Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 27.11.2008
Aktenzeichen: 14 PS 2/08
Rechtsgebiete: PflSchG, PflSchMGV, Richtlinie 1991/414, VwGO


Vorschriften:

PflSchG § 15b
PflSchG § 16c
PflSchG § 18c
PflSchMGV § 1c
Richtlinie 1991/414
VwGO § 99
Im Verfahren um die Erteilung einer Verkehrsfähigkeitsbescheinigung nach § 16c PflSchG ist das BVL nicht berechtigt, nach § 18c Abs. 1 PflSchG geschützte Einzelheiten zur Zusammensetzung des in Deutschland zugelassenen sog. Referenzmittels an den Parallelimporteur bekanntzugeben.
Gründe:

Die Klägerin begehrt eine Verkehrsfähigkeitsbescheinigung nach § 16c PflSchG für ein Pflanzenschutzmittel mit dem Wirkstoff E.. E. ist ein selektives Herbizid, das das Keimen von Gräsern und Unkraut verhindert. Die Klägerin möchte das Mittel im Bundesgebiet unter der Bezeichnung F. vertrieben. Das von ihr aus G. einzuführende Mittel (Importmittel) sei dort unter der Bezeichnung H. zugelassen und mit dem in Deutschland durch die Beklagte zugelassenen Pflanzenschutzmittel I. (Referenzmittel) wirkungsgleich. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) lehnte den Antrag auf Erteilung einer Verkehrsfähigkeitsbescheinigung mit Bescheid vom 27. Februar 2007 i. d. F. des Widerspruchsbescheides vom 17. April 2007 ab. Die Bescheinigung setze die - hier fehlende - Übereinstimmung zwischen dem Importmittel und dem im Bundesgebiet bereits zugelassenen Referenzmittel voraus. Nach § 16c Abs. 2 Nr. 2 PflSchG i. V. m. § 1c Abs. 5 Nr. 3 Pflanzenschutzmittelverordnung (PflSchMGV) liege eine solche Übereinstimmung nicht vor, wenn Import- und Referenzmittel unterschiedliche Beistoffe mit wesentlicher Funktion enthielten. Das sei hier der Fall. Denn das Importmittel enthalte ein anderes Dispergiermittel als das Referenzmittel.

Anderen Anträgen der Klägerin auf Erteilung von Verkehrsfähigkeitsbescheinigungen für ebenfalls auf F. lautende Pflanzenschutzmittel entsprach das BVL in drei Fällen in den Jahren 2006 bis 2008 (vgl. die Bescheide zu den sog. PI-Nummern J.). Den Verwaltungsvorgängen und den Veröffentlichungen des BVL lässt sich in Übereinstimmung mit § 16c Abs. 6 PflSchG nicht entnehmen, aus welchen Ländern die Importmittel stammen, für die diese Verkehrsfähigkeitsbescheinigungen erteilt worden sind. Nach den ergänzenden Angaben des BVL beziehen sich die drei bereits erteilten Verkehrsfähigkeitsbescheinigungen auf Importe, die mittelbar vom Hersteller des Referenzmittels stammen und die deshalb aus Sicht des BVL - anders als das hier in Rede stehende Importmittel - mit dem Referenzmittel vollkommen übereinstimmen. Die Klägerin begründet ihr Interesse an der Erteilung weiterer Verkehrsfähigkeitsbescheinigungen unter derselben Bezeichnung damit, dass sie nicht von einzelnen Lieferanten abhängig sein wolle, um auf Marktentwicklungen flexibel reagieren zu können.

Am 9. Mai 2007 hat die Klägerin deshalb den Verwaltungsrechtsweg beschritten. Mit Beweisbeschluss vom 5. März 2008 hat das Verwaltungsgericht dem BVL aufgegeben, die Urkunden und Akten vorzulegen, aus denen sich die Art und Menge der in dem Referenzmittel enthaltenen Dispergiermittel ergibt. Die Vorlage und Erteilung der begehrten Auskünfte wurde von dem beigeladenen Ministerium mit Schriftsatz vom 28. März 2008 verweigert. Bei der erfragten genauen Zusammensetzung des Referenzmittels handele es sich um ein nach § 18 c PflSchG geschütztes Betriebs- und Geschäftsgeheimnis. An dem nach § 18 c PflSchG für eine Offenbarung notwendigen überwiegenden öffentlichen Inter-esse fehle es hier. Aus dem "Grundsatz des rechtlichen Gehörs" ergebe sich nichts anderes. Die Klägerin habe nicht dargelegt, inwiefern die Kenntnis der genauen Zusammensetzung des Referenzmittels zu ihrer Prozessführung "beitragen" könne. Die Sperrerklärung führt weiter aus, dass eine Auskunftserteilung über die Zusammensetzung des Importmittels zudem die - lediglich freiwillig erfolgte - Übermittlung von Auskünften durch die Zulassungsbehörden anderer EU- Staaten und damit die Effektivität der Arbeit der deutschen Behörden in Frage stellen und der Klägerin als sog. Parallelimporteurin gegenüber ihren Konkurrenten einen ungerechtfertigen Wettbewerbsvorteil verschaffen würde.

Die Klägerin hat daraufhin sinngemäß einen Antrag auf gerichtliche Überprüfung dieser Entscheidung nach § 99 Abs. 2 VwGO gestellt mit dem Begehren festzustellen, dass die Weigerung, die erbetenen Urkunden vorzulegen, rechtswidrig ist.

Das Verwaltungsgericht hat die Sache dem Fachsenat zur Entscheidung nach § 99 Abs. 2 VwGO vorgelegt.

Die Klägerin macht geltend, dass sie auf der Grundlage der in dem Beweisbeschluss zum Ausdruck kommenden Ansicht des Verwaltungsgerichts den Rechtsstreit nicht sachgerecht führen könne, wenn sie nicht wisse, welches Dispergiermittel genau in dem Referenzmittel enthalten sei. Ohne diese Information sei ihr entgegen der Annahme der Beklagten ein Vergleich des Import- und des Referenzmittels nicht möglich. Einen unlauteren Wettbewerbsvorteil erhalte sie mit Bekanntgabe der erbetenen Information nicht. Denn es müssten ihr nicht alle wesentlichen Bestandteile des Referenzmittels offen gelegt werden. Zudem stelle sie als Parallelimporteurin ohnehin keine eigenen Pflanzenschutzmittel her und könne deshalb die erbetene Information auch nicht zum Nachteil des Herstellers des Referenzmittels verwenden.

II.

Der Antrag der Klägerin nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO hat keinen Erfolg.

Für die Entscheidung des nach § 189 VwGO eingerichteten Fachsenats ist grundsätzlich ein Beweisbeschlusses des Gerichts der Hauptsache notwendig, mit dem das Gericht unter Angabe des Beweisthemas förmlich verlautbart, dass es die Bekanntgabe der bislang nicht vorgelegten Unterlagen als erheblich ansieht (vgl. BVerwG, Beschl. vom 24. November 2003 - 20 F 13/03 -, BVerwGE 119, 229, 230 f. = NVwZ 2004, 485 f., und vom 17. März 2008 - 20 F 42/07 -, juris; Kugele, jurisPr-BVerwG 20/2008, Anm. 5).

Vorliegend hat das Gericht der Hauptsache am 5. März 2008 einen entsprechenden Beweisbeschluss erlassen. Dieser Beweisbeschluss ist nicht ersichtlich fehlerhaft und deshalb auch für den Fachsenat bindend. Der Fachsenat hat daher nicht der von den Beteiligten in diesem Zwischenverfahren nochmals aufgeworfenen Frage nachzugehen, ob es für die Erteilung der Verkehrsfähigkeitsbescheinigung nach EU-Primärrecht auf die zwischen den Beteiligten umstrittene Übereinstimmung von Import- und Referenzmittel hinsichtlich der Beistoffe überhaupt ankommt und, falls ja, ob die dann notwendige Prüfung dieser Übereinstimmung abschließend im Verfahren auf Erteilung einer Verkehrsfähigkeitsbescheinigung oder in einem gesonderten Zulassungsverfahren zu erfolgen hat. Ebenso wenig ist die Richtigkeit der in der Begründung des Beweisbeschlusses enthaltenen Annahme des Verwaltungsgerichts näher zu überprüfen, ob die Klägerin ihrerseits verpflichtet ist, das im Importmittel enthaltene Dispergiermittel im Einzelnen zu bezeichnen. Dazu dürfte die Klägerin mutmaßlich nicht in der Lage sein. Schließlich kann auch offen bleiben, welche Folgen sich für die Entscheidung in der Hauptsache aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 21. Februar 2008 (C-201/06) ergeben.

Hat der Fachsenat somit in der Sache zu entscheiden, so ist die Verweigerung der Vorlage der erbetenen Unterlagen nicht zu beanstanden. Die Voraussetzungen des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO liegen vor.

Gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde - hier das beigeladene Ministerium - die Vorlage von Urkunden oder Akten u. a. verweigern, wenn die Vorgänge nach einem Gesetz geheim gehalten werden müssen. So liegt es hier. Zur Begründung, dass hier ein entsprechendes Geheimhaltungsinteresse gegeben ist, kann auf den in einem Parallelverfahren ergangenen Beschluss des OVG Münster vom 23. Oktober 2008 (- 13a F 12/08 -, juris, nicht rechtskräftig) verwiesen werden, der sich der Senat anschließt:

"Nach § 18c Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zum Schutz der Kulturpflanzen (Pflanzenschutzgesetz - PflSchG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Mai 1998 (BGBl. I S. 971, 1527, 3512), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 5. März 2008 (BGBl. I S. 284), dürfen Angaben, die ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis darstellen oder enthalten, von dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit nicht offenbart werden, soweit der Antragsteller oder der Zulassungsinhaber die Angaben als geheimhaltungsbedürftig kenntlich gemacht hat.

Bei den Tatsachen, die in den im Streit befindlichen Aktenbestandteilen enthalten sind, handelt es sich um derartige Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Zulassungsinhabers. Hierunter werden alle auf ein Unternehmen bezogene Tatsachen, Umstände und Vorgänge verstanden, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat. Betriebsgeheimnisse umfassen im Wesentlichen technisches Wissen im weitesten Sinne; Geschäftsgeheimnisse betreffen vornehmlich kaufmännisches Wissen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006 - 1 BvR 2087/03 u .a. -, BVerfGE 115, 205 = NVwZ 2006, 1041, 1042, m. w. N.).

Dass die streitigen Unterlagen derartige Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse enthalten, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Auch der Fachsenat geht hiervon aus und weist zusätzlich darauf hin, dass das in einem Unternehmen vorhandene Wissen über Herstellungsverfahren und die genaue Zusammensetzung eines Produkts einen wirtschaftlichen Wert darstellt, so dass es an der Nichtverbreitung dieser Tatsachen ein nach Art. 12 Abs. 1 GG berechtigtes Interesse hat. Die Entscheidung, soweit sie eine Pflicht zur Vorlage der Akten feststellen und damit die Kenntnisnahme der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse durch Konkurrenten im Gerichtsverfahren ermöglichen würde, bedeutete daher einen Eingriff in den Schutzbereich der Berufsfreiheit der Zulassungsinhaberin. Ob auch Rechte aus Art. 14 Abs. 1 GG betroffen sein können, kann dahinstehen, weil ein Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen durch Art. 14 Abs. 1 GG jedenfalls nicht weitergeht als der durch Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006 - 1 BvR 2087/03 u .a. -, a. a. O. sowie NVwZ 2006, 1041, 1046).

§ 18c Abs. 1 Satz 1 PflSchG gilt allerdings nicht, wenn das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit unter Berücksichtigung des Geheimhaltungsinteresses der Beteiligten ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Offenbarung feststellt (§ 18c Abs. 1 Satz 2 PflSchG). Ein solches Interesse ist hier nicht feststellbar.

Für die Bestimmung des unbestimmten Begriffs "öffentliches Interesse" ist die jeweilige Zielrichtung des Gesetzes entscheidend. So kann etwa der in § 5 Abs. 1 Nr. 6 des Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (BtMG) ausgesprochene Gesetzeszweck, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sei sicherzustellen, ein öffentlicher Zweck sein, der im Einzelfall die Erteilung einer individuellen Erlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG rechtfertigen kann. Die Therapie einer einzelnen Person kann daher einem öffentlichen Anliegen dienen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 -, BVerwGE 123, 352 = NJW 2005, 3300).

Eine solche, also auch auf Individualinteressen abstellende Zielrichtung hat § 18c PflSchG indes nicht. Diese Vorschrift ist vielmehr mit § 30 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vergleichbar. Danach haben die Beteiligten Anspruch darauf, dass ihre Geheimnisse, insbesondere die zum persönlichen Lebensbereich gehörenden Geheimnisse sowie die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, von der Behörde nicht unbefugt offenbart werden. Die Befugnis der Behörde zur Offenbarung kommt im Zuge einer Interessenabwägung dann in Betracht, wenn sie zum Schutz von Rechtsgütern der Allgemeinheit erforderlich ist. Sie wird in der Regel erst dann anzunehmen sein, wenn die Offenbarung der einzig mögliche Weg zur ordnungsgemäßen Erfüllung einer im öffentlichen Interesse liegenden überragend wichtigen Verwaltungsaufgabe ist (vgl. etwa Bonk/Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Auflage 2008, § 30 Rn. 20).

Die Klägerin verfolgt hier aber nicht als Sachwalterin ein Informationsinteresse der Allgemeinheit (vgl. hierzu etwa BVerwG, Beschluss vom 21. Februar 2008 - 20 F 2.07 -, NVwZ 2008, 554), sondern das individuelle Ziel, nach § 99 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 100 Abs. 1 und § 108 Abs. 2 VwGO effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) durch Aufklärung des Sachverhalts und Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in dem allein sie betreffenden Verfahren der Erteilung einer Verkehrsfähigkeitsbescheinigung nach dem Pflanzenschutzgesetz zu erhalten."

Ein überwiegendes öffentliches Interesse, das bereits nach § 18c Abs. 1 Satz 2 PflSchG dem Geheimhaltungsinteresse vorgehen würde, kann auch nicht in der Versorgung der Bevölkerung mit preisgünstigen Pflanzenschutzmitteln gesehen werden, zu der der Parallelimport beiträgt. Wenn man einer solchen Argumentation folgen würde, wären zu Gunsten von Parallelimporteuren stets die zu Gunsten des Herstellers geschützten Informationen über die genaue Zusammensetzung des Pflanzenschutzmittels zu offenbaren. Damit liefe die gesetzlich als Regelfall gewollte Geheimhaltung leer. Ein solches Verständnis des § 18c Abs. 1 Satz 2 PflSchG scheidet daher aus. Dass vorliegend ausnahmsweise einzelfallbezogen im Interesse der Allgemeinheit der Import eines preisgünstigen K. produkts geboten sei und dazu der Geheimschutz durchbrochen werden müsse, wird von der Klägerin selbst nicht geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich. Dagegen spricht im Übrigen auch, dass die Klägerin als Parallelimporteurin schon anderweitig ein preisgünstiges K. produkt im Bundesgebiet vertreibt.

Ebenso wenig ist der Geheimnisschutz bezogen auf den hier in Rede stehenden Beistoff nach § 18c Abs. 2 (Nrn. 2 und 3) PflSchG begrenzt. Danach sind von der Geheimhaltung nur Angaben über den Wirkstoff des Pflanzenschutzmittels ausgenommen. Der gemäß § 18c Abs.1 PflSchG gegebene Geheimnisschutz für die Beistoffe bleibt unberührt.

Ist danach ein Geheimhaltungsbedarf im vorliegenden Fall festzustellen, setzt die Entscheidung über die Verweigerung der Aktenvorlage (Sperrerklärung) grundsätzlich eine prozessuale Ermessensausübung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO voraus (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006 - 1 BvR 2087/03 u .a. -, a. a. O.; BVerwG, Beschluss vom 21. Februar 2008 - 20 F 2/07 -, a. a. O.).

Die Ermessensentscheidung hat sich dabei spezifisch an § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu orientieren, da diese Bestimmung im Verhältnis zu den allgemeinen Geheimhaltungsvorschriften im Fachgesetz einschließlich der dortigen Ausnahmeregelungen eine vorrangige Spezialnorm darstellt. D. h.: Selbst wenn die fachgesetzliche Norm über die Geheimhaltung eine Offenbarung nicht oder nur unter engen Voraussetzungen zulässt - wie hier § 18c PflSchG -, kann eine solche Offenlegung im Interesse der Verwirklichung effektiven Rechtsschutzes gleichwohl nach § 99 VwGO geboten sein (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.6.2008 - 20 F 44/07 -, und Beschl. v. 13. Juni 2006 - 20 F 5/05 -, DVBl. 2006, 1245 f.).

Es erscheint sehr fraglich, ob die Sperrerklärung des beigeladenen Ministeriums den Anforderungen des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO für eine prozessuale Ermessensausübung gerecht wird.

Dagegen spricht bereits, dass sich das beigeladene Ministerium in der Erklärung vom 28. März 2008 nicht auf § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO, sondern auf § 18c PflSchG gestützt hat. Das deutet daraufhin, dass ihm nicht der ein abweichendes Entscheidungsprogramm vorgebende § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO als Richtschnur vor Augen gestanden hat. Die nachgeschobene Erklärung im Schriftsatz vom 6. Juni 2008 bezieht sich ebenfalls vorrangig auf §§ 18c und 16c Abs. 6 PflSchG.

Außerdem hat das beigeladene Ministerium in seiner Sperrerklärung angenommen, dass die Kenntnis davon, welchen (Bei-)Stoff mit wesentlicher Funktion das Referenzmittel enthalte, dem Vortrag der Klägerin nicht von Nutzen sei. Diese Annahme trifft nicht zu. Denn nützlich ist die Information für den Prozess in jedem Fall, wenn auch ggf. nicht zwingend erforderlich. So weist die Klägerin zu Recht darauf hin, dass sie bei Kenntnis der im Import- und Referenzmittel jeweils enthaltenen Dispergiermittel die umstrittene Vergleichbarkeit beider Pflanzenschutzmittel sehr viel einfacher nachweisen könne, indem sie beispielsweise dann auf dazu bereits vorliegende wissenschaftliche Untersuchungen zurückgreifen oder eine derartige Untersuchung in Auftrag geben kann.

Als weitere ermessenssteuernde Erwägung hat das beigeladene Ministerium schließlich angeführt, dass die Übermittlung von Auskünften über die Zusammensetzung eines Importmittels durch die Zulassungsbehörde eines anderen EU-Staates - hier G. - auf freiwilliger Grundlage mit der Bitte um vertrauliche Behandlung erfolge. Die Weitergabe der Auskünfte würde daher die künftige Zusammenarbeit der Behörden erschweren. Dieses Argument trifft aber auf die hier vom Verwaltungsgericht erbetene Auskunft gar nicht zu. Denn das Verwaltungsgericht hat nicht bzw. noch nicht nach der Zusammensetzung des Import-, sondern allein nach der des Referenzmittels gefragt. Diese Information stammt aber nicht aus einem anderen EU - Staat, sondern direkt aus den Unterlagen des BVL als nationaler Zulassungsbehörde. Im Übrigen unterliegt es auch Zweifeln, ob überhaupt die Annahme zutrifft, die Übermittlung von Auskünften über die Zusammensetzung eines Importmittels durch die Zulassungsbehörde eines anderen EU-Staates beruhe auf einer freiwilligen Grundlage. Zwar existiert - soweit ersichtlich - keine ausdrückliche Bestimmung, die eine solche Übermittlungspflicht auch für den in der Pflanzenschutzmittel-Richtlinie 91/414/EWG ungeregelten Parallelimport (vgl. EuGH, Urt. v. 11.3.1999 - C 100/96 -, EuZW 1999, 341 ff.) normiert. Die Übermittlung von Informationen über die Zulassung des Importmittels dürfte aber in der Regel für die behördliche Entscheidung über die Zulässigkeit eines Parallelimports zumindest sachdienlich sein, da die notwendige wesentliche Identität zwischen Import- und Referenzmittel andernfalls nur mit eigenen, ggf. aufwendigen Untersuchungen festzustellen ist. Wenn aber die Zulässigkeit des Parallelimports selbst vom Europäischen Gerichtshof aus dem EU-Primärrecht abgeleitet worden ist (vgl. neben dem o. a. Urt. v. 11.3. 1999 zuletzt etwa Urt. v. 21.2.2008 - C-201/06 -), so könnte daraus als verfahrensrechtlicher Annex auch die Pflicht der EU-Mitgliedstaaten folgen, wechselseitig die den jeweiligen nationalen Zulassungsbehörden vorliegenden Informationen auszutauschen. Dementsprechend geht der Europäische Gerichtshof (vgl. Urt. v. 8.11.2007 - C-260, 261/06 -, Rn. 48) davon aus, dass "Nachforschungen bei den zuständigen Behörden des Ausfuhrmitgliedstaats erforderlich sein können, um beurteilen zu können, ob ein Pflanzenschutzmittel eine ausreichende Ähnlichkeit mit einem bereits im Einfuhrmitgliedstaat zugelassenen Referenzerzeugnis aufweist".

Ungeachtet der aufgezeigten Bedenken gegen die Richtigkeit der angeführten, vom beigeladenen Ministerium in seiner Sperrerklärung enthaltenen Argumente erweist sich diese jedoch jedenfalls im Ergebnis mit der Erwägung als richtig, dass hier das grundrechtlich geschützte Geheimhaltungsinteresse des Herstellers des Referenzmittels dem gegenläufigen, ebenfalls grundrechtlich geschützten Interesse der Klägerin an einem effektiven Rechtsschutz vorgeht und daher keine andere Entscheidung als der Erlass einer Sperrerklärung ergehen konnte (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.2.2008 - 20 F 2/07 -, NVwZ 2008, 554 ff.; sowie Kugele, jurisPr-BVerwG, 13/2008, Anm. 4).

§ 18c PflSchG regelt in verfassungskonformer Weise, welche ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis darstellenden Angaben das BVL als Zulassungsbehörde geheim zu halten hat. Darunter fallen auch die hier streitigen Angaben über ein in einem zugelassenen Pflanzenschutzmittel als Beistoff enthaltenes Dispergiermittel. Mit dieser Regelung wird dem berechtigten Interesse des Herstellers eines zugelassenen Mittels Rechnung getragen zu verhindern, dass es durch Kenntnis der genauen Zusammensetzung seines Produkts anderen Herstellern ermöglicht wird, nach Ablauf des Patentschutzes legal ein Konkurrenzprodukt, und zwar mangels eigener Forschungsaufwendungen in der Regel billiger, auf den Markt zu bringen. Dieser Schutz nach § 18c Abs. 1 Satz 1 PflSchG ist wiederum nicht umfassend, sondern wird durch den nur zeitlich befristeten Patentschutz oder beim Vorliegen eines - hier fehlenden - überwiegenden öffentlichen Interesses gemäß § 18c Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 PflSchG begrenzt bzw. durchbrochen. Ebenso muss der Hersteller nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Parallelimporte hinnehmen, wenn er selbst sein Produkt oder ggf. auch ein anderer Hersteller ein vergleichbares Produkt (vgl. dazu EuGH, Urt. v. 21.2.2008, a. a. O.; Siegel, NVwZ 2007, 906, 908, m. w. N.) in anderen EU-Mitgliedstaaten deutlich billiger anbietet. Dieser Preisunterschied bildet die Geschäftsgrundlage für die Berufstätigkeit der Parallelimporteure, die deshalb auch als Arbitragehändler bezeichnet werden. Das beigeladene Ministerium weist zutreffend darauf hin, dass deshalb das Wissen um die für den Parallelimport notwendige Identität bzw. Ähnlichkeit zwischen einem Referenz- und dem deutlich billigeren Importmittel für den Parallelhandel elementar ist. Es ist jedoch nicht zu erkennen, warum es der Hersteller des Referenzmittels über die gesetzlich in § 18c PflSchG geregelten Fälle hinaus hinnehmen soll, weitere an sich geschützte Angaben über sein Produkt bekanntzugeben, um es Parallelimporteuren und/oder Generikaherstellern so erst zu ermöglichen, ihn preislich auf seinem Heimatmarkt zu unterbieten.

Zwar mag es zutreffen, dass ein reiner Parallelimporteur mit der Angabe etwa eines einzelnen Beistoffes in einem zugelassenen Referenzmittel zunächst nichts "anfangen" kann. Er bzw. andere Wettbewerber könnten aber - wenn denn eine Offenbarungspflicht im Prozess bestünde - auf diese Weise sukzessiv alle wesentlichen Bestandteile des Referenzmittels erfahren und so die Grundlage für die Herstellung eines preiswerteren Konkurrenzmittels schaffen.

Dies zu ermöglichen ist jedenfalls in der vorliegenden Fallgestaltung auch nicht als Folge des andernfalls erschwerten Rechtsschutzes für einen Parallelimporteur gerechtfertigt. Denn sein Rechtsschutz bei Ablehnung einer Verkehrsfähigkeitsbescheinigung wird durch den hier umstrittenen Geheimnisschutz nur erschwert, nicht aber gänzlich ausgeschlossen. Wird die beantragte Bescheinigung nach § 16c PflSchG mit der Begründung abgelehnt, das Importmittel sei hinsichtlich eines näher in seiner allgemeinen Funktion bezeichneten Beistoffes, hier eines Dispergiermittels, nicht mit dem Referenzmittel wirkungsgleich, so kann sich der Antragsteller zunächst einmal auf den - soweit ersichtlich europarechtlich noch nicht abschließend geklärten - Rechtsstandpunkt stellen, es komme auf die gleiche Wirksamkeit der Beistoffe ohnehin nicht an. Selbst wenn man - wie der bundesdeutsche Normgeber in § 16c Abs. 2 Nr. 2 PflSchG sowie § 1c Abs. 4 Nr. 2 PflSchMGV und ihm folgend das Verwaltungsgericht in seinem Beweisbeschluss - dieser Ansicht nicht zustimmt, ist der Antragsteller nicht rechtsschutzlos. Zwar kennt er nicht den genauen Beistoff im Referenzmittel und ggf. auch nicht das Gegenstück im Importmittel. Mit den Methoden der analytischen Chemie sind diese Unterschiede jedoch zu ermitteln, wenn auch ggf. mit einem hohen Aufwand. So geht nicht nur das BVL im Rahmen seines Pflanzenschutz-Kontrollprogramms vor (vgl. Besinger-Riedel, u. a., Journal für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, 2008, S. 265 ff.), sondern auch große Herstellerfirmen, wie die des hier umstrittenen Referenzmittels, mit eigenen Laboren bei der Kontrolle von Produktproben anderer Hersteller. Im konkreten Fall wird der Klägerin diese Überprüfung zudem dadurch deutlich erleichtert, dass die in Frage kommenden Dispergiermittel vom BVL im internet veröffentlicht sind und ihr außerdem der Hersteller des Referenzmittels bekannt ist. Warum ungeachtet dessen eine chemische Analyse ausgeschlossen sein soll, ist nicht zu erkennen und von der Klägerin auch auf ausdrückliche Nachfrage nicht näher begründet worden. Dass ihr möglicherweise der wirtschaftlich dafür erforderliche Aufwand zu hoch erscheint, steht einer technischen Unmöglichkeit nicht gleich. Nach § 16c Abs. 3 Satz 1 PflSchG kann das BVL vom Antragsteller vielmehr ausdrücklich auf seine Kosten eine Laboruntersuchung zur Feststellung der notwendigen Übereinstimmung zwischen Import- und Referenzmittel verlangen.

Dass das Verwaltungsgericht auf diesen Gesichtspunkt bislang nicht abgestellt hat, steht der Berücksichtigungsfähigkeit durch den Fachsenat nicht entgegen. Denn der Fachsenat ist nur an die - hier nicht bezweifelte - Ansicht des Gerichts der Hauptsache gebunden, dass es auf die Kenntnis des Beistoffes im Referenzmittel ankommt. Dass diese Kenntnis allein durch Einsichtnahme in die Akten des BVL erlangt werden kann, hat das Verwaltungsgericht hingegen nicht bindend entschieden. Es dürfte sich mit der Frage, ob es dazu auch Alternativen gibt, vielmehr zunächst überhaupt nicht beschäftigt haben, da teure Sachverständigengutachten nicht angeregt oder gar von Amts wegen eingeholt werden, wenn stattdessen ein Blick in die Verwaltungsvorgänge ausreicht.

Schließlich spricht gegen eine Offenlegungspflicht ergänzend auch der Gesichtspunkt, dass die Klägerin ihr hinter diesem Verfahren stehendes wirtschaftliches Ziel zwar nicht in vollem, aber doch in einem wesentlichen Umfang mittlerweile anderweitig erreicht hat, nämlich durch die Erteilung von drei anderen Verkehrsfähigkeitsbescheinigungen für das Mittel F.. Zwar ist es nachzuvollziehen, dass die Klägerin zur Planungssicherheit ein Interesse an möglichst vielen Bescheinigungen hat, um ihre Abhängigkeit von einzelnen Zwischenhändlern zu vermindern. Grundsätzlich bleibt diese Abhängigkeit aber immer bestehen, solange die Klägerin nicht unmittelbare Lieferverträge mit den Herstellern hat. Wenn die Klägerin die hier umstrittene Auskunft nicht erhält und ihr schlussendlich auch keine Verkehrsfähigkeitsbescheinigung für die Einführung des H. aus G. als F. nach Deutschland erteilt wird, ist sie also dennoch nicht gehindert, ein Produkt namens L. " nach Deutschland einzuführen und zu vertreiben; ihr würde lediglich die Chance genommen, dieses Produkt ggf. noch günstiger in anderen EU-Mitgliedstaaten zu erwerben. Diesen Wettbewerbsnachteil hat die Klägerin wegen des überwiegenden Geheimhaltungsinteresses des Herstellers des Referenzmittels hinzunehmen. Ob die Klägerin darüber hinaus sogar darauf verwiesen werden kann, für das Importmittel einen eigenständigen Zulassungsantrag nach § 15b PflSchG zu stellen (so wohl OVG Münster, a. a. O.), braucht hier deshalb nicht geklärt zu werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung nach § 63 GKG bedarf es nicht, da für das Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO vor dem Oberverwaltungsgericht keine streitwertabhängigen Gerichtsgebühren anfallen.

Ende der Entscheidung

Zurück