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Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 09.06.2008
Aktenzeichen: 20 ZD 12/06
Rechtsgebiete: NDO, StPO


Vorschriften:

NDO § 35
NDO § 95 Abs. 2
NDO § 115 Abs. 6 S. 2 Nr. 1
StPO § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I.

Zugleich mit der Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens und unter Berufung auf § 91 NDO enthob die beteiligte Behörde den Beamten durch Verfügung des Oberfinanzpräsidenten vom 6. April 2005 (Bl. 5 ff. der Gerichtsakte - GA) vorläufig des Dienstes, wobei sie ihre Absicht ankündigte, einen Teil seiner Dienstbezüge einzubehalten. Unter dem 6. Juni 2005 wurde der Beamte von dem Untersuchungsführer für den 8. Juli 2005 zu einer als "mündliche Anhörung" bezeichneten Vernehmung im Sinne des § 58 NDO geladen (Bl. 53 ff. [57] Beiakte - BA - A). Der Beamte ließ sich zunächst aber weder schriftlich noch mündlich zur Sache ein (vgl. die Mitteilung des Untersuchungsführers vom 11. Juli 2005 [Bl. 71 BA A]). Mit Verfügung des Oberfinanzpräsidenten vom 18. Juli 2005 (Bl. 8 f. GA) ordnete daraufhin die beteiligte Behörde unter Berufung auf § 92 NDO die Einbehaltung von 50 v. H. seiner Dienstbezüge an.

Gegen seine vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung von Teilen seiner Dienstbezüge hat sich der Beamte unter dem 10. Oktober 2005 mit einem als "Klage" (Bl. 1 ff. [4] GA) bezeichneten Rechtsbehelf gewandt, der mit seiner Genehmigung (Bl. 14 GA) als Antrag auf gerichtliche Entscheidung im Sinne des § 95 Abs. 2 Satz 1 NDO verstanden worden ist. Er hat sich zur Begründung des Rechtsbehelfs hinsichtlich seines Gesundheitszustandes auf ein amtsärztliches Gutachten vom 20. Juli 2005 (Bl. 10 f. GA) bezogen, in dem es unter anderem heißt, dass er im September 2004 erneut beim Psychiater zur Frage einer möglichen Alkohohlproblematik untersucht worden sei, als Beurteilung jedoch keine relevanten Erkenntnisse hinsichtlich eines vermehrten Alkoholmissbrauchs festgestellt worden seien. Zusammenfassend liege bei ihm derzeit im Vordergrund eine depressive Erkrankung vor.

Anlässlich der in dem Gutachten vom 20. Juli 2005 erwähnten Untersuchung am 8. September 2004 hatte der Beamte ausweislich eines Postskriptums zu dem fachpsychiatrischen Gutachten des Dr. B. vom 12. August 2004 (Bl. 76 ff. [79] GA) einen übermäßigen Alkoholkonsum in Abrede gestellt. Im Zuge einer späteren, während des hiesigen Rechtsstreits durch den Vorsteher des Finanzamtes B. veranlassten amtsärztlichen und (ergänzenden) nervenärztlichen Untersuchung am 20. bzw. 23. Dezember 2005 auf seine Dienstfähigkeit erwähnte der Beamte ausweislich der amtsärztlichen bzw. nervenärztlichen Gutachten vom 10. bzw. 3. Januar 2006 (Bl. 36 ff. bzw. 46 ff. [49] GA) eine Alkoholproblematik ebenfalls nicht.

Durch Verfügung des Oberfinanzpräsidenten vom 3. Febr. 2006 (Bl. 74 GA) wurde das förmliche Disziplinarverfahren gegen den Beamten bis auf weiteres ausgesetzt.

Im April 2006 hat die beteiligte Behörde im Zuge des Verwaltungsrechtsstreits, der die Feststellung des Verlusts der Dienstbezüge des Beamten zum Gegenstand hat, Kenntnis davon erlangt, dass der Beamte seit dem 15. Februar 2006 selbst behauptet, alkoholkrank zu sein (vgl. Bl. 104 und 144 GA).

Durch den angefochtenen Beschluss vom 28. Juni 2006 hat das Verwaltungsgericht die Verfügungen der beteiligten Behörde vom 6. April 2005 (über die vorläufige Dienstenthebung) und vom 18. Juli 2005 (über die Einbehaltung von 50 v. H. der Dienstbezüge) aufgehoben.

Nach Zustellung dieser Entscheidung am 18. Juli 2007 (Bl.127 GA) hat eine nicht zur Vertreterin der Einleitungsbehörde (i. S. d. § 35 NDO) bestellte Beamtin am 31. Juli 2006 Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts eingelegt (Bl. 136 GA).

Spätestens seit dem 29. August 2006 (vgl. BA C) lagen der beteiligten Behörde Ablichtungen eines Schreibens und eines fachpsychiatrischen Attests der Gemeindepsychiatrie der C. vom 7. April bzw. 9. Mai 2006 vor, die sich auf die Alkohohlproblematik des Beamten bezogen und an dessen Verfahrensbevollmächtigten gerichtet waren.

Die Vertreterin der Einleitungsbehörde hat die Beschwerde am 4. September 2006 begründet (Bl. 137 ff. [148] GA) und schließlich klargestellt, dass die beteiligte Behörde als Rechtsmittelführerin betrachtet werden solle (Bl. 279 f. [280] GA).

Das förmliche Disziplinarverfahren ist seitens des Untersuchungsführers unter dem 13. Oktober 2006 (Bl. 215 ff. GA) auf weitere Punkte ausgedehnt worden.

Mit Verfügung des Oberfinanzpräsidenten vom 1. Dezember 2006 (in BA C) hat die beteiligte Behörde die Einbehaltung der Dienstbezüge des Beamten von 50 v. H. auf 20 v. H. reduziert.

Der Senat hat das nervenärztliche Gutachten des Arztes D. C. vom 15. Juni 2007 (Bl. 11 ff. der Kopien aus BA B) in den Rechtsstreit eingeführt.

Der Untersuchungsführer hat unter dem 28. Juni 2007 dem Gesundheitsamt der C. einen Untersuchungsauftrag (in BA C) erteilt, der auch der Klärung der Frage dienen sollte, inwieweit die dienstliche Abwesenheit des Beamten in der Zeit vom 16. August 2004 bis zum 6. April 2005 mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf einer Alkohohlerkrankung und/oder eine depressive Verstimmung zurückzuführen sei und er deswegen dauernd oder zumindest vorübergehend dienstunfähig erkrankt gewesen sei. Das amtsärztliche Gutachten vom 22. April 2008 (Bl. 302 ff. [306] GA) gelangt zu dem Ergebnis, dass die dienstliche Abwesenheit des Beamten in der Zeit vom 16. August 2004 bis zum 6. April 2005 mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf die nun deutlich manifeste bereits damals vorhandene Alkohohlabhängigkeit zurückzuführen sei; die depressive Erkrankung habe sicherlich ebenfalls mit einer Antriebsschwäche dazu beigetragen, sei jedoch nicht kausal führend gewesen. Aufgrund der aktuellen Erkrankung sei von einer dauerhaften Dienstunfähigkeit des Beamten auszugehen. Auch habe zum damaligen Zeitpunkt Dienstunfähigkeit bestanden.

Im Hinblick auf dieses Gutachten hat der Oberfinanzpräsident mit Verfügung vom 20. Mai 2008 das Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller unter Hinweis auf die Rechtsfolge des § 95 Abs. 3 NDO eingestellt (Bl. 310 ff. GA).

Die Beteiligten haben den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt (Bl. 301 bzw. Bl. 308 GA).

II.

Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 63 NDO einzustellen, der Beschluss der Disziplinarkammer analog § 269 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO für unwirksam zu erklären und in Anwendung des allgemeinen Rechtsgedankens, der in den §§ 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO und 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO enthalten ist, über die Kosten des Verfahrens sowie die dem Beamten erwachsenen notwendigen Auslagen nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden (vgl. NDH, Beschl. v. 20. 9. 1995 - 1 NDH M 4/95 -, m. w. N.). Dabei kann allerdings auch der Rechtsgedanke des § 115 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 NDO zur Anwendung gelangen.

Im vorliegenden Falle entspricht es billigem Ermessen, dem Dienstherrn die Kosten des Verfahrens insgesamt aufzuerlegen und die Verfahrensbeteiligten jeweils hälftig mit den notwendigen Auslagen des Beamten zu belasten. Zwar ist davon auszugehen, dass die Beschwerde der beteiligten Behörde nicht bereits an einer fehlenden Rechtsmittelberechtigung (vgl. §§ 25 Satz 1 NDO, 296 StPO) gescheitert wäre. Denn trotz gewisser Bedenken (vgl. insoweit: NDH, Besch. v. 17. Oktober 1991 - 1 NDH M 5/91 -, S. 6 f. des Beschlussabdrucks), die sich daraus ergeben, dass die Verfahren gemäß § 95 Abs. 2 NDO lediglich Annexverfahren zu dem förmlichen Disziplinarverfahren sind, in dem grundsätzlich ein Vertretungsmonopol der nach § 35 Satz 1 NDO zu bestellenden Vertreter der Einleitungsbehörde herrscht (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 19. 11. 2007 - 20 ZD 8/06 -, veröffentlicht in der Rechtsprechungsdatenbank der nds. Verwaltungsgerichtsbarkeit, m. w. N.), wird in der Rechtsprechung für derartige Annexverfahren eine Rechtsmittelberechtigung der Einleitungsbehörde als Ausnahme anerkannt (vgl. insbesondere: BVerwG, Beschl. v. 13. 8. 1979 - BVerwG 1 DB 14.79, BVerwGE 63, 256 [257] m. w. N.; DiszS NW, Beschl. v. 27. 4. 1959 - W 3/59 -, DiszSE 2, 25 [27]). Gegen den Erfolg des Rechtsmittels sprachen aber schon vor der Einführung des amtsärztlichen Gutachtens vom 22. April 2008 in das Verfahren die Inhalte des Schreibens und des fachpsychiatrischen Attests der Gemeindepsychiatrie der C. vom 7. April bzw. 9. Mai 2006 sowie das nervenärztliche Gutachten des Arztes D. C. vom 15. Juni 2007. Bereits diese Unterlagen ließen nämlich vor dem Hintergrund der bereits früher zu Tage getretenen Indizien (vgl. das Schreiben der Amtsärztin Dr. D. vom 20. 7. 2004 [Bl. 67 GA]) auf eine seit längerer Zeit bestehende Alkoholproblematik des Beamten schließen. Sie lagen allerdings nicht bereits zu Anfang des Verfahrens vor. Vielmehr hat der Beamte zunächst durch seine Antragsbegründung versucht von seiner Alkoholproblematik abzulenken und auch während des Prozesses Anstrengungen unternommen, um durch das Verschweigen dieser Problematik die wahren Ursachen seines Fernbleibens vom Dienst zu verschleiern. Wenngleich das Ableugnen einer Alkohohlabhängigkeit krankheitstypisch ist, vermag der Senat dem Beamten insoweit keinen Schuldausschließungsgrund zuzubilligen. Er erachtet daher den Rechtsgedanken des § 115 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 NDO (Verschweigen wesentlicher entlastender Umstände) dem Grunde nach für anwendbar, wobei er diese Anwendung jedoch unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Falles auf einen Teil der notwendigen Auslagen des Verfahrens beschränkt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27. 11. 1989 - 2 BvR 1333/87 -, juris, Langtext Rn. 10 [zu § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StPO]; VG Dessau, Beschl. v. 17. 1. 2005 - 12 A 2/04 -, juris, Langtext Rn. 7 [zu § 102 Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 DO LSA]; Franke, in: KK zur StPO, 5. Aufl. 2003, § 467 Rn. 8 und 9).

Ende der Entscheidung

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