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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 15.12.2008
Aktenzeichen: 4 ME 315/08
Rechtsgebiete: BNatSchG, NNatG, VwGO


Vorschriften:

BNatSchG § 23 Abs. 2
BNatSchG § 33 Abs. 2
BNatSchG § 60 Abs. 2
BNatSchG § 60 Abs. 2 S. 1 Nr. 5
NNatG § 24 Abs. 2
NNatG § 53 Abs. 1
NNatG § 60a Satz 1
VwGO § 42 Abs. 2
1. Ein anerkannter Naturschutzverein kann auch dann eine Verletzung seines Beteilungsrechtes aus § 60 a Satz 1 Niedersächsisches Naturschutzgesetz (NNatG) i.V.m. § 60 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG geltend machen, wenn die Behörde ein naturschutzrechtliches Befreiungsverfahren, an dem der Verein zu beteiligen wäre, nicht durchführt und durch tatsächliches Handeln vollendete Tatsachen schafft (hier: Öffnung eines Weges in einem Naturschutzgebiet).

2. Die Regelung des § 24 Abs. 2 Satz 2 NNatG, nach der das Naturschutzgebiet außerhalb der Wege nicht betreten werden darf, beinhaltet keinen Erlaubnistatbestand in Bezug auf das Betreten der Wege im Naturschutzgebiet. Führt das Betreten eines Weges dazu, dass das Naturschutzgebiet oder einzelne seiner Bestandteile zerstört, beschädigt oder verändert werden, ist diese Nutzung nach § 24 Abs. 2 Satz 1 NNatG verboten und kann nur aufgrund einer Befreiung nach § 53 Abs. 1 NNatG zugelassen werden.

3. Der Tatbestand der Veränderung ist als Auffangtatbestand zu verstehen und umfasst jede nicht völlig unerhebliche Abweichung von dem ursprünglichen Zustand im Naturschutzgebiet, die das Ziel der Schutzgebietsausweisung, das Naturschutzgebiet in seiner besonderen Eigenart zu erhalten, gefährdet. Entscheidend ist somit, ob eine Handlung im Hinblick auf den Schutzzweck der Naturschutzgebietsverordnung den Tatbestand einer Veränderung erfüllt.

4. Unter "sonstigen Schutzgebieten im Rahmen des § 33 Abs. 2 BNatSchG" (§ 60 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG) sind nur die Gebiete zu verstehen, die zur Verwirklichung des Zwecks des § 33 Abs. 2 BNatSchG nach § 22 Abs. 1 BNatSchG zu Schutzgebieten erklärt worden sind.

5. Der Begriff der Befreiung in § 60 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG ist eng zu verstehen und erfasst nur Behördenentscheidungen, die auf einer Ermächtigung in einer Befreiungsvorschrift beruhen, nicht aber Ausnahmegenehmigungen auf anderer Grundlage.


Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem sein dem Tenor des Senatsbeschlusses entsprechender Antrag auf vorläufige Sperrung eines Teils des im Naturschutzgebiet Petkumer Deichvorland und im EU - Vogelschutzgebiet "V10 - Emsmarsch von Leer bis Emden" gelegenen Teekabfuhrweges abgelehnt worden ist, hat Erfolg.

1. Der Antrag des Antragstellers auf Erlass der von ihm beantragten einstweiligen Anordnung ist zulässig. Entgegen der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung fehlt dem Antragsteller insbesondere nicht die erforderliche Antragsbefugnis analog § 42 Abs. 2 VwGO.

Einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO kann nur stellen, wer antragsbefugt ist (vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl., Rn. 74). Die Antragsbefugnis entspricht der Klagebefugnis im Hauptsacheverfahren, die sich für Leistungsklagen aus einer analogen Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO ergibt. Da mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung der Anspruch gesichert werden soll, der im Hauptsacheverfahren zu verfolgen ist, ist auch für einen Antrag nach § 123 VwGO eine Antragsbefugnis analog § 42 Abs. 2 VwGO erforderlich. Der Antragsteller muss daher geltend machen können, durch ein behördliches Handeln oder Unterlassen in eigenen Rechten verletzt oder gefährdet zu sein. Eine solche Rechtsbeeinträchtigung ist im Anordnungsverfahren geltend gemacht, wenn sie nach dem dem Gericht vorliegenden Sachverhalt zumindest als möglich erscheint. Daran fehlt es, wenn offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen ist, dass eigene Rechte des Antragstellers verletzt oder in ihrer Verwirklichung gefährdet sein können (vgl. zum Vorstehenden: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, a.a.O., Rn. 73 ff. m.w.N.; Sodan/Ziekow, VwGO, Kommentar, 2. Aufl., § 123 Rn. 69; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Kommentar, Stand: März 2008, § 123 Rn. 107; Eyermann, VwGO, Kommentar, 12. Aufl., § 123 Rn. 41).

Hier hat der Antragsteller, der ein nach § 60 des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes - NNatG - anerkannter Verein ist, eine Verletzung eigener Rechte im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO geltend gemacht. Denn er hat nachvollziehbar dargelegt, dass die vom Rat der Antragsgegnerin am 26. Juni 2008 beschlossene und im Juli 2008 vollzogene Öffnung des Teekabfuhrweges zwischen den Anschlüssen Kirchweg und Petkum nur aufgrund einer Befreiung nach § 53 Abs. 1 NNatG i.V.m. § 5 der Verordnung über das Naturschutzgebiet Petkumer Deichvorland in Emden und der Gemeinde Moormerland, Landkreis Leer vom 20. Juli 1994 - NSG-VO - (Amtsblatt für den Regierungsbezirk Weser-Ems 1994, 886) hätte erfolgen dürfen, dass die Antragsgegnerin ihn nach § 60 a Satz 1 NNatG i.V.m. § 60 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG vor dieser Entscheidung hätte beteiligen müssen und dass sein Beteiligungsrecht auch dann verletzt sei, wenn der Weg ohne eine vorherige Befreiung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Das Verwaltungsgericht hält dem zu Unrecht entgegen, dass eine Verletzung dieses von dem Antragsteller reklamierten Beteiligungsrechts mangels Durchführung eines Befreiungsverfahrens ausgeschlossen sei. Dass die Antragsgegnerin kein Befreiungsverfahren eingeleitet hat, steht der möglichen Verletzung von Beteiligungsrechten des Antragstellers nämlich nicht entgegen. Das Beteiligungsrecht eines Naturschutzverbandes kann auch dann verletzt sein, wenn die zuständige Behörde das an sich gebotene beteiligungspflichtige Verfahren unterlässt oder in ein nicht beteiligungspflichtiges Verfahren ausweicht. Wenn das Gesetz den Naturschutzverbänden ein eigenes Recht auf Verfahrensbeteiligung einräumt, kann eine Umgehung oder Missachtung dieses Rechts nicht sanktionslos bleiben. Vielmehr muss insoweit durch Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes zur Effektivität des Verfahrensrechts beigetragen werden. Das gilt nicht nur für den Fall der Umgehung eines an sich gebotenen Planfeststellungsverfahrens (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 14.5.1997 - 11 A 43.96 -, BVerwGE 104, 367), sondern auch, wenn die Behörde ein erforderliches naturschutzrechtliches Befreiungsverfahren nicht durchführt und durch tatsächliches Handeln vollendete Tatsachen schafft. In diesem Fall kann der Naturschutzverein, dem ein eigenes Beteiligungsrecht vor der Erteilung der Befreiung zusteht, verlangen, dass die Behörde alle Maßnahmen, die einer Befreiung bedürfen, unterlässt oder unterbindet (vgl. Thür. OVG, Urt. v. 2.7.2003 - 1 KO 389/02 -, NuR 2004, 325; OVG Berlin, Beschl. v. 1.4.1998 - 2 SN 10.98 -, NuR 1998, 555; Hess. VGH, Beschl. v. 2.11.2004 - 4 TG 2925/04 -; Bay. VGH, Beschl. v. 25.7.1995 - 22 CS 95.2313 -).

Eine andere Beurteilung ergibt sich entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht aufgrund des Urteils des Senats vom 6. November 2007 (4 LC 56/07). Der Senat hat in diesem Urteil über die Klagebefugnis eines anerkannten Naturschutzvereins im Rahmen einer Klage gegen eine für ein Bauvorhaben im Außenbereich erteilte Baugenehmigung entschieden und dazu ausgeführt, dass § 60 c Abs. 1 und 2 Nr. 1 NNatG i.V.m. § 60 Nr. 7 b) NNatG eine Klagebefugnis nur dann begründet, wenn eine Ausnahme nach § 28 a Abs. 5 oder § 28 b Abs. 4 NNatG erteilt worden ist. Im vorliegenden Verfahren geht es aber nicht um die Anfechtung einer behördlichen Entscheidung und die sich im Zusammenhang damit stellende Frage, ob ein anerkannter Verein dagegen aus eigenem Recht oder aus einem Verbandsklagerecht vorgehen kann, sondern um die Durchsetzung des Rechts eines anerkannten Naturschutzvereins nach § 60 a Satz 1 NNatG i.V.m. § 60 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG auf Beteiligung an einem notwendigen, aber nicht durchgeführten Verwaltungsverfahren. Dazu verhält sich das o.g. Urteil des Senats indessen nicht. Außerdem hat sich an dem System der Verbandsbeteiligung und dem den Verbänden zustehenden, selbständig durchsetzbaren Recht auf Beteiligung durch die Schaffung von Verbandsklagerechten, mit denen anerkannten Vereinen für bestimmte Fälle eine Klagebefugnis eingeräumt wird, ohne dass sie geltend machen müssen, in eigenen Rechten verletzt zu sein, nichts geändert (vgl. BT-Drucks. 14/6378 S. 61).

2. Der Antrag des Antragstellers ist auch begründet.

Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass sowohl der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO erforderliche Anordnungsanspruch als auch der ebenfalls notwendige Anordnungsgrund vorliegen.

Der Antragsteller kann von der Antragsgegnerin verlangen, dass diese den Teekabfuhrweg zwischen den Anschlüssen Kirchweg (Jarssum) und Petkum durch geeignete Absperrmaßnahmen für die Öffentlichkeit vorläufig schließt, bis der Antragsteller Gelegenheit erhalten hat, seine Beteiligungsrechte nach § 60 a Satz 1 NNatG i.V.m. § 60 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG wahrzunehmen.

Nach § 60 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG ist einem von den Ländern anerkannten Verein vor Befreiungen von Verboten und Geboten zum Schutz von Naturschutzgebieten, Nationalparken, Biosphärenreservaten und sonstigen Schutzgebieten im Rahmen des § 33 Abs. 2 BNatSchG Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten zu geben. Ein solcher Fall liegt hier vor, weil die von der Antragsgegnerin durchgeführte Öffnung des im Naturschutzgebiet "Petkumer Deichvorland" gelegenen Teekabfuhrweges zwischen den Anschlüssen Kirchweg (Jarssum) und Petkum eine Befreiung von den Verboten des § 24 Abs. 2 Satz 1 NNatG und des § 3 Abs. 1 NSG-VO voraussetzt.

Nach § 24 Abs. 2 Satz 1 NNatG und § 3 Abs. 1 NSG-VO sind im Naturschutzgebiet alle Handlungen verboten, die dieses oder einzelne seiner Bestandteile zerstören, beschädigen oder verändern. Dabei ist unter Zerstörung die vollständige oder teilweise Vernichtung der Gebietssubstanz oder einzelner Bestandteile zu verstehen, während unter den Begriff der Beschädigung eine erhebliche Beeinträchtigung fällt, die im Gegensatz zur Zerstörung nur zu einer Substanzbeeinträchtigung und nicht zu einem zumindest teilweisen Substanzverlust führt (Schumacher/Fischer-Hüftle, Bundesnaturschutzgesetz, Kommentar, § 23 Rn. 44 f.). Das weitere Kriterium der Veränderung ist als Auffangtatbestand zu verstehen und umfasst jede nicht völlig unerhebliche Abweichung von dem ursprünglichen Zustand im Naturschutzgebiet, die das Ziel der Schutzgebietsausweisung, das Naturschutzgebiet in seiner besonderen Eigenart zu erhalten, gefährdet (vgl. dazu: Gassner/Bendomir-Kahlo/Schmidt-Räntsch, BNatSchG, Kommentar, 2. Aufl., § 23 Rn. 25; Schumacher/Fischer-Hüftle, a.a.O., § 23 Rn. 46, 43; Blum/Agena/Franke, Niedersächsisches Naturschutzgesetz, Kommentar, § 24 Rn. 29). Entscheidend ist somit, ob eine Handlung im Hinblick auf den Schutzzweck der Naturschutzgebietsverordnung den Tatbestand einer Veränderung erfüllt (vgl. Schumacher/Fischer-Hüftle, a.a.O., § 23 Rn. 43). Davon ist hier auszugehen. Die Öffnung des Teekabfuhrweges zwischen den Anschlüssen Kirchweg und Petkum für die Allgemeinheit und die damit verbundene Nutzung durch Fußgänger und Radfahrer führt zwar zu keiner Vernichtung oder Beeinträchtigung der Gebietssubstanz. Sie hat jedoch eine Veränderung der Lebensraumfunktionen des Naturschutzgebietes zur Folge, die den Zweck der Schutzausweisung erheblich gefährdet. Schutzzweck der Verordnung über das Naturschutzgebiet "Petkumer Deichvorland" ist nach § 2 NSG-VO die langfristige Sicherung und Entwicklung der Vorlandflächen mit ihren Lebensraumfunktionen u.a. für gefährdete Tierarten und dabei insbesondere die Vogelwelt. Nach § 2 NSG-VO sind die Vorlandflächen mit ihrer Biotoptypenabfolge von Flusswatt über Brackröhricht, Salzwiesengesellschaft zu Mähweiden infolge der küstennahen Lage für die Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes und hier insbesondere als Rast- und Nahrungsbiotop für Wat- und Wasservögel von internationaler und für Brutvögel von nationaler Bedeutung. Dass durch die ganzjährige Öffnung des o.g. Wegeabschnitts gefährdete Vogelarten vertrieben oder zumindest erheblich gestört werden, so dass von einer Veränderung im Sinne der §§ 24 Abs. 2 Satz 1 NNatG, 3 Abs. 1 NSG-VO auszugehen ist, ergibt sich aus den dazu vorliegenden Gutachten.

Bereits die Ergebnisse des Gutachtens des Ingenieurbüros für Umweltplanung Schmal und Ratzbor von September 2003, das als Verträglichkeitsstudie gemäß § 34 BNatSchG für ein Verfahren zur Befreiung von Verboten der NSG-VO zur Widmung des Teekabfuhrweges als öffentlicher Fuß- und Radweg erstellt worden ist, sprechen dafür, dass eine ganzjährige Öffnung des Teekabfuhrweges in dem hier streitigen Abschnitt zu einer Beeinträchtigung des Naturschutzgebietes führen würde. Nach dem Gutachten ließ schon die damals lediglich für den Zeitraum vom 15. Juli bis zum 30. September vorgesehene Öffnung des Teekabfuhrweges vom Kirchweg in Jarssum bis zum Emssperrwerk bei Gandersum als Fuß- und Radweg erhebliche Beeinträchtigungen der Lebensraumfunktion im Hinblick auf die gefährdete Gastvogelart Goldregenpfeifer befürchten, weil die Zugzeiten der Goldregenpfeifer in die geplante Öffnungszeit fielen. Für die nunmehr ohne zeitliche Beschränkung durchgeführte Öffnung des Weges dürften auch die Lebensraumfunktionen für weitere gefährdete Vogelarten beeinträchtigt werden, bei denen nach dem Gutachten deshalb keine Beeinträchtigung festgestellt worden ist, weil ihre Brut- oder Zugzeiten außerhalb der damals geplanten Öffnungszeiten lagen. Dabei handelt es sich um die gefährdeten Gastvogelarten Zwergsäger, Nonnengans, Blässgans und Graugans sowie die gefährdeten Brutvogelarten Seeregenpfeifer, Kampfläufer, Feldlerche, Schafstelze, Säbelschnäbler, Kiebitz, Uferschnepfe und Rotschenkel.

Maßgebend ist hier jedoch das Gutachten von Kalberlah - Bodenbiologie - von November 2006, in dem die Ergebnisse des dreijährigen Brut- und Rastvogelmonitoring zu den Auswirkungen der Nutzung des Teekabfuhrweges als Rad- und Fußweg in den Jahren 2004 bis 2006 dargestellt worden sind. Aus diesem Gutachten ergibt sich eindeutig, dass eine über den Zeitraum vom 15. Juli bis zum 30. September hinausgehende Öffnung des Teekabfuhrweges für Fußgänger und Radfahrer den Schutzzweck des Naturschutzgebietes Petkumer Deichvorland erheblich beeinträchtigen und damit gegen das Veränderungsverbot verstoßen würde. So kommt das Gutachten zu dem Ergebnis, dass die Nutzung des Teekabfuhrweges während des Zeitraums vom 1. Oktober bis zum 30. April zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Gastvogelpopulationen führen würde, von denen von 74 festgestellten Arten 11 zu den geschützten Gastvogelarten gehören. Zur Begründung wird schlüssig und nachvollziehbar erläutert, dass im Oktober die ersten großen nordischen Rastvogelbestände das Petkumer Deichvorland aufsuchen, dass die Bestände dort Werte von internationaler Bedeutsamkeit erreichen und dass aufgrund der großen Zahl der verschiedenen Gänsearten von bis zu 5.000 Individuen der Raumbedarf der Arten so stark ansteigt, dass auch die wegenahen Flächen zur Rast benötigt werden. Weiter wird ausgeführt, dass die nordischen Rastvogeltrupps aus Sibirien und Skandinavien aufgrund ihrer abgeschiedenen Lebensräume bei menschlicher Annäherung mit sofortigem Fluchtverhalten reagierten und das Naturschutzgebiet verließen. Nachhaltige Störungen in den Rastgebieten führten außerdem aufgrund des dadurch erhöhten Stoffwechselbedarfs zu einer Schwächung der Grundkonstitution der Vögel mit der Folge, dass Vögel auf dem Zug in die Brutgebiete verendeten oder ein geringerer Bruterfolg zu erwarten sei. Nach dem Gutachten würde eine Nutzung des Teekabfuhrweges während des Zeitraums vom 1. März bis zum 15. Juli zudem die Brutvögel erheblich stören, bei denen von den während des Monitorings festgestellten 74 Arten 34 auf der Roten Liste der bedrohten Brutvögel in Niedersachsen zu finden sind. Das Gutachten legt insofern plausibel dar, dass durch die Nutzung des Teekabfuhrweges zur Brutzeit ein parallel verlaufender Grünlandkorridor von ca. 150 bis 200 m Breite vollständig als Bruthabitat für störungsempfindliche Arten entwertet werden würde, die Brutvögel in den Anschlussbereichen durch das Beunruhigungspotential einem verstärkten Brutstress ausgesetzt wären und erhöhter Brutstress sowie häufiges Auffliegen dazu führen könnten, dass Gelege von Prädatoren ausgeraubt werden, auskühlen oder aufgegeben werden.

Die Ergebnisse des Kalberlah-Gutachtens werden im Übrigen bestätigt durch eine in der Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses der Antragsgegnerin am 9. Oktober 2008 vorgestellte, von dem Antragsteller vorgelegte Power-Point-Präsentation der Planungsgruppe Grün, die von der Antragsgegnerin im Rahmen der von ihr beabsichtigten Änderung der NSG-VO mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt worden ist. Danach führt die ganzjährige Nutzung des Weges zu Störungen der Avifauna, die Veränderungen der Eignung des Naturschutzgebietes als Brut- und Gastvogellebensraum bewirken können. Dazu wird der Verlust von Brutrevieren nach Art und Flächenanteil spezifiziert (z.B. Säbelschnäbler 44 % - 69 %) und ausgeführt, dass bei den Gastvögeln Störungen von Rast- und Nahrungshabitaten zwischen 22 % und 29 % des Lebensraumes entstehen.

Nach alledem ist davon auszugehen, dass die derzeitige Nutzung des o. g. Abschnitts des Teekabfuhrweges durch Fußgänger und Radfahrer gegen das Veränderungsverbot verstößt und deshalb die Durchführung eines Befreiungsverfahrens nach § 53 Abs. 1 NNatG i.V.m. § 5 NSG-VO voraussetzt, an dem der Antragsteller nach § 60 a Satz 1 NNatG i.V.m. § 60 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG zu beteiligen ist.

Dem kann die Antragsgegnerin nicht entgegenhalten, dass das Betreten und Befahren des Teekabfuhrwegs auch ohne die Erteilung einer Befreiung nach § 53 Abs. 1 NNatG i.V.m § 5 NSG-VO erlaubt sei, weil das Betreten des Naturschutzgebiets nach § 24 Abs. 2 Satz 2 NNatG und § 3 Abs. 2 NSG-VO nur außerhalb der Wege verboten und damit im Übrigen, d. h. auf den Wegen erlaubt sei. Denn diese Rechtsauffassung ist offensichtlich unzutreffend. Nach § 24 Abs. 2 Satz 1 NNatG und § 3 Abs. 1 NSG-VO sind im Naturschutzgebiet alle Handlungen verboten, die dieses oder einzelne seiner Bestandteile zerstören, beschädigen oder verändern. Dieses Verbot wird durch § 24 Abs. 2 Satz 2 NNatG und § 3 Abs. 2 NSG-VO dahingehend ergänzt, dass das Naturschutzgebiet außerhalb der Wege nicht betreten werden darf. Damit ist klargestellt, dass das Betreten des Naturschutzgebiets außerhalb der Wege unabhängig davon verboten ist, ob es im konkreten Einzelfall zu einer Zerstörung, Beschädigung oder Veränderung des Naturschutzgebiets oder einzelner seiner Bestandteile führt. Daraus folgt aber nicht, dass ein Betreten des Naturschutzgebiets auf den Wegen ungeachtet der §§ 24 Abs. 2 Satz 1 NNatG, 3 Abs. 1 NSG-VO erlaubt wäre. Die §§ 24 Abs. 2 Satz 2 NNatG, 3 Abs. 2 NSG-VO beinhalten nämlich weder ihrem Wortlaut nach noch nach der gesetzlichen Systematik oder dem Sinn und Zweck der Regelungen einen Erlaubnistatbestand in Bezug auf das Betreten des Naturschutzgebiets auf den Wegen. Ein derartiger Erlaubnistatbestand ergibt sich entgegen der Annahme der Antragsgegnerin auch nicht aus einem Umkehrschluss aus dem Verbot der §§ 24 Abs. 2 Satz 2 NNatG, 3 Abs. 2 NSG-VO, weil diese Bestimmungen das Betreten des Naturschutzgebiets keineswegs abschließend regeln und die Verbote der §§ 24 Abs. 2 Satz 1 NNatG, 3 Abs. 1 NSG-VO zu berücksichtigen sind. Eine generelle Erlaubnis zum Betreten des Naturschutzgebiets auf den Wegen wäre im Übrigen auch mit der rahmenrechtlichen Regelung in § 23 Abs. 2 BNatSchG unvereinbar, die besagt, dass alle Handlungen, die zu einer Zerstörung, Beschädigung oder Veränderung des Naturschutzgebiets oder seiner Bestandteile oder zu einer nachhaltigen Störung führen können, nach Maßgabe näherer Bestimmungen verboten sind und Naturschutzgebiete der Allgemeinheit (nur) zugänglich gemacht werden können, soweit es der Schutzzweck erlaubt. Folglich sind auch bei der Nutzung der Wege im Naturschutzgebiet die Verbote der §§ 24 Abs. 2 Satz 1 NNatG, 3 Abs. 1 NSG-VO zu beachten. Wenn also das Begehen oder Befahren eines Wegs durch Fußgänger bzw. Radfahrer dazu führt, dass das Naturschutzgebiet oder einzelne seiner Bestandteile zerstört, beschädigt oder verändert werden, ist diese Nutzung verboten und kann daher nur aufgrund einer Befreiung nach § 53 Abs. 1 NNatG i.V.m. § 5 NSG-VO zugelassen werden.

Entgegen der von dem Antragsteller vertretenen Auffassung kann er allerdings kein Beteiligungsrecht daraus herleiten, dass einem von den Ländern anerkannten Verein nach § 60 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG vor Befreiungen von Verboten und Geboten zum Schutz von sonstigen Schutzgebieten im Rahmen des § 33 Abs. 2 BNatSchG Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten zu geben ist. Nach § 33 Abs. 2 BNatSchG erklären die Länder die in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung eingetragenen Gebiete nach Maßgabe des Artikels 4 Abs. 4 der Richtlinie 92/43/EWG und die Europäischen Vogelschutzgebiete entsprechend den jeweiligen Erhaltungszielen zu geschützten Teilen von Natur und Landschaft im Sinne des § 22 Abs. 1 BNatSchG. Unter "sonstigen Schutzgebieten im Rahmen des § 33 Abs. 2 BNatSchG" sind schon nach dem Gesetzeswortlaut nur die Gebiete zu verstehen, die zur Verwirklichung des Zwecks des § 33 Abs. 2 BNatSchG nach § 22 Abs. 1 BNatSchG zu Schutzgebieten erklärt worden sind (Gassner/Bendomir-Kahlo/Schmidt-Räntsch, a.a.O., § 60 Rn. 8; Schumacher/Fischer-Hüftle, a.a.O., § 60 Rn. 7). Auch in der Gesetzesbegründung wird darauf hingewiesen, dass die Einbeziehung der sonstigen nach § 33 Abs. 2 BNatSchG ausgewiesenen Schutzgebiete der besonderen Bedeutung dieser Gebiete im Hinblick auf den Erhalt des gemeinschaftlichen Naturerbes Rechnung trägt (BT-Drucks. 14/6378 S. 60). Eine derartige Unterschutzstellung ist bezüglich des EU - Vogelschutzgebietes "V10 - Emsmarsch von Leer bis Emden" bisher aber nicht erfolgt. Da eine Schutzgebietsverordnung nach § 33 Abs. 2 BNatSchG i.V.m. § 22 Abs. 1 BNatSchG nicht besteht, gibt es auch keine darin festgelegten Verbote, von denen im Sinne von § 60 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG befreit werden kann. Außerdem ist der Begriff der Befreiung eng zu verstehen und erfasst nur Behördenentscheidungen, die auf einer Ermächtigung in einer Befreiungsvorschrift beruhen, nicht aber Ausnahmegenehmigungen auf anderer Grundlage. Hätte der Gesetzgeber dies anders gewollt, hätte er nicht den Begriff Befreiung gewählt, der, wie aus § 62 BNatSchG deutlich wird, für eine ganz bestimmte gesetzlich geregelte Art der Abweichung von einer Norm steht, sondern einen allgemeineren Begriff wie z. B. den der Ausnahme verwendet (vgl. Schumacher/Fischer-Hüftle, a.a.O., § 60 Rn. 8). Dass nach der Gesetzesbegründung die Einbeziehung der sonstigen nach § 33 Abs. 2 BNatSchG ausgewiesenen Schutzgebiete auch der in Art. 6 Abs. 3 Satz 2 der FFH-Richtlinie angesprochenen Beteiligung der Öffentlichkeit Rechnung trägt (vgl. BT-Drucks. 14/6378 S. 60) und die Beteiligung eines anerkannten Vereins im Sinne des § 60 a Satz 1 NNatG i.V.m. § 60 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG eine spezifisch naturschutzrechtliche Form der Öffentlichkeitsbeteiligung darstellt (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.5.1997 - 11 A 43.96 -, BVerwGE 104, 367), steht der Auffassung des Senats nicht entgegen. Ein gesetzgeberischer Wille, dass § 60 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG bereits vor einer Unterschutzstellung eines Gebiets nach § 33 Abs. 2 BNatSchG anwendbar und unter Befreiung auch eine Ausnahme nach § 34 Abs. 2 BNatSchG, § 34 c Abs. 3 NNatG zu verstehen sein soll (so OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 8.1.2007 - 2 M 358/06 -, NuR 2007, 495), lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen.

Der Anordnungsgrund ergibt sich daraus, dass der Teekabfuhrweg in dem streitigen Abschnitt bereits seit dem 15. Juli 2008 für die Allgemeinheit geöffnet ist und der Antragsteller glaubhaft gemacht hat, dass zahlreiche vom Schutzzweck der Naturschutzgebietsverordnung erfasste Vogelarten durch das Begehen und Befahren des Weges durch Fußgänger und Radfahrer erheblich gestört und möglicherweise dauerhaft vertrieben werden, so dass es nicht zumutbar ist, den Antragsteller zur Durchsetzung seines Beteiligungsrechts auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen.

Soweit die Antragsgegnerin geltend gemacht hat, der Antrag des Antragstellers sicherzustellen, dass der Teekabfuhrweg im streitigen Abschnitt durch geeignete Absperrmaßnahmen der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist, sei zu unbestimmt, weil in der Vergangenheit die vorhandenen Zäune und Tore immer wieder überwunden worden seien, zudem sei sie auch nicht Eigentümerin der Zaunanlagen, steht dies dem Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht entgegen. Wie die Antragsgegnerin selbst eingeräumt hat, sind in der Vergangenheit in den Zeiten, für die keine naturschutzrechtliche Befreiung vorlag, die vorhandenen Absperreinrichtungen von ihr bzw. auf ihre Anordnung hin vom Eigentümer bzw. Nutzungsberechtigten der Deichflächen geschlossen worden. Dass die Antragsgegnerin als zuständige Naturschutzbehörde zur Durchführung oder Anordnung derartiger Maßnahmen berechtigt ist, steht außer Frage. Auch derzeit ist ein Teil des Teekabfuhrweges von Pektum bis Ganderssum auf Veranlassung der Antragsgegnerin geschlossen worden. Nichts anderes wird der Antragsgegnerin durch die einstweilige Anordnung für den hier in Rede stehenden Wegeabschnitt auferlegt.

Ende der Entscheidung

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