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Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 06.11.2008
Aktenzeichen: 5 ME 331/08
Rechtsgebiete: BBG, BPolBG


Vorschriften:

BBG § 42 Abs. 1 S. 3
BBG § 46a Abs. 2
BPolBG § 2
BPolBG § 4 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Das Verwaltungsgericht hat mit dem im Tenor bezeichneten Beschluss die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Erlass der Antragsgegnerin vom 10. April 2008 wiederhergestellt. Mit diesem Erlass hatte die Antragsgegnerin die amtsärztliche Untersuchung der Antragstellerin und den Sofortvollzug angeordnet.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin hat Erfolg. Die mit ihr dargelegten Gründe, auf deren Prüfung das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), erfordern eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses und die Ablehnung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes.

Der Senat kann es im vorliegenden Fall offen lassen, ob die Anordnung der amtsärztlichen Untersuchung der Antragstellerin einen Verwaltungsakt darstellt und sich daher die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO richtet oder die Verwaltungsaktsqualität der Anordnung abzulehnen ist mit der Folge, dass einstweiliger Rechtsschutz unter den Voraussetzungen des § 123 VwGO zu gewähren wäre. Denn unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens erweist sich im Rahmen der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Prüfung die Anordnung der amtsärztlichen Untersuchung als voraussichtlich rechtmäßig. Daher kann ein den erstrebten vorläufigen Rechtsschutz rechtfertigendes Überwiegen des Interesses der Antragstellerin, von dem Vollzug der umstrittenen Maßnahme verschont zu bleiben (§ 80 Abs. 5 VwGO), ebenso wenig angenommen werden wie die Glaubhaftmachung eines Sicherungs- oder Regelungsanspruchs (§ 123 Abs. 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für die Anordnung der amtsärztlichen Untersuchung ist über die Verweisungsnorm des § 2 BPolBG die Vorschrift des § 42 Abs. 1 Satz 3 BBG. Danach ist der Beamte verpflichtet, sich nach Weisung der Behörde amtsärztlich untersuchen zu lassen und, falls ein Amtsarzt dies für erforderlich hält, auch beobachten zu lassen, wenn Zweifel über die Dienstunfähigkeit des Beamten bestehen. Eine solche Weisung, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, ist dann gerechtfertigt, wenn sich die Zweifel des Dienstherrn an der Dienstunfähigkeit des Beamten auf konkrete Umstände stützen und "nicht aus der Luft gegriffen" sind. Hierbei beschränkt sich der verwaltungsgerichtliche Kontrollumfang darauf, ob die Weisung ermessensfehlerhaft, insbesondere willkürlich ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 17.9.1997 - BVerwG 2 B 106.97 -, zitiert nach juris Langtext, Rn. 6 f. unter Hinweis auf BVerwG, Beschl. v. 28.5.1984 - BVerwG 2 B 295.82 -, Buchholz 237.5 § 51 Nr. 1 und Beschl. v. 26.9.1988 - BVerwG 2 B 132.88 -, Buchholz 237.1 Art. 56 Nr. 1).

Anhand dieses Prüfungsmaßstabs erweist sich der streitgegenständliche Erlass vom 10. April 2008 als voraussichtlich rechtmäßig. Denn es bestehen entgegen der verwaltungsgerichtlichen Auffassung erhebliche konkrete Anhaltspunkte, die die Zweifel an der Dienstfähigkeit der Antragstellerin stützen.

Ein Anhaltspunkt für die Zweifel an der Dienstfähigkeit der Antragstellerin ist ihre lange Erkrankung in der Zeit vom 18. Januar bis zum 28. Dezember 2007. Auch wenn sich die Antragstellerin nach ihrem an diesen Erkrankungszeitraum anschließenden Erholungsurlaub ohne nennenswerte Fehltage wieder im Dienst befindet, kann der Dauer der Erkrankung die Eignung als Indiz für ihre fehlende Dienstfähigkeit nicht abgesprochen werden. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass die Antragstellerin - seit sie ihren Dienst wieder ausübt - nur eine Auswahl besonderer Aufgaben zugewiesen bekommt, um die Entstehung besonderer Belastungssituationen wie derjenigen, die zu der langen Erkrankung der Antragstellerin geführt hatte, zu vermeiden.

Hinzu kommt als konkreter Umstand, der die Zweifel an der Dienstfähigkeit der Antragstellerin begründet, dass nach dem von der Antragsgegnerin eingeholten Gutachten des Sozialmedizinischen Dienstes vom 14. November 2007, das sich wiederum auf die neurologischen/psychiatrischen Stellungnahmen von Dr. med. B. vom 28. September und 8. November 2007 bezieht, die Antragstellerin an einer Belastungsstörung leidet, die zu den genannten Ausfallzeiten geführt hat und die zu ihrer Beseitigung und zur Herbeiführung einer Konfliktlösung im privaten und dienstlichen Bereich eine zeitlich befristete Behandlung erforderlich macht.

Zwar wird in dem Sozialmedizinischen Gutachten vom 14. November 2007 die Dienstfähigkeit der Antragstellerin festgestellt. Diese Feststellung räumt jedoch nicht die durch das Gutachten hervorgerufenen Zweifel aus. Denn die Feststellung der Dienstfähigkeit ist ausdrücklich "unter Beachtung der Empfehlungen des Gutachters <gemeint sind die Ausführungen von Dr. med. B. in seinen Stellungnahmen> zur Behandlungsbedürftigkeit" getroffen worden. Dies lässt den Schluss zu, dass eine Dienstfähigkeit der Antragstellerin nur unter der Voraussetzung einer entsprechenden, von Dr. med. B. empfohlenen und erfolgreichen Behandlung angenommen werden kann. Entgegen der verwaltungsgerichtlichen Auffassung erweisen sich die Ausführungen in dem Sozialmedizinischen Gutachten nicht zwingend als widersprüchlich und daher für die Begründung von Zweifeln an der Dienstfähigkeit als ungeeignet, weil einerseits die Dienstfähigkeit der Antragstellerin und andererseits ihre Behandlungsbedürftigkeit festgestellt werden. Da die Feststellung der Polizeidienstunfähigkeit nach § 4 Abs. 1 BPolBG u. a. voraussetzt, es dürfe nicht zu erwarten sein, dass der Beamte seine volle Verwendungsfähigkeit innerhalb zweier Jahre wiedererlangen werde, könnte diese Voraussetzung im Falle der Antragstellerin nicht gegeben und die Feststellung ihrer Dienstfähigkeit trotz der festgestellten Behandlungsbedürftigkeit letztlich im Ergebnis zutreffend sein, da Dr. med. B. nach den Angaben des Sozialmedizinischen Dienstes davon ausgegangen ist, dass die Antragstellerin einer zeitlich befristeten Behandlung bedürfe und die Prognose einer erfolgreichen Behandlung als günstig zu beurteilen sei. Träfe diese Einschätzung zu, wäre die Antragstellerin zwar gegenwärtig nicht in der Lage, ihren Dienst mit voller Verwendungsfähigkeit auszuüben, sie wäre aber im Falle der erfolgreichen Behandlung mangels Überschreitung des Prognosezeitraums nicht dienstunfähig im Sinne von § 4 Abs. 1 BPolBG.

Soweit nach Auffassung der Antragstellerin das Gutachten des Sozialmedizinischen Dienstes auch die Deutung zulasse, ihre Dienstfähigkeit werde unabhängig von ihrer Behandlungsbedürftigkeit festgestellt, steht dies der Annahme von begründeten Zweifeln an ihrer Dienstfähigkeit nicht entgegen. Denn für die Rechtmäßigkeit der Anordnung der amtsärztlichen Untersuchung kommt es nicht darauf an, ob der betroffene Beamte tatsächlich dienstunfähig ist, also die die Zweifel begründenden Umstände - wie hier das Gutachten des Sozialmedizinischen Dienstes vom 14. November 2007 - tatsächlich die Annahme der Dienstunfähigkeit der Antragstellerin zu stützen vermögen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 23.8.2007 - 5 ME 163/07 -; Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, BBG/BeamtVG, Stand: Oktober 2008, § 42, Rn. 10). Es reicht vielmehr aus, wenn das Gutachten nachvollziehbar Anlass zu Zweifeln gibt. Dieses ist hier der Fall, zumal die Interpretation des Sozialmedizinischen Gutachtens vom 14. November 2007 aus Sicht der Antragsgegnerin durch die Stellungnahme des Sozialmedizinischen Dienstes vom 15. August 2008 bestätigt wird. In dieser Stellungnahme wird klargestellt, dass die gutachterlichen Feststellungen auf der Grundlage einer erfolgreich durchgeführten Behandlung basierten.

Die bei der Antragsgegnerin bestehenden Zweifel kann die Antragstellerin nicht dadurch entkräften, dass nach ihrer Ansicht die diagnostizierte Störung nicht mehr vorhanden sei, weil sie sich regelmäßig innerhalb von sechs Monate zurückbilde und seit der Erstellung des Gutachtens im November 2007 dieser Zeitraum verstrichen sei. Denn es ist für die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Anordnung nicht erforderlich, dass der betroffene Beamte die Zweifel an seiner Dienstfähigkeit teilt (vgl. Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, a. a. O., § 42, Rn. 10). Das Fortbestehen der Belastungsstörung nach den Aussagen des Sozialmedizinischen Gutachtens wird hierdurch nicht in Frage gestellt. Gleiches gilt für die mit Schriftsatz vom 4. November 2008 vorgelegte privatärztliche Stellungnahme von Dr. med. C. vom 22. Oktober 2008, nach der sich aufgrund eines längeren und ausführlichen Gesprächs keinerlei Anhaltspunkte für eine Anpassungsstörung der Antragstellering ergeben hätten. Denn diese Stellungnahme setzt sich nicht in der gebotenen Form mit dem Sozialmedizinischen Gutachten vom 14. November 2007 einschließlich den diesem Gutachten zugrundeliegenden Stellungnahmen von Dr. med. B. sowie der ergänzenden Stellungnahme des Sozialmedizinischen Dienstes vom 15. August 2008 auseinander.

Der Senat folgt nicht der Auffassung der Antragstellerin, das Gutachten des Sozialmedizinischen Dienstes vom 14. November 2007 und dessen Stellungnahme vom 15. August 2008 seien nicht verwertbar und daher als Grundlage für die Annahme von Zweifeln an ihrer Dienstfähigkeit ungeeignet, weil die Diagnose einer Belastungsstörung wie auch die Behandlungsempfehlung nicht hätten aufgenommen werden dürfen. Ein Verstoß gegen § 46a Abs. 2 BBG ist nicht ersichtlich. Nach dieser Vorschrift teilt ein Arzt, wenn eine ärztliche Untersuchung u. a. nach § 42 BBG durchgeführt wird, nur im Einzelfall auf Anforderung der Behörde das die tragenden Feststellungen und Gründe enthaltende Gutachten mit, soweit deren Kenntnis für die Behörde unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit für die von ihr zu treffende Entscheidung erforderlich ist. Da über die Frage der Dienstunfähigkeit die zuständige Behörde zu entscheiden hat und damit diese feststellen muss, ob Amtsanforderungen einerseits und leistungseinschränkende Sachverhalte andererseits auseinanderfallen, muss im Regelfall der Behörde vom Amtsarzt mitgeteilt werden, welche Leistungseinschränkungen durch Krankheit bestehen und wie sie sich vermutlich künftig weiterentwickeln werden (vgl. Summer in Fürst u. a. <Hrsg.>, GKÖD, § 46a, Rn. 3). In Anbetracht dessen ist die Mitteilung, die Antragstellerin leide an einer "Belastungsstörung" und könne erfolgreich - stationär - behandelt werden, Bestandteil der das Gutachten tragenden Feststellungen und Gründe. Die Feststellung einer Belastungsstörung stellt eine Umschreibung der Leistungseinschränkung dar, wobei dem Sozialmedizinischen Gutachten die genaue Klassifizierung der Belastungsstörung nicht entnommen werden kann. Die Mitteilung der Möglichkeit und Art und Weise der Behandlungsfähigkeit der Belastungsstörung war schon deshalb mitzuteilen, weil die Feststellung der Dienstunfähigkeit nach § 4 Abs. 1 BPolBG eine dahingehende Prognoseentscheidung voraussetzt.

Die Anhaltspunkte für die Zweifel an der Dienstfähigkeit der Antragstellerin werden schließlich nicht durch die Angaben des Polizeiarztes Dr. D. in Frage gestellt. Der Umstand, dass Dr. D. einen Arbeitsversuch der Antragstellerin zur Wiedereingliederung befürwortet hatte, mag zwar gegen die Annahme einer Dienstunfähigkeit sprechen, steht aber den begründeten Zweifeln der Antragsgegnerin nicht entgegen. Denn es ist nicht ersichtlich, dass sich Dr. D. angesichts der Konsultationen der Antragstellerin während ihres Urlaubs wegen akuter Beschwerden zur Frage der Dienstunfähigkeit und dem vorliegenden Sozialmedizinischen Gutachten vom 14. November 2007 auseinander gesetzt hat (vgl. auch die Stellungnahme von Dr. D vom 11. April 2008).

Die Anordnung des Sofortvollzugs wäre - unterstellt, bei der streitgegenständlichen Anordnung der amtsärztlichen Untersuchung handelt es sich um einen Verwaltungsakt - den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügend hinreichend begründet. Diese Vorschrift erfordert eine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung des besonderen Interesses dafür, dass ausnahmsweise die sofortige Vollziehbarkeit notwendig ist und dass hinter dieses erhebliche öffentliche Interesse das Interesse des Betroffenen zurücktreten muss, zunächst von dem Vollzug des von ihm angefochtenen Verwaltungsakts verschont zu bleiben (vgl.: Nds. OVG, Beschl. v. 11.9.2008 - 5 ME 339/08 -; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 80 Rdnr. 85). Hiergegen kann die Antragstellerin nicht mit Erfolg einwenden, die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung sei unzureichend, weil nicht feststellbar sei, dass sich die Antragsgegnerin des Ausnahmecharakters der Sofortvollzugsanordnung bewusst gewesen sei, und der Begründung ein Interesse gerade an der sofortigen Vollziehung nicht entnommen werden könne. Ersterem ist schon deshalb nicht zuzustimmen, weil die Antragsgegnerin in ihrem Erlass vom 10. April 2008 die Anordnung des Sofortvollzugs nicht nur im Tenor, sondern auch in der Begründung von der Maßnahme selbst getrennt und mit einer gesonderten Begründung versehen hat. Die Erwägungen in der Begründung selbst, die zur Anordnung der sofortigen Vollziehung geführt haben, werden im Übrigen noch hinreichend deutlich und sind nicht rein formelhaft. Die Antragsgegnerin hat in der Begründung des Sofortvollzugs ausdrücklich auf den Einzelfall der Antragstellerin Bezug genommen und darauf verwiesen, dass unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Bewertung der schon vorliegenden Stellungnahmen zur Vermeidung weiterer zeitlicher Verzögerungen eine sofortige Abklärung der Frage der Dienstunfähigkeit der Antragstellerin erforderlich sei. Die besondere Dringlichkeit der Regelung im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 VwGO hat die Antragsgegnerin mithin im Zusammenhang mit der Begründung der Verfügung dargetan und in der Begründung des Sofortvollzugs betont, dass die Beantwortung der Frage der Dienstfähigkeit für die weitere Verwendung der Antragstellerin unerlässlich sei und nunmehr wegen der schon lang anhaltenden Unsicherheit der zügigen Klärung bedürfe.

Ende der Entscheidung

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