestehen eines kriminalistischen Restverdachts im Zusammenhang mit der Speicherung erhobener Daten: BVerfG, Beschl. v. 1.6.2006 - 1 BvR 2293/03 -, juris; Beschl. v. 16.5.2002 - 1 BvR 2257/01 -, NJW 2002, 3231 f.). Da der Kläger im Rahmen des Strafvollzugs die Gelegenheit zu Freigängen hat und der erkennungsdienstlichen Behandlung auch für die Zeit nach der Entlassung des Klägers aus der Haft Bedeutung für polizeiliche Ermittlungen zukommen kann, wird die Annahme, der Kläger könnte künftig in den Kreis potentieller Beteiligter an einer aufzuklärenden Straftat einzubeziehen sein, durch die im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats fortdauernde Strafhaft nicht in Frage gestellt. Die im Strafvollzug begonnene psychologische Behandlung schließt die Möglichkeit der Begehung weiterer Straftaten durch den Kläger ebenfalls nicht hinreichend sicher aus.

Dass Finger- und Handflächenabdrücke künftige polizeiliche Ermittlungen gerade bei Diebstahlsdelikten, wie sie der Kläger in der Vergangenheit verübt hat, fördern können, versteht sich von selbst und bedarf keiner näheren Begründung.

Der Notwendigkeit der erneuten Abnahme von Zehnfinger- und Handflächenabdrücken steht nicht entgegen, dass der Kläger zuletzt am 3. Februar 1999 unter Abnahme von Zehnfinger- und Handflächenabdrücken erkennungsdienstlich behandelt worden ist. Finger- und Handflächenabdrücke eines Menschen sind zwar von Natur aus unveränderlich. Die Beklagte hat im Berufungsverfahren aber überzeugend dargelegt, dass insbesondere Verletzungen mit späterer Narbenbildung, mechanische oder chemische Beanspruchung, vor allem bei Personen, die viel mit den Händen arbeiten, Krankheiten und nicht zuletzt der natürliche Alterungsprozess Veränderungen der Haut bewirken können, die zumindest den Abgleich von Tatortspuren mit älteren Finger- und Handflächenabdrücken erschweren oder sogar unmöglich machen können. Dabei ist entsprechend dem von der Beklagten vorgelegten daktyloskopischen Gutachten des Landeskriminalamts Niedersachsen vom 16. März 2007 zu berücksichtigen, dass daktyloskopische Tatortspuren bedingt durch das Greifverhalten des Spurenverursachers, die Dauer und Intensität des ausgeübten Drucks bei der Spurenlegung und die Oberflächenbeschaffenheit des Spurenträgers zumeist nur fragmentarisch vorhanden sind. Dies zugrunde gelegt, können sich schon kleine Veränderungen der Haut auf die Feststellung der Identität einer bereits erkennungsdienstlich behandelten Person auswirken, sofern sie sich gerade auf den am Tatort aufgefundenen Teilbereich eines Finger- oder Handflächenabdrucks beziehen.

Soweit die Beklagte erstmals im Berufungszulassungsverfahren entsprechende Erkenntnisse über die Möglichkeit des Eintritts von daktyloskopische Untersuchungen beeinträchtigenden Veränderungen der Haut vorgetragen und ein die Qualität der dem Kläger im Februar 1999 abgenommenen Zehnfingerabdrücke bewertendes daktyloskopisches Gutachten des Landeskriminalamts Niedersachsen vorgelegt hat, ist sie mit diesem neuen Tatsachenvorbringen entgegen der Auffassung des Klägers im Berufungsverfahren nicht ausgeschlossen. Die Berufung hat die Aufgabe einer zweiten Tatsacheninstanz. Das Rechtsmittel umfasst eine Überprüfung des angefochtenen Urteils in tatsächlicher Hinsicht. Hierfür sind nach § 128 Satz 2 VwGO auch neu vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel zu berücksichtigen, sofern nicht die Voraussetzungen des § 128a Abs. 1 VwGO vorliegen, was hier sowohl mangels Bestimmung einer Erklärungsfrist durch das Verwaltungsgericht (§ 87b Abs. 1 und 2 VwGO) als auch mangels einer Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits nicht der Fall ist. Die grundsätzlich gebotene Berücksichtigung neuen Vorbringens im Berufungsverfahren erstreckt sich auch auf neu vorgetragene tatsächliche Umstände, die dem Beteiligten bereits früher bekannt waren und deshalb schon im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.6.2002 - 7 AV 1/02 -, NVwZ-RR 2002, 894).

Ist eine Beeinflussung des Ergebnisses daktyloskopischer Untersuchungen durch zwischenzeitlich eingetretene Verletzungen oder andere Veränderungen der Haut an den Fingern bzw. den Handinnenflächen eines Betroffenen möglich, so rechtfertigt das öffentliche Interesse an einer effektiven polizeilichen Ermittlungsarbeit, die auf verlässliche erkennungsdienstliche Daten angewiesen ist, auch die erneute Abnahme von Finger- und Handflächenabdrücken bei einem bereits zu früherer Zeit erkennungsdienstlich behandelten Beschuldigten (so bereits Urt. des Senats v. 28.6.2007, a. a. O.; ebenso: OVG Magdeburg, Beschl. v. 31.1.2006 - 2 O 198/06 - V. n. b.). Zwar sind erkennungsdienstliche Maßnahmen stets mit einem Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht bzw. das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verbunden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 1.6.2006, a. a. O.). Liegt die zuletzt erfolgte erkennungsdienstliche Behandlung - wie hier - schon längere Zeit zurück, steht der mit der Aktualisierung der vorhandenen Daten durch Abnahme neuer Finger- und Handflächenabdrücke einhergehende Grundrechtseingriff aber nicht außer Verhältnis zu dem mit der Maßnahme verfolgten gewichtigen öffentlichen Interesse an der Aufklärung künftiger Straftaten. Datenmaterial, das möglicherweise nicht mehr hinreichend aktuell ist, ist für eine wirksame Ermittlungstätigkeit der Polizeibehörden ungeeignet. Zu beachten ist zudem, dass die Anordnung einer erneuten erkennungsdienstlichen Behandlung rechtlich nur zulässig ist, wenn gegen den Betroffenen im Zeitpunkt der Anordnung erneut ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Begehung einer Straftat schwebt und weiterhin die Annahme begründet ist, dass er auch künftig strafrechtlich in Erscheinung treten könnte.

Hinsichtlich des Zeitraums, nach dem die erneute Abnahme von Finger- und Handflächenabdrücken auch ohne das Vorliegen sonstiger Besonderheiten des Sachverhalts angemessen erscheint, begegnet es keinen Bedenken, die in Ziffer 5.2.2 Satz 2, 2. Spiegelstrich der erkennungsdienstlichen Richtlinien des Bundeskriminalamts (Stand: 18.8.2004, Bundeskriminalblatt 2004 Nr. 244) vorgesehene Zeitspanne von fünf Jahren heranzuziehen. Bei den Richtlinien des Bundeskriminalamts handelt es sich um Verwaltungsvorschriften, denen eine Bindungswirkung für die Gerichte nicht zukommt. Steht ein an Verwaltungsvorschriften orientiertes Verwaltungshandeln gerichtlich zur Überprüfung, darf der gerichtlichen Entscheidung nur materielles Recht zugrunde gelegt werden, zu dem verwaltungsinterne Richtlinien nicht gehören. Dies hindert das Gericht jedoch nicht, sich der in einer Verwaltungsvorschrift vorgesehenen Handhabung aus eigener Überzeugung anzuschließen (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.6.2002 - 8 C 30/01 -, BVerwGE 116, 332 ff. = NVwZ 2003, 211 ff.; Urt. v. 9.12.1998 - 6 C 5/98 -, BVerwGE 108, 122 ff. = NVwZ-RR 1999, 515 ff.). Der in den erkennungsdienstlichen Richtlinien des Bundeskriminalamts für die Durchführung einer erneuten vollständigen erkennungsdienstlichen Behandlung unter Abnahme von Zehnfinger- und Handflächenabdrücken bestimmte Zeitraum von fünf Jahren berücksichtigt in der polizeilichen Praxis gewonnene Erfahrungswerte über die Wahrscheinlichkeit des zwischenzeitlichen Eintritts von daktyloskopische Untersuchungen beeinträchtigenden Veränderungen der Haut. Da insbesondere Verletzungen der Finger und Handinnenflächen auch bei alltäglichen Verrichtungen eintreten können und jeder Mensch dem natürlichen Alterungsprozess unterliegt, ist der für die erneute Abnahme von Abdrücken der Finger und der Handflächen vorgesehene Zeitabstand von fünf Jahren auch in Ansehung der Grundrechte des Betroffenen nicht zu kurz bemessen. Klarstellend ist darauf hinzuweisen, dass bei Vorliegen besonderer Umstände des Einzelfalls, wie etwa bei Qualitätsmängeln des vorhandenen erkennungsdienstlichen Materials (vgl. Ziffer 5.2.2 Satz 2, 3. Spiegelstrich der erkennungsdienstlichen Richtlinien des Bundeskriminalamts), die erneute Abnahme von Zehnfinger- und Handflächenabdrücken auch schon vor Ablauf von fünf Jahren seit der letzten erkennungsdienstlichen Maßnahme dieser Art zulässig sein kann.

Die mit Bescheid der Polizeiinspektion H. /I. vom 22. Juli 2005 getroffene Anordnung der erneuten Abnahme von Zehnfinger- und Handflächenabdrücken wahrt dementsprechend entgegen der Auffassung des Klägers den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Seit der letzten Abnahme von Finger- und Handflächenabdrücken des Klägers für Zwecke des Erkennungsdienstes sind mehr als fünf Jahre vergangen. Im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung liegt die zuletzt am 3. Februar 1999 unter Abnahme von Finger- und Handflächenabdrücken erfolgte erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers sogar schon neun Jahre zurück.

Ist die erneute Abnahme von Finger- und Handflächenabdrücken dem Kläger damit schon unter dem Gesichtspunkt gebotener Aktualisierung der vorhandenen erkennungsdienstlichen Unterlagen zumutbar, bedarf keiner Entscheidung, ob die Maßnahme - wie von der Beklagten geltend gemacht - auch deshalb gerechtfertigt sein könnte, weil die früheren erkennungsdienstlichen Behandlungen des Klägers im Datenbestand des Landeskriminalamts Niedersachsen nicht verzeichnet sind und ein Abgleich mit den dem Kläger abgenommenen Handflächenabdrücken auch über die bundesweite Datenbank nicht möglich ist. Ebenso kann offen bleiben, ob die im daktyloskopischen Gutachten des Landeskriminalamts Niedersachsen vom 16. März 2007 hinsichtlich der am 3. Februar 1999 erstellten Zehnfingerabdrücke des Klägers bei drei Fingern, nämlich den beiden Ringfingern und dem kleinen Finger der linken Hand, festgestellten unklaren Stellen und Beeinträchtigungen im Papillarlinienbild geeignet sind, die Anfertigung neuer Abdrücke und dabei im Sinne der Beklagten nicht nur der betroffenen drei Finger, sondern sämtlicher zehn Finger zu begründen.

Ende der Entscheidung

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