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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 05.05.2006
Aktenzeichen: 11 ME 117/06
Rechtsgebiete: GG, VersG, VwGO


Vorschriften:

GG Art. 8
VersG § 15 I
VwGO § 80 V 4
Ein vollständiges Versammlungsverbot ist mit Rücksicht auf die hohe Bedeutung des Grundrechts aus Art. 8 GG unverhältnismäßig, wenn - wie hier - die von gewaltbereiten Gegendemonstranten zu erwartenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit durch Beschränkung der Versammlung auf eine stationäre Kundgebung und andere Auflagen erheblich verringert werden können.
Tatbestand:

Mit Schreiben vom 18. Januar 2006 meldete der Antragsteller des Parallelverfahrens 11 ME 122/06 (Herr B.), der stellvertretender Landesvorsitzender der NPD ist, für Sonnabend, den 13. Mai 2006, eine Kundgebung unter freiem Himmel mit Aufzug (Demonstration) in Göttingen unter dem Thema "Sozialabbau, Rentenklau, Korruption - Nicht mit uns!" in der Zeit von 12.00 bis 19.00 Uhr an. Er rechnet mit 200 bis 300 Teilnehmern. Als Route gab er folgende Strecke an:

"Bahnhofsplatz, Berliner Straße, Auftaktkundgebung Straßenkreuzung Berliner Straße/Weender Landstraße/ Nikolausberger Weg/Weender Straße, Nikolausberger Weg, Humboldtallee, Kreuzbergring, Ewaldstraße, Herzberger Landstraße, Dahlmannstraße, Kundgebung Eichendorff-Platz, Düstere-Eichen-Weg, Herzberger Landstraße, Kundgebung Theater-Platz, Bühlstraße, Nikolausberger Weg, Berliner Straße, Abschlusskundgebung Bahnhofsplatz mit anschließender Auflösung." Ebenfalls mit Schreiben vom 18. Januar 2006 meldete der Antragsteller des vorliegenden Verfahrens 11 ME 117/06 (Herr C.), der zu den parteiungebundenen "freien Nationalisten" gehört, eine Demonstration für denselben Tag in Göttingen zu demselben Thema in der Zeit von 12.00 bis 18.00 Uhr an. Er rechnet mit 100 bis 200 Teilnehmern. Als Route gab er folgende Strecke an:

"Aufstellungsort/Auftaktkundgebung: Hiroshimaplatz, Keplerstraße, Friedländer Straße, Herzberger Landstraße, Bühlstraße bis Kreuzungsbereich Nikolausberger Weg."

Für den weiteren Verlauf meldete er drei Varianten an:

Entweder Auflösung der Demonstration und Anschluss an die Demonstration des Herrn B. bzw. Kundgebung bis zum Eintreffen der Demonstration des Herrn B. und Anschluss an dessen Demonstration nach Auflösung der eigenen Demonstration oder

für den Fall, dass die Demonstration des Herrn B. nicht in absehbarer Zeit eintreffen werde, Fortsetzung der Demonstration auf dem Nikolausberger Weg und gegebenenfalls Berliner Straße bis zur Vereinigung mit der Demonstration des Herrn B.

oder

für den Fall, dass auch dies nicht möglich sein sollte, in umgekehrter Reihenfolge der Straßen des Hinwegs Rückkehr zum Hiroshimaplatz und Auflösung der Veranstaltung dort nach Abschlusskundgebung. Während einer Demonstration am 29. Oktober 2005 in Göttingen, die von Herrn B. ebenfalls unter demselben Thema angemeldet worden war, kam es zu massiven gewalttätigen Ausschreitungen von militanten NPD-Gegnern. Für diese Demonstration war nach einer Auflagenverfügung der Antragsgegnerin und den Maßgaben des Beschlusses des erkennenden Senats vom 25. Oktober 2005 - 11 ME 334/05 - genau die Streckenführung vorgesehen, die Herr B. auch für den 13. Mai 2006 angemeldet hat. Die Demonstration am 29.Oktober 2005 musste aber vorzeitig abgebrochen werden. Mit Bescheiden vom 6. März 2006 untersagte die Antragsgegnerin dem Antragsteller und Herrn B. unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Durchführung der Versammlungen sowie jede Form von Ersatzveranstaltungen. Beide Antragsteller haben dagegen Klage erhoben. Ihre gleichzeitig gestellten Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschlüssen vom 30. März 2006 ab. Dagegen haben der Antragsteller und Herr B. Beschwerde eingelegt. Die Beschwerde des Antragstellers hat teilweise Erfolg. Allerdings ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass es für den Fall der Durchführung der Versammlung des Antragstellers mit hoher Wahrscheinlichkeit zu schweren Gewalttaten durch Angehörige der linksautonomen Szene und damit zu Verletzungen der öffentlichen Sicherheit kommen würde. Ebenso hat es zu Recht angenommen, dass die Voraussetzungen des sog. polizeilichen Notstands auf der angemeldeten Aufzugsstrecke voraussichtlich erfüllt sind. Anders als das Verwaltungsgericht ist aber der Senat der Auffassung, dass die Gefahren für die öffentliche Sicherheit durch Beschränkung der Versammlung auf eine stationäre Kundgebung sowie durch andere Auflagen erheblich verringert werden können, so dass das von der Antragsgegnerin verhängte und vom Verwaltungsgericht bestätigte vollständige Versammlungsverbot mit Rücksicht auf die hohe Bedeutung des Grundrechts aus Art. 8 GG unverhältnismäßig sein dürfte. Das Verwaltungsgericht hat die Annahme eines sog. echten bzw. unechten polizeilichen Notstands im Wesentlichen wie folgt begründet:

Es teile die Prognose der Antragsgegnerin, dass angesichts der Erfahrungen anlässlich der NPD-Demonstration am 29. Oktober 2005 und neuerer Erkenntnisse, vor allem aufgrund der im Internet verbreiteten Aufrufe zu der geplanten Demonstration des Antragstellers sowie der des Herrn B., die beide zusammen betrachtet werden müssten, mit schwersten Ausschreitungen zu rechnen sei. Die zu befürchtende verschärfte Konfrontation von Demonstranten und militanter autonomer Szene könnte auch nicht durch vorbeugende Maßnahmen der Antragsgegnerin und der Polizei wirkungsvoll gemildert oder verhindert werden, wie die Ereignisse vom 29. Oktober 2005 zeigten. Trotz des Einsatzes von nahezu 4.000 Kräften sei die Polizei nicht in der Lage gewesen, den damaligen Demonstrationszug der NPD ohne Gefährdung der ca. 230 Teilnehmer angesichts von 1.500 gewalttätigen Gegendemonstranten über die zugelassene, aber durch brennende Barrikaden blockierte Aufzugsroute zu führen, was eine Umleitung der Demonstration schon nach einer Strecke von etwa 500 m erforderlich gemacht habe. Die Polizeidirektion Göttingen habe in ihrer Vorausbeurteilung vom 16. Februar 2006 nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, warum sie trotz Aufbietung aller möglichen Kräfte wegen der besonderen Verhältnisse in Göttingen aufgrund der auch für den 13. Mai 2006 zu erwartenden gewalttätigen Aktionen seitens einer sehr hohen Anzahl linksextremer Störer nicht in der Lage sein werde, die Demonstrationen auch nur ansatzweise in deren Verlauf zu schützen. Im Erörterungstermin vom 30. März 2006 habe die Polizei noch einmal verdeutlicht, dass aus logistischen Gründen schon wegen bestehender Engpässe bei der Unterbringung maximal 5.500 bis 6.000 Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte zum Einsatz kommen könnten. Gerade wegen des "Erfolgs" der linksautonomen Kräfte bei der Verhinderung des am 29. Oktober 2005 zugelassenen Demonstrationsverlaufs bzw. des "Misserfolgs" der NPD und auch wegen des Symbolcharakters der Stadt Göttingen als "Hochburg der Linken" sei mit noch schlimmeren gewalttätigen Auseinandersetzungen zu rechnen, zumal diesmal zwei Demonstrationen angemeldet seien, wodurch der potenzielle Angriffsbereich für gewaltbereite Autonome noch erweitert würde. Durch die vorgesehenen Demonstrationsrouten bzw. die zusätzlichen Wege vom Bahnhof zur Auftaktkundgebung des Antragstellers am Hiroshimaplatz würde die Göttinger Innenstadt ringförmig umschlossen. Dies würde nach der überzeugenden Erläuterung durch die Polizei am 13. Mai 2006 zu einer Abriegelung der Innenstadt von mindestens 8.00 bis 18.00 Uhr führen, wodurch der private und öffentliche Straßenverkehr in diesem Bereich weiträumig zum Erliegen käme. Anders als bei den Demonstrationen der NPD in den Jahren 2001 und 2002 habe sich das Ausmaß der Störungen am 29. Oktober 2005 massiv verändert. Es habe Krawalle mit einer Fülle von Rechtsgutverletzungen gegeben. Rd. 80 Personen seien so erheblich verletzt worden, dass sie hätten ärztlich behandelt werden müssen. Außerdem sei das Eigentum von unbeteiligten Privatpersonen beschädigt oder zerstört worden. Auch an öffentlichen Einrichtungen und Sachgütern sowie insbesondere an den Einsatzfahrzeugen von Polizei und Feuerwehr sei erheblicher Sachschaden verursacht worden. Es sei ernsthaft zu befürchten, dass gewaltbereite Autonome erneut durch gezielte Einzelaktionen nicht nur die Versammlung des Antragstellers stören, sondern darüber hinaus auch Rechtsverletzungen in anderen, nicht von der Versammlung berührten Straßen und Örtlichkeiten begehen würden. Auch ein größtmögliches Polizeiaufgebot sei nicht in der Lage, die Rechtsgüter Unbeteiligter wirksam zu schützen. Jedenfalls sei von einem sog. unechten polizeilichen Notstand auszugehen, weil Maßnahmen gegen die Störer eine größere Gefahr bzw. größere Schäden für Unbeteiligte hervorrufen würden als Maßnahmen gegen die Nichtstörer. Diese Begründung macht sich der Senat zu eigen (vgl. § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Dem Antragsteller ist es im Beschwerdeverfahren nicht gelungen, die auf eine gesicherte Tatsachenbasis gestützten Feststellungen und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts zu erschüttern. Die vom Antragsteller geäußerten Zweifel an der Zahl der am 13.Mai 2006 zu erwartenden linksextremen Gewalttäter vermögen nicht zu überzeugen. Die von ihm in diesem Zusammenhang angestellten Vermutungen, dass die nach dem 29. Oktober 2005 eingeleiteten 121 Strafverfahren auf die meist jüngeren Täter eine demotivierende Wirkung hätten und dass die für den 13. Mai 2006 von der Antragsgegnerin zugrunde gelegte Zahl von mehr als 1.500 gewaltbereiten Störern auch deswegen überhöht sei, weil bei einer Versammlung des Antragstellers am 28. Januar 2006 in Lüneburg und bei einer Demonstration des Herrn B. am 25. März 2006 in Stade weit weniger gewalttätige Gegendemonstranten aufgetreten seien als die Polizei vorher jeweils erwartet habe, entbehren einer tragfähigen Grundlage. Dass eine nennenswerte Zahl von potenziellen Gewalttätern durch Strafverfahren tatsächlich abgeschreckt werden könnte, hält der Senat aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen mit vergleichbaren Fällen aus dem Versammlungsrecht für unwahrscheinlich. Ebenso wenig sind die von dem Antragsteller angeführten Versammlungsverläufe in Stade und Lüneburg mit der zu erwartenden Gefahrenlage in Göttingen vergleichbar. Dem Senat ist bekannt (vgl. etwa Beschl. v. 11.7.2000 - 11 M 2516/00 -, NdsVBl. 2000, 299; den dagegen vom unterlegenen Landesverband Niedersachsen der NPD gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung lehnte das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 14. Juli 2000 - 1 BvR 1245/00 -, NJW 2000, 3051 = DVBl. 2000, 1593 ab), dass die Stadt Göttingen, die als Hochburg der linksautonomen bzw. antifaschistischen Szene gilt, seit Jahren in der Auseinandersetzung zwischen Rechts- und Linksextremisten einen starken Symbolcharakter hat. Dass dies auch heute noch der Fall ist, belegen die von der Antragsgegnerin zitierten Internet-Veröffentlichungen beider Seiten. Ein weiterer Unterschied zu den Ereignissen in Lüneburg und Stade besteht darin, dass die Demonstration der NPD am 29. Oktober 2005 wegen der massiven gewalttätigen Aktionen linksautonomer Kreise vorzeitig abgebrochen werden musste. Angesichts dieses "Erfolgs" der linksautonomen bzw. antifaschistischen Szene bei der Verhinderung des damals zugelassenen Demonstrationsverlaufs bzw. des "Misserfolgs" der NPD erscheint die Annahme der Antragsgegnerin und des Verwaltungsgerichts plausibel, dass beide Seiten in einem erhöhten Maße ihre Anhänger für den 13. Mai 2006 mobilisieren könnten. Während an der NPD-Demonstration am 29. Oktober 2005 nach polizeilichen Angaben ca. 230 Personen teilgenommen haben, ist für den 13. Mai 2006 auch deswegen mit mehr Teilnehmern zu rechnen, weil neben Herrn B. für die NPD auch der Antragsteller und die mit ihm verbundenen "freien Nationalisten" eine Demonstration angemeldet haben. Das militante linksautonome Spektrum war bereits am 29. Oktober 2005 polizeilichen Angaben zufolge mit ca. 1.500 Personen vertreten. Die Antragsgegnerin und die Polizeidirektion Göttingen haben nachvollziehbar dargelegt, dass für den 13. Mai 2006 ebenfalls mit mindestens 1.500 gewaltbereiten Störern zu rechnen sei. Dass diese Zahlen einigermaßen realistisch sind, bestätigen auch die jüngsten Erfahrungen mit ähnlichen Demonstrationen. So kam es nach Medienberichten am 1. Mai 2006 in Leipzig bei zwei Neonazi-Aufmärschen mit insgesamt 550 Teilnehmern zu schweren Ausschreitungen durch gewaltbereite Linke, deren Zahl die Polizei auf etwa 3.000 schätzte (vgl. Spiegel Online - 1.5.2006 - 21:50). An einer NPD-Kundgebung in Rostock nahmen am selben Tag rd. 1.200 Personen teil; mit Hilfe eines massiven Polizeiaufgebots gelang es, ca. 300 Demonstranten der autonomen Szene abzudrängen und einzukesseln, um eine Eskalation zu vermeiden (vgl. Stern.de - 1.5.2006 - 20:51). Entgegen der Auffassung des Antragstellers kommt es für die Gefahrenprognose zum 13. Mai 2006 nicht darauf an, ob die Polizei bei der vorangegangenen Demonstration am 29. Oktober 2005 mit einem höheren Polizeiaufgebot imstande gewesen wäre, das damalige Gewalttäterpotenzial "in den Griff zu bekommen". Richtig ist allerdings, dass die Polizei - wie die Polizeidirektion Göttingen selbst eingeräumt hat - durch die sehr große Zahl von rd. 1.500 gewaltbereiten Autonomen und deren guter Organisation und Taktik (insbesondere in Form von schwer zu kontrollierenden Kleingruppen) überrascht worden war. Auch wenn davon auszugehen ist, dass die Polizei dieses Mal besser vorbereitet ist und sogar ein Einsatz von etwa 6.000 Polizeibeamtinnen und -beamten aus dem gesamten Bundesgebiet beabsichtigt ist, besteht die ernsthafte Gefahr, dass bei einer Durchführung der beiden angemeldeten Aufzüge am 13. Mai 2006 die Polizei weder zu einem ausreichenden Schutz der Demonstrationsteilnehmer noch zu einer Verhinderung von Straftaten im Umfeld der Demonstrationen in der Lage sein könnte. Denn die Gefahrenlage würde gegenüber der Situation am 29. Oktober 2005 schon allein dadurch erhöht, dass nunmehr zwei Demonstrationszüge auf teilweise unterschiedlichen Routen sternmarschmäßig um die Innenstadt von Göttingen auf einer Gesamtlänge von ca. 7,5 km über einen Zeitraum von sechs bzw. sieben Stunden herumgeführt werden sollen. Dass dies einen weitaus größeren Polizeieinsatz als die Einzeldemonstration der NPD am 29. Oktober 2005 erfordert, ist einleuchtend, zumal weitere Polizeikräfte durch andere Aufgaben wie Absperrmaßnahmen, Verkehrsregelungen und Schutz gefährdeter Objekte gebunden sein werden. Der Antragsteller vermag ferner nicht mit dem Einwand durchzudringen, dass die Annahme eines polizeilichen Notstandes hier ausscheide, weil die Polizei durch geeignete Maßnahmen zunächst versuchen müsste, das Eindringen auswärtiger gewaltbereiter Linksextremisten in das Stadtgebiet von Göttingen zu verhindern. So hat bereits das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass Polizeikontrollen im Vorfeld weitgehend ihre Wirkung verfehlen würden, da die Autonomen bei der letzten NPD-Demonstration offenkundig unerkannt schon am Tag vorher nach Göttingen gereist und auch wegen ihrer "bürgerlichen" Erscheinung nicht aufgefallen seien. Ergänzend hat die Polizeidirektion Göttingen in ihrer Stellungnahme vom 3. Mai 2006 ausgeführt, dass ein Großteil der potenziellen Gewalttäter auch deshalb nicht an der Anreise nach und dem Aufenthalt in Göttingen gehindert werden könnte, weil erfahrungsgemäß die Voraussetzungen für den Erlass eines Platzverweises oder Aufenthaltsverbots bzw. einer Ingewahrsamnahme nach §§ 17 und 18 Nds. SOG nicht vorlägen. Die vom Antragsteller wiedergegebene Mitteilung aus "de.indymedia.org", dass sich bereits eine Woche vor dem 13. Mai 2006 1.000 Polizisten in Göttingen aufhalten würden, entspreche nicht den Tatsachen. Nach den derzeitigen Planungen sei lediglich vorgesehen, in diesem Zeitraum die Polizeiinspektion Göttingen täglich durch ca. 100 Beamte/Beamtinnen der Bereitschaftspolizei zu verstärken. Die Annahme des Antragstellers, dass der Einsatz von 1.000 Polizeikräften es ermögliche, Kontrollen bei Zufahrtswegen, wie Straßen oder Bahnhöfen einzurichten, die einen oder mehrere Tage vor der Versammlung anreisenden Gewalttäter herauszufiltern und ihnen Platzverweise und Aufenthaltsverbote bis hin zu Ingewahrsamnahmen zu erteilen, gehe deshalb offensichtlich fehl. Diese Argumentation erscheint dem Senat plausibel. Sind nach alledem erhebliche gewalttätige Ausschreitungen im Falle der Durchführung der beiden Versammlungen auf den angemeldeten Strecken zu befürchten, die nicht durch Maßnahmen gegen gewaltbereite Gegendemonstranten hinreichend abgewehrt werden können, ist es zulässig, ausnahmsweise auf der Grundlage des polizeilichen Notstands - wie hier - gegen den Nichtstörer vorzugehen (vgl. dazu etwa Hoffmann-Riem, Neuere Rechtsprechung des BVerfG zur Versammlungsfreiheit, NVwZ 2002, 257, 263 f.; Kniesel/ Poscher, Die Entwicklung des Versammlungsrechts 2000-2003, NJW 2004, 422, 429). Dass am 13. Mai 2006 höchstens 6.000 Polizeibeamte eingesetzt werden können, hat die Polizeidirektion Göttingen nachvollziehbar dargelegt und wird im Übrigen auch nicht von dem Antragsteller bestritten. Allerdings kann in einem solchen Fall nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. etwa Beschl. v. 2.12.2005 - 1 BvQ 35/05 -, zit. nach juris, v. 5.9.2003 - 1 BvQ 32/03 -, NVwZ 2004, 90 = DVBl. 2004, 235 u. v. 18.8.2000 - 1 BvQ 23/00 -, NJW 2000, 3053 = DVBl. 2000, 1605) ein polizeilicher Notstand als Grundlage von Maßnahmen gegen die Ausgangsdemonstration unter Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch solche Modifikationen ihrer Modalitäten entfallen, die nicht zur Vereitelung des konkreten Zwecks der Versammlung führen. In Betracht komme etwa eine Verschiebung des Ausgangspunkts der Versammlung oder eine Verlegung ihres Ortes. Besondere Probleme entstünden jedoch, wenn die Durchführung auch der modifizierten Versammlung ebenfalls zu gewalttätigen Gegenaktionen und damit immer wieder zu Situationen polizeilichen Notstands führen werde. Es sei verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar, wenn die Verwirklichung des Freiheitsrechts aus Art. 8 GG dadurch praktisch auf Dauer verhindert werde. Diese Situation könne gegeben sein, wenn jede Absicht zur Durchführung rechtsextremistischer Demonstrationen mit Gegenaktionen gewaltbereiter Personen des linken politischen Spektrums beantwortet werde (so das BVerfG im Beschl. v. 18.8.2000, a.a.O., zur damaligen Situation in Hamburg). Danach scheidet ein Versammlungsverbot aus, so lange das mildere Mittel der Erteilung von Auflagen nicht ausgeschöpft ist. So verhält es sich auch hier. Allerdings erscheint nach Auffassung des Senats weder eine Zusammenlegung der beiden Demonstrationen noch eine andere Streckenführung oder Verkürzung der Routen geeignet, den aufgezeigten Gefahren für die öffentliche Sicherheit wirksam zu begegnen. Statt dessen kommt eine Beschränkung der beiden Versammlungen auf eine stationäre Kundgebung in Betracht. Auf diese Möglichkeit hat der Senat die Antragsgegnerin mit Verfügung vom 27. April 2006 hingewiesen und vorsorglich um die Benennung eines geeigneten Platzes in Göttingen gebeten. Daraufhin hat die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 2. Mai 2006 eine Stellungnahme der Polizeidirektion Göttingen vom selben Tag vorgelegt, die sie sich zu eigen macht. Es sei kein geeigneter Platz in Göttingen vorhanden, an dem eine stationäre Versammlung der beiden Antragsteller am 13. Mai 2006 stattfinden könnte. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werde es allein aufgrund der Anwesenheit von Vertretern des rechtsextremistischen Spektrums bzw. des NPD-Umfeldes in Göttingen, unabhängig von der Aufzugsroute bzw. dem Kundgebungsort, zu erheblichen Ausschreitungen seitens militanter Gegendemonstranten kommen. Im gesamten Stadtgebiet von Göttingen sei aufgrund der derzeitigen Lageerkenntnisse großflächig mit Straftaten zu rechnen, nicht nur beschränkt auf Angriffe auf die Teilnehmer der angemeldeten Versammlungen oder die Polizei, sondern auch zum Nachteil von öffentlichen Einrichtungen oder unbeteiligten Dritten, wie bereits die Ereignisse am 29. Oktober 2005 nachhaltig bewiesen hätten. Es müsse deshalb bei dem Totalverbot der in Rede stehenden Versammlungen bleiben. Diese Einwände vermögen jedoch nicht durchzugreifen. Würde man dieser Bewertung folgen, hätten rechtsextremistische Veranstalter auf nicht absehbare Zeit keine Chance, in Göttingen Versammlungen unter freiem Himmel durchzuführen. Eine solche Vereitelung der Ausübung des Versammlungsrechts wäre jedoch mit der oben angeführten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unvereinbar. Außerdem leuchtet dem Senat das Argument der Polizeidirektion Göttingen nicht ein, dass die Beschränkung der beiden Versammlungen auf eine stationäre Kundgebung keinen entscheidend geringeren Kräftebedarf bewirken würde. Vielmehr erscheint es naheliegend, dass eine örtlich begrenzte Veranstaltung leichter zu schützen ist als ein sich über mehrere Kilometer fortbewegender Demonstrationszug. Dies gilt erst recht im vorliegenden Fall. Der Antragsteller und Herr B. haben - wie bereits dargelegt - zwei teilweise unterschiedliche Demonstrationsrouten angemeldet, die insgesamt eine Strecke von ca. 7,5 km umfassen und stellenweise durch neuralgische Straßenabschnitte verlaufen sollen. So kam es bei der NPD-Demonstration am 29. Oktober 2005 nach polizeilichen Angaben gerade bei dem Vorbeizug am Universitätsgelände, das sich als Sammelpunkt einer hohen Zahl von militanten Störern erwiesen habe, die nach Barrikadenerrichtung und Steinwürfen auf dem Gelände hätten untertauchen und sich neu formieren können, zu Angriffen auf die NPD-Demonstration. Diese hätte die Polizei nur unter erheblichen Schwierigkeiten abwehren können. Demgegenüber erfordert der Schutz einer stationären Kundgebung nicht in gleichem Ausmaß polizeiliches Personal. Der Senat hat den Bedenken der Polizeidirektion Göttingen aber insofern Rechnung getragen, als er die Zeitdauer der stationären Kundgebung auf zwei Stunden begrenzt hat. Dadurch ist gewährleistet, dass ausreichend Polizeikräfte nach Abschluss der Veranstaltung für andere Aufgaben im Stadtbereich eingesetzt werden können. Auf diese Weise können die von der Polizeidirektion Göttingen in anderen Stadtteilen befürchteten Gefahren durch gewaltbereite Störer in Grenzen gehalten werden. Durch eine örtlich und zeitlich beschränkte Versammlung können außerdem größere Verkehrsbehinderungen vermieden werden. Die Bestimmung von Auflagen nach § 15 Abs. 1 VersG ist grundsätzlich Aufgabe der Versammlungsbehörde, die aufgrund ihrer Sach- und Ortsnähe am ehesten beurteilen kann, welche Auflagen geeignet, erforderlich und angemessen sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.4.2001 - 1 BvQ 17/01 -, NJW 2001, 2072 = DVBl. 2001, 1054). Sind solche Auflagen aber nicht erlassen worden und kann ihr Erlass wegen der Eilbedürftigkeit nicht abgewartet werden, ist es Aufgabe der Verwaltungsgerichte nach § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO, die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage mit Auflagen zu verbinden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.4.2001, a.a.O.). Ein derartiger Fall liegt hier vor. Auf die Anfrage des Senats nach einem geeigneten Kundgebungsort hat die Antragsgegnerin in Abstimmung mit der Polizeidirektion Göttingen mitgeteilt, dass sie nicht bereit sei, von sich aus eine entsprechende Auflage zu erlassen. Sollte sie aber gezwungen sein, einen Kundgebungsort anzubieten, käme allenfalls der Bahnhofsvorplatz in Betracht. Da davon auszugehen sei, dass ein Großteil der Teilnehmer an den beiden Versammlungen mit der Bahn anreisen werde, hätte die Bestimmung jedes anderen Kundgebungsortes quasi einen Aufzug zur Folge, der wiederum durch Polizeikräfte freizuhalten und zu schützen wäre. Zusätzlich wären aufgrund der zu prognostizierenden Gefährdung durch militante Gegendemonstranten die Versammlungsteilnehmer am Bahnhof zu bündeln und geschlossen durch Polizeikräfte zum jeweiligen Kundgebungsort zu begleiten. Eine Kundgebung im Bereich des Bahnhofs wäre im Verhältnis dazu leichter zu schützen als jeder andere Kundgebungsort bzw. jede mobile Versammlung. Der Senat hält es für sachgerecht, dieser (hilfsweisen) Einschätzung von Antragsgegnerin und Polizeidirektion Göttingen zur Auswahl des Kundgebungsortes zu folgen, um die mit der Eilentscheidung möglicherweise verbundenen Gefahren, die aber im Interesse des effektiven Rechtschutzes in Kauf zu nehmen sind, gering zu halten. Damit hat der Senat den Interessen der beiden Veranstalter an der Ausübung der Versammlungsfreiheit ebenso Rechnung getragen wie dem Schutz kollidierender Rechtsgüter. Der Bahnhofsvorplatz erfüllt auch die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschl. v. 5.9.2003, a.a.O.) zur Geeignetheit eines Kundgebungsortes aufgestellten Kriterien. Er ist für die Versammlungsteilnehmer gut erreichbar und schließt durch seine Lage nicht aus, öffentliche Aufmerksamkeit für das Anliegen der Antragsteller zu erreichen. Dass mit der Wahl des Bahnhofsvorplatzes als Kundgebungsort Beeinträchtigungen des Straßen-, Bus- und Zugverkehrs verbunden sein können, ist im Interesse des hohen Stellenwerts der Versammlungsfreiheit grundsätzlich hinzunehmen. Im Übrigen ist es Aufgabe der Antragsgegnerin und der Polizeidirektion, für einen möglichst störungsfreien Ablauf auch durch vorbeugende Maßnahmen zu sorgen. Dazu gehört neben einer rechtzeitigen Information der Bevölkerung auch die vorübergehende Verlegung von Bushaltestellen. Soweit es um Bahnreisende geht, kann einer Gefährdung ihrer Sicherheit dadurch begegnet werden, dass sie den Bahnhof nur von der Westseite aus betreten oder verlassen. Es bedeutet auch keinen schweren Nachteil für den Antragsteller und Herrn B., dass der Senat dem Schutz der öffentlichen Sicherheit durch die verhängten Auflagen Vorrang vor ihren Interessen, beide Demonstrationen so wie beantragt durchzuführen, eingeräumt hat. Es ist höchstrichterlich anerkannt, dass Änderungen der angemeldeten Versammlungsroute desto eher zulässig sind, je schwerwiegender die berechtigten Interessen Dritter sind. In einem solchen Fall ist das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über Ort und Zeitdauer der Veranstaltung eingeschränkt (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 2.12.2005, a.a.O.; Beschl. v. 26.1.2001 - 1 BvQ 9/01 -, NJW 2001, 1409). Führt die Ausübung des Versammlungsrechts nämlich zur Kollision mit Rechtsgütern Dritter oder der Allgemeinheit, steht dem Veranstalter kein Bestimmungsrecht darüber zu, wie gewichtig diese Rechtsgüter in die Abwägung einzubringen sind und wie die Interessenkollision rechtlich bewältigt werden kann. Die Abwägung, ob und wie weit gegenläufige Interessen die Einschränkung der Versammlungsfreiheit rechtfertigen, obliegt der Versammlungsbehörde und den mit der rechtlichen Überprüfung befassten Gerichten (vgl. Hoffmann-Riem, NVwZ 2002, 254, 264). Diese haben nach Wegen zu suchen, um die Beeinträchtigung für alle Betroffenen möglichst gering zu halten. Ein geeignetes Mittel kann - wie hier - die Verlegung von Versammlungen in örtlicher Hinsicht und deren zeitliche Beschränkung sein. Diese Erwägungen gelten auch für die Beurteilung der Frage, ob dann, wenn formell zwei Veranstaltungen von zwei verschiedenen Personen für ein- und denselben Tag angemeldet worden sind, diese darauf verwiesen werden können, statt der zwei getrennten Versammlungen mit teilweise unterschiedlichen Routen eine gemeinsame ortsfeste Kundgebung durchzuführen. Dies hält der Senat unter den hier gegebenen besonderen Umständen für zulässig. Bereits das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass beide Demonstrationen nicht isoliert, sondern im Wege einer Gesamtschau einheitlich zu beurteilen sind. Der Antragsteller hat zeitgleich und koordiniert mit Herrn B. die Versammlung angemeldet, das selbe Demonstrationsthema benannt und ausdrücklich die beabsichtigte Auflösung seiner Veranstaltung nach dem Zusammentreffen mit dessen Demonstration und die Fortsetzung im Aufzug des Herrn B. angekündigt. Ferner ergibt sich aus Internet-Veröffentlichungen, dass der Antragsteller mit Herrn B. aufgrund einer gemeinsamen Planung die beiden Demonstrationen "sternmarschmäßig" zusammenführen will. Es erscheint deshalb nicht unabdingbar, dass hier auch getrennte ortsfeste Versammlungen durchgeführt werden. Der Senat hat bewusst davon abgesehen, dem Antragsteller und Herrn B. Vorgaben für die Ausgestaltung der zweistündigen Kundgebung am Bahnhofsvorplatz zu machen. Dies unterliegt dem Selbstbestimmungsrecht der beiden Veranstalter, denen zugemutet werden kann, sich insofern über die Einzelheiten zu einigen. Allerdings sind sie gehalten, (weitere) von der Antragsgegnerin für erforderlich gehaltene Auflagen bei der Durchführung der Kundgebung zu beachten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 5.9.2003, a.a.O.). Dem hat der Senat durch eine entsprechende Maßgabe im Beschlusstenor Rechnung getragen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

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