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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 08.09.2008
Aktenzeichen: 7 LA 80/06
Rechtsgebiete: AtDeckV, AtG


Vorschriften:

AtDeckV § 2
AtDeckV § 3
AtG § 13 Abs. 4
Stiftungsuniversitäten nach § 55 NHG sind nicht von der Pflicht zur Deckungsvorsorge nach § 13 Abs. 4 Satz 1 AtG befreit.

Die eigene Finanzkraft der Einrichtung des Bundes oder Landes spielt für die Befreiung von der Pflicht zur Deckungsvorsorge keine Rolle.


Gründe:

Der Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das im Tenor genannten Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen zuzulassen, mit dem ihre Klage gegen die Anordnung zur Erbringung einer atomrechtlichen Deckungsvorsorge abgewiesen worden ist, hat keinen Erfolg.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind im Ergebnis nicht zu bejahen.

a) Nach § 13 Abs. 4 Satz 1 des Gesetzes über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz - AtG -) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Juli 2002 (BGBl. I 1351) sind der Bund und die Länder - abweichend von § 13 Abs. 1 und 2 AtG - nicht zur Deckungsvorsorge (für die Erfüllung atomrechtlicher Schadenersatzansprüche) verpflichtet. Die Regelung privilegiert Bund und Länder für von ihnen betriebene atomrechtliche Anlagen, indem sie von der Verpflichtung zur Deckungsvorsorge freigestellt werden. Auf die genannte Ausnahmevorschrift kann die Klägerin sich indes nicht berufen. Ihr ist zwar zuzugeben, dass atomrechtliche Anlagen in der Regel nicht vom Bund oder den Ländern unmittelbar, sondern von - mehr oder minder - verselbstständigten Einrichtungen betrieben werden. Sie ist - entgegen der von ihr vertretenen Auffassung - jedoch nicht "Land" iSv § 13 Abs. 4 AtG.

Welchen Grad der Separation von ihrem Träger solche organisatorisch verselbständigten Einrichtungen nicht überschreiten dürfen, um das Privileg des § 13 Abs. 4 Satz 1 AtG nicht zu verlieren, ist durch Auslegung zu ermitteln.

Aufschlüsse für die Interpretation des § 13 Abs. 4 AtG ergeben sich aus der Ursprungsfassung der Norm sowie aus der Gesetzesbegründung (BT- Drs. 3/759). In der ursprünglichen Fassung des Gesetzes vom 23. Dezember 1959 (BGBl. I 813) lautete § 13 Abs. 4 Satz 1 AtG:

"Der Bund - ausgenommen die Deutsche Bundesbahn bei Beförderungen im öffentlichen Verkehr - und die Länder sind nicht zur Deckungsvorsorge verpflichtet."

In der Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zum Atomgesetz vom 17. Dezember 1958 (BT- Drs. 3/759) heißt es dazu:

" Bund und Länder decken ihre Haftpflichtrisiken in der Regel nach dem Prinzip der Selbstversicherung. Wegen ihrer Finanzkraft ist es nicht notwendig, dass sie eine besondere Vorsorge für die Erfüllung ihrer gesetzlichen Schadenersatzverpflichtungen treffen. ...."

Hinsichtlich der Sonderregelung betreffend die Deutsche Bundesbahn - systematisch Rückausnahme - hieß es in der Begründung des Regierungsentwurfes, dass diese Bestimmung getroffen werde,

"... um klarzustellen, dass auch die Deutsche Bundesbahn Deckungsvorsorge zu treffen hat...".

Die Streichung der Ausnahme für die Deutsche Bundesbahn erfolgte durch das Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens vom 27. Dezember 1993 (BGBl. I 2378), zuletzt geändert durch Artikel 302 der Verordnung vom 31. Oktober 2006 (BGBl. I 2407), als nach der Wiedervereinigung die Sondervermögen der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn zusammengefasst sowie der unternehmerische Bereich aus dem Bundeseisenbahnvermögen ausgegliedert und in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde. In der Begründung des Eisenbahnneuordnungsgesetzes (BT-Drs. 12/4609) heißt es insoweit:

"Die Eisenbahnen des Bundes sind nicht Bund im Sinne dieser Vorschrift und daher zur Deckungsvorsorge verpflichtet. Die Klarstellung für das Sondervermögen "Deutsche Bundesbahn" kann daher gestrichen werden."

An den angeführten Aussagen der Gesetzesbegründungen wird deutlich, dass die Sonderregelung betreffend die Deutsche Bundesbahn in § 13 Abs. 4 Satz 1 AtG 1960 nach der Vorstellung des historischen Gesetzgebers deklaratorische Bedeutung hatte. Sie sollte die Rechtslage lediglich klarstellen. Die Bundesbahn war bei Inkrafttreten des Atomgesetzes am 1. Januar 1960 nach dem Bundesbahngesetz vom 13. Dezember 1951 (BGBl. I 955) - BbG - ein nicht rechtsfähiges Sondervermögen des Bundes mit eigener Wirtschafts- und Rechnungsführung (§ 1 BbG). Für ihre Verbindlichkeiten haftete der Bund indes nur mit dem Bundeseisenbahnvermögen (§ 3 Abs. 2 S. 1, 1. HS BbG). Im Rechtsverkehr nach außen hin verselbstständigt, konnte sie unter ihrem Namen handeln, klagen und verklagt werden (§ 2 Abs. 1 BbG). Der Grad der organisatorischen Verselbstständigung der Deutschen Bundesbahn und ihrer Separierung vom Bund als Träger stand nach der gesetzgeberischen Vorstellung einer Einbeziehung in die Privilegierung des § 13 Abs. 4 Satz 1 AtG entgegen. Gleichwohl sah der Gesetzgeber im Hinblick auf den Status der Deutschen Bundesbahn als Eigenunternehmen des Bundes offensichtlich ein Klarstellungsbedürfnis.

Daraus (und aus der weiteren Begründung des Regierungsentwurfes zu § 13 Abs. 4 Satz 1 AtG in BT- Drs. 3/759) ist zunächst zu folgern, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers Eigenunternehmen des Bundes und der Länder aufgrund ihrer rechtlichen Struktur in den Genuss der Privilegierung des § 13 Abs. 4 Satz 1 AtG kommen, da ihr Träger für sie haftet. Aus dem angeführten Regelungskontext wird deutlich, dass der Gesetzgeber durch § 13 Abs. 4 Satz 1 AtG Bund und Länder mit Rücksicht auf ihre Finanzkraft privilegieren wollte und deren Einrichtungen lediglich im Hinblick auf die Finanzkraft ihrer Träger, d.h. Bund und Länder, in diese Privilegierung einbezogen werden sollten. Dagegen spielte die eigene Finanzkraft der Einrichtung für die Befreiung von der Pflicht zur Deckungsvorsorge keine Rolle, wie sich daran zeigt, dass selbst das - für Schäden haftende - Bundeseisenbahnvermögen (§§ 1, 3 BbG 1951) nicht als ausreichend angesehen wurde, um eine Einbeziehung der Deutschen Bundesbahn in die Privilegierung zu begründen.

Für die Klägerin als rechtsfähige Stiftung des öffentlichen Rechts nach § 55 des Niedersächsischen Hochschulgesetzes - NHG - ergibt sich daraus, dass sie aufgrund ihrer weitgehenden organisatorischen Separierung - der Senat verweist insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die entsprechenden Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts - nicht als in den Kreis der von der Deckungsvorsorge befreiten öffentlichen Einrichtungen einbezogen angesehen werden kann. Vielmehr ist die Stellung der Klägerin im Rechtsverkehr im Schadensfall jener der - früheren - Deutschen Bundesbahn nach dem Bundesbahngesetz 1951 vergleichbar, die ebenfalls nicht von der Verpflichtung zur Deckungsvorsorge befreit war. Die Klägerin ist wie diese im Rechtsverkehr selbstständig; das Land haftet für ihre Tätigkeit nach § 6 des Gesetzes betreffend die Errichtung und Finanzierung von Stiftungen als Träger niedersächsischer Hochschulen vom 11. Dezember 2002 (GVBl. S. 768) - im Folgenden: Errichtungsgesetz - iVm § 7 der Verordnung der Neuregelung der Trägerschaft der Georg-August-Universität Göttingen vom 17. Dezember 2002 (GVBl. S. 812) - StiftVO-UGÖ - ebenfalls lediglich beschränkt, hier auf den Wert des Stiftungsvermögens.

Der Hinweis der Klägerin auf den Wert dieses Stiftungsvermögens - er beträgt nach ihren Angaben 600 Millionen EUR - ist in diesem Zusammenhang unbehelflich, da die eigene Finanzkraft der öffentlichen Einrichtung - wie oben dargelegt - für die Verpflichtung zur Deckungsvorsorge aus § 13 Abs. 4 Satz 1 AtG nicht maßgeblich ist .

Dass der niedersächsische Landesgesetzgeber bei Überführung der Georg-August-Universität Göttingen in den Status einer rechtsfähigen Stiftung offenbar beabsichtigt hat, der Klägerin das "Nichtversicherungs-Privileg" zu erhalten, worauf diese unter Bezugnahme auf die Landtagsdrucksache 14/3795 hinweist, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Die Privilegierung des § 13 Abs. 4 Satz 1 AtG stellt Bundesrecht dar und kann durch landesrechtliche Regelungen nicht erweitert werden.

b) Soweit die Klägerin die Auffassung vertritt, die Haftungsübernahme durch das Land nach § 6 Errichtungsgesetz und § 7 StiftVO-UGÖ stelle selbst bereits Deckungsvorsorge in Gestalt einer "sonstigen finanziellen Sicherheit" iSv § 1 Satz 1 Nr. 2 und § 3 der aufgrund von §§ 13 Abs. 3, 54 Abs. 1 und 2 AtG in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Oktober 1976 (BGBl. I 3053) erlassenen Verordnung über die Deckungsvorsorge nach dem Atomgesetz - AtDeckV - dar, ist dem nicht zu folgen. Der Senat verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Es spricht bereits überwiegendes dagegen, die Schadensübernahme des Landes überhaupt als "sonstigen finanziellen Sicherheit" iSd genannten Vorschriften anzusehen. Die Atomdeckungsverordnung kennt den Fall, dass der Bund oder die Länder verpflichtet sind, den zur Deckungsvorsorge Verpflichteten von Schadenersatzansprüchen freizustellen. § 2 Abs. 2 AtDeckV geht bei dieser Gestaltung davon aus, dass der Bund oder das Land einen Versicherungsvertrag abschließt und damit selbst Vorsorge trifft. Die Konzeption der Atomdeckungsverordnung spricht demnach erkennbar dafür, dass eine Haftungsfreistellung durch den Bund oder das betreffende Land selbst keine Deckungsvorsorge iSv § 1 AtDeckV und damit auch keine "sonstige finanzielle Sicherheit" darstellen kann.

Im Übrigen ist den Anforderungen an eine Deckungsvorsorge nach der Atomdeckungsverordnung durch §§ 6 Errichtungsgesetz, 7 StiftVO-UGÖ auch aus anderen Gründen nicht genügt:

- Nach § 4 Abs. 4 AtDeckV darf die Deckungsvorsorge nicht für andere als die gesetzlichen Schadenersatzverpflichtungen bestimmt oder verwendet werden. Diese Exklusivität der Deckungsvorsorge gewährleisten §§ 6 Errichtungsgesetz, 7 StiftVO-UGÖ nicht. Der vom Land übernommene Haftungsbetrag kann vielmehr auch zur Regulierung anderer Schadensereignisse verwendet werden, worauf bereits die Bezirksregierung Braunschweig in ihrem Widerspruchsbescheid vom 21. Oktober 2004 hingewiesen hat.

- §§ 6 Errichtungsgesetz, 7 StiftVO-UGÖ erfassen darüber hinaus sogenannte Bagatellschäden bis 10.000,-- EUR im Einzelfall und bis zu einer Gesamthöhe von 50.000,-- EUR pro Geschäftsjahr nicht und stehen daher nicht im Einklang mit den Anforderungen des § 4 AtDeckV, der keine untere Bagatellgrenze für die Deckungsvorsorge zulässt.

- Auch begegnet es - worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hinweist - im Hinblick auf die Anforderungen der atomrechtlichen Deckungsvorsorge Bedenken, die Regelung des § 7 StiftVO-UGÖ als "sonstige finanzielle Sicherheit" i.S.v. §§ 1 Satz 1 Nr. 2, 3 AtDeckV anzuerkennen, weil nach § 7 Abs. 1 Satz 3 StiftVO-UGÖ die Haftungsübernahme des Landes nicht gilt, soweit die Stiftung zum Abschluss einer Versicherung verpflichtet ist. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend bemerkt, ist nicht ausgeschlossen, diese Regelung dahingehend zu verstehen, dass sie auch den Fall einer behördlich angeordneten Pflicht zum Abschluss einer Versicherung - hier nach § 13 AtG - erfasst. Soweit die Klägerin dem entgegen hält, dass § 7 Abs. 1 Satz 3 StiftVO-UGÖ sich "... ausdrücklich nur auf Pflichtversicherungen (beziehe)", findet diese einschränkende Auslegung in der Regelung selbst keinen Ausdruck.

- Darüber hinaus kann nicht außer Betracht gelassen werden, dass eine rechtssatzmäßige Übernahme der Schadenshaftung, wie hier durch § 7 StiftVO-UGÖ auf der Grundlage von § 6 Errichtungsgesetz, keine uneingeschränkte Gewähr für eine mögliche Haftungsübernahme des Landes bietet, weil diese Verpflichtung vom Haftungsübernehmer einseitig - und dies ggf. auch mit Rückwirkung selbst nach einem Schadenseintritt - aufgehoben werden kann. Der Klägerin bliebe in diesem Fall der Rückgriff versagt, so dass sie allein auf den Einsatz eigenen Stiftungsvermögens zur Befriedigung der gegen sie gerichteten Schadenersatzansprüche verwiesen wäre. In der Verwertung dieses Stiftungsvermögens ist die Klägerin indes nicht frei, sondern nach Maßgabe des § 56 Abs. 2 NHG beschränkt. Danach bedarf sie für die Verwertung von Grundvermögen der Zustimmung des Fachministeriums; zudem unterliegt der Erlös der Zweckbindung nach § 56 Abs. 2 Satz 3 NHG, der eine Erfüllung von Schadenersatzverpflichtungen nicht nennt.

2. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iSv § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wird von der Klägerin nicht hinreichend dargelegt (§ 124 Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).

Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargestellte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist (Senat, Beschl. v. 9.3.2007 - 7 LA 197/06 -, NdsVBl. 2007, 201 ff. m.w.N.). Dabei muss die im Zulassungsverfahren aufgeworfene Grundsatzfrage in dem angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich, klärungsbedürftig und klärungsfähig sein (OVG Saarlouis, Beschl. v. 15.5.2006 - 3 Q 52/06 -, juris). Das ist hier nicht der Fall.

Die Frage, "... ob die Trägerstiftungen gehalten sind, ihre Schadenrisiken selber zu versichern" (die vom nicht beschwerten Beklagten formulierten - hiervon abweichenden - Grundsatzfragen sind im Zulassungsverfahren nicht berücksichtigungsfähig), würde sich in einem Berufungsverfahren in dieser Allgemeinheit nicht stellen. Entscheidungserheblich ist vorliegend lediglich, ob die Klägerin der Pflicht zur Stellung einer Deckungsvorsorge in Form einer Haftpflichtversicherung (§ 1 Satz 1 Nr. 1 AtDeckV) oder einer sonstigen finanzielle Sicherheit (§ 1 Satz 1 Nr. 2 AtDeckV) unterliegt. Die Frage der "Selbstversicherungspflicht" könnte daher im Berufungsverfahren nicht allgemein, sondern nur im Hinblick auf die hier einschlägigen gesetzlichen Grundlagen (§§ 13 Abs. 1 - 4, 14 AtG i.V.m. § 1 ff AtDeckV) und die mit diesen Regelungen verfolgten spezifischen Zielsetzungen beantwortet werden. Insoweit ist aber ein - über den im Zulassungsverfahren erreichten hinausgehender - fallübergreifender obergerichtlicher Klärungsbedarf nicht erkennbar. Wie sich aus dem Schreiben des niedersächsischen Umweltministeriums an den Beklagten vom 29. November 2005 ergibt, ist kein weiterer Fall bekannt, in welchem ein Deckungsvorsorgefestsetzungsbescheid gegenüber einer Stiftungshochschule des Landes Niedersachsen erlassen worden ist.

Andere Zulassungsgründe sind weder geltend gemacht, noch dargelegt.

Ende der Entscheidung

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