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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 26.05.2008
Aktenzeichen: 13 ME 77/08
Rechtsgebiete: NRiSG, VwGO


Vorschriften:

NRiSG § 1
NRiSG § 2 Abs. 2 S. 1
VwGO § 123
Für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem die vorläufige Nichtanwendbarkeit des Nds. Nichtraucherschutzgesetzes - NiRSG - festgestellt werden soll, besteht jedenfalls dann bereits kein Anordnungsgrund, wenn ein Umsatzrückgang nicht auf das Rauchverbot zurückgeführt werden kann und in der Gaststätte dem Grunde nach die Möglichkeit besteht, von der Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 2 Satz 1 NiRSG Gebrauch zu machen.
Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 28. März 2008 hat keinen Erfolg.

1.

Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig festzustellen, dass die Gaststätte des Antragstellers von dem im Nds. Nichtraucherschutzgesetz - NiRSG - festgelegten Rauchverbot bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder des Staatsgerichtshofs über die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes ausgenommen wird. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigt keine andere Entscheidung. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO in der hier denkbaren Form einer Regelungsanordnung kommt nur in Betracht, wenn eine solche Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Im Beschwerdeverfahren kann mithin nur eine Entscheidung zu Gunsten des Antragstellers ergehen, wenn neben der vom Verwaltungsgericht umfassend erörterten - und verneinten - Frage des Vorliegens eines Anordnungsanspruchs im Hinblick auf eine vorläufige Feststellung der Nichtanwendbarkeit des NiRSG für seine Gaststätte auch ein Anordnungsgrund gegeben wäre. Dafür dürfte dem Antragsteller ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden können, sondern eine einstweilige Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile aufgrund einer besonderen Eilbedürftigkeit erforderlich sein.

An das Vorliegen eines Anordnungsgrundes sind besonders strenge Anforderungen zu stellen, wenn durch die angestrebte vorläufige Regelung die Hauptsacheentscheidung - wenn auch nur vorläufig für einen Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache - vorweggenommen würde. Im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes kann nämlich grundsätzlich nicht das gewährt werden, was erst im Hauptsacheverfahren erreicht werden kann (Kopp/Schenke: VwGO, 15. Aufl., § 123 Rdnr. 13). Die Anforderungen an das Vorliegen eines Anordnungsgrundes erhöhen sich ferner in Konstellationen, in denen eine Vorwegnahme der Hauptsache darin bestehen würde, ein formelles Parlamentsgesetz für vorläufig nicht anwendbar zu erklären. Selbst im Hauptsacheverfahren stünde den Verwaltungsgerichten nämlich aufgrund des Art. 100 Abs. 1 GG keine Kompetenz zu, das Parlamentsgesetz selbständig im Rahmen der Inzidentkontrolle zu verwerfen. Vielmehr wäre - sofern das Gericht einen Verstoß des Landesgesetzes gegen die Landesverfassung oder bundesrechtliche Bestimmungen für gegeben hält - das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht bzw. dem Verfassungsgericht des Landes zur Prüfung der Gültigkeit der Rechtsnorm vorzulegen. Eine im Eilverfahren ohne Befassung des Bundesverfassungsgerichts bzw. der Landesverfassungsgerichtsbarkeit vorläufig ausgesprochene Nichtanwendbarkeit eines Parlamentsgesetzes würde daher das Verwerfungsmonopol der Verfassungsgerichtsbarkeit tangieren. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist in Fällen, in denen die Gültigkeit eines formellen Parlamentsgesetzes in Frage steht, daher vorläufiger Rechtsschutz nur zu gewähren, wenn das Gericht gewichtige Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes hat, die sich soweit verdichtet haben, dass die für eine Vorlage im Hauptsacheverfahren erforderliche Überzeugung von seiner Verfassungswidrigkeit voraussichtlich bejaht werden wird, sofern durch die Entscheidung die Hauptsache im Ergebnis nicht vorgenommen wird (BVerfG, Beschl. v. 24.06.1992 - 1 BvR 1028/91 -, BVerfGE 86, 382). Eine solche Vorwegnahme der Hauptsache wäre jedoch bei der vom Antragsteller angestrebten einstweiligen Anordnung gegeben, weil er die Feststellung der Nichtanwendbarkeit bzw. Ungültigkeit des NiRSG für seine Gaststätte begehrt und dies im Hauptsacheverfahren nur zu erreichen wäre, wenn das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht oder dem Staatsgerichtshof zur Prüfung der Gültigkeit des NiRSG vorgelegt würde.

Selbst wenn man demgegenüber auch bei einer geltend gemachten Verfassungswidrigkeit eines formellen Parlamentsgesetzes davon ausgehen würde, dass aufgrund des Gebots des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) die Annahme eines Anordnungsgrundes für die vorläufige Feststellung der Nichtgeltung des Parlamentsgesetzes in Betracht kommen muss, ist hier das Vorliegen eines Anordnungsgrundes zu verneinen. Bei einer solchen Sichtweise ist das sich aus Art. 100 Abs. 1 GG ergebende Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts und der Landesverfassungsgerichtsbarkeit mit dem sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden Gebot des effektiven Rechtsschutzes in Ausgleich zu bringen; die Annahme eines Anordnungsgrundes i.S.d. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist daher auf kritische Ausnahmesituationen zu beschränken (vgl. Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll: VwGO, 4. Aufl. § 80 Rdnr. 92), was etwa der Fall sein kann, wenn durch die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes faktisch zugleich ein endgültiger Rechtsschutz versagt würde.

Vorliegend ist weder Letzteres der Fall noch ist ansonsten eine kritische Ausnahmesituation gegeben. Die vorläufige Feststellung der Nichtanwendbarkeit des NiRSG für den Antragsteller würde vielmehr bedeuten, dass ihm für den Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache Vorteile zuteil würden, die nach dem Willen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers gerade ausgeschlossen sein sollen und die - jedenfalls bis zu einer etwaigen Überprüfung der Norm durch das Bundesverfassungsgericht oder den Staatsgerichtshof - für alle Gaststättenbetreiber in gleicher Weise Geltung beanspruchen. Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller von den Regelungen des NiRSG im Vergleich zu anderen Gaststättenbetreibern - etwa Betreibern größerer Mehrraumgaststätten - ungleich härter getroffen wird, so dass aus diesem Grunde die Annahme eines Anordnungsgrundes unter dem Gesichtspunkt einer kritischen Ausnahmesituation in Betracht gezogen werden könnte. Es liegt bereits weder die Situation einer allein inhabergeführten Einraumgaststätte vor (so aber die dem Beschluss des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz vom 11. Februar 2008 (VGH A 32/07 u.a., juris) zugrunde liegende Konstellation), bei der die Abtrennung eines Nebenraums von vornherein unmöglich wäre, noch kann überhaupt ein Umsatzrückgang des Gaststättenbetriebes des Antragstellers auf die Geltung des NiRSG zurückgeführt werden:

Der Senat hält die Ausführungen des Verwaltungsgerichts für zutreffend, dass der Antragsteller dem Grunde nach die Möglichkeit hat, in seiner Gaststätte einen Nebenraum abzutrennen, in dem dann eine Ausnahme vom Rauchverbot bestehen würde. Eine solche Abtrennung erscheint jedenfalls nicht aufgrund der Größe (laut Bauakte 127,7 m2) oder des spezifischen Schnitts der Gaststätte als unmöglich. Dies gilt auch dann, wenn man die vom Antragsteller in der Beschwerdebegründung genannte Gästenutzungsfläche von 50,98 m2 zugrunde legen würde. Bei dieser Fläche (vgl. Skizze Bl. 290 d.A.) handelt es sich offenbar um diejenige, die ohne Theke, Gänge und Funktionsräume (Küche, Lager) allein für Tische und Stühle - aufgeteilt in vier Teilbereiche - zur Verfügung steht. Warum hier etwa die Abtrennung eines Teilbereichs von vornherein unmöglich sein soll, hat der Antragsteller nicht glaubhaft machen können, zumal er auch vorgetragen hat, dass eine Abtrennung einen hohen Kostenaufwand verursachen würde. Dass die Abtrennung eines Nebenraumes bauliche Maßnahmen und einen gewissen Kostenaufwand zur Folge haben würde, ist im Zusammenhang mit der Frage der Abtrennbarkeit eines Nebenraums aber unerheblich. Die vom Antragsteller weiterhin geltend gemachten Probleme, die aus dem Mietverhältnis in Bezug auf die Räumlichkeiten der Gaststätte resultieren können, sind weder substantiiert worden noch können sie als privatrechtliche Rechtsbeziehung in Bezug auf das NiRSG eine entscheidende Rolle spielen. Auch kann der Antragsteller nicht mit Erfolg gelten machen, dass das NiRSG die Einrichtung von Nebenräumen gar nicht verlange bzw. eine rechtliche Verpflichtung zur Einrichtung eines solchen Nebenraums nicht bestehe und deshalb das Rauchverbot für seine Gaststätte nicht gelten dürfe. Damit verkennt der Antragsteller den Charakter der Ausnahmevorschrift des § 2 Abs. 2 Satz 1 NiRSG, die dem Gastwirt eine Handlungsmöglichkeit zur (partiellen) Abwendung des Rauchverbots eröffnen will. Die Frage, ob von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden soll, kann das NiRSG nicht entscheiden.

Nach den umfassenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts kann im Übrigen auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass die vom Antragsteller geltend gemachten Umsatzeinbußen überhaupt in einem inneren Zusammenhang mit den Regelungen des NiRSG stehen. Diese Einschätzung hat der Antragsteller auch mit seinem Beschwerdevorbringen nicht widerlegen können. Der Antragsteller hat vielmehr offenbar das Rauchverbot in seiner Gaststätte bislang gar nicht durchgesetzt. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass er zur Begründung der Beschwerde u.a. vorträgt, dass seine Gaststätte "heute dicht" wäre, wenn er das Gesetz "1:1 umgesetzt" hätte. Zudem ist auch bei einer jüngeren Kontrolle durch die Antragsgegnerin am 12. April 2008 festgestellt worden, dass in der Gaststätte weiterhin geraucht wird. Weshalb vor diesem Hintergrund die geltend gemachten Umsatzeinbußen gerade auf der Geltung des NiRSG beruhen sollen, hat der Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren nicht glaubhaft machen können.

Insgesamt hat der Senat vor dem dargestellten Hintergrund den Eindruck, dass der Antragsteller eine vorläufige Regelung begehrt, die Investitionen zur Abtrennung eines Nebenraums überflüssig machen würde, die andere Gastwirte, die sich an die gesetzlichen Regelungen halten, tätigen müssen. Dies vermag eine Eilbedürftigkeit und mithin einen Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung unter Vorwegnahme der Hauptsache durch die Feststellung der Unanwendbarkeit eines Parlamentsgesetzes schon im Ansatz nicht zu begründen. Eine Ausnahmekonstellation, wie sie etwa der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz (a.a.O.) zugrunde lag, ist in Bezug auf den Antragsteller nicht gegeben.

Vor diesem Hintergrund erübrigt sich eine nähere Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen, soweit es sich auf die geltend gemachten einzelnen Grundrechtsverletzungen - die das Verwaltungsgericht für nicht gegeben hält - bezieht. Diese Fragen können im Einzelnen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht geklärt werden. Der Senat hat aber bei summarischer Betrachtung keine durchgreifenden Zweifel an der Richtigkeit der verfassungsrechtlichen Bewertung des Verwaltungsgerichts in Bezug auf Gaststätten, bei denen - wie hier - die Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 2 Satz 1 NiRSG in Betracht kommt. Der Antragsteller vertritt insoweit unter Zugrundelegung eines rauchverbotsbedingten Umsatzrückgangs und eines Charakters seiner Gaststätte als (unveränderbarer) Einraumgaststätte jeweils eine andere Auffassung. Die von ihm zugrunde gelegten Prämissen hat er aber schon in tatsächlicher Hinsicht nicht glaubhaft machen können.

Ende der Entscheidung

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