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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 13.08.2004
Aktenzeichen: 4 ME 224/04
Rechtsgebiete: BSHG, SGB V


Vorschriften:

BSHG § 12
BSHG § 21 Abs. 1 a Nr. 6
BSHG § 22
BSHG § 37
BSHG § 38
SGB V § 33
SGB V § 62
Aufgrund der am 01.01.2004 in Kraft getretenen Änderungen des BSHG ist eine Übernahme der Kosten für die Beschaffung einer Brille im Rahmen der Krankenhilfe nicht mehr möglich. Der Hilfeempfänger kann aber Anspruch auf die Gewährung einer einmaligen Leistung (Beihilfe) hierfür im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt haben.
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht

Beschluss vom 13.08.2004

Gründe:

Der Antragsteller bezieht von der für die Antragsgegnerin handelnden Stadt S. laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Er begehrt von der Antragsgegnerin die Übernahme der Kosten für eine neue Brille; seine Brille war bei einem Sturz zu Bruch gegangen. Die Kosten für die neue Brille würden nach einem Kostenvoranschlag der Firma F. 45 Euro je Glas betrage, das Brillengestell wäre dabei kostenlos.

Das Verwaltungsgericht hat die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 20. April 2004 durch einstweilige Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig unter dem Vorbehalt der Rückforderung Sozialhilfe (Krankenhilfe) durch Übernahme der Kosten für eine Brille in Höhe von 90 Euro (45 Euro je Brillenglas) zu gewähren.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin.

Die Beschwerde ist nicht begründet. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Das Sozialhilferecht ist geprägt von u. a. dem Grundsatz der Bedarfsdeckung und dem Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe. Daraus folgt, dass ein sozialhilferechtlich anzuerkennender Bedarf eines Hilfesuchenden durch die Sozialhilfe im vollen Umfang - begrenzt durch das Angemessene (§ 3 BSHG) - zu decken ist, soweit nicht ein anderer, insbesondere ein anderer Sozialleistungsträger, vorrangig zur Bedarfsdeckung verpflichtet ist und den Bedarf auch tatsächlich deckt (§ 2 BSHG). Zu den anderen Sozialleistungsträgern gehören auch die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung (BVerwG, Urt. v. 09.06.1971 - BVerwG V C 56.70 -, BVerwGE 38, 174).

An diese Grundsätze anknüpfend hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 30.09.1993 - BVerwG 5 C 49.91 - (BVerwGE 94, 211) zur Frage der Verpflichtung des Sozialhilfeträgers zur Übernahme der nach dem damals gültig gewesenen Recht bei einer Behandlung des kranken Hilfeempfängers im Krankenhaus aufzubringenden Zuzahlungen u. a. ausgeführt:

"Personen, die ... in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, erhalten Krankenhausbehandlung nach § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V als Sach- und Dienstleistung (vgl. § 2 Abs. 2 SGB V) der Krankenkasse, die diese durch ein zugelassenes Krankenhaus (vgl. § 108 SGB V) erbringen läßt. Der Versicherte hat jedoch nach der durch das Haushaltsbegleitgesetz 1983 vom 20. Dezember 1982 (BGBl I S. 1857) eingeführten Zuzahlungsregelung (früher: § 184 Abs. 3 RVO, nunmehr: § 39 Abs. 4 SGB V) vom Beginn der Krankenhausbehandlung an innerhalb eines Kalenderjahres für längstens vierzehn Tage 5 DM je Kalendertag an das Krankenhaus zu leisten, das die Zuzahlung an die Krankenkasse weiterzuleiten hat (§ 39 Abs. 4 Sätze 1 und 2 SGB V). Nach der Begründung zum Regierungsentwurf des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 soll diese Zuzahlung dazu beitragen, die Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung zu stabilisieren (vgl. BT-Drucks. 9/2140 S. 99 zu § 184 RVO). Das weist die Zuzahlung als Eigenbeteiligung des Versicherten (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V) an den Kosten der Krankenhausbehandlung aus (vgl. noch zu § 184 Abs. 3 RVO BSG, Urteil vom 12. Oktober 1988 - 3/8 RK 15/87 - <SozR 2200 § 184 RVO Nr. 32>). Wegen dieser Zuzahlungspflicht bei erforderlicher Krankenhausbehandlung gehört der Zuzahlungsbetrag zum notwendigen Bedarf der Krankenhilfe.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts steht § 37 Abs. 2 Satz 2 BSHG der Übernahme der nach § 39 Abs. 4 Satz 1 SGB V geschuldeten Zuzahlung durch den Beklagten nicht entgegen. Wie der Senat in seinem den Beteiligten des hiesigen Verfahrens zur Kenntnis gegebenen Urteil vom 17. Juni 1993 - BVerwG 5 C 11.91 - (Urteilsabdruck S. 3 f.) bereits entschieden hat, bedeutet die Regelung des § 37 Abs. 2 Satz 2 BSHG nur, daß der Sozialhilfeträger darauf beschränkt ist, das als Bedarf an Krankenhilfe anzuerkennen, was nach dem Leistungsrahmen der gesetzlichen Krankenversicherung in diesem Versicherungszweig seiner Art nach und hinsichtlich der näheren Leistungsmodalitäten als Bedarf anerkannt werden kann. Eine Begrenzung des Leistungsumfangs auch dahin, daß Sozialhilfe nur in der Höhe gewährt werden kann, in der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Betracht kommen, ist § 37 Abs. 2 Satz 2 BSHG dagegen nicht zu entnehmen. Während in der gesetzlichen Krankenversicherung Teilleistungen und damit ein dem Versicherten verbleibender Eigenanteil gerechtfertigt sein mögen, ist im Sozialhilferecht die Hilfeleistung so zu bemessen, daß der Hilfebedürftige seinen notwendigen Bedarf tatsächlich in vollem Umfang befriedigen kann. Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, durch die dieser Bedarf nicht in voller Höhe gedeckt wird, können deshalb zwar - im Hinblick auf den Vorrang dieser Leistungen (§ 2 Abs. 2 BSHG) - zur Kürzung, nicht aber zum gänzlichen Wegfall der Sozialhilfe führen (vgl. BVerwGE 79, 356 <360>). Dementsprechend ist in den Gesetzesmaterialien zum 2. Haushaltsstrukturgesetz darauf hingewiesen worden, daß die Frage, in welchem Maße ein Hilfeempfänger einen krankheitsbedingten Bedarf aus eigenem Einkommen und Vermögen decken müsse, sich bei der Gewährung von Krankenhilfe nach § 37 BSHG ausschließlich nach den Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes (§ 28 in Verbindung mit Abschnitt 4) beurteile (vgl. BT-Drucks. 9/842 S. 89 zu Nr. 27, 9/971 S. 88 zu Art. 21 a in Verbindung mit BT-Drucks. 8/2534 S. 12 zu Nr. 15)."

Ebenfalls noch zu dem früher gültig gewesenen Recht hat der Senat in seinem Beschluss vom 04.06.1998 - 4 L 1857/98 - (V. n. b.) ausgeführt:

"Daß nach § 33 Abs. 1 Satz 3 SGB V gegenüber der Krankenkasse die Versorgung mit einem Brillengestell nicht mehr beansprucht werden kann, führt nicht dazu, dass auch Leistungen der Krankenhilfe nach § 37 BSHG entsprechend begrenzt wären. Zwar bestimmt § 37 Abs. 2 BSHG, dass die Leistungen der Krankenhilfe (im Sinne des BSHG) "in der Regel" den Leistungen entsprechen sollen, die nach den Vorschriften über die gesetzliche Krankenversicherung gewährt werden. Es leuchtet jedoch ohne weiteres ein ..., dass der Gesetzgeber bei seiner Entscheidung, den Mitgliedern der gesetzlichen Krankenkasse zuzumuten, die Kosten für ein Brillengestell selbst zu tragen, nicht zugleich auch einen (faktischen) Ausschluss der entsprechenden Versorgung für die Menschen erreichen wollte, die sich ein Brillengestell nicht selbst beschaffen können, weil sie - anders als wahrscheinlich die Mehrzahl der Krankenversicherten - die dafür erforderlichen finanziellen Mittel nicht haben und deshalb auf die Krankenhilfe nach § 37 BSHG angewiesen sind."

Zur Frage der Verpflichtung des Sozialhilfeträgers, die Kosten für Brillengläser zu übernehmen, hat der Senat - auch noch zu früherem Recht - zuletzt mit Beschluss vom 07.07.2004 (4 PA 289/04; zur Veröff. vorgesehen) entschieden: Für die Beschaffung von Brillengläsern seien gemäß §§ 35, 36 SGB V Festbeträge bestimmt worden, die grundsätzlich so festzulegen seien, dass eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung des in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten durch (im Verhältnis zur Krankenkasse) vertragsgebundene Leistungserbringer gewährleistet sei. Da eine Eigenleistung des Versicherten somit nicht vorgesehen sei, kämen für die Festbeträge übersteigende Kosten Leistungen der Krankenhilfe nach § 38 Abs. 2 S.atz1 BSHG (i. d. F. des Gesetzes vom 19.06.2001, BGBl. I S. 1046) regelmäßig nicht in Betracht.

Auch mit diesem Beschluss hat der Senat eine Verpflichtung des Sozialhilfeträgers zur Kostenübernahme also nicht schlechthin verneint, sondern nur eine Begrenzung der Leistungshöhe auf den grundsätzlich als bedarfsdeckend anzusehenden Festbetrag angenommen, in dessen Höhe allerdings die gesetzliche Krankenversicherung vorrangig leistungspflichtig war.

Seit dem 01. Januar 2004 gilt allerdings nunmehr eine geänderte Rechtslage:

Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 BSHG werden weiterhin Leistungen zur Krankenbehandlung entsprechend dem Dritten Kapitel, Fünften Abschnitt, Ersten Titel des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - SGB V - [das sind die §§ 27 bis 43 b SGB V] gewährt, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Bis zum 31. Dezember 2003 regelte § 38 Abs. 2 BSHG in seiner damaligen Fassung, dass der Träger der Sozialhilfe in Krankheitsfällen den notwendigen Bedarf in voller Höhe befriedigen musste, wenn finanzielle Eigenleistungen von Versicherten, insbesondere die Zahlung von Zuschüssen, die Übernahme nur eines Teils der Kosten oder eine Zuzahlung der Versicherten vorgesehen waren und nach den §§ 61, 62 SGB V eine vollständige oder teilweise Befreiung durch die Krankenkasse nicht erfolgte. Für einen krankenversicherten Hilfeempfänger ergab sich daraus ein Anspruch auf Übernahme des von der Krankenversicherung nicht gedeckten Teils der Behandlungskosten (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.9.1993, a. a. O.).

Mit Wirkung vom 1. Januar 2004 ist aber § 38 Abs. 2 BSHG a. F. durch Art. 28 Nr. 4 c des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung - GMG - vom 14. November 2003 (BGBl. I S. 2190 ff.) aufgehoben worden, so dass diese Grundlage für die Gewährung einmaliger Beihilfen für von den Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen nicht umfassten Bedarf entfallen ist. An dessen Stelle bestimmt nunmehr § 37 Abs. 1 Satz 2 BSHG in der Fassung von Artikel 28 Nr. 3 GMG, dass die Regelungen zur Krankenbehandlung nach § 264 SGB V, die u. a. nach §§ 264 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 SGB V i.V.m. §§ 61 und 62 SGB V Zuzahlungen der Versicherten bis zur Belastungsgrenze vorsehen, den Leistungen zur Hilfe bei Krankheit nach § 37 Satz 1 BSHG vorgehen.

Die jetzt ausschließliche Verweisung auf die Leistungen zur Krankenbehandlung entsprechend den Regelungen des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - SGB V - führt dazu, dass im Rahmen der Krankenhilfe nach dem BSHG eine Versorgung mit einer Sehhilfe nur noch nach Maßgabe des § 33 Abs. 1 Sätze 4 ff. SGB V in Betracht kommt. Dort heißt es:

"Versicherte haben bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen entsprechend den Voraussetzungen nach den Sätzen 1 und 2. Für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, besteht der Anspruch auf Sehhilfen, wenn sie auf Grund ihrer Sehschwäche oder Blindheit, entsprechend der von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Klassifikation des Schweregrades der Sehbeeinträchtigung, auf beiden Augen eine schwere Sehbeeinträchtigung mindestens der Stufe 1 aufweisen; Anspruch auf therapeutische Sehhilfen besteht, wenn diese der Behandlung von Augenverletzungen oder Augenerkrankungen dienen. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in Richtlinien nach § 92, bei welchen Indikationen therapeutische Sehhilfen verordnet werden. Der Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen umfasst nicht die Kosten des Brillengestells." [Anmerkung des Senats: Gemäß der Gemeinsamen Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen zur Umsetzung des GMG im Hilfsmittelbereich vom 25.11.2003 liegt nach der von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Klassifikation des Schweregrades der Sehbeeinträchtigung eine Sehbeeinträchtigung der Stufe 1 vor bei einer Sehschärfe (Visus) von 0,3 bis 0,1 (= 30% bis 10%); durch die Stufen 2 bis 5 werden noch geringere Sehschärfen bis zum Fehlen jeglicher Lichtwahrnehmung definiert. Dieser Visus lässt sich aus einer ärztlichen Verordnung, in der lediglich die Stärke der notwendigen Brillengläser in Dioptrien angegeben ist, nicht errechnen.]

Der Leistungsumfang nach den Vorschriften über die Krankenhilfe nach dem BSHG entspricht damit nach dem Willen des Gesetzgebers dem Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung. Damit gibt es jedenfalls im Rahmen der Krankenhilfe Leistungen für Brillengestelle weiterhin überhaupt nicht und - abgesehen von den Sonderfällen der therapeutischen Sehhilfen - für Personen, die 18 Jahre oder älter sind und auf wenigstens einem Auge eine Sehschärfe von mehr als 30 % erreichen, auch keine Leistungen mehr für Brillengläser zum Ausgleich von Weit- oder Kurzsichtigkeit.

Das führt aber nicht dazu, dass Empfänger von Sozialhilfe, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, nicht mehr Anspruch auf Hilfen zur Beschaffung von Brillen (Gläser und/oder Brillengestell) haben.

Als Grund für die zum 1. Januar 2004 in Kraft getretene Neufassung der §§ 37, 38 BSHG wird in der Begründung zu dem Gesetzentwurf (BT-Drs. 15/1525 S. 68) ausgeführt: "Auf Grund der Neuregelung der Zuzahlungen und Belastungsgrenzen für Sozialhilfeempfänger im Neunten Abschnitt des SGB V musste § 38 Abs. 2 BSHG gestrichen werden. Damit werden Sozialhilfeempfänger bei den Zuzahlungen den Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung gleichgestellt." Ein weiterer, nicht genannter Grund mag gewesen sein, den Kostenaufwand in der Sozialhilfe zu verringern. Beide Erwägungen sind aber nicht geeignet, Sozialhilfeempfängern Leistungen für die Beschaffung notwendiger, d. h. ärztlich verordneter Brillen zu versagen. Dass eine Brille zum Ausgleich auch einer nicht hochgradigen Sehschwäche ein sozialhilferechtlich anzuerkennender Bedarf ist, war in der Vergangenheit unumstritten. Dass sich daran etwas geändert haben könnte, ist nicht ersichtlich. Dann verstößt eine generelle Versagung einer Hilfe für die Beschaffung einer Brille aber gegen das - oben bereits angesprochene - sozialhilferechtliche Bedarfsdeckungsprinzip.

Der Gesetzesbegründung zu den §§ 37, 38 BSHG kann auch nicht entnommen werden, dass der Gesetzgeber diesen früher der Krankenhilfe zugeordneten Bedarf gleichsam völlig "wegdefinieren" wollte. Die Regelungen der Krankenhilfe knüpfen an die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherungen an. Dort hat der Gesetzgeber mit dem GMG auch die in § 33 SGB V enthaltenen Leistungen für Brillen einschränkend neu gefasst. In der Begründung zur Änderung des § 33 SGB V (BT-Drs. 15/1525) heißt es dazu:

"Über die genannten Personenkreise hinaus besteht für Versicherte im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung kein Leistungsanspruch auf die Versorgung mit Sehhilfen.

Auf der Grundlage des geltenden Rechts beträgt der Sachleistungsanteil der Krankenkassen bei der Versorgung mit Sehhilfen gegenwärtig im Durchschnitt rd. 50 Euro. Obwohl dieser Betrag eine medizinisch notwendige Versorgung finanziell vollständig abdeckt, sind versicherte im Durchschnitt bereit, darüber hinaus schätzungsweise rd. 150 Euro für medizinisch nicht notwendige Leistungen (z. B. Entspiegelung und/oder Tönung der Gläser) auszugeben. Sie tragen damit aus nicht medizinischen Gründen schätzungsweise 70 bis 80 % der Gesamtkosten einer Sehhilfenversorgung. Vor diesem Hintergrund wird davon ausgegangen, dass die Leistungsausgrenzung erwachsene Versicherte grundsätzlich nicht überfordert."

Es ist offensichtlich, dass diese Erwägungen für Sozialhilfeempfänger nicht gelten können. Sie haben diese finanziellen Mittel nicht.

Allerdings kommen angesichts der eindeutigen Regelungen der Krankenhilfe in den §§ 36 bis 38 BSHG Leistungen der Krankenhilfe für die Beschaffung von Brillen nicht mehr in Betracht. Ein medizinisch begründeter Bedarf kann aber auch Bestandteil des notwendigen Lebensunterhalts (§ 12 BSHG) sein. Die Aufzählung der verschiedenen Bedarfsgruppen in § 12 Abs. 1 S. 1 BSHG ist nicht abschließend. Dass auch nach der Vorstellung des Gesetzgebers medizinisch begründete Bedürfnisse zum notwendigen Lebensunterhalt gehören können, ergibt sich aus der Änderung der zur Ausführung des § 22 BSHG erlassenen Regelsatzverordnung durch Art. 29 GMG. Danach umfassen die Regelsätze nunmehr auch "die Leistungen für Kosten bei Krankheit, bei vorbeugender und sonstiger Hilfe, soweit sie nicht nach den §§ 36 bis 38 des Gesetzes [gemeint ist das BSHG] übernommen werden". Diese Neuregelung hätte keine Grundlage im rechtlichen System der Sozialhilfe, wenn nicht nach dem Willen des Gesetzgebers "Kosten bei Krankheit" auch Teil des notwendigen Lebensunterhalts sein könnten.

Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschl. v. 06.05.2004 - 4 ME 88/04 -, V. n. b.) folgt aus der Änderung der Regelsatzverordnung z. B. die Verpflichtung eines Sozialhilfeempfängers, Aufwendungen für die Praxisgebühren und die Zuzahlungen für Medikamente bis zur Höhe von 1/12 der für ihn nach § 62 SGB V geltenden Belastungsgrenze monatlich aus dem Regelsatz zu decken. Sowohl vom Begriff her als auch von der Sache her können allerdings Kosten für Brillen nicht von den zur Deckung des laufenden Bedarfs bestimmten Regelsatzleistungen mit umfasst sein.

Zum einen hat der Senat bereits mit Beschluss vom 06. Mai 2004 (a.a.O.) § 1 Abs. 1 Satz 2 der Regelsatzverordnung dahingehend ausgelegt, dass in dem monatlich zu gewährenden Regelsatz (vgl. zur Festsetzung der Regelsätze als monatliche Leistungen: Verordnung über die Festsetzung der Regelsätze nach dem Bundessozialhilfegesetz vom 25. Juni 2003 - Nds. GVBl. 15/2003 S. 221) lediglich 1/12 der maximalen Zuzahlung nach § 62 SGB V enthalten ist. Die in diesem Zusammenhang vom Hilfeempfänger zu tragenden Belastungen sind - mit anderen Worten - auf die in einem Jahr zu gewährenden zwölf Regelsätze aufzuteilen. Aus der Begründung des Gesetzgebers zur Änderung des § 38 BSHG wird deutlich, dass offensichtlich auch der Gesetzgeber die Härten für einen Hilfeempfänger im Blick hatte, die dadurch entstehen, dass dieser in einem kurzen Zeitraum Zuzahlungen in Zusammenhang mit den Kosten bei Krankheit bis zur Belastungsgrenze nach § 62 SGB V aufzubringen hat. So heißt es in der Begründung zu Artikel 28 Buchstabe c des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (Bundestags-Drucksache 15/1525 S. 167):

"Auf Grund der Neuregelung der Zuzahlungen und Belastungsgrenzen für Sozialhilfeempfänger im Neunten Abschnitt [des Dritten Kapitels - Ergänzung durch den Senat -] des SGB V musste § 38 Abs. 2 BSHG gestrichen werden. Damit werden Sozialhilfeempfänger bei den Zuzahlungen des Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung gleichgestellt. Sollte die Belastungsgrenze nach § 62 SGB V in Einzelfällen innerhalb eines kurzen Zeitraumes erreicht werden, können Sozialhilfeträger Kosten darlehensweise übernehmen."

Demnach umfasst der Regelsatz (§ 1 Abs. 1 Regelsatzverordnung) zwar anteilig die im SGB V vorgesehenen Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze des § 62 SGB V, indes nicht Aufwendungen für Heilmittel, die nach dem Dritten Kapitel, Fünften Abschnitt , Ersten Teil SGB V vom Leistungsumfang der Krankenversicherung ausgeschlossen sind.

Zum anderen sind Brillen in unregelmäßigen und meist größeren zeitlichen Abständen zu beschaffen bzw. zu ersetzen. Das unterscheidet diesen Bedarf wesentlich von den auf die Vielzahl der Hilfeempfänger gesehen relativ regelmäßig anfallenden Praxisgebühren und Zuzahlungen zu Medikamenten.

Schließlich sind die Aufwendungen für Brillen und Brillengestelle so hoch, dass sie nicht aus den Regelsätzen bestritten werden können.

Daraus folgt, dass der Bedarf "Anschaffung einer Brille (Gläser und/oder Brillengestell) des Hilfesuchenden vom Sozialhilfeträger durch Gewährung einer einmaligen Leistung (Beihilfe) nach § 21 Abs. 1 a Nr. 6 BSHG zu decken ist.

Eine ungerechtfertigte Besserstellung von Sozialhilfeempfängern gegenüber anderen Beziehern geringer Einkommen ergibt sich daraus nicht. Denn wenn letztere auch bei Beschränkung auf das medizinisch Notwendige Brillengläser und Gestell nicht aus ihrem Einkommen beschaffen könnten, hätten sie insoweit Anspruch auf (ergänzende) Hilfe zum Lebensunterhalt.

Hinsichtlich der Höhe der zu gewährenden einmaligen Leistung gilt Folgendes:

Für die Beschaffung von Brillengläsern sind gemäß §§ 35, 36 SGB V Festbeträge (je Glas) bestimmt worden, die grundsätzlich so festzulegen sind, dass eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung des in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten durch (im Verhältnis zur Krankenkasse) vertragsgebundene Leistungserbringer gewährleistet ist. Da eine Eigenleistung des Versicherten somit nicht vorgesehen ist, kommen für die Festbeträge übersteigende Kosten Leistungen der Krankenhilfe regelmäßig nicht in Betracht (vgl. Senat, Beschl. v. 07.07.2004 - 4 PA 289/04 -). Das gilt so weiterhin für Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder die an hochgradiger Sehschwäche leiden (§ 33 Abs. 1 SGB V). Zur Bestimmung der Obergrenze der zu gewährenden Hilfe nach § 21 BSHG kann auf die für die gesetzliche Krankenkasse (z. B. AOK) geltenden Festbeträge aber auch für andere Personen zurückgegriffen werden.

Zur Bestimmung der Untergrenze für die Gewährung einer Beihilfe greift der Senat auf seine Rechtsprechung zu § 21 a Abs. 1 Nr. 6 BSHG zurück (z.B. Urt. v. 25.02.2004 - 4 LB 175/03 -, V. n. b.). Danach ist eine einmalige Leistung jedenfalls dann zu gewähren, wenn die Kosten für den benötigten Gegenstand, hier also für das Glas/die Gläser 15 Euro im Monat übersteigen.

Derselbe Wert (15 Euro) ist als Untergrenze anzusetzen, wenn nur ein neues Brillengestell zu beschaffen ist. Die Obergrenze bestimmt sich insoweit nach dem in Fachgeschäften erhältlichen Angebot der unteren Preisklasse.

Sind Brille und Gestell zu beschaffen, sieht der Senat ebenfalls für die Gesamtkosten die Untergrenze bei 15 Euro, die Obergrenze ergibt sich aus den Festbeträgen für die Gläser und den notwendigen Kosten für das Gestell.

Für den Fall des Antragstellers bedeutet das:

Der Antragsteller hat Anspruch auf die Gewährung einer Beihilfe für die Neuanschaffung der Brille. Die Kosten für 45 Euro je Glas, wie sie der Antragsteller benötigt, liegen - soweit ersichtlich - im Rahmen der von den gesetzlichen Krankenversicherern angewendeten Festbetragsregelungen (der Senat stützt sich insoweit auf die ihm vorliegende aktuelle Übersicht der AOK Niedersachsen über die Festbetragsgruppen). Die Antragsgegnerin hat gegen die Angemessenheit der Kosten Einwendungen nicht erhoben. Damit ergibt sich für den Antragsteller ein Anspruch auf eine einmalige Leistung in Höhe von 90 Euro, wie im Ergebnis auch das Verwaltungsgericht entschieden hat.



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