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Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 07.03.2008
Aktenzeichen: 2 ME 133/08
Rechtsgebiete: AsylVfG, AufenthG, AuslG, EMRK, GG


Vorschriften:

AsylVfG § 34
AsylVfG § 39
AsylVfG § 71 Abs. 5 S. 1
AufenthG § 60 a Abs. 3
AufenthG § 60 a Abs. 5 S. 3
AuslG § 50 Abs. 3 S. 1
EMRK Art. 8
GG Art. 6 Abs. 1
Die durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) in einem Asylverfahren einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer gegenüber ausgesprochene Abschiebungsandrohung wird nur gegenstandslos mit der Folge, dass es zur Durchführung der Abschiebung einer erneuten Abschiebungsandrohung bedarf, wenn die Ausreisepflicht entfällt.
Gründe:

I.

Der 1983 geborene Antragsteller reise im Jahr 1999 in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag, wobei er angab, staatenloser Kurde aus Syrien zu sein. Mit Bescheid vom 29. Juli 1999 stellte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge bei gleichzeitiger Ablehnung des Antrages auf Anerkennung als Asylberechtigter fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich Syriens vorlägen. Auf die Klage des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten hiergegen hob das Verwaltungsgericht Braunschweig mit rechtskräftigem Urteil vom 15. Mai 2001 die Feststellung des Bundesamtes zu § 51 Abs. 1 AuslG auf. Daraufhin stellte das Bundesamt mit bestandskräftigem Bescheid vom 27. Juli 2001 fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen; zugleich forderte es den Antragsteller zur Ausreise aus dem Bundesgebiet innerhalb eines Monats auf und drohte ihm auf der Grundlage von § 39 AsylVfG die Abschiebung nach Syrien oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat an.

In der Folgezeit erhielt der Antragsteller von der Antragsgegnerin wegen fehlender Heimreisedokumente wiederholt Duldungen; zuletzt wurde die Duldung am 18. Januar 2008 mit Wirkung bis zum 18. Juli 2008 ausgesprochen. Der Antragsteller ist seit dem 24. Oktober 2004 nach yezidischem Recht mit einer ebenfalls vollziehbar ausreisepflichtigen Frau aus Syrien verheiratet; aus dieser Verbindung ist ein im September 2005 geborener Sohn hervorgegangen.

Nachdem sich herausgestellt hatte, dass der Antragsteller tatsächlich syrischer Staatsangehöriger und zudem nunmehr im Besitz eines syrischen Personalausweises ist, widerrief die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 29. Januar 2008 die dem Antragsteller zuletzt erteilte Duldung und ordnete die sofortige Vollziehung an.

Hiergegen hat der Antragsteller am 4. Februar 2008 Klage - 4 A 18/08 - erhoben und zugleich um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Mit Beschluss vom 6. Februar 2008 hat das Verwaltungsgericht antragsgemäß die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet. Zur Begründung hat es angeführt, Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Widerrufs der Duldung zur Vorbereitung der Abschiebung des Antragstellers ergäben sich bereits daraus, dass es an einer hinreichend aktuellen Abschiebungsandrohung fehle. Denn die Abschiebungsandrohung datiere bereits aus dem Jahre 2001 und sei bei Inkrafttreten des § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG n. F. am 1. Januar 2005 nicht mehr wirksam gewesen. Die in dem Asylverfahren erlassene asylrechtliche Abschiebungsandrohung entfalte daher keine Rechtsfolgen mehr. Unabhängig davon sei gegenwärtig noch unklar sei, ob eine Abschiebung des Antragstellers nach Syrien zu einer dauerhaften Trennung von seiner nach yedizischem Ritus angetrauten Ehefrau und dem gemeinsamen Kind und mithin zu einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 ERMK führe. Die Antragsgegnerin werde deshalb zu prüfen haben, ob eine gemeinsame oder zumindest nur kurzfristig getrennte Rückführung der Familie nach Syrien oder in einen anderen zur Aufnahme bereiten Staat möglich sei.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde.

II.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 4. Februar 2008 gegen den Widerruf der dem Antragsteller erteilten Duldung zu Unrecht angeordnet. Das private Interesse des Antragstellers am vorläufigen Verbleib im Bundesgebiet überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse nicht.

Der Antragsteller ist seit dem Jahr 2001 vollziehbar ausreisepflichtig, dies gilt auch im jetzigen Zeitpunkt noch. Die vollstreckungsrechtlichen Voraussetzungen zur zwangsweisen Durchsetzung dieser Ausreisepflicht (Abschiebung) liegen vor. Die Antragsgegnerin hat die dem Antragsteller zuletzt erteilte Duldung zu Recht nach § 60 a Abs. 5 Satz 2 AufenthG widerrufen, da die der Abschiebung bisher entgegenstehenden Gründe entfallen sind; dies stellt der Antragsteller auch nicht in Abrede.

1. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist die in dem Bescheid des Bundesamtes vom 27. Juli 2001 auf der Grundlage des Asylverfahrensgesetzes bestandskräftig ausgesprochene Abschiebungsandrohung nicht wirkungslos. Diese Abschiebungsandrohung ist vielmehr auch heute noch zu beachten.

Die ausschließliche Zuständigkeit des Bundesamtes für den Erlass einer Abschiebungsandrohung gegen abgelehnte Asylbewerber - und mithin auch im Fall des Antragstellers - folgte und folgt aus §§ 34, 39 AsylVfG. Einer erneuten Abschiebungsandrohung durch die Ausländerbehörde bedurfte und bedarf es nicht, solange eine durch das Bundesamt erlassene Abschiebungsandrohung sich nicht erledigt hat (Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand: Dezember 2007, § 59 AufenthG Rdnr. 4 m. w. N.). Dies ist hier der Fall. Eine Abschiebungsandrohung wird nur dann gegenstandslos, wenn die Ausreisepflicht entfällt, weil dem betroffenen Ausländer vor Ablauf der Ausreisefrist ein Aufenthaltsrecht gewährt wird. Hierzu bedarf es eines Aufenthaltstitels, die Aussetzung der Abschiebung (Duldung) reicht hierzu gemäß § 60 a Abs. 3 AufenthG, der § 50 Abs. 3 Satz 1 AuslG entspricht, ebenso wenig aus wie der Ablauf der Ausreisefrist, ohne dass der Ausländer freiwillig ausgereist ist (Hailbronner, a. a. O., § 59 Rdnr. 60 ff., 67; Renner, Ausländerrecht, Kommentar, 8. Aufl. 2005, § 59 AufenthG Rdnr. 6, jeweils m. w. N.). Demzufolge kann die Abschiebung nach § 60 a Abs. 5 Satz 3 AufenthG sofort nach Ablauf der Duldung ohne erneute Fristsetzung und Abschiebungsandrohung vollzogen werden. Gleiches galt auf der Grundlage des § 50 Abs. 4 Satz 2 AuslG, wonach nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit es keiner erneuten Fristsetzung bedurfte.

Etwas anderes folgt nicht daraus, dass die Zwei-Jahres-Frist des § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung (AsylVfG a. F.) mit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 entfallen ist (AsylVfG n. F.). Gemäß § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG a. F. bedurfte es für den Fall, dass der Ausländer, nachdem er innerhalb von zwei Jahren nach Vollziehbarkeit einer zuvor ergangenen Abschiebungsandrohung einen Asylfolgeantrag gestellt hatte, zum Vollzug der Abschiebung keiner erneuten Fristsetzung und Abschiebungsandrohung. Diese Frist gilt nach § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG n. F. nicht mehr. Der Senat kann es dahingestellt sein lassen, ob diese Rechtsänderung - wie von dem Verwaltungsgericht angenommen - zur Folge hat, dass Abschiebungsandrohungen, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 älter als zwei Jahre waren, keine Rechtsfolgen mehr entfalten können mit der Folge, dass es einer erneuten Abschiebungsandrohung bedarf. Denn die dargestellte Rechtsänderung hat nur Einfluss auf die Fälle, in denen der betroffene Ausländer tatsächlich einen Asylfolgeantrag i. S. d. § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG stellt. In dem vorliegenden Fall hat der Antragsteller einen derartigen Asylfolgeantrag nicht gestellt; dies behauptet er auch nicht. Daher bleibt es bei der oben dargestellten Rechts- und Sachlage.

2. Ohne Erfolg beruft sich der Antragsteller auf den Duldungsgrund der dauerhaften Trennung von seiner Familie. Zwar kann eine derartige Trennung von nahen Familienangehörigen gegen Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 ERMK verstoßen und daher die Abschiebung aus rechtlichen Gründen unmöglich machen mit der Folge, dass die Abschiebung nach § 60 a Abs. 2 AufenthG auszusetzen ist. Anders als das Verwaltungsgericht meint, spricht indes Überwiegendes dafür, dass die Abschiebung des Antragstellers nach Syrien zum jetzigen Zeitpunkt nur zu einer kurzfristigen Trennung von seiner Ehefrau und seinem minderjährigen Kind führen wird, wenn nicht sogar eine gemeinsame Abschiebung nach Syrien in Betracht kommt. Maßgeblich für diese Einschätzung sind folgende Erwägungen:

Sowohl das gemeinsame Kind C. als auch die die religiös angetraute Ehefrau des Antragstellers, Frau D., sind vollziehbar ausreisepflichtig. Das gemeinsame Kind C. besitzt über den Antragsteller als Vater die syrische Staatsangehörigkeit. Entgegen der Darstellung des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Beschluss geht der Senat davon aus, dass auch die Ehefrau des Antragstellers syrische Staatsangehörige ist. Dies ergibt sich hinreichend deutlich aus den die Ehefrau des Antragstellers betreffenden Ausländerakten des Kreises E. als zuständiger Ausländerbehörde. Die Mutter der Ehefrau des Antragstellers, Frau F., hat anlässlich ihrer Anhörung am 26. Mai 1999 vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländische Flüchtlinge im Rahmen der sie und ihre Kinder betreffenden Asylverfahren vorgetragen, syrische Staatsangehörige zu sein. Daher sind die gegenteiligen Erklärungen in dem Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten der Familie G. vom 11. April 2005, in dem vorgetragen wird, sie seien staatenlose Kurden aus Syrien, voraussichtlich unzutreffend. Diese Einschätzung wird dadurch gestützt, dass ausweislich der in den den Antragsteller betreffenden Ausländerakten der Antragsgegnerin dokumentierten Auskünfte des Kreises E., die ihrerseits auf einem Gutachten des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien - Berliner Gesellschaft zur Förderung der Kurdologie e. V. basieren, die das Gegenteil bekundenden Identitätspapiere der Familie G. gefälscht sind. Daher wird es sowohl der Ehefrau als auch dem Sohn des Antragstellers möglich und zumutbar sein, über die syrische Botschaft in Berlin und mit Hilfe eines Vertrauensanwaltes oder Verwandten und Freunden in Syrien in absehbarer Zeit Heimreisedokumente zu beschaffen und alsbald dem Antragsteller nach Syrien zu folgen.

Dass die kurzzeitige Trennung für den Antragsteller oder seine Ehefrau und seinen Sohn zu unzumutbaren Beeinträchtigungen führt, ist nicht ersichtlich. Soweit der Antragsteller unter Vorlage mehrer ärztlicher Bescheinigungen vorgetragen hat, dass sein Sohn an Asthma bronchiale leide und die Familienangehörigen seiner Ehefrau, die noch zusammen mit diesen in einer gemeinsamen Wohnung in H. im Kreis E. lebten, starke Raucher seien und keine Rücksicht auf diese Erkrankung nähmen, ist ihm entgegenzuhalten, dass seine Ehefrau es selbst in der Hand hat, diesen Zustand durch eigene Bemühungen um Heimreisedokumente und eine freiwillige Rückkehr nach Syrien zu beenden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschlüsse v. 18.1.2008 - 2 ME 646/07 -; v. 6.12.2007 - 2 ME 634/07 - u. v. 22.2.2007 - 2 ME 1173/06 - unter Hinweis auf BVerwG, Beschl. v. 24.1.2000 - 1 C 28.99 -, Buchholz 360, § 13 GKG, Nr. 108) werden Streitigkeiten über eine Duldung materiell von Ziffer II.8.3 des Streitwertkataloges in der Fassung von 7/2004 (NVwZ 2004, 1327) - Stichwort: Abschiebung - umfasst. Denn bei der Streitigkeit um eine Duldung handelt es sich materiell um eine Streitigkeit über eine Abschiebung. Maßgeblich ist insoweit der Gegenstand der Duldung, mit der lediglich die Abschiebung des Ausländers zeitweise ausgesetzt wird, ohne dass diesem ein Aufenthaltsrecht gewährt wird. Hierfür ist nach der genannten Bestimmung des Streitwertkataloges in einem Hauptsacheverfahren für einen Anspruch auf Duldung der halbe Auffangwert von 5.000 EUR (§ 52 Abs. 2 GKG), mithin ein Betrag von 2.500 EUR anzusetzen (so auch BVerwG, Beschl. v. 14.10.1999 - 1 B 66.99 -). Da hier die Entscheidung in der Sache praktisch vorweggenommen wird, sieht der Senat nach Ziffer II.1.5 Satz 2 des Streitwertkataloges davon ab, diesen Wert wie sonst üblich im Hinblick auf den Charakter des Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes entsprechend dem Vorschlag in Satz 1 dieser Ziffer nochmals zu halbieren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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