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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 15.09.2008
Aktenzeichen: 4 LC 237/05
Rechtsgebiete: SGB X, SGB XI, VwVfG


Vorschriften:

SGB X § 1 Abs. 1
SGB X § 45
SGB XI § 9
SGB XI § 46
VwVfG § 48
1. Die Vorschriften des ersten Kapitels des SGB X über das Verwaltungsverfahren sind auf die Förderung von Pflegeeinrichtungen nach dem NPflegeG nicht anzuwenden.

2. Die Rechtmäßigkeit einer teilweisen Rücknahme von Förderbescheiden ist daher nicht nach § 45 SGB X, sondern nach § 48 VwVfG zu beurteilen.


Gründe:

I.

Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung von Förderleistungen nach dem Niedersächsischen Pflegegesetz.

Die Klägerin betreibt durch die Diakonie-/Sozialstation Dissen - Bad Rothenfelde - Hilter (im folgenden: Sozialstation Dissen) einen ambulanten Pflegedienst, den der Beklagte nach dem Niedersächsischen Pflegegesetz (NPflegeG) als förderfähig anerkannt hat. Auf dieser Grundlage wurden die Investitionskosten des Pflegedienstes in dem Zeitraum vom 1. Juni 1996 bis zum 30. Juni 2000 durch pauschale Zuschüsse in einer Gesamthöhe von 172.908,52 DM gefördert.

Anlässlich einer Prüfung der Leistungsaufstellungen des Pflegedienstes stellte der Beklagte Ende 2001 fest, dass für das 3. und 4. Quartal 2000 zu viel Förderleistungen gewährt worden waren, weil erbrachte Pflegeleistungen zum Teil doppelt bezuschusst worden waren. Mit Schreiben vom 17. Dezember 2002 hörte der Beklagte die Klägerin zu der beabsichtigten teilweisen Rücknahme der für das 3. und 4. Quartal 2000 ergangenen Förderbescheide an und forderte die Klägerin auf, für den Zeitraum vom 3. Quartal 1996 bis zum 2. Quartal 2000 ebenfalls prüfungsfähige Unterlagen vorzulegen. Am 3. Juli 2003 reichte die Klägerin die angeforderten Unterlagen bei dem Beklagten ein. Die anschließende Überprüfung der Zeiträume vom 3. Quartal 1996 bis zum 2. Quartal 2000 ergab, dass auch in dieser Zeit teilweise Förderleistungen zu Unrecht gewährt worden waren.

Mit Bescheid vom 27. August 2003 nahm der Beklagte daraufhin die für den Zeitraum vom 3. Quartal 1996 bis zum 2. Quartal 2000 ergangenen Förderbescheide teilweise zurück und gab der Klägerin auf, einen Betrag in Höhe von 19.567,12 EUR (15.397,87 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 4.169,25 EUR) zu erstatten. Die Klägerin legte gegen diesen Bescheid mit Schreiben vom 23. September 2003 Widerspruch ein, den sie damit begründete, dass bereits fraglich sei, ob die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Förderbescheide nach § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG vorlägen. Der Beklagte habe im Zusammenhang mit der Förderung des Diakonie-Pflegedienstes seit Februar 2002 Belegprüfungen vorgenommen, ohne dass diese zu Beanstandungen geführt hätten. Lediglich bei der Summierung der Rechnungen aufgrund ihrer Aufstellungen hätten sich Überzahlungen ergeben. Insoweit sei es nicht gerechtfertigt, von Falschangaben zu sprechen. Zudem sei die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG mit dem Rückforderungsbescheid nicht eingehalten worden. Kenntnis von den Tatsachen, die die Rücknahme der Verwaltungsakte gerechtfertigt hätten, habe bereits im Februar 2002 bestanden. Außerdem gelte eine vierjährige Verjährungsfrist, so dass für die Zeit vor 1999 eine Rückforderung nicht in Betracht komme. Dies ergebe sich aus § 113 SGB XI bzw. aus § 167 BGB.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26. November 2003 gab die Bezirksregierung Weser-Ems dem Beklagten auf, den Zinsbetrag neu zu ermitteln und den angefochtenen Bescheid entsprechend zu korrigieren. Im Übrigen wies sie den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass der Widerspruch lediglich hinsichtlich der Zinshöhe begründet sei, weil der Beklagte eine unzutreffende Anzahl von Zinstagen und teilweise unzutreffende Zinssätze zugrunde gelegt habe. Die teilweise Rücknahme der Förderbescheide für den Zeitraum vom 3. Quartal 1996 bis zum 2. Quartal 2000 sowie die Rückforderung zu Unrecht gewährter Förderbeträge sei jedoch zu Recht erfolgt. Dass die Förderbescheide für den genannten Zeitraum teilweise rechtswidrig seien, werde auch von der Klägerin nicht bestritten. Der Vertrauensschutz entfalle hier aufgrund von § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG. Es könne dahinstehen, ob Nr. 3 der Vorschrift einschlägig sei, weil zumindest die Voraussetzungen von Nr. 2 erfüllt seien. Danach könne die Klägerin sich nicht auf Vertrauen berufen, weil die Verwaltungsakte durch Angaben erwirkt worden seien, die in wesentlicher Beziehung unrichtig gewesen seien. Auf ein Verschulden komme es nicht an. Der Beklagte habe die Förderbeträge aufgrund der Angaben der Klägerin über die erbrachten Komplexleistungspunkte errechnet. Diese Angaben seien für die Förderhöhe entscheidungserheblich gewesen. Wie sich nach eingehender Prüfung erwiesen habe und von der Klägerin nicht bestritten werde, seien die Angaben nicht richtig gewesen. Da die Bescheide in diesem Fall in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen seien, müssten besondere Gründe vorliegen, wenn eine Rücknahme nur für die Zukunft angeordnet oder von der Rücknahme abgewichen werden solle. Solche besonderen Gründe seien nicht erkennbar und von der Klägerin auch nicht vorgetragen worden. Die Frist des § 48 Abs. 4 VwVfG beginne erst mit Kenntnis der Tatsachen zu laufen, die eine Rücknahme rechtfertigten. Dies sei hier im Juli 2003 der Fall gewesen, als die Klägerin prüffähige Unterlagen in Form einer EDV-Diskette vorgelegt habe. Damit sei die Jahresfrist eingehalten worden. Eine Verjährung könne nicht eingetreten sein, weil der Rückforderungsanspruch frühestens mit der Rücknahme der Verwaltungsakte entstehe.

Mit Bescheid vom 20. Februar 2004 berechnete der Beklagte die Zinsen entsprechend den Vorgaben in dem Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems vom 26. November 2003 neu und setzte diese auf 4.099,02 EUR und den von der Klägerin insgesamt zu erstattenden Betrag auf 19.496,89 EUR fest.

Die Klägerin hatte bereits zuvor am 23. Dezember 2003 Klage erhoben. Zur Begründung hat sie sich auf den Einwand der Entreicherung nach § 49 a Abs. 2 Satz 1 VwVfG i.V.m. § 818 Abs. 3 BGB berufen und geltend gemacht, dass sie die vom Beklagten gewährten Leistungen im Rahmen ihres ordnungsgemäßen Geschäftsbetriebes bestimmungsgemäß verbraucht habe. Sie habe keine Kenntnis von der teilweisen doppelten Abrechnung der Komplexleistungspunkte und der darauf beruhenden zu hohen Förderbeträge gehabt. Auch eine grob fahrlässige Unkenntnis dieser Umstände könne ihr nicht vorgehalten werden, da es sich vorliegend um einen Rechenfehler handele, der nur durch einen Zufall entdeckt worden sei und den sie vorher nicht habe bemerken können. Das Versehen beruhe darauf, dass, wenn Rechnungen über pflegerische Leistungen sowohl an den Patienten als auch an den Kostenträger gegangen seien, weil der über den vom Kostenträger übernommenen Betrag hinausgehende Betrag dem Patienten in Rechnung gestellt worden sei, beide Rechnungen in die gegenüber dem Beklagten abgerechnete Punktekalkulation einbezogen worden seien. Ein solches Versehen sei angesichts der enormen Masse der von ihr abzuwickelnden Vorgänge sowie der wegen knapper Budgets der Sozialstationen sehr dünnen Personaldecke ein Fehler, der sich immer wieder fortgesetzt habe, ohne dass er bemerkt worden sei. Dieser Fehler sei erst in mühsamer und langwieriger Kleinarbeit durch den Beklagten herausgefunden worden. Sie habe auch nicht mit einer Rücknahme der Förderbescheide rechnen müssen. Denn der allgemeine Hinweis in den Förderbescheiden, dass zu Unrecht ausgezahlte Förderbeträge zurückgezahlt werden müssten, nehme nicht auf den vorliegenden Einzelfall Bezug. Im Übrigen sei die Forderung in entsprechender Anwendung des § 197 BGB a.F. verjährt.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 27. August 2003 sowie den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems vom 26. November 2003 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat er auf die angefochtenen Bescheide Bezug genommen und ergänzend geltend gemacht, dass die Klägerin mit dem Förderantrag lediglich in einer von ihr zu fertigenden Aufstellung ihre Aufwendungen mitzuteilen hatte, ohne dass sie diese Aufstellung durch Vorlage entsprechender Belege habe nachweisen müssen. Dadurch habe sich für die Klägerin die Pflicht zu besonders sorgfältiger Bearbeitung ergeben. Zwischen den Beteiligten sei unstreitig, dass die Angaben in den Anträgen unzutreffend gewesen seien und dass es zu Überzahlungen gekommen sei. Die Verantwortung für die Richtigkeit der Angaben und damit auch für die Richtigkeit der Förderbescheide, die allein aufgrund dieser Angaben erlassen worden seien, habe eindeutig bei der Klägerin gelegen.

Das Verwaltungsgericht hat zu den Modalitäten der Aufbereitung der Antragsunterlagen zur Förderung der Sozialstation Dissen in dem streitigen Zeitraum Beweis erhoben durch Vernehmung der damit befassten Mitarbeiterinnen als Zeuginnen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften des Verwaltungsgerichts vom 24. Juni und 6. Juli 2005 verwiesen.

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 6. Juli 2005 den Bescheid des Beklagten vom 27. August 2003 sowie den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems vom 26. November 2003 aufgehoben. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht dargelegt, aus § 1 SGB X folge, dass in Streitigkeiten, welche die Förderung von Pflegeeinrichtungen nach dem NPflegeG beträfen, die verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften des SGB X einschlägig seien. Die Förderung von Pflegeeinrichtungen stelle eine Tätigkeit auf dem Gebiet der Pflegeversicherung dar. § 9 SGB XI begründe die Verantwortlichkeit der Länder für die Vorhaltung einer leistungsfähigen, zahlenmäßig ausreichenden und wirtschaftlichen pflegerischen Versorgungsstruktur und gebe diesen ausdrücklich auf, das Nähere zur Planung und Förderung der Pflegeeinrichtungen zu bestimmen. Diesem Regelungsauftrag habe der Landesgesetzgeber mit dem NPflegeG entsprochen und Regelungen zur Förderung von Pflegeeinrichtungen getroffen. Durch § 46 Abs. 2 Satz 4 SGB XI seien zudem die Vorschriften des ersten Kapitels des SGB X für anwendbar erklärt worden. Zwar beziehe sich diese Vorschrift nach ihrem Wortlaut und ihrer systematischen Stellung auf die Tätigkeit der Pflegekassen als Träger der Pflegeversicherung bei der Ausführung des SGB XI. Im Interesse einheitlicher verwaltungsverfahrensrechtlicher Regelungen für die Tätigkeit auf dem Gebiet des Sozialgesetzbuches sei sie jedoch auf die gesamte nach dem SGB XI ausgeübte Verwaltungstätigkeit (entsprechend) anzuwenden. Demzufolge sei für die Beurteilung des angefochtenen Bescheides § 45 SGB X einschlägig, der die Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes regele. Der Rücknahmebescheid erweise sich nicht bereits deswegen als rechtswidrig, weil er nicht gemäß § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X innerhalb eines Jahres, seitdem der Beklagte von den die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen Kenntnis erlangt habe, erlassen worden wäre. Denn der Beklagte habe die erforderliche Kenntnis der rücknahmerelevanten Tatsachen erst dann gehabt, nachdem ihm die Klägerin im Juli 2003 die mit Schreiben vom 17. Dezember 2002 angeforderten aufbereiteten Unterlagen vorgelegt habe. Erst daraus habe im Einzelnen der Umfang der Doppelförderung von Pflegeleistungen nachvollzogen und der genaue Erstattungsbetrag ermittelt werden können. Die Klägerin könne dem Erstattungsverlangen des Beklagten ferner nicht mit Erfolg die Einrede der Verjährung entgegenhalten. Für die entsprechende Anwendung der für Ansprüche auf regelmäßig wiederkehrende Leistungen geltenden vierjährigen Verjährungsfrist nach § 197 BGB a.F. sei kein Raum. Vielmehr richte sich die Verjährung im vorliegenden Fall nach § 50 Abs. 4 SGB X. Danach verjähre der Anspruch auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der die zu erstattende Leistung festsetzende Verwaltungsakt unanfechtbar geworden sei. Der angefochtene Bescheid könne jedoch deswegen keinen Bestand haben, weil die Klägerin Vertrauensschutz nach Maßgabe des § 45 Abs. 2 SGB X in Anspruch nehmen könne. Danach dürfe ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf dessen Bestand vertraut habe und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig sei. Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X könne sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruhe, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe. Grob fahrlässiges Verhalten liege vor, wenn die gebotene Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt worden sei. Danach müsse sich die Klägerin nicht entgegenhalten lassen, grob fahrlässig gehandelt zu haben, indem sie Pflegeleistungen in Einzelfällen bei ihren Förderanträgen doppelt in Ansatz gebracht habe. Wie die bei der Sozialstation Dissen mit der Vorbereitung der Förderanträge befassten Mitarbeiterinnen bekundet hätten, habe seinerzeit kein speziell auf die förderungsrechtlichen Grundlagen ausgerichtetes Computerprogramm zur Verfügung gestanden. Die Rechnungen wiesen lediglich die erbrachten Leistungen nach Anzahl sowie Einzel- und Gesamtpreis aus, enthielten jedoch keine Angaben zu den jeweils zuzuordnenden Komplexleistungspunkten, nach denen sich als maßgebliche Bezugsgröße die Bemessung des Zuschusses gerichtet habe. Letztere seien auf der Grundlage sämtlicher vorliegender Rechnungen anfangs manuell und später mit Hilfe eines Abrechnungsprogramms ermittelt worden. Wenn dabei übersehen worden sei, dass in Einzelfällen zwei Rechnungen vorgelegen hätten, in denen jeweils sämtliche erbrachten Pflegeleistungen aufgeführt worden seien, und deswegen zur Ermittlung der Komplexleistungspunkte, um Doppelförderungen zu vermeiden, nur jeweils eine Rechnung hätte ausgewertet werden dürfen, so sei dieser Bearbeitungsfehler darauf zurückzuführen, dass entweder die Existenz von Parallelrechnungen unbeachtet geblieben sei oder ein Abgleich beider Rechnungen unterblieben sei. Dies entspreche zwar nicht der gebotenen Sorgfalt, bedeute indessen keine ausgeprägt oberflächliche oder nachlässige Bearbeitung, welche den Vorwurf grober Fahrlässigkeit in dem Sinne rechtfertige, dass sich die Fehlerhaftigkeit der Ermittlung der Komplexleistungspunktzahl gleichsam aufgedrängt und mit einem Minimum an Sorgfalt hätte vermieden werden können. Denn nach der seinerzeit verfügbaren Software hätten keine Listenausdrucke zur Verfügung gestanden, aus denen die Zuordnung von Komplexleistungspunktzahlen zu namentlich genannten Patienten ohne weiteres ersichtlich gewesen sei. Grobe Fahrlässigkeit falle der Klägerin auch nicht deswegen zur Last, weil es ihre Mitarbeiterinnen versäumt hätten, auf die Entwicklung einer Software hinzuwirken, mit der die Förderunterlagen sachgerecht hätten aufbereitet werden können.

Gegen das ihm am 21. Juli 2005 zustellte Urteil hat der Beklagte am 27. Juli 2005 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt.

Zur Begründung trägt er vor, dass das VwVfG und nicht das SGB X für die Aufhebungsentscheidung maßgeblich sei. Das SGB X gelte ausweislich des § 1 Abs. 1 SGB X für die Verwaltungstätigkeit nach dem Sozialgesetzbuch. Dazu gehöre u. a. das SGB XI, nicht aber das NPflegeG. Das NPflegeG enthalte weder eine Vorschrift, aus der sich die Anwendbarkeit des SGB X auf die Verwaltungsverfahren ergebe, noch sei das NPflegeG ein Ausführungsgesetz zum SGB XI. Letzteres folge auch nicht aus § 9 SGB XI, bei dem es sich lediglich um einen Programmsatz handele. Da das SGB XI nach dem SGB X in Kraft getreten sei, müssten im Übrigen nach § 1 Abs. 1 Satz 2 SGB X die Vorschriften des SGB X mit Zustimmung des Bundesrates für anwendbar erklärt worden sein. Das sei hier nicht der Fall. § 46 Abs. 2 Satz 4 SGB XI beziehe sich nur auf die Tätigkeit der Pflegekassen in ihrer Funktion als Träger der Pflegeversicherung. Vorliegend gehe es jedoch um die Aufhebung von Verwaltungsakten, die die Förderung einer Pflegeeinrichtung regelten. Die einrichtungsbezogene Förderung stelle keine Sozialleistung im Sinne des SGB I dar. Daher sei die angegriffene Entscheidung zu Recht auf § 48 Abs. 1 VwVfG gestützt worden, dessen Voraussetzungen erfüllt seien. Im Übrigen würden aber auch die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X vorliegen. Aus den Aussagen der Zeuginnen bei der Beweisaufnahme sei ersichtlich, dass die Problematik nicht erkannt worden sei. Dass zunächst keine Software vorhanden gewesen sei, die es ermöglicht hätte, die entsprechenden Informationen mit wenig Aufwand zu erhalten, könne keine Rolle spielen. Der Umstand, dass die Überprüfung der Rechnungen ohne eine entsprechende Software einen gewissen Mehraufwand bedeutet hätte, schränke nicht die Anforderungen an die zu erwartende Sorgfalt ein.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - Einzelrichter der 6. Kammer - vom 6. Juli 2005 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung macht sie geltend, dass es bei dem SGB XI und bei dem NPflegeG um die Leistungsbeziehungen zu Pflegeeinrichtungen gehe. § 9 SGB XI spreche dafür, die Voraussetzungen für die Aufhebung von Verwaltungsakten nach dem SGB X und nicht nach dem VwVfG zu bestimmen. Das Verwaltungsgericht habe damit zu Recht den Verschuldensmaßstab des § 45 Abs. 2 SGB X angewendet, nach dem der Vertrauensgrundsatz nur dann durchbrochen werde, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruhe, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtig oder unvollständig gemacht habe. Dass die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X hier nicht vorliegen, habe die Beweisaufnahme vor dem Verwaltungsgericht ergeben. Die Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht sei nicht zu beanstanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.

II.

Die Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet.

Der Senat trifft diese Entscheidung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 130 a Satz 1 VwGO durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für zulässig und begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Denn der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 27. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Weser-Ems vom 26. November 2003 und des Bescheides des Beklagten vom 20. Februar 2004, mit dem der Beklagte für den Zeitraum vom 3. Quartal 1996 bis zum 2. Quartal 2000 ergangene Förderbescheide teilweise zurückgenommen und die der Klägerin gewährte Investitionsförderung teilweise zurückgefordert hat, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten. Entgegen der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung ist die Rechtmäßigkeit der teilweisen Rücknahme der Förderbescheide nicht nach § 45 SGB X, sondern nach § 48 VwVfG zu beurteilen. An § 48 VwVfG gemessen, erweist sie sich als rechtmäßig.

Die Vorschriften des ersten Kapitels des SGB X über das Verwaltungsverfahren und damit auch § 45 SGB X sind auf die Förderung von Pflegeeinrichtungen nach dem NPflegeG nicht anzuwenden. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 SGB X gelten die Vorschriften des ersten Kapitels (§§ 1 bis 66 SGB X) für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden, die nach dem SGB ausgeübt wird. Für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände, der sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts zur Ausführung von besonderen Teilen dieses Gesetzbuches, die nach Inkrafttreten der Vorschriften dieses Kapitels Bestandteil des Sozialgesetzbuches werden, gilt dies gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 SGB X nur, soweit diese besonderen Teile mit Zustimmung des Bundesrates die Vorschriften dieses Kapitels für anwendbar erklären. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Eine Anwendbarkeit der Vorschriften des ersten Kapitels des SGB X auf die Förderung von Pflegeeinrichtungen nach dem NPflegeG ergibt sich nicht aus § 46 Abs. 2 Satz 2 SGB XI, der bestimmt, dass bei der Ausführung des SGB XI das erste Kapitel des SGB X anzuwenden ist. Da § 46 SGB XI die Pflegekassen als Träger der Pflegeversicherung betrifft, ist schon fraglich, ob § 46 Abs. 2 Satz 2 SGB XI allgemein für das SGB XI gilt oder sich nur auf die Verwaltungstätigkeit der Pflegekassen bezieht. Diese Frage kann jedoch dahingestellt bleiben, weil die Förderung von Pflegeeinrichtungen ohnehin keine Angelegenheit der sozialen Pflegeversicherung nach dem SGB XI ist und die Verwaltungstätigkeit auf diesem Gebiet daher keine Ausführung des SGB XI darstellt.

Bei formaler Betrachtung ist die Förderung von Pflegeeinrichtungen schon deshalb keine Angelegenheit der Pflegeversicherung, weil sie nicht auf der Grundlage des SGB XI, sondern nach den Vorschriften des NPflegeG erfolgt. Im NPflegeG ist auch keine Regelung über die Anwendbarkeit des SGB X enthalten.

Das NPflegeG ist zudem inhaltlich kein Ausführungsgesetz zum SGB XI, weil das SGB XI keine rahmenrechtlichen Regelungen darüber beinhaltet, nach welchen Maßstäben die Länder Fördermittel für Investitionen in Pflegeeinrichtungen bereitzustellen und zu vergeben haben. Das Bundesverwaltungsgericht hat ausdrücklich klargestellt, dass insbesondere § 9 SGB XI keine rahmenrechtliche Regelung für die Förderung von Pflegeeinrichtungen, die der Ausfüllung durch den Landesgesetzgeber offen stünde, darstellt. Das Bundesverwaltungsgericht hat darüber hinaus festgestellt, dass dem Bundesgesetzgeber für eine rahmenrechtliche Regelung in Bezug auf die Investitionsförderung nach Art. 75 GG auch die erforderliche Kompetenz fehlen würde. Selbst eine konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit besteht nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG nur für den Bereich der Sozialversicherung, der allein das Leistungsverhältnis zwischen dem Träger der Sozialversicherung und den Versicherten, nicht aber die Förderung von Pflegeeinrichtungen betrifft. Die wirtschaftliche Sicherung von Pflegeeinrichtungen durch Investitionsförderung ist in den Katalog des Art. 74 GG nicht aufgenommen worden (BVerwG, Beschl. v. 23.12.1998 - 3 B 22.98 -, NVwZ-RR 1999, 316 und Urt. v. 13.5.2004 - 3 C 2.04 -, NDV-RD 2004, 120).

Die Voraussetzungen, unter denen ein rechtswidriger Verwaltungsakt nach § 48 VwVfG zurückgenommen werden kann, liegen hier vor. Dass die im Zeitraum vom 3. Quartal 1996 bis zum 2. Quartal 2000 ergangenen Förderbescheide teilweise rechtswidrig gewesen sind, weil Komplexleistungspunkte zum Teil doppelt abgerechnet und insofern zu hohe Zuschüsse gewährt worden sind, ergibt sich im Einzelnen aus den Anlagen zu dem angefochtenen Bescheid des Beklagten vom 27. August 2003 und wird von der Klägerin auch nicht bestritten.

Die Regelung des § 48 Abs. 2 VwVfG steht der teilweisen Rücknahme der Förderbescheide nicht entgegen. Nach § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der u.a. eine einmalige Geldleistung gewährt, nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte aber nicht berufen, wenn er den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG). Der mit dieser Regelung verbundene Ausschluss des Vertrauensschutzes beruht auf dem Gedanken, dass in diesen Fällen die Ursache der Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsaktes im Verantwortungsbereich des Begünstigten liegt und daher dessen Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsaktes nicht schutzwürdig ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.8.1986 - 3 C 9.85 -, BVerwGE 74, 357). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Denn die Klägerin hat in ihren Förderanträgen für den streitgegenständlichen Zeitraum unrichtige Angaben im Hinblick auf die Anzahl der Komplexleistungspunkte gemacht, indem sie Rechnungen teilweise doppelt berücksichtigt hat. Die Angaben sind auch "in wesentlicher Beziehung" unrichtig gewesen, da sich die Höhe des Förderbetrages nach den abgerechneten Komplexleistungen richtet. Auf Grund ihrer Anträge und den darin enthaltenen unrichtigen Angaben hat die Klägerin den Erlass der hinsichtlich der Höhe der Förderung rechtswidrigen Bescheide erwirkt. Ein Verschulden ist für den Ausschluss des Vertrauensschutzes nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG nicht Voraussetzung (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.8.1986, a.a.O.). Daher greift auch der Einwand der Klägerin, ihr Vertrauen sei schutzwürdig, weil sie die bewilligten Förderbeträge bereits verbraucht habe (§ 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG), nicht durch.

Der Beklagte hat weiterhin die Frist nach § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG eingehalten. Danach ist, wenn die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Diese Kenntnis hatte der Beklagte hier erst zu dem Zeitpunkt erlangt, als ihm die Klägerin im Juli 2003 die mit Schreiben vom 17. Dezember 2002 angeforderten aufbereiteten Unterlagen vorgelegt hatte. Denn erst aus diesen Unterlagen ging im Einzelnen hervor, in welchen Fällen es zu einer doppelten Berechnung von Komplexleistungspunkten und einer dadurch bedingten zu hohen Förderung gekommen war. Da der Beklagte den Rücknahmebescheid am 27. August 2003 erlassen hat, hat er somit die Jahresfrist gewahrt.

Die Rückforderung der überzahlten Förderbeträge beruht auf § 49 a VwVfG und ist nicht zu beanstanden. Nach § 49 a Abs. 1 Satz 1 VwVfG sind, soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist, bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Die Klägerin kann sich auch nicht auf den Wegfall der Bereicherung nach § 49 a Abs. 2 VwVfG i.V.m. § 818 Abs. 3 BGB berufen. Herauszugeben ist nach § 818 Abs. 3 BGB, was von der gewährten Leistung noch im Vermögen des Begünstigten vorhanden ist oder was der Begünstigte an eigenen Aufwendungen erspart hat. Die Frage, ob die Bereicherung weggefallen ist, beantwortet sich nach wirtschaftlichen Überlegungen durch einen Vergleich des Vermögensstandes bei Empfang der Leistung mit dem im Zeitpunkt der Rückforderung (sog. Saldotheorie). Hiernach ist die Bereicherung weggefallen, wenn im Hinblick auf den vermeintlichen Vermögenszuwachs Aufwendungen, etwa Verwendungen auf den erlangten Gegenstand oder sonst beliebige Ausgaben, gemacht worden sind, die nicht zu einer Vermehrung des Vermögens des Begünstigten oder zu einer Verminderung der Verbindlichkeiten geführt haben (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar, 7. Aufl., § 49 a Rn. 47). Danach ist hier nicht von einem Wegfall der Bereicherung auszugehen. Denn die Klägerin hat die zuviel gezahlten Förderbeträge zur Deckung ihrer Investitionskosten und damit zur Minderung ihrer Verbindlichkeiten eingesetzt.

Dass der Beklagte von der Klägerin Zinsen gefordert hat, unterliegt ebenfalls keinen Bedenken. Nach § 49 a Abs. 3 Satz 1 VwVfG ist der zu erstattende Betrag vom Eintritt der Unwirksamkeit des Verwaltungsaktes an mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jährlich zu verzinsen. Der Beklagte hat auf den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems vom 26. November 2003 mit Bescheid vom 20. Februar 2004 die Zinsen neu berechnet und auf 4.099,02 EUR festgesetzt. Insofern ergibt sich ein von der Klägerin insgesamt zu erstattender Betrag in Höhe von 19.496,89 EUR.

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