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Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 04.12.2008
Aktenzeichen: 12 ME 298/08
Rechtsgebiete: FeV, StVG


Vorschriften:

FeV § 46 Abs. 1
StVG § 3 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die unter Anordnung der sofortigen Vollziehung verfügte Entziehung seiner Fahrerlaubnis.

Am 10. März 2008 führte der Antragsteller ein Fahrzeug unter dem Einfluss von Cannabis. Die von der Polizei veranlasste Entnahme einer Blutprobe ergab Werte von 1,9 ng/ml für Tetrahydrocannabinol (THC) und 11,7 ng/ml für THC-Carbonsäure (THC-COOH).

Wegen dieses Vorfalls forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller zur Abklärung bestehender Fahreignungsmängel mit Schreiben vom 13. Mai 2008 zur Vorlage eines Gutachtens eines Arztes einer Begutachtungsstelle für Fahreignung oder eines Rechtsmedizinischen Instituts auf.

Im Rahmen der Untersuchung bei der Begutachtungsstelle des TÜV Nord am 22. Mai 2008 gab der Antragsteller an, er habe erstmalig mit 18 Jahren Cannabis konsumiert; er habe aber nur vier- bis fünfmal einen Joint in der Gruppe geraucht. Der letzte Drogenkonsum habe am 8. März 2008 stattgefunden.

Im Gutachten kommt die Gutachterin zu dem Schluss, dass kein aktueller Cannabiskonsum vorliege, der die Fahreignung in Frage stelle. Es hätten sich keine Hinweise auf derzeitigen gelegentlichen oder regelmäßigen Konsum gefunden.

Mit Bescheid vom 28. Juli 2008 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller nach dessen Anhörung die Fahrerlaubnis und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Maßnahme an. Der Antragsteller sei als gelegentlicher Cannabiskonsument einzustufen. Hinzu komme, dass er seinen Cannabiskonsum nicht zuverlässig von dem Führen eines Kraftfahrzeuges trennen könne.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers, ihm vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, mit dem im Tenor bezeichneten Beschluss abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Entziehungsverfügung vom 28. Juli 2008 werde voraussichtlich im Klageverfahren Bestand haben, weil bei dem Antragsteller zumindest von einem Fahreignungsmangel im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV auszugehen sei. Nach seinen eigenen Angaben im Rahmen der Begutachtung sei er zumindest als gelegentlicher Konsument von Cannabis anzusehen. Nach diesen Angaben habe er erstmals im Alter von 18 Jahren Cannabis konsumiert. Er habe vier- bis fünfmal einen Joint in der Gruppe geraucht. Zuletzt habe er am 8. März 2008 Cannabis konsumiert. Es fehle auch nicht am inneren und zeitlichen Zusammenhang der Konsumereignisse. Es lasse sich dem Gutachten insbesondere nicht entnehmen, dass die früheren Konsumakte lediglich im Jahr 2005 stattgefunden hätten, als der Antragsteller 18 Jahre alt gewesen sei und erstmalig Cannabis konsumiert habe. Erklärungsinhalt sei vielmehr, dass der Antragsteller zwischen 2005 und dem letzten Drogenkonsum am 8. März 2008 vier- bis fünfmal einen Joint in der Gruppe geraucht habe. Demgemäß sei die begutachtende Ärztin von einem früheren gelegentlichen Cannabiskonsum, jedoch geltend gemachter Abstinenz seit der aktenkundigen Auffälligkeit ausgegangen. Sie habe mithin keine Zäsur zwischen dem ersten und dem letzten Cannabiskonsum angenommen und die früheren Konsumakte nicht als abgeschlossenes Ereignis angesehen, welches keinen Zusammenhang mehr mit dem späteren Cannabiskonsum im Jahr 2008 aufweise. Die nachträgliche Behauptung des Antragstellers, er sei in den Jahren 2006 und 2007 abstinent gewesen, dürfte als Schutzbehauptung zu werten sein. Sie habe der ärztlichen Begutachtung nicht zugrunde gelegen. Im Übrigen sei zweifelhaft, ob der bloße Zeitablauf bei nur zweijähriger Drogenabstinenz ausreichend sei, um einen in der Vergangenheit liegenden Drogenkonsum nicht mehr für die Beurteilung der Frage heranzuziehen, ob ein gelegentlicher Konsum von Cannabis vorliege. Aufgrund der Fahrt unter Cannabiseinfluss am 10. März 2008 stehe auch das mangelnde Trennungsvermögen angesichts der beim Antragsteller festgestellten THC-Konzentration von 1,9 ng/ml nachweisbar fest. Seien demnach in der Person des Antragstellers beide Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis erfüllt, sei wegen des Fehlens atypischer Umstände die angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis zwingend. Dies sei auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht zu beanstanden. Ohne Erfolg bleibe der Vortrag des Antragstellers, er konsumiere seit dem Vorfall am 10. März 2008 kein Cannabis mehr. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Antragsteller zwischen 2005 und 2008 nur wenige Male Cannabis konsumiert habe, sei der Zeitraum vom letzten Konsum im März 2008 bis zum Erlass der Entziehungsverfügung nicht ausreichend lang, um eine Wiedererlangung der Fahreignung zum Zeitpunkt der Entziehungsverfügung begründen zu können. Das mit der Bezugnahme auf die berufliche Situation geltend gemachte private Interesse des Antragstellers müsse wegen des vorrangigen öffentlichen Interesses an der Sicherheit des Straßenverkehrs zurücktreten, selbst wenn er durch den Verlust der Fahrerlaubnis erhebliche persönliche, berufliche oder wirtschaftliche Nachteile erleide.

II.

Die gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts erhobene Beschwerde hat keinen Erfolg. Die zur Begründung des Rechtsmittels dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, geben keinen Anlass, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern.

Der Senat geht mit dem Verwaltungsgericht jedenfalls im vorliegenden gerichtlichen Eilverfahren, das auf eine nur summarische Prüfung des Sachverhalts angelegt ist, davon aus, dass der Antragsteller jedenfalls gelegentlicher Konsument von Cannabis gewesen und aufgrund der fehlenden Trennung von Konsum und Fahren ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist (vgl. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV). Ohne Erfolg wendet sich der Antragsteller gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, bei ihm sei von einem gelegentlichen Konsum von Cannabis auszugehen. Dabei kann der Senat offenlassen, wie die Angabe des TÜV Nord im Gutachten vom 29. Mai 2008, der Antragsteller habe erstmals im Alter von 18 Jahren Cannabis konsumiert und nur vier- bis fünfmal einen Joint in der Gruppe geraucht, zu verstehen ist. Selbst wenn die Einlassung des Antragstellers - wie er meint und wie er bereits im Rahmen der Anhörung mit Schreiben vom 16. Juli 2008 geltend gemacht hatte - so zu verstehen sein soll, dass er ausschließlich bis November 2005 vier- bis fünfmal Cannabis konsumiert und danach bis zum 8. März 2008 kein Cannabis mehr konsumiert habe, ändert dies am Ergebnis nichts. Auch unter Zugrundelegung dieser Tatsachen ist von einem gelegentlichen Konsum von Cannabis auszugehen. Ein gelegentlicher Konsum liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. nur Beschl. v. 19.2.2008 - 12 ME 4/08 -; v. 26.6.2008 - 12 ME 138/08 -; v. 4.8.2008 - 12 ME 215/08 -; v. 19.9.2008 - 12 ME 202/08 - sowie v. 6.10.2008 - 12 ME 213/08 -) bei einer mehr als nur einmaligen Einnahme von Cannabis vor, insoweit genügt also ein zumindest zweimaliger Konsum (vgl. auch VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 29.9.2003 - 10 S 1294/03 -, zfs 2004, 43; OVG Brandenburg, Beschl. v. 13.12.2004 - 4 B 206/04 -, Blutalkohol 43, 161; OVG Mecklenburg - Vorpommern, Beschl. v. 19.12.2006 - 1 M 142/06 -, juris; demgegenüber noch weitergehend: OVG Hamburg, Beschl. v. 13.6.2005 - 3 Bs 87/05 -, zfs 2005, 626 und v. 15.12.2005 - 3 Bs 214/05 -, NJW 2006, 1367, wonach schon die einmalige Einnahme von Cannabis für die Annahme einer gelegentlichen Einnahme im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV genügt). In Abgrenzung zu Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV setzt ein gelegentlicher Konsum aber weder eine über einen bestimmten Zeitraum hinweg an den Tag gelegte Regelmäßigkeit noch eine Gewohnheitsmäßigkeit voraus. Von einer derartigen über die Schwelle eines einmaligen und/oder experimentellen Konsums hinausgehenden Einnahme ist bei dem Antragsteller aufgrund dessen eigener Angaben auszugehen, die er anlässlich der verkehrsmedizinischen Untersuchung beim TÜV Nord am 22. Mai 2008 gemacht haben will. Nach diesen Angaben konsumierte er am 8. März 2008 Cannabis und davor zuletzt im Jahr 2005 vier- bis fünfmal.

Allerdings liegen zwischen dem behaupteten Beginn der Drogenabstinenz des Antragstellers im November 2005 und dem Vorfall im März 2008 über zwei Jahre. Der Senat hat bislang offen gelassen, wie sich die Rechtslage bei langen zeitlichen Zwischenräumen zwischen den einzelnen Konsumakten darstellt und auch keine zeitliche Höchstgrenze der Berücksichtigungsfähigkeit von Betäubungsmittelkonsumakten in der Vergangenheit festgelegt (vgl. Beschl. v. 20.8.2008 - 12 ME 184/08 -; vgl. auch Bay. VGH, Beschl. v. 20.11.2006 - 11 CS 06.118 -, juris), und hat auch vorliegend nicht Anlass, zu dieser Frage abschließend Stellung zu nehmen. Allerdings kann nicht jeder beliebig weit in der Vergangenheit liegende Drogenkonsum als Grundlage für die Annahme eines gelegentlichen Cannabiskonsums herangezogen werden. Der erfolgte Konsum muss vielmehr nach Gewicht und unter zeitlichen Gesichtspunkten von der Art sein, dass von einem gelegentlichen Konsum gesprochen werden kann. Eine gelegentliche Cannabiseinnahme setzt einen inneren und zeitlichen Zusammenhang der Konsumereignisse voraus (OVG Sachsen - Anhalt, Beschl. v. 18.7.2006 - 1 M 64/06 - Blutalkohol 44, 386). Schematisch feste Zeiten zu bestimmen, nach deren Ablauf ein Cannabiskonsum im Rahmen der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV unbeachtlich wird, dürfte nicht möglich sein (vgl. zum Zeitablauf zwischen Drogenkonsum und einer Anordnung nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV: BVerwG, Urt. v. 9.6.2005 - 3 C 25.04 -, DAR 2005, 581). Eine solche generalisierende Betrachtungsweise trägt den Gefahren, die vom Cannabiskonsum im Straßenverkehr ausgehen, nicht hinreichend Rechnung. Erforderlich erscheint vielmehr eine Einzelfallbetrachtung unter Einbeziehung aller relevanten Umstände. Im hier vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kann nicht festgestellt werden, dass zwischen den Konsumakten eine so gravierende Zäsur besteht, dass die zurückliegenden tatsächlichen Konsumakte nicht mehr für die Frage der Gelegentlichkeit berücksichtigt werden dürften. Der Antragsteller legt auch nicht im Einzelnen dar, aus welchen Gründen und unter welchen konkreten Umständen es zu dem erneuten Konsum von Cannabis im März 2008 gekommen ist und aus welchen Gründen sich die Konsumakte so gravierend unterscheiden, dass der länger zurückliegende Cannabiskonsum nicht mehr für die Beurteilung der Gelegentlichkeit herangezogen werden darf.

Der Senat teilt auch die Ansicht des Verwaltungsgerichts, der Antragsteller verfüge nicht über das erforderliche Trennungsvermögen im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV. Denn er hat am 10. März 2008 ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von Cannabis im Straßenverkehr geführt. Bei THC-Werten, die den von der Grenzwertkommission zu § 24a Abs. 2 StVG festgelegten Grenzwert von 1,0 ng/ml erheblich übersteigen - wie hier bei einem Wert von 1,9 ng/ml - ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats von einem zeitnahen Konsum mit einer entsprechenden Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit und einem mangelnden Vermögen zur Trennung des Drogenkonsums vom Führen eines Kraftfahrzeuges auszugehen. Auf die Feststellung konkreter Ausfallerscheinungen oder auf die Frage, ob dem Antragsteller noch bewusst gewesen ist, dass er unter dem Einfluss von THC steht, kommt es unter diesen Umständen nicht an (vgl. nur Beschl. d. Sen. v. 11.7.2003 - 12 ME 287/03 -, NVwZ-RR 2003, 899; v. 19.2.2008 - 12 ME 4/08 -; v. 9.9.2008 - 12 PA 244/08 -). Davon abgesehen deutet gerade die Unwissenheit des Antragstellers über die Nachwirkungen des Cannabiskonsums darauf hin, dass er über das erforderliche Trennungsvermögen nicht verfügt.

Soweit der Antragsteller unter Hinweis auf das Ergebnis einer Haaranalyse den Nachweis einer Drogenabstinenz für den Zeitraum von (maximal) vier Monaten erbringen will, deckt diese im wesentlichen Zeiträume nach dem Erlass der Entziehungsverfügung ab und kann allenfalls in einem Verfahren auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis Bedeutung erlangen.

Steht die Nichteignung des Fahrerlaubnisinhabers fest, so ist die Fahrerlaubnis, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, zwingend zu entziehen und entgegen dem Beschwerdevortrag für mildere Maßnahmen kein Raum.

Ende der Entscheidung

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