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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 29.05.2007
Aktenzeichen: 2 ME 419/07
Rechtsgebiete: NHG


Vorschriften:

NHG § 14
Der Begriff der "unbilligen Härte" in § 14 Abs. 2 NHG ist als unbestimmter Rechtsbegriff sowohl der Tatbestandsseite der Norm als auch als Ermessenskriterium der Rechtsfolgenseite der Norm zuzuordnen.

Der Begriff der unbilligen Härte umfasst sowohl persönliche als auch sachliche Billigkeitsgründe.

Für die Frage einer "unbilligen Härte" aus persönlichen, finanziellen Gründen ist es im Allgemeinen unerheblich, worauf die finanzielle Leistungsunfähigkeit beruht.


NIEDERSÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT LÜNEBURG BESCHLUSS

Aktenz.: 2 ME 419/07

Datum: 29.05.2007

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 22. März 2007, mit dem es das Verwaltungsgericht abgelehnt hat, die Antragsgegnerin im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihm - dem Antragsteller - vorläufig die Fortsetzung seines Studiums zu ermöglichen, hat keinen Erfolg. Die von dem Antragsteller dargelegten Gründe, auf deren Überprüfung sich die Entscheidung des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, führen zu keiner Änderung der angefochtenen Entscheidung. Bei seiner Entscheidung unterstellt der Senat trotz der gewichtigen Argumente des Verwaltungsgerichts zu Gunsten des anwaltlich vertretenen Antragstellers, dass zumindest aus seiner ergänzenden Antragsbegründung im Schriftsatz vom 15. Februar 2007 folgt, dass von seinem Rechtsschutzbegehren die vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihm - dem Antragsteller - Langzeitstudiengebühren zu erlassen, umfasst war.

Der Antragsteller hat nicht in der nach § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO gebotenen Weise einen erforderlichen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Er hat voraussichtlich keinen Anspruch auf den von ihm mit der Klage zum Aktenzeichen VG Osnabrück - 1 A 539/06 - begehrten Erlass der streitigen Langzeitstudiengebührenforderung gemäß § 14 Abs. 2 NHG.

Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 NHG kann die Gebühr auf Antrag im Einzelfall teilweise oder ganz erlassen werden, wenn die Einziehung der Gebühr zu einer unbilligen Härte führen würde. In Satz 2 dieser Vorschrift sind zwei Regelfälle aufgeführt, deren Vorliegen von dem Antragsteller nicht geltend gemacht wird.

Der Antragsteller hat aber auch keine Gründe in der nach §§ 123 VwGO, 920 Abs. 2, 294 ZPO erforderlichen Weise glaubhaft gemacht, nach denen die Gebühreneinziehung in seinem Fall zu einer sonstigen "unbilligen Härte" i. S. d. § 14 Abs. 2 Satz 1 NHG führen würde.

Der Begriff der unbilligen Härte in § 14 Abs. 2 Satz 1 NHG ist als unbestimmter Rechtsbegriff sowohl der Tatbestandsseite der Norm zuzuordnen, wie aber auch mit dem durch die Norm eingeräumten Ermessen verknüpft. Wie der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes (Beschluss vom 19. Oktober 1971, - GmS-OGB 3/70 -, BVerwGE 39, 355) ausgeführt hat, kann nur nach Sinn und Zweck der jeweiligen Norm darüber entschieden werden, in welchem Verhältnis unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessen in einer Norm zueinander stehen. Da es Sinn und Zweck des § 14 Abs. 2 Satz 1 NHG ist, unbillige Härten zu vermeiden, prägt der Begriff der unbilligen Härte den Zweck der Ermessensermächtigung entscheidend und bestimmt maßgeblich das Steuerungsprogramm für das Ermessen sowie die hierfür beachtlichen Kriterien. Neben diesem Zweck, unbillige Härten zu vermeiden, sind andere für den Erlass der Langzeitstudiengebühr bedeutsame Ermessensgesichtspunkte nicht ersichtlich. So lassen sich keine Gründe finden, die es rechtfertigen könnten, gegen den Ermächtigungszweck die Gebühr trotz sonst eintretender unbilliger Härte zu fordern. Einerseits gibt § 14 Abs. 2 Satz 1 NHG nur dann, wenn und soweit die Entrichtung der Langzeitstudiengebühr zu einer unbilligen Härte führen würde, die Ermessensdirektive vor, diese auf Antrag ganz oder teilweise zu erlassen (eine sonst eintretende unbillige Härte als notwendige Bedingung auf der Tatbestandsseite der Norm); andererseits soll aber auch immer dann, wenn und soweit die Entrichtung der Langzeitstudiengebühr zu einer unbilligen Härte führen würde, diese erlassen werden (eine sonst eintretende unbillige Härte als notwendiges und zugleich hinreichendes Ermessenskriterium auf der Rechtsfolgenseite der Norm). Damit ist die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der unbilligen Härte im Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 1 NHG auch unmittelbar mit dem Ermessensbereich und der Ermessensausübung nach dieser Vorschrift verbunden (vgl. zur Systematik und zum Begriff der unbilligen Härte in § 25 Abs. 6 BAföG BVerwG, Urteil vom 17. Juli 1998, - BVerwG 5 C 14.97 -, BVerwGE 107, 164-169).

Eine derartige unbillige Härte kann sich aus den persönlichen Verhältnissen des Gebührenschuldners (persönliche Billigkeitsgründe) oder aus der Sache (sachliche Billigkeitsgründe) ergeben (Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 01. Dezember 2006, - 9 LA 32/05 -, NVwZ-RR 2007, 275-277).

Persönliche Billigkeitsgründe liegen nur dann vor, wenn es sich um einen atypischen, vom Gesetzgeber so nicht vorhergesehenen Fall handelt, in dem durch die Einziehung der Gebühr für den Betroffenen außergewöhnlich schwer wiegende Nachteile entstehen, die über die eigentliche Zahlung der Gebühr hinausgehen, so dass es zur Wahrung der Einzelfallgerechtigkeit geboten ist, von der Gebühreneinziehung abzusehen. Diese Voraussetzungen sind im Fall des Antragstellers nicht gegeben. Zwar stellen die Höhe der Gebühr mit 700 EUR pro Semester für einen Studierenden, der - wie der Antragsteller - gezwungen ist, seinen Lebensunterhalt durch eine Erwerbstätigkeit neben dem Studium zu finanzieren, eine nicht unerhebliche wirtschaftliche Belastung und die mit der Nichtzahlung der Gebühr verbundene zwangsweise Exmatrikulation nach § 19 Abs. 5 Satz 3 i. V. m. § 14 Abs. 1 NHG einen erheblichen Nachteil für den Betroffenen dar. Diese Umstände gelten aber typischerweise für eine Vielzahl der Studierenden an den Hochschulen in staatlicher Verantwortung und sind vom Gesetzgeber auch vorhergesehen worden; sie begründen für sich allein mithin nicht in der erforderlichen - besonderen und atypischen - Weise eine unbillige, im Einzelfall ungerechte Härte (so auch VG Hannover, Beschluss vom 2. Mai 2003, - 6 B 1526/03 -, Juris). Schon aus diesem Grunde ist es rechtlich für die Frage einer "unbilligen Härte" im Allgemeinen unerheblich, aus welchen persönlichen Gründen der Gebührenschuldner finanziell nicht in der Lage ist, die Langzeitstudiengebühr zu entrichten; die vom Antragsteller hierfür angeführten familiär-finanziellen Gründe sind daher als solche nicht berücksichtigungsfähig.

Nichts anderes kann gelten, wenn die finanzielle Notlage zeitlich in einem unmittelbaren Zusammenhang zu einer bevorstehenden Abschlussprüfung steht. Der Gesetzgeber hat durch die Änderung des § 14 NHG durch Art. 6 des Haushaltsbegleitgesetzes 2006 (vom 15. Dezember 2005, Nds. GVBl. S. 426), durch die er den zuvor durch § 14 Abs. 2 Nr. 3 NHG geregelten Härtefall "einer wirtschaftlichen Notlage in zeitlich unmittelbarer Nähe zum letzten Abschnitt der Abschlussprüfung" gestrichen hat, zum Ausdruck gebracht, dass selbst wirtschaftliche Notlagen in Verbindung mit einer bevorstehenden Abschlussprüfung regelmäßig keine unbilligen Härten mehr darstellen sollen. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, so hat der Antragsteller nach seinem eigenen Vortrag bislang keine der für eine Meldung zum Ersten Juristischen Staatsexamen gemäß § 4 Abs. 1 lit. c) NJAG (in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Januar 2004, Nds. GVBl. S. 7) vorgeschriebenen Übungen für Fortgeschrittene im Bürgerlichen Recht, im Strafrecht und im Öffentlichen Recht erfolgreich absolviert. Eine auch nur entfernte Nähe zu seiner Abschlussprüfung ist damit gegenwärtig nicht erkennbar.

Sachliche Billigkeitsgründe liegen nur vor, wenn davon auszugehen ist, dass die durch einen sachlichen Grund eintretende Art der Härte nicht dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers entspricht (Niedersächsisches OVG, a.a.O.). Ein derartiger sachlicher Billigkeitsgrund kann insbesondere dann vorliegen, wenn ein Vertrauensschutz für den Abgabepflichtigen bewirkendes Verhalten der Verwaltung dazu führt, dass die Abgabenerhebung eine unbillige (sachliche) Härte darstellt und dieser durch den Erlass einer Gebührenforderung zu begegnen ist, letztendlich also die Fallgruppe eines widersprüchlichen Verhaltens der Behörde im Vorfeld einer Abgabenerhebung vorliegt (BVerwG, Urteil vom 17. Juni 1994, - BVerwG 8 C 22.92 -, NVwZ 1995, 1213 = KStZ 1995, 190 = Buchholz 406.11 § 131 BauGB Nr. 92 m. w. N.; vgl. ferner Urteile vom 18. April 1975, - BVerwG VII C 15.73 -, BVerwGE 48, 166 <172 f.> und vom 16. September 1977, - BVerwG VII C 18.76 -, Buchholz 401.0 § 131 AO Nr. 21 S. 15 <17 f.>). Für eine solche Billigkeitsentscheidung ist ausreichend, dass der Abgabenpflichtige in Anwendung aller Sorgfalt, zu der er den Umständen nach verpflichtet ist, auf die Richtigkeit einer behördlichen Erklärung vertraut und entsprechend gehandelt, d. h. die Erklärung zur Grundlage seiner wirtschaftlichen Dispositionen gemacht hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1975, - BVerwG VI C 15.73 -, BVerwGE 48, 166 = Buchholz 401.0 § 131 AO Nr. 18). Zu beachten ist, dass die allgemeinen Regelungen des Gesetzes nicht im Wege einer Billigkeitsmaßnahme korrigiert werden dürfen (BVerwG, Urteil vom 16. November 2006, - BVerwG 5 C 26.05 -, AuAS 2007, 84).

Bei Anwendung dieser Maßstäbe vermag das Vorbringen des Antragstellers eine sachliche Unbilligkeit nicht zu belegen.

Selbst wenn man im vorliegenden Fall zu Gunsten des Antragstellers davon ausgeht, dass eine Mitarbeiterin des Antragsgegners - wie von dem Antragsteller vorgetragen - ihn vor Aufnahme des Studiums im Hinblick auf die Erhebung von Langzeitstudiengebühren nicht darauf hingewiesen hat, dass über einen Erlass semesterweise neu entschieden werden müsse, und ihm diese Mitarbeiterin "zugesichert" hat, dass er "sein ganzes Studium ohne die Zahlung von Langzeitstudiengebühren absolvieren" könne, schafft dieses - unterstellte - Verhalten nicht einen die sachliche Unbilligkeit im Sinne von § 14 Abs. 2 Satz 1 NHG tragenden Vertrauensschutz. Hiergegen spricht zunächst, dass der Antragsteller in jedem Bescheid, mit dem ihm semesterweise die jeweilige Studiengebühr erlassen wurde, ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass dieser Erlass nur für das jeweilige Semester gelte. Ferner ist zu beachten, dass sowohl die behauptete Auskunft als auch die jeweiligen semesterweisen Erlassbescheide auf der Grundlage des § 14 Abs. 2 NHG a.F. ergingen, der als Regelbeispiel einer unbilligen Härte - anders als die derzeit geltende Rechtslage - noch eine drohende wirtschaftliche Notlage in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang zu einer bevorstehenden Abschlussprüfung vorsah. Diese Vorschrift ist indes - wie ausgeführt - aufgehoben worden. Ein Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand einer Rechtslage ist jedoch regelmäßig nicht schutzwürdig (zu Studiengebühren BVerfG, Beschluss vom 31. März 2006, - 1 BvR 1750/01 -, VR 2006, 287-288). Erst recht kann dann kein Vertrauensschutz auf die - wie hier wegen des fehlenden zeitlichen Zusammenhangs zu einer Abschlussprüfung des Antragstellers - weiterhin fehlerhafte Anwendung einer nunmehr aufgehobenen Rechtsnorm anerkannt werden.

Auch wenn der Antragsteller im Vertrauen auf die "Endgültigkeit" der Äußerungen der Mitarbeiterin der Antragsgegnerin sein Studium aufgenommen und damit eine Vertrauensbetätigung vorgenommen haben sollte, wäre eine solche Vertrauensbetätigung darüber hinaus - begründungsalternativ - auch deshalb nicht schutzwürdig, weil nicht jede Auskunft oder Äußerung im Vorfeld einer behördlichen Entscheidung tragfähig ist für den - ein entsprechendes Vertrauen rechtfertigenden - Gegenschluss, dass von den Betroffenen mehr als in der Auskunft angekündigt nicht verlangt werden oder dass das in der Auskunft Angekündigte geschehen werde. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, wenn sich ein Vertrauensschutz ganz ausnahmsweise einmal rechtfertigen soll; regelmäßig kann eine rechtlich unzutreffende behördliche Auskunft an der materiellen Rechtslage, die einen Anspruch versagt oder ein Einschreiten gebietet, nichts ändern (BVerwG, Urteil vom 27. November 1981, BVerwG 7 C 66.78 -, NJW 1982, 1340). Solche besonderen Umstände sind im vorliegenden Fall nicht gegeben oder vorgetragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Satz 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 18.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (in der Fassung der am 07./08. Juli 2004 in Leipzig beschlossenen Änderungen, www.bundesverwaltungsgericht.de). Der Senat hat - in Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts - den Auffangwert für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht halbiert, da der Antragsteller mit seinem vorläufigen Rechtsschutzbegehren eine Vorwegnahme der Hauptsache begehrt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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