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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 20.02.2007
Aktenzeichen: 11 ME 386/06
Rechtsgebiete: AufenthG, AuslG, GG, VwGO


Vorschriften:

AufenthG § 11 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 11 Abs. 1 S. 3
AufenthG § 11 Abs. 2 S. 1
AufenthG § 84 Abs. 2 S. 1
AuslG § 9 Abs. 3
GG Art. 6 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 2 S. 1
VwGO § 113 Abs. 5 S. 2
VwGO § 123 Abs. 1
Im Rahmen der Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Kommen geeignete Nebenbestimmungen zur Verringerung des Risikos einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch eine Wiedereinreise des ausgewiesenen Ausländers in Betracht, kann eine Versagung der Betretenserlaubnis ermessensfehlerhaft sein.
NIEDERSÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT LÜNEBURG BESCHLUSS

Aktenz.: 11 ME 386/06

Datum: 20.02.2007

Gründe:

Die Antragsteller begehren, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller zu 1) vorläufig für die Dauer von drei Monaten eine Betretenserlaubnis zu erteilen.

Mit Bescheid vom 30. Juli 2004 wies die Antragsgegnerin den am 6. Juli 1978 in F. geborenen Antragsteller zu 1), der die türkische Staatsangehörigkeit besitzt, gemäß § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG (Regel-Ausweisung) aus. Über den dagegen eingelegten Widerspruch ist bisher nicht entschieden. Einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 3. Februar 2005 ab.

Der Antragsteller zu 1) heiratete am 3. Februar 2005 die Antragstellerin zu 2), die deutsche Staatsangehörige ist. Die Antragstellerinnen zu 3) bis 5) (geboren am 4.10.1996, 27.8.2000 und 22.9.2006) sind ihre gemeinsamen Kinder. Der Antragsteller zu 1) reiste am 1. April 2005 freiwillig aus dem Bundesgebiet aus und hält sich seitdem in der Türkei auf. Dort leistete er vom 6. April 2005 bis zum 7. Juli 2006 Wehrdienst.

Mit Verfügung vom 27. Juni 2005 befristete die Antragsgegnerin die Wirkungen der Ausweisung des Antragstellers zu 1) bis zum 1. April 2013. Dagegen hat der Antragsteller zu 1) Klage erhoben (1 A 4551/05), über die noch nicht entschieden ist.

Mit Schriftsatz vom 21. Juli 2005 beantragte der Antragsteller zu 1) die Erteilung einer Betretenserlaubnis. Diesen Antrag lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 26. Juli 2006 ab. Dagegen hat der Antragsteller zu 1) - zusammen mit den Antragstellerinnen zu 2) bis 5) - ebenfalls Klage erhoben (1 A 5203/06). Den gleichzeitig gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 8. November 2006 ab.

Die Beschwerde der Antragsteller ist zum Teil begründet. Die mit ihr vorgebrachten Gründe, die vom Senat allein zu prüfen sind (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), führen in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang zu einem Erfolg des Rechtsmittels.

Der Senat teilt die - nicht näher begründeten - Zweifel des Verwaltungsgerichts am Vorliegen eines Anordnungsgrundes nicht. Ein solcher setzt voraus, dass es dem jeweiligen Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 123 Rdnr. 26). Dies ist im vorliegenden Fall anzunehmen.

Würde dem Antragsteller zu 1) keine Betretenserlaubnis erteilt werden, wäre er auf derzeit nicht absehbare Zeit gehindert, seine deutsche Ehefrau und seine drei minderjährigen Töchter, die ebenfalls die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, im Bundesgebiet zu besuchen. Da die Ehefrau des Antragstellers zu 1) und seine beiden älteren Kinder - von einem Besuch in der Türkei vom 23. Dezember 2005 bis zum 13. Januar 2006 abgesehen - von ihrem Ehemann/Vater seit mehr als 22 Monaten getrennt sind und der Antragsteller zu 1) das am 22. September 2006 geborene jüngste Kind bisher nicht gesehen hat, werden die von Art. 6 Abs. 1 und 2 GG geschützten Belange des Antragstellers zu 1) und seiner Familie nicht unerheblich beeinträchtigt. Mit Rücksicht hierauf besteht ein berechtigtes Interesse der Antragsteller an einer schnellen Klärung, ob und gegebenenfalls wann zumindest kurzfristige Begegnungen der Familienangehörigen im Bundesgebiet möglich sind. Vor diesem Hintergrund ist ein Anordnungsgrund zu bejahen.

Dagegen steht den Antragstellern ein - zur Ermessensreduzierung bei der Antragsgegnerin führender und die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigender - Anordnungsanspruch auf Erteilung einer Betretenserlaubnis nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG an den Antragsteller zu 1) derzeit nicht zu. Allerdings ist die Antragsgegnerin in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antrag auf Erteilung einer Betretenserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden (vgl. dazu Kopp/Schenke, a.a.O., § 123 Rdnrn. 12, 25 und 28; Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 3. Aufl., § 123 Rdnr. 59; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., Rdnr. 236 ff.). Dies gebietet der sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebende Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes.

Ausländer, die - wie der Antragsteller zu 1) - ausgewiesen sind, dürfen nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten (§ 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Diese Sperrwirkung der Ausweisung greift nach § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG unabhängig davon ein, ob die Ausweisungsverfügung sofort vollziehbar oder bestandskräftig ist (vgl. Renner, AuslR, 8. Aufl., § 11 AufenthG Rdnr. 4). Durch diese Regelungen soll der Zweck der Ausweisung, den Ausländer vom Bundesgebiet weiterhin fernzuhalten, besser verwirklicht werden (vgl. Hailbronner, AuslR., § 11 AufenthG Rdnr. 5). Daran ändert auch die Ehe mit einer Deutschen und/oder die Elternschaft zu einem deutschen Kind nichts. Denn Art. 6 Abs. 1 und 2 GG vermittelt einem ausländischen Familienangehörigen keinen Anspruch auf Einreise nach Deutschland (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.5.2003 - 1 BvR 90/03 -, NJW 2003, 3547 u. Beschl. v. 12.5.1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. -, BVerfGE 76, 1, 48). Für ausgewiesene Ausländer gilt deshalb ein generelles Verbot der Wiedereinreise, das auch zu beachten ist, wenn sie dadurch - wie hier - von ihren übrigen Familienangehörigen, die sich weiterhin in Deutschland aufhalten, getrennt werden. Diese Sperrwirkung einer Ausweisung wird aber auf Antrag in der Regel befristet (§ 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG).

Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann die zuständige Behörde zudem nach Ermessen dem Ausländer ausnahmsweise erlauben, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Für die Auslegung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe kann auf Rechtsprechung und Kommentierung im Schrifttum zu der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Vorgängerregelung des § 9 Abs. 3 AuslG zurückgegriffen werden, da beide inhaltlich übereinstimmen. Zwingende Gründe für die Einreise und den kurzfristigen Aufenthalt während der Sperrzeit können vor allem in der Notwendigkeit einer Wahrnehmung dringender Termine bei Gerichten oder Behörden bestehen; dabei können neben persönlichen Belangen des Ausländers auch öffentliche Interessen eine Rolle spielen (vgl. etwa OVG Berlin, Beschl. v. 9.1.2001 - 8 SN 234.00 -, InfAuslR 2001, 169 = AuAS 2001, 126; Bäuerle, in: GK-AuslR, § 9 AuslG Rdnr. 39; Kloesel/Christ/Häußer, Kommentar zum AuslR, § 11 AufenthG Rdnr. 62 f.; Hailbronner, a.a.O., § 11 AufenthG Rdnr. 39; Renner, a.a.O., § 11 AufenthG Rdnr. 16). Eine unbillige Härte, die sich von den Fällen der zwingenden Gründe in der Praxis oft nicht klar voneinander abgrenzen lässt, kann sich aus familiären oder humanitären Gründen ergeben, z.B. bei einer schweren Erkrankung oder dem Tod naher Angehöriger, wichtigen Familienfeiern (vgl. OVG Berlin, Bäuerle, Hailbronner und Renner, jew. a.a.O.; Hamb. OVG, Beschl. v. 27.1.2005 - 3 Bs 458/04 -, juris; Senatsbeschl. v. 22.12.2006 - 11 ME 393/06 -). Darüber hinaus können auch grundrechtliche Positionen, insbesondere Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG die Annahme einer unbilligen Härte nahe legen. So hat das Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 21.5.2003 - 1 BvR 90/03 -, InfAuslR 2003, 322 = NJW 2003, 3547) darauf hingewiesen, dass dem Interesse eines Ausländers an der Ausübung eines ihm eingeräumten Umgangsrechts mit seinem hier lebenden deutschen Kind als Aufenthaltszweck eine Bedeutung zukomme, die von der Ausländerbehörde im Rahmen der nach § 9 Abs. 3 AuslG vorzunehmenden Abwägung mit den gegen eine Gestattung der Wiedereinreise des zuvor abgeschobenen Ausländers sprechenden Belange zu beachten sei. Denn Art. 6 Abs. 1 GG i.V.m. Abs. 2 GG als wertentscheidende Grundsatznorm verpflichte die Ausländerbehörden, familiäre Bindungen eines Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise in Deutschland aufhielten, bei der Entscheidung über ausländerrechtliche Maßnahmen im Einzelfall zu beachten.

Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Satz 1 AufentG erfüllt, steht eine Erteilung der Betretenserlaubnis im Ermessen der zuständigen Ausländerbehörde. Wichtigstes Ermessenskriterium ist die Vermeidung einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die Einreise des betreffenden Ausländers in das und den Aufenthalt im Bundesgebiet (vgl. Wenger, in: Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Zimmermann-Kreher, Kommentar zum Zuwanderungsgesetz, 2005, § 11 AufenthG Anm. 12). Allerdings ist auch hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Kommen geeignete Nebenbestimmungen zur Verringerung des Risikos einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit in Betracht, kann eine Versagung der Betretenserlaubnis ermessensfehlerhaft sein (vgl. Wenger, a.a.O.; VG Stuttgart, Urt. v. 22.2.2002 - 2 K 1459/01 -, juris).

Hiervon ausgehend lässt sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, dass die Antragsteller einen Anspruch auf Erteilung der begehrten Betretenserlaubnis für die Dauer von drei Monaten an den Antragsteller zu 1) haben. Die Antragsteller haben sich nicht darauf berufen, dass zwingende Gründe im oben beschriebenen Sinne vorliegen. Vielmehr machen sie eine unbillige Härte geltend, da dem Antragsteller zu 1) jedes Betreten des Bundesgebietes zum Zwecke einer vorübergehenden Wiederherstellung des familiären Zusammenlebens bis zum 1. April 2013 verwehrt werde und die Antragstellerinnen zu 2) bis 5), die ihren Lebensunterhalt von Arbeitslosengeld II und Kindergeld bestreiten, einen weiteren Aufenthalt in der Türkei nicht finanzieren könnten. Dem Begehren der Antragsteller steht aber entgegen, dass mit Hilfe einer Betretenserlaubnis nicht eine auf längere Frist angelegte Wiederherstellung der Lebensgemeinschaft mit im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen erreicht werden kann. Wie sich schon aus dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung ergibt, gestattet sie nur, das Bundesgebiet "kurzfristig" zu betreten. Anderenfalls würden die Regelungen des § 11 Abs. 1 AufenthG unterlaufen. Eine längerfristige Betretenserlaubnis, wie sie auch von den Antragstellern mit einer vorläufigen Dauer von drei Monaten angestrebt wird, kann deshalb nur ausnahmsweise in Betracht kommen. Besondere Umstände, die derzeit eine Trennung des Antragstellers zu 1) von den Antragstellerinnen zu 2) - 5) unzumutbar machen würden, liegen aber nicht vor.

Insbesondere haben die Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass eine untragbare Betreuungssituation infolge der Abwesenheit des Antragstellers zu 1) entstanden ist. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin zu 2) eine erhebliche Entlastung dadurch erfährt, dass die am 4. Oktober 1996 geborene Antragstellerin zu 3) nach dem Schulunterricht das Spielhaus der Caritas und die am 27. August 2000 geborene Antragstellerin zu 4) die Kindertagesstätte der AWO in F. besuchen. Außerdem stünden der Antragstellerin zu 2) offensichtlich nach eigenem Vortrag Freunde und Verwandte hilfreich zur Seite, so dass sie auch nicht im Hinblick auf die Betreuung der am 22. September 2006 geborenen Antragstellerin zu 5) zwingend auf die Anwesenheit des Antragstellers zu 1) im Bundesgebiet angewiesen sei. Demgegenüber tragen die Antragsteller vor, dass die Antragstellerin zu 2) mit der alleinigen Erziehung und Versorgung von drei minderjährigen Kindern überfordert sei und inzwischen sozialpädagogische Familienhilfe in Anspruch habe nehmen müssen. Dies komme auch im Schreiben der Arbeitsgemeinschaft für Wohngruppen und sozialpädagogische Hilfen F. e.V. vom 6. Februar 2007 zum Ausdruck, wonach ein Besuchsaufenthalt des Antragstellers zu 1) zur Stabilisierung der Familiensituation und zur Aufrechterhaltung der Vater-Töchter-Beziehung dringend geboten sei. Die Antragsteller haben jedoch den Wortlaut dieses Schreibens nicht präzise wiedergegeben. Dort ist nicht die Rede davon, dass der Besuchsaufenthalt dringend geboten sei, sondern es wird (lediglich) betont, dass dieser "sehr zu begrüßen" sei. Dass ein Besuch des Antragstellers zu 1) zur Aufrechterhaltung der Vater-Töchter-Beziehung und auch zur Unterstützung der Antragstellerin zu 2) wünschenswert ist, wird auch vom Senat nicht in Frage gestellt. Das Gleiche gilt für die Behauptung der Antragsteller, dass die Töchter unter der Trennung von ihrem Vater psychisch litten. Hierbei handelt es sich aber um die regelmäßig eintretenden Folgen der Ausweisung eines Vaters minderjähriger Kinder, die vom Gesetzgeber grundsätzlich in Kauf genommen werden (vgl. Kloesel/Christ/Häußer, a.a.O., § 11 AufenthG Rdnr. 64). Aus diesen Belastungen der Antragsteller können deshalb gegenwärtig keine zwingenden Gründe, welche die Anwesenheit des Antragstellers zu 1) im Bundesgebiet für einen Zeitraum von drei Monaten unbedingt erforderten, hergeleitet werden, zumal - worauf später noch eingegangen wird - die familiären Interessen der Antragsteller auch mit dem öffentlichen Interesse an einer langfristigen Fernhaltung des Antragstellers zu 1) im Rahmen der erforderlichen Ermessensentscheidung abgewogen werden müssen.

Ob die Entscheidung der Antragsgegnerin, die Wirkungen der Ausweisung des Antragstellers zu 1) bis zum 1. April 2013 zu befristen, rechtmäßig ist, wird in dem Klageverfahren 1 A 4551/05 zu klären sein, wobei auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen ist (vgl. Renner, a.a.O., § 11 AufenthG Rdnr. 12). Für die Bestimmung der Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots des Antragstellers zu 1) stellt der der Ausweisung zugrunde liegende Sachverhalt einen ganz wesentlichen Faktor dar, dessen Gewicht der Gesetzgeber bereits durch die Abstufung in Ist-, Regel- und Ermessens-Ausweisung (§§ 53-55 AufenthG) berücksichtigt hat. Nach Nr. 11.5.1 der Vorläufigen Niedersächsischen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 30. November 2005 soll die Frist des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG im Interesse einer einheitlichen Ermessensausübung im Regelfall 12 Jahre bei Ausweisungen nach § 53 AufenthG, 8 Jahre bei Ausweisungen nach § 54 AufenthG und 4 Jahre bei Ausweisungen nach § 55 AufenthG betragen. Da gegen den Antragsteller zu 1) mit Bescheid vom 30. Juli 2004 eine Regel-Ausweisung verfügt worden ist, hat die Antragsgegnerin die Wirkungen der Ausweisung mit Bescheid vom 27. Juni 2006 auf 8 Jahre nach der am 1. April 2005 erfolgten Ausreise festgesetzt. Ob die zugrunde liegende Ausweisungsverfügung allerdings einer rechtlichen Nachprüfung standhalten wird, erscheint zweifelhaft. Der Antragsteller zu 1) hat nachgewiesen, dass sein Vater in der Zeit vom 10. Juni 1970 bis zum 2. September 1986 bei der G. AG in F. -H. beschäftigt gewesen war. Aus diesem Grund dürfte ihm als Kind eines türkischen Arbeitnehmers, mit dem er in häuslicher Gemeinschaft gelebt hatte, eine Assoziationsberechtigung nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 zustehen, so dass er nur nach Ermessen ausgewiesen werden dürfte. Dies wiederum könnte auf die Bestimmung der Dauer der Frist des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG nicht ohne Einfluss bleiben. Gegenwärtig muss aber davon ausgegangen werden, dass die Antragsgegnerin, die trotz des Zeitablaufs von mehr als 2 1/2 Jahren nicht über den Widerspruch gegen die Ausweisungsverfügung entschieden hat, weiterhin auf ihrer Entscheidung besteht, die Wirkungen der Ausweisung des Antragstellers zu 1) bis zum 1. April 2013 zu befristen, d.h. dieser müsste damit rechnen, dass ihm solange eine Rückkehr zu seiner Familie verwehrt wird. Ein derart langer Ausschluss aus dem Bundesgebiet dürfte aber im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen, so dass es zur Abmilderung der damit verbundenen Folgen für die Antragsteller angezeigt erscheint, dem Antragsteller zu 1) zumindest eine kurzfristige Betretenserlaubnis zu erteilen (vgl. dazu Hamb. OVG, Beschl. v. 27.1.2005, a.a.O.; VG Stuttgart, Urt. v. 22.2.2002, a.a.O.), wenn dadurch wesentliche öffentliche Interessen nicht gefährdet werden.

Obwohl nach den vorstehenden Ausführungen Überwiegendes dafür spricht, dem Antragsteller zu 1) im beschränkten Umfang zu gestatten, seine in Deutschland lebende Familie zu besuchen, kann der Senat eine entsprechende einstweilige Anordnung nicht erlassen. Denn die Entscheidung hierüber liegt im Ermessen der Antragsgegnerin. Dies gilt auch für die Dauer der Betretenserlaubnis. In diesem Zusammenhang ist auch zu prüfen, ob - wie bereits erwähnt - mit Hilfe von Nebenbestimmungen einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vorgebeugt werden kann. Dies ist bisher seitens der Antragsgegnerin unterblieben.

Allerdings sind die von der Antragsgegnerin und dem Verwaltungsgericht angeführten spezialpräventiven Gründe und die Zweifel an einer erneuten freiwilligen Ausreise des Antragstellers zu 1) nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen. Der Antragsteller zu 1) wurde in der Vergangenheit wiederholt wegen schweren (bzw. einfachen) Diebstahls, Einbruchdiebstahls und Körperverletzung zu mehreren Freiheitsstrafen - zuletzt am 3. Dezember 2003 zu einer solchen von sechs Monaten - verurteilt. Trotz des laufenden Ausweisungsverfahrens wurde er im Dezember 2004/Januar 2005 erneut straffällig. Das Amtsgericht F. erließ am 28. April 2005 gegen den damals drogenabhängigen Antragsteller zu 1) einen Strafbefehl wegen des Besitzes von Betäubungsmitteln und verhängte eine Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 10,-- EUR. Eine Wiederholungsgefahr ist deshalb nicht auszuschließen. Zwar hat der Antragsteller zu 1) eine Bescheinigung des türkischen Doping-Kontroll-Zentrums vom 19. Juli 2006 vorgelegt, wonach in seiner Urinprobe keine Medikamente, Reiz- und Betäubungsmittel nachgewiesen wurden. Die Antragsgegnerin hat aber zu Recht darauf hingewiesen, dass durch eine rückstandsfreie Urinprobe allein noch kein Nachweis über eine dauerhafte Drogenabstinenz geführt sei, so dass weiterhin eine Fortsetzung der Beschaffungskriminalität drohe. Schließlich sind auch die Zweifel der Antragsgegnerin an einer Bereitschaft des Antragstellers zu 1), nach Ablauf der Geltungsdauer einer Betretenserlaubnis in die Türkei zurückzukehren, nicht von vornherein als unberechtigt anzusehen. Wie sich aus den Verwaltungsvorgängen ergibt, verließ er am 1. April 2005 das Bundesgebiet erst nach wiederholter Androhung der Abschiebung. Diesen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung könnte aber unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch geeignete Nebenbestimmungen begegnet werden (vgl. dazu auch Jakober/Welte, Aktuelles Ausländerrecht, Stand: August 2002, § 9 AuslG, Rdnr. 40 b und d; Kloesel/Christ/ Häußer, a.a.O., § 11 AufenthG Rdnr. 57 ff.; Bäuerle, a.a.O., § 9 AuslG Rdnr. 40). So könnte ihm beispielsweise Folgendes aufgegeben werden: Vorlage eines türkischen Führungszeugnisses, Nachweis eines Drogenscreenings und Hinterlegung eines Rückflugtickets. Sollte der Antragsteller zu 1) sich dazu bereit erklären, käme angesichts der dargelegten familiären Situation und mit Rücksicht auf das Kindeswohl die Erteilung einer Betretenserlaubnis nach Auffassung des Senats bis zu einem Monat in Betracht. Da die Entscheidung hierüber jedoch im Ermessen der Antragsgegnerin liegt, kann der Senat lediglich eine Neubescheidung entsprechend § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO aussprechen.

Ende der Entscheidung

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