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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 08.06.2007
Aktenzeichen: 12 ME 224/07
Rechtsgebiete: GG, NStrG


Vorschriften:

GG Art. 5 Abs. 1
GG Art. 21
NStrG § 18 Abs. 1
Zur Interessenabwägung im Rahmen der Ermessensausübung bei der Bescheidung des Antrags einer politischen Partei, ihr eine Sondernutzungserlaubnis für die Errichtung eines Informationsstandes zu erteilen.
NIEDERSÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT LÜNEBURG BESCHLUSS

Aktenz.: 12 ME 224/07

Datum: 08.06.2007

Gründe:

I.

Die Antragstellerin hat am 24. Mai 2007 bei der Antragsgegnerin beantragt, ihr eine Sondernutzungserlaubnis zum Aufstellen eines Informationsstandes am 08. Juni 2007 von 15.30 bis 18.30 Uhr am C. zu erteilen. Die Antragsgegnerin hat den Antrag mit Bescheid vom 01. Juni 2006 abgelehnt. Den am 06. Juni 2007 bei dem Verwaltungsgericht gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat dieses mit Beschluss vom 07. Juni 2007 abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

Die Antragstellerin habe bereits die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) nicht glaubhaft gemacht. Als nicht verbotene politische Partei dürfe die Antragstellerin ihr Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz - GG -) im Rahmen der allgemeinen Gesetze auch ohne die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis auf den Straßen und Wegen im Bezirk der Antragsgegnerin ausüben, sofern sie dadurch nicht die Grenzen des Gemeingebrauchs überschreite. Dass ein tagespolitischer Anlass bestehe, der die Aufstellung eines Informationsstandes gerade am 08. Juni 2007 nicht terminlich verschiebbar mache, sei nicht ersichtlich.

Auch einen rechtlichen Anspruch auf die begehrte Sondernutzungserlaubnis (Anordnungsanspruch) habe die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Die Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen stehe gemäß § 18 NStrG im Ermessen der Antragsgegnerin. Das Erlaubnisverfahren solle sicherstellen, dass die zuständige Behörde Kenntnis von Ort, Dauer und Umfang der Veranstaltung erhalte, damit sie von vornherein erkennbare Störungen verhindern oder in zumutbaren Grenzen halten sowie die unterschiedlichen und teilweise gegenläufigen Nutzungsabsichten der Straßennutzer ausgleichen könne. Für ihre Entscheidung müsse die Behörde dementsprechend die betroffenen Interessen gegeneinander abwägen. Hier müsse das Recht der Antragstellerin auf freie Meinungsäußerung und ihr Recht als Partei auf Werbung für ihre politischen Ziele hinter gewichtigen öffentlichen Belangen zurücktreten.

Gemäß einer schriftlichen Stellungnahme der Polizeiinspektion D. vom 31. Mai 2007 müsse bei der geplanten Aufstellung eines Informationsstandes nämlich "mit massiven Auseinandersetzungen" zwischen den Anhängern der Antragstellerin und der "linken Szene" gerechnet werden. Es sei nicht festzustellen, dass diese Gefahr allein auf das Verhalten Anderer und nicht auf das Verhalten der Antragstellerin zurückzuführen sei. Das ergebe sich - unter anderem - aus (vom Verwaltungsgericht zitierten) in der Presse wiedergegebenen Äußerungen des Spitzenkandidaten der Antragstellerin für die Landtagswahl sowie dessen Äußerungen im Internet. Darüber hinaus sei nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin hinreichend zur Kooperation mit den Behörden bereit gewesen sei, um die drohenden Beeinträchtigungen des Fußgängerverkehrs und der Anlieger zu minimieren. Die Gefahrenlage werde noch dadurch verschärft, dass am 08. Juni 2007 mit einem nicht unerheblichen Fußgängerverkehr im Bereich C. wegen anderer Veranstaltungen zu rechnen sei. In der Abwägung mit den aus der dargestellten Gefahrenlage folgenden öffentlichen Belangen wiege das Interesse der Antragstellerin an der begehrten Sondernutzungserlaubnis nicht besonders schwer. Die Antragsgegnerin habe insoweit das ihr bei der Entscheidung über eine Sondernutzungserlaubnis eingeräumte Ermessen mit ihrem Bescheid vom 01. Juni 2007 in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin ist nicht begründet.

Das Aufstellen eines Informationsstandes zur politischen Werbung ist eine Sondernutzung im Sinne von § 18 Abs. 1 NStrG, deren Erlaubnis grundsätzlich im behördlichen Ermessen liegt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.8.1994 - BVerwG 11 C 57/92 -, Buchholz 407.56 NStrG Nr. 3 = NVwZ-RR 1995, 129). Die Behörde hat verkehrliche Gesichtspunkte sowie solche Ordnungskriterien zu berücksichtigen, die in einem sachlichen Zusammenhang mit der Straße stehen. Bei der Ausübung des Ermessens sind auch nach der Rechtsprechung des Senats (Beschluss v. 13.10.2000 - 12 M 4000/00 -, NdsVBl. 2001, 43) neben den straßenrechtlichen Belangen auch die grundgesetzlich geschützten Interessen eines Antragstellers - hier das Recht auf Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG - und das Recht politischer Parteien zur Werbung für ihre Ziele (Art. 21 GG) zu berücksichtigen. Mit der Notwendigkeit einer solchen Abwägung im Rahmen einer Ermessensentscheidung gelten im Straßenrecht andere Maßstäbe als etwa im Versammlungsrecht (vgl. dazu z. B. NdsOVG, Beschl. v. 24.01.2006 -11 ME 20/06 -, NordÖR 2006, 108).

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes entsprechend diesen Grundsätzen zu Recht abgelehnt. Der Senat macht sich die zutreffenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu eigen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Das Beschwerdevorbringen - das Oberverwaltungsgericht prüft gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur die dargelegten Gründe - rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht. Hiernach kann dahingestellt bleiben, ob die Antragstellerin gegenwärtig ein Rechtsschutzinteresse für die begehrte einstweilige Anordnung hat, nachdem die in der Hauptsache zunächst erhobene Verpflichtungsklage zurückgenommen worden ist.

Auf die Ausführungen der Antragstellerin zu ihrer Aktivlegitimation - der Antrag auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis ist vom Kreisverband, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung aber vom Landesverband der Antragstellerin gestellt worden - kommt es hier nicht an, weil das Verwaltungsgericht diese Frage bei seiner Entscheidung offen gelassen hat.

Dass die Antragsgegnerin das ihr zustehende Ermessen nicht ausgeübt habe, lässt sich ihrem Bescheid vom 01. Juni 2007 nicht entnehmen. Das Interesse der Antragstellerin an der Verbreitung von Informationsmaterial ist ausdrücklich angesprochen worden. Eine Verwendung der von der Antragstellerin vermissten Worte "Art. 5 und Art. 21 GG" ist für eine sachgerechte Interessenabwägung nicht erforderlich. Es ist nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin die Bedeutung der Belange der Antragstellerin verkannt hat.

Dass die Antragsgegnerin unnötig die sofortige Vollziehung ihres Bescheides angeordnet hat, hat das Verwaltungsgericht zu Recht nicht vertieft. Es ist für die Entscheidung über das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin - den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO - unerheblich. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist eine verfahrensrechtliche Nebenentscheidung zu dem angegriffenen Bescheid, die nur mit den Rechtsbehelfen nach §§ 80, 80 a VwGO angegriffen werden kann und deren eventuelle Fehlerhaftigkeit nicht auch die Ablehnung der Sondernutzungserlaubnis selbst in der Sache fehlerhaft macht.

Die weiteren Einwände der Antragstellerin betreffen ihre allgemeinen Probleme bei ihrer Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit, die ihrer Ansicht nach einseitigen gewalttätigen Angriffe durch sogenannte Autonome und die nach ihrer, der Antragstellerin, Meinung Unterstellung einer Provokationsabsicht sowie die Nichtverschiebbarkeit des Termins für die Aufstellung des Informationsstandes. Insoweit ergeben sich aus dem Beschwerdevorbringen keine Gesichtspunkte, die - jedenfalls im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes - eine andere Bewertung der mit dem Aufstellen eines Informationsstandes der Antragstellerin am 08. Juni 2007 verbundenen Gefahren für einen störungsfreien Gemeingebrauch und ein anderes Ergebnis der Abwägung mit den Interessen der Antragstellerin begründen könnten, als sie die Antragsgegnerin bzw. das Verwaltungsgericht vorgenommen bzw. gefunden haben. Auch die von der Antragstellerin herangezogenen Gerichtsentscheidungen sind im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig vom 26. Oktober 1993 - 3 A 294/92 - betrifft allgemein die Frage nach der Rechtmäßigkeit einer Beschränkung der Nutzung eines öffentlichen Platzes durch eine kommunale Satzung auf bestimmte Veranstaltungen und unter Ausschluss von Nutzungen durch politische Parteien. Gegenstand des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Weimar vom 16. Juli 2001 - 2 E 1313/01.We - ist zwar die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis für das Aufstellen eines Informationsstandes, ohne dass aber - anders als im vorliegenden Fall - Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr von gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Andersdenkenden vorlagen. Dass diese auch von Anhängern der Antragstellerin ausgehen würde, hat das Verwaltungsgericht unter Auswertung von Äußerungen führender Vertreter der Antragstellerin und unter Heranziehung polizeilicher Erkenntnisse nachvollziehbar ausgeführt.

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