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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 11.09.2008
Aktenzeichen: 12 ME 227/08
Rechtsgebiete: FeV, StVG


Vorschriften:

FeV § 46 Abs. 1 S. 1
FeV Nr. 9.2.2 Anl. 4
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
Der Senat hält daran fest, dass bei einer Autofahrt mit einer THC-Konzentration zwischen 1,0 und 2,0 ng/ml das fehlende Trennungsvermögen im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV belegt ist.
Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem sein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die mit einer Anordnung der sofortigen Vollziehung versehene Entziehung seiner Fahrerlaubnis (Klassen A, BE, C1E, CE, ML) abgelehnt worden ist, hat keinen Erfolg.

Der Entziehung der Fahrerlaubnis durch Bescheid der Antragsgegnerin vom 13. Juni 2008 liegt zugrunde, dass der Antragsteller am 31. März 2008 unter dem Einfluss von Cannabis ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt hat. Die von der Polizeiinspektion Oldenburg-Stadt/Ammerland veranlasste Blutprobenuntersuchung erbrachte den Nachweis von Tetrahydrocannabinol (THC) in Höhe von 1,4 ng/ml und THC-Carbonsäure (THC-COOH) in Höhe von 10,5 ng/ml im Serum des Antragstellers. Das daraufhin von der Antragsgegnerin geforderte ärztliche Gutachten des TÜV Nord vom 5. Mai 2008 gelangte zu dem Ergebnis, dass keine Hinweise auf aktuell betriebenen regelmäßigen oder gewohnheitsmäßigen Cannabiskonsum des Antragstellers vorlägen. Aufgrund seiner Angaben in der Drogenanamnese sei für die Jahre 2007 und 2008 bis zu dem Vorfall am 31. März 2008 von einem gelegentlichen Cannabiskonsum, einmalig auch im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr, auszugehen.

Das Begehren des Antragstellers, ihm vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz zu gewähren, hatte keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die in formeller Hinsicht gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ordnungsgemäß begründete Anordnung der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids sei materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Bei der im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen Interessenabwägung seien die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen. Der mit der Klage angegriffene Bescheid der Antragsgegnerin vom 13. Juni 2008 erweise sich nach summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig. Die Antragsgegnerin habe dem Antragsteller auf Grundlage des § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV zu Recht die Fahrerlaubnis entzogen. Dieser habe bei seiner Untersuchung durch den TÜV Nord am 24. April 2008 einen gelegentlichen, d.h. mehr als einmaligen, Cannabiskonsum eingeräumt. Sofern er angebe, ca. 30 Stunden vor dem Vorfall am 31. März 2008 letztmalig zwei bis drei Joints mit mehreren Personen geraucht zu haben, sei dies mit dem festgestellten THC-Wert von 1,4 ng/ml nicht vereinbar. Die Angaben zu seinem Konsumverhalten dürften daher zumindest teilweise unzutreffend sein und die Häufigkeit seines Konsums dürfte eher am oberen Rand der von ihm selbst eingeräumten Spanne liegen. Der Antragsteller habe ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von Cannabis geführt und damit bewiesen, dass er Konsum und Fahren nicht voneinander trennen könne. Auch wenn in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten sei, ob bei einer THC-Konzentration zwischen 1,0 und 2,0 ng/ml fahreignungsausschließende Defizite vorlägen, rechtfertige nach Auffassung des Verwaltungsgerichts der nachgewiesene THC-Wert von 1,4 ng/ml die Annahme eines zeitnahen Cannabiskonsums mit entsprechender Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit. Die Fahrerlaubnis des Antragstellers sei zwingend zu entziehen, so dass die vom Antragsteller geltend gemachten beruflichen Gründe nicht zu berücksichtigen seien.

Mit seiner dagegen erhobenen Beschwerde macht der Antragsteller geltend, auf der Basis neuerer gutachterlicher Stellungnahmen sei nicht zweifelsfrei zu klären, ob bei THC-Werten zwischen 1,0 und 2,0 ng/ml fahreignungsausschließende Defizite vorlägen. Eine mit erheblichen, insbesondere mit beruflichen Nachteilen verbundene Entziehung der Fahrerlaubnis könne nicht auf einen wissenschaftlich nicht eindeutig geklärten Sachverhalt gestützt werden. Nach den vom Bundesverfassungsgericht in den Verfahren 1 BvR 2062/96 und 1 BvR 1143/98 eingeholten Gutachten von Prof. Dr. B. und Prof. Dr. C. sei davon auszugehen, dass eine THC-Konzentration von bis zu 2 ng/ml zumindest dann zu keiner Risikoerhöhung im Straßenverkehr führe, wenn - wie hier - ein alleiniger Konsum von Cannabis gegeben sei.

Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) geben keinen Anlass, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern. Nach der vom Verwaltungsgericht zutreffend zugrunde gelegten ständigen Rechtsprechung des beschließenden Senats ist bei THC-Werten, die - wie hier - den Wert von 1 ng/ml übersteigen, von einem zeitnahen Cannabiskonsum mit einer entsprechenden Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit und einem mangelnden Vermögen zur Trennung des Cannabiskonsums vom Führen eines Kraftfahrzeuges auszugehen, was nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV die Annahme der fehlenden Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen rechtfertigt (vgl. etwa Beschl. v. 11.7.2003 - 12 ME 287/03 -, DAR 2003, 480 = NVwZ-RR 2003, 899). Der Senat hält daran auch unter Berücksichtigung der ausführlich begründeten Entscheidung des Baden-Württembergischen Verwaltungsgerichtshofs (Urt. v. 15.11.2007 - 10 S 1272/07 -, zfs 2008, 172) fest, in der unter Auswertung aktueller Erkenntnisse im Einzelnen und in Auseinandersetzung mit der in dieser Frage abweichenden obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. z.B. BayVGH, Beschl. v. 25.1.2006 - 11 CS 05.1711 -, DAR 2006, 407) dargelegt wird, dass bereits bei einer THC-Konzentration von über 1 ng/ml eine signifikante Beeinträchtigung der fahreignungsrelevanten Eigenschaften des Fahrzeugführers auch im Lichte neuerer wissenschaftlicher Untersuchungen gegeben sei und bei einer Fahrt mit einer derartigen THC-Konzentration das fehlende Trennungsvermögen im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV mit der Folge belegt werde, dass die Fahrerlaubnis bei einer nachgewiesenen zumindest gelegentlichen Einnahme von Cannabis zwingend zu entziehen sei. Da die THC-Konzentration nach der Einnahme relativ schnell absinkt, ist im Übrigen regelmäßig davon auszugehen, dass die Konzentration während der Kraftfahrzeugfahrt noch deutlich höher lag, als dies das Ergebnis einer später entnommenen Blutprobe - im vorliegenden Fall betrug der zeitliche Abstand eine Stunde - ausweist.

Der Senat sieht auch hier keinen Anlass, von seiner ständigen Rechtsprechung abzuweichen. Der Verweis des Antragstellers in seinem Beschwerdevorbringen auf die in dem Verfahren 1 BvR 2062/96 und 1 BvR 1143/98 vom Bundesverfassungsgericht eingeholten gutachtlichen Stellungnahmen führt zu keiner anderen Beurteilung. Nach der gutachtlichen Äußerung von Prof. Dr. B. (abrufbar unter http://www.medizin.uni-koeln.de/institute/rechtsmedizin/ga_bvg.html; Stand: 11.9.2008) ist das Ausmaß möglicher Einschränkungen der Fahreignung bei Cannabiskonsum wesentlich von der Erfahrung des Konsumenten, von der Art des Konsums, von der Dosis der aufgenommenen Wirkstoffe und der Zeitdauer seit Konsumende abhängig. Deutliche Leistungseinbußen seien nur bei aufgenommenen Dosen von mehr als 20 mg THC festzustellen. Eine explizite Aussage zu den Beeinträchtigungen beim Führen eines Kraftfahrzeugs unter dem Einfluss von Cannabis bei einer THC-Konzentration von unter 2,0 ng/ml findet sich in der Stellungnahme nicht. Nach Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. C. (zusammengefasst wiedergegeben in dem Beschluss des BVerfG v. 20.6.2002 - 1 BvR 2062/96 -, NJW 2002, 2378 = juris, Rn 34) ist zwar jedenfalls für Konzentrationen unter 2,0 ng/ml davon auszugehen, dass keine Risikoerhöhung für den Straßenverkehr stattfinde, wenn alleiniger Cannabiskonsum vorliege. Dieser Aussage kann jedoch nicht entnommen werden, dass eine THC-Konzentration unter 2,0 ng/ml "ungefährlich" oder "unbedenklich" wäre. Dagegen sprächen auch die im oben zitierten Urteil des Baden-Württembergischen Verwaltungsgerichtshofs ausgewerteten und neueren Erkenntnisse. Der Gerichtshof hat zudem zu Recht darauf hingewiesen, dass ein Fahrerlaubnisinhaber, bei dem THC in der entnommenen Blutprobe in einer Konzentration von mindestens 1,0 ng/ml bei einer Fahrt mit dem Kraftfahrzeug festgestellt wird, ein Fahrzeug geführt hat, obwohl er nicht sicher sein konnte, dass in seinem Blut THC nicht mehr in relevantem Umfang vorhanden ist und eine Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit ausgeschlossen war. Eine Wiederholung eines solchen, die übrigen Verkehrsteilnehmer gefährdenden Verhaltens ist nach dem auf eine wirksame Gefahrenabwehr zielenden Fahrerlaubnisrecht zu unterbinden. Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 21. Dezember 2004 - 1 BvR 2652/03 - (NJW 2005, 349, 351) ausdrücklich auf die vom Senat in seiner ständigen Rechtsprechung zugrunde gelegte Konzentration eines THC-Wertes von 1 ng/ml hingewiesen, bei welcher nach wissenschaftlichen Erkenntnissen die Annahme eines zeitnahen Konsums mit einer entsprechenden Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit gegeben ist. Bei dem hier festgestellten THC-Wert von 1,4 ng/ml und dem nachgewiesenen gelegentlichen, d.h. mehrmaligen Cannabiskonsum, der vom Antragsteller der Sache nach auch nicht bestritten wird, begegnet die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen des fehlenden Trennungsvermögens somit keinen Bedenken. Bei Nichteignung des Fahrerlaubnisinhabers ist darüber hinaus - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - die sofortige Vollziehung der Fahrerlaubnis im öffentlichen Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs geboten und die privaten und/oder beruflichen Interessen des Betroffenen müssen zurückstehen.

Ende der Entscheidung

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