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Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 05.09.2007
Aktenzeichen: 7 LA 42/07
Rechtsgebiete: GewO, VwGO


Vorschriften:

GewO § 35 Abs. 1 S. 1
GewO § 35 Abs. 7a
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 5
VwGO § 138 Nr. 3
Zu den Voraussetzungen einer Berufungszulassung wegen Versagung des rechtlichen Gehörs durch das Verwaltungsgericht.
NIEDERSÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT LÜNEBURG BESCHLUSS

Aktenz.: 7 LA 42/07

Datum: 05.09.2007

Gründe:

Die Klägerin wendet sich gegen das im Tenor bezeichnete Urteil, mit dem ihre Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten vom 3. März 2005 abgewiesen worden ist.

Mit dem Bescheid ist ihr - wie gleichzeitig der vormals bestehenden GmbH, deren Geschäftsführerin sie war - die Ausübung des Gewerbes "Herstellung von Druckvorlagen und Verlagserzeugnissen auf eigene und fremde Rechnung, Kauf und Verkauf von Lizenzen und Erotikerzeugnissen sowie der damit verbundenen Präsentation auf Verkaufsmessen und Veranstaltungen" untersagt worden. Die GmbH und damit auch die Klägerin hätten sich als gewerblich unzuverlässig erwiesen, weil sie über lange Zeit ihren steuerlichen Zahlungs- und Erklärungspflichten nicht nachgekommen seien. So sei es zu gravierenden Steuerrückständen gekommen, für deren Rückführung es keine Anhaltspunkte gebe.

Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid bestätigt und ergänzend ausgeführt, dass auch die gegen die Steuerbescheide anhängigen finanzgerichtlichen Verfahren nichts an der Einschätzung der Klägerin als gegenüber dem Fiskus säumig, hoch verschuldet und damit unzuverlässig änderten. Es gebe kein Sanierungskonzept.

Mit ihrem fristgerecht gestellten Antrag begehrt die Klägerin die Zulassung der Berufung. Die Richtigkeit des Urteils sei ernstlich zweifelhaft, weil sie, die Klägerin, nach inzwischen geänderten Steuerbescheiden und Verrechnungen mit Steuererstattungsansprüchen tatsächlich keine Steuerschulden mehr habe. Weiterbestehende Haftungsbescheide könnten materiell keinen Bestand haben. Auch wenn das Finanzgericht die Aussetzung der Vollziehung der Steuerbescheide nur gegen Sicherheit bewilligt habe und sie diese Sicherheit nicht habe erbringen können, habe es Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide geäußert. Die Rechtssache sei auch besonders schwierig, weil ihre Haftung für die Steuerschulden der früheren GmbH von einem besonders kontroversen Sachverhalt abhänge. Schließlich habe ihr das Verwaltungsgericht das rechtliche Gehör versagt, weil sie vor dessen Entscheidung nicht mehr zum Schriftsatz der Beklagten vom 11. (gemeint: 18.) Dezember 2006 samt Anlagen habe Stellung nehmen können, auf die sich das Urteil aber stütze.

Die Beklagte plädiert für den Bestand des Urteils.

II.

Der Antrag ist unbegründet. Die behaupteten Berufungszulassungsgründe liegen nicht vor.

1.) Das klägerische Vorbringen vermag die Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils nicht in Zweifel zu ziehen, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Das Verwaltungsgericht hat sich der Begründung des angefochtenen Bescheids vom 3. März 2005 angeschlossen. Danach habe sich die frühere B. GmbH (vorheriger Firmenname: C. GmbH) als unzuverlässig im Sinne des § 35 Abs. 1 S. 1 GewO erwiesen, weil sie infolge des Fehlens der erforderlichen Geldmittel zur einer ordnungsgemäßen Betriebsführung nicht mehr in der Lage gewesen sei. Die GmbH habe im Zeitpunkt der Bescheidung vollziehbare Steuerschulden von 886.447,78 Euro aufgehäuft, die bis in das Jahr 2002 zurückreichten, ohne dass Zahlungen geleistet worden seien oder ein Sanierungskonzept vorgelegen habe. Dies schlage nach § 35 Abs. 7a S. 1, S. 2 GewO auch auf die Klägerin als ehemalige Geschäftsführerin durch. Auf die mit der Klage vorgebrachten Einwände hat das Verwaltungsgericht bekräftigt, dass die gegen die Steuerbescheide anhängigen finanzgerichtlichen Verfahren nichts an deren Vollziehbarkeit - eine aufschiebende Wirkung sei insoweit nicht eingetreten - und daran änderten, dass sie im Gewerbeuntersagungsverfahren zu berücksichtigen seien. Die erheblichen Abgabenrückstände bestünden fort; ein Sanierungskonzept sei bisher nicht erarbeitet worden.

Die so begründete Entscheidung ist rechtlich bedenkenfrei. Wenn der Zulassungsantrag von "zwischenzeitlich geänderten Steuerbescheiden und Verrechnungsansprüchen" spricht, ist dies bereits deshalb unbeachtlich, weil es für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage grundsätzlich auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, hier also auf den 3. Mai 2005, ankommt (stdg. Rspr. des Bundesverwaltungsgerichts seit dem Urteil vom 2. Februar 1982 - 1 C 146.80 -, BVerwGE 65,1). Lediglich dann, wenn die Voraussetzungen der Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 GewO zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung noch nicht vorlagen, dies aber zum Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenverhandlung der Fall ist, bleibt die Anfechtungsklage (ebenfalls) erfolglos. § 35 Abs. 6 GewO verbietet die Berücksichtigung einer späteren positiven Entwicklung im Anfechtungsstreit, wenn die Untersagungsvoraussetzungen zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung gegeben waren (vgl. dazu im Einzelnen OVG Lüneburg, Urt. v. 15. Sept. 1993 - 7 L 5832/92 -, NVwZ 1995, 185 <186 >; zuletzt Beschl. v. 24. August 2007 - 7 ME 193/06 -, Rechtsprechungsdatenbank der nds. Verwaltungsgerichtsbarkeit). Das war hier der Fall und wird von der Klägerin auch nicht angegriffen, so dass sich Ausführungen zu einer behaupteten positiven Entwicklung nach Bescheiderlass erübrigen.

Zudem widerspricht sich die Klägerin, wenn sie einerseits behauptet, "keine Steuerschulden mehr zu haben", andererseits aber einräumt, sie werde nach wie vor für Schulden der GmbH in Höhe von etwa 180.000,00 Euro in Anspruch genommen. Die vom Senat angeregte Vorlage der aktuellen Rückstände der Klägerin hat ergeben, dass sie derzeit eigene Steuerrückstände in Höhe von 116.576,04 Euro - diese Bescheide sind sogar bestandskräftig - hat und sie für die Schulden der ehemaligen GmbH in Höhe von noch 179.822,93 Euro haftet; damit sind zu ihren Lasten derzeit insgesamt 296.398,97 Euro Steuern und Nebenabgaben fällig (GA Bl. 41 f.). Auch wenn diese, wie die Klägerin meint, "auf dünnem und brüchigem Eis" stehen sollten, ist nicht zu leugnen, dass insoweit durchgängig vollziehbare Steuerbescheide vorliegen. Deutlich wird aus der massiven Überschuldung der Klägerin weiter, dass - ohne dass es für die Entscheidung darauf ankäme - sie auch aktuell über kein Konzept zur Bereinigung ihrer wirtschaftlich negativen Situation verfügt. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, dass Steuerrückstände, die zur Annahme der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit führen können, solche nicht entrichteten Steuern sind, die der Steuerpflichtige von Rechts wegen bereits hätte zahlen müssen. Wann die Steuerschuld fällig ist, ergibt sich aus den einzelnen Steuergesetzen und im Übrigen aus § 220 AO. Ein Steuerbescheid ist danach grundsätzlich vollziehbar. Zu entrichten braucht der Pflichtige die Steuer lediglich nicht, wenn die Vollziehung der festgesetzten Steuer ausgesetzt ist (§ 361 AO, § 69 FGO). Danach sind alle der Klägerin noch vorgehaltenen (in der Vollstreckung befindlichen) Steuerschulden zahlbar und stellt bereits die Nichtzahlung als solche eine Pflichtwidrigkeit dar. Die Gewerbeaufsichtsbehörden und die Verwaltungsgerichte sind nicht verpflichtet, die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzungen zu prüfen und in diesem Zusammenhang weitere Ermittlungen vorzunehmen (BVerwG, Beschl. v. 12. März 1997 - 1 B 72.97 -, zit. nach juris, Rn. 4 m.w.N.).

2.) Daraus ergibt sich zugleich, dass die Rechtssache keine tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO deshalb aufweist, weil die steuerrechtliche Beurteilung der Haftungsfrage nicht einfach sei. Das mag durchaus sein. Aber abgesehen davon, dass entgegen ihrer Behauptung auch erhebliche Steuerforderungen gegen die Klägerin direkt bestehen, gehört dies, wie ausgeführt, nicht zum verwaltungsgerichtlichen Prüfprogramm.

3.) Im Ansatz zutreffend macht die Klägerin allerdings einen Verfahrensmangel geltend.

Dieser liegt darin, dass ihr das Verwaltungsgericht das rechtliche Gehör zum Vortrag der Beklagten in deren Schriftsatz vom 18. Dezember 2006 samt den beigefügten aktuellen Bescheiden des Finanzamts Hannover-Nord versagt hat, § 124 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO. Diese Unterlagen sind den Prozessbevollmächtigten der Klägerin unter dem 2. Januar 2007 vom Verwaltungsgericht "zur Kenntnis und eventuellen Stellungnahme" postalisch übersandt worden (GA Bl. 89 R). Kenntnis konnte sie damit frühestens am 3. Januar 2007 nehmen; an diesem Tag hat das Gericht jedoch bereits sein Urteil (ohne weitere mündliche Verhandlung) gefällt.

Gleichwohl vermag der Mangel nicht zur Berufungszulassung zu führen. Obwohl dies bei den in § 138 VwGO bezeichneten Verfahrensverstößen grundsätzlich unabhängig von ihrem konkreten Einfluss auf die getroffene Entscheidung anzunehmen ist, führen speziell Gehörsverstöße nicht zwangsläufig zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung bzw. zur Berufungszulassung. Denn hier auftretende Fehler können sich auch nur auf einzelne dem Urteil zugrunde liegende Feststellungen beziehen, die nicht notwendigerweise das Gesamtergebnis in Zweifel ziehen. Eine Berufungszulassung kommt deshalb nicht in Frage, wenn der Gehörsverstoß die Richtigkeit des Ergebnisses offensichtlich nicht in Frage stellt (Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 3. A., Rn. 65 zu § 124; Rn. 27 zu § 138 m.w.N.). So liegt es hier.

Das Verwaltungsgericht hat die mit Schriftsatz der Beklagten vom 18. Dezember 2006 mitgeteilten aktuellen Steuerschulden u.a. der Klägerin lediglich als Begründung dafür angeführt, dass sie auch derzeit "nicht nach einem erfolgversprechenden Sanierungskonzept arbeitet". Diesem Umstand kommt nach dem Urteil keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu, weil in ihm zu Beginn der Entscheidungsgründe - zutreffend - hervorgehoben wird, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage derjenige der "letzten Verwaltungsentscheidung", hier also der 3. März 2005, ist. Bereits zu diesem Zeitpunkt lagen die Untersagungsvoraussetzungen nach der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung vor. Die von der Beklagten später und ergänzend angestellten Ermittlungen vermochten an diesem Ergebnis rechtlich in keinem Fall mehr etwas zu ändern. Dass die Ermittlungen rein zukunftsbezogen waren, wird daraus deutlich, dass das Finanzamt von Steuerrückständen der Klägerin berichtet, die "zur Zeit" bestünden sowie Mitteilung von ihrer Haftung für die Rückstände der in Liquidation gegangenen GmbH macht, wie sie mit dem Haftungsbescheid vom (erst) 10. November 2006 festgesetzt worden seien (GA Bl. 91 f.). Derartige Ermittlungen zur aktuellen Situation sind in Gewerbeuntersagungsverfahren nicht unüblich, wie auch das Verfahren vor dem Senat zeigt. Sie dienen möglichen Vergleichslösungen oder können - wie auch vorliegend - das Gesamtbild "abrunden", ohne entscheidungsrelevant zu sein. Für diese Feststellung bedarf es nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens.

Ende der Entscheidung

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