Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 26.09.2006
Aktenzeichen: 7 ME 93/06
Rechtsgebiete: GG, VwGO


Vorschriften:

GG Art. 28 II 1
VwGO § 42 II (analog)
VwGO § 146 IV 6
Die Antragsbefugnis einer Gemeinde im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erfordert, dass die Gemeinde die Möglichkeit einer Verletzung ihrer Planungshoheit aufzeigt und hierbei die Möglichkeit eines Eingriffs in ihre Rechtsposition substantiiert darlegt.
Tatbestand:

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der gegen den Planfeststellungsbeschluss des Antragsgegners vom 21. April 2005 gerichteten Klage der Antragstellerin wiederhergestellt. Der Antrag sei zulässig, da die Antragstellerin wegen einer nicht auszuschließenden erheblichen Zunahme des Durchgangsverkehrs auf ihrem Gebiet in bislang relativ verkehrsberuhigten Bereichen eine Verletzung ihrer Planungshoheit geltend machen könne, und begründet, weil die erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich erfolgreich sein werde. Der Planfeststellungsbeschluss sei offensichtlich formell rechtswidrig. Der Antragsgegner in seiner Funktion als Planfeststellungsbehörde habe diese Aufgabe im eigenen Wirkungskreis wahrgenommen. Da es sich bei der geplanten Straße nach ihrer intendierten Verkehrsbedeutung jedoch nicht um eine Gemeinde-, sondern eine Landesstraße handele, hätte der Antragsgegner seine Aufgabe als Planfeststellungsbehörde im übertragenen Wirkungskreis wahrnehmen müssen. Es sei nicht ersichtlich, dass der Planfeststellungsbeschluss inhaltsgleich erlassen worden wäre, wäre der Antragsgegner dem von vornherein nachgekommen. Darüber hinaus sei der Planfeststellungsbeschluss auch deshalb rechtswidrig, weil es an der sachlichen Zuständigkeit der Beigeladenen zur Errichtung und Unterhaltung der geplanten Ortskernentlastungsstraße fehle. Denn das Land sei Träger der Straßenbaulast für Landesstraßen und habe die Straßenbaulast nicht auf die Beigeladene übertragen.

Mit seiner hiergegen gerichteten Beschwerde stellt der Antragsgegner die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Argumentation in allen entscheidungserheblichen Punkten in Frage.

Dem ist die Antragstellerin entgegengetreten.

Die Beigeladene hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

II.

Die Beschwerde hat Erfolg.

1. Hierbei ist klarstellend vorab anzumerken, dass das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss - wie sich der Begründung entnehmen lässt - die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin nur hinsichtlich des Aufhebungsantrags wiederhergestellt hat. Soweit die Antragstellerin im Klageverfahren zudem die Verpflichtung des Antragsgegners begehrt, in einem neuen Planfeststellungsverfahren ihre Einwendungen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts angemessen insbesondere dadurch zu berücksichtigen, dass ein neues Verkehrsgutachten sowie ein neues Lärmgutachten erstellt werde, kommt eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nicht in Betracht.

2. Die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO dargelegten Gründe führen zu einer Änderung des angefochtenen Beschlusses. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 21. April 2005 ist abzulehnen, da die Antragstellerin entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht antragsbefugt und aus diesem Grunde ihr Antrag unzulässig ist. Denn die Antragstellerin kann - in analoger Anwendung von § 42 Abs. 2 VwGO - nicht geltend machen, in ihrer Planungshoheit als Ausfluss der gemeindlichen Selbstverwaltungsgarantie verletzt zu sein (vgl. zum Erfordernis der Antragsbefugnis als Zulässigkeitsvoraussetzung Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., 2005, § 80, Rn. 134).

Hierbei ist zu beachten, dass die Planungshoheit den Gemeinden nur dann eine wehrfähige Rechtsposition vermittelt, wenn eine eigene hinreichend bestimmte Planung nachhaltig gestört wird, das Vorhaben wegen seiner Großräumigkeit wesentliche Teile des Gemeindegebiets einer durchsetzbaren Planung der Gemeinde entzieht oder kommunale Einrichtungen durch das Vorhaben erheblich gestört werden (std. Rspr.; BVerwG, Urt. v. 16.12.1988 - 4 C 40.86 -, BVerwGE 81, 95 <106>; Urt. v. 27.3.1992 - 7 C 18.91 -, BVerwGE 90, 96 <100>; Beschl. v. 5. 11. 2002 - 9 VR 14.02 -, NVwZ 2003, 207; Nds. OVG, Urt. v. 8.3.2006 - 7 KS 145/02 -, UA S. 12 f.). Die Gemeinden müssen die Möglichkeit einer solchen Verletzung ihrer Planungshoheit aufzeigen und hierbei insbesondere den Eingriff in eine solche Rechtsposition substantiiert darlegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.8.1993 - 7 A 14.93 -, Buchholz 442.08 § 36 BauGB Nr. 23 = NVwZ 1994, 371). Dem genügt schon nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung das Vorbringen der Antragstellerin nicht.

a) Der Senat teilt nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass eine Antragsbefugnis der Antragstellerin gegeben sei, weil infolge des Planungsvorhabens eine erhebliche Zunahme des Durchgangsverkehrs auf dem Gebiet der Stadt in bislang relativ verkehrsberuhigten Bereichen "nicht auszuschließen" sei. Die Antragstellerin hat insoweit vorgetragen, dass durch die Anbindung des Schnellenberger Weges an die geplante Ortskernentlastungsstraße eine verbesserte Anbindung an ihr Gemeindegebiet geschaffen werde, so dass dieser zu einer Haupteinfallstraße werde und wegen der zu erwartenden Verkehrszunahme ausgebaut werden müsse.

Dieses Vorbringen lässt nicht erkennen, dass die geplante Straße zu einer nachhaltigen Störung bzw. erheblichen Beeinträchtigung der Planungshoheit der Antragstellerin in Bezug auf ihr örtliches Verkehrsnetz führt. Die Antragstellerin hat weder die Höhe des erwarteten Verkehrszuwachses für die nach ihrer Auffassung hiervon betroffenen Straßen, insbesondere des Schnellenberger Weges, noch dann erforderliche Ausbaumaßnahmen auch nur ansatzweise dargelegt. Sie hat sich auch nicht mit dem der Planfeststellung zugrunde liegenden Verkehrsentwicklungsplan der Beigeladenen auseinandergesetzt. Hiernach haben zwar die in dem Verkehrsentwicklungsplan aufgeführten Modellrechnungen ergeben, dass der Verkehr auf dem Schnellenberger Weg von 2.300 Kfz/24 h im Jahre 2001 auf 3.000 Kfz/24 h im Jahre 2015 zunehmen werde. Jedoch hat die Verkehrszunahme ihre Ursache allein in dem Umstand, dass die Beigeladene in ihrem Gemeindegebiet nach den bereits bestehenden Flächennutzungsplänen neue Baugebiete bis zum Jahre 2015 ausweisen wird, die zu einer entsprechenden Verkehrszunahme auch auf dem Schnellenberger Weg führen werden (vgl. dazu S. VIII und XIII bis XV des Verkehrsentwicklungsplans der Beigeladenen, Teil 2: Planungsmaßnahmen, Juni 2002 - Beiakte C in diesem Verfahren). Die zu erwartende Verkehrszunahme beruht demnach, worauf der Antragsgegner in seinem Beschwerdevorbringen zutreffend hinweist, nicht auf einer Verwirklichung des planfestgestellten Vorhabens.

Vor diesem Hintergrund kann der Senat es dahingestellt sein lassen, ob die den Modellrechnungen zugrunde gelegte prognostizierte Verkehrsentwicklung mit einem Zuwachs von 0,5 v. H. oder einem Zuwachs von 1,5 v. H. jährlich zutreffend ist. Denn auch bei einer höheren Zuwachsrate sind Anhaltspunkte für eine vorhabensbedingte Verkehrszunahme auf dem Schnellenberger Weg nicht ersichtlich. Aus diesem Grunde können sich auch hieraus keine Gesichtspunkte für den Ausbau des Schnellenberger Weges als notwendige Folge der Verwirklichung des Vorhabens ergeben, weshalb der Antragsgegner dieses nicht zum Gegenstand des Planfeststellungsbeschlusses machen musste. Gleiches gilt für die im Planfeststellungsverfahren von der Antragstellerin geltend gemachte vorhabensbedingte Gefährdung von Rettungseinsätzen infolge einer Verkehrszunahme auf dem Schnellenberger Weg. Dieser pauschalen Behauptung lässt sich zudem auch nicht eine erhebliche Beeinträchtigung des Städt. Klinikums als kommunaler Einrichtung entnehmen. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass der Schutz von Leben und Gesundheit der Gemeindeeinwohner, der Bediensteten der Gemeinde und der Angehörigen gemeindlicher Einrichtungen nicht zum Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde gehört, sondern Teil der allgemeinen Schutzpflicht des Staates ist (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 8.3.2006 - 7 KS 145/02 -, UA S. 22 m. w. N.).

In diesem Zusammenhang kann zur Begründung einer Antragsbefugnis auch nicht die Aussage im Verkehrsentwicklungsplan der Beigeladenen, Juni 2002, Ergänzende Betrachtungen (S. 7 - Beiakte D in diesem Verfahren), herangezogen werden, wonach der Schnellenberger Weg im Falle seiner Anbindung an die geplante Straße eine verkehrswichtige Straße mit entsprechendem Durchgangsverkehr/quartiersfremden Verkehr würde. Denn diese Aussage betrifft - wie sich aus den vorigen Aussagen in diesem Gutachten ergibt, insbesondere auf S. 5 ff. - nur die Beurteilung der Auswirkungen einer Anbindung des nördlich der geplanten Straße gelegenen Teils des Schnellenberger Weges. Allein diese Anbindung war neben einer Anbindung des Wiesenweges Gegenstand der ergänzenden Betrachtungen. Der südlich der geplanten Straße gelegene Teil des Schnellenberger Weges, auf dem die Antragstellerin die Verkehrszunahme befürchtet, ist bereits Gegenstand des Verkehrsentwicklungsplans der Beigeladenen, Teil 2: Planungsmaßnahmen, gewesen.

b) Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar.

Das Verwaltungsgericht hat sich - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - mit dem weiteren Vorbringen der Antragstellerin, aus welchen Gründen sie darüber hinaus möglicherweise in ihrer Planungshoheit verletzt sein könne, mangels Entscheidungserheblichkeit nicht auseinandergesetzt. Da aber der die erstinstanzliche Entscheidung tragenden Annahme, dass die Antragstellerin wegen einer zu erwartenden vorhabensbedingten Verkehrszunahme in ihrem Bereich antragsbefugt sei, nicht beigetreten werden kann, kommt es nunmehr auch auf das weitere erstinstanzliche Vorbringen der Beteiligten an. Der Berücksichtigung dieses Vorbringens steht § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nicht entgegen (vgl. dazu im Einzelnen Nds. OVG, Beschl. v. 28.3.2006 - 7 ME 159/04 -, NordÖR 2006, 249 m. w. N.). Jedoch vermag auch das weitere Vorbringen der Antragstellerin ihre Antragsbefugnis nicht zu begründen.

Soweit die Antragstellerin ihre Planungshoheit dadurch als verletzt ansieht, dass die direkte Anbindung des Böhmsholzer Weges an das Erholungsgebiet Böhmsholzer Wald mit anliegendem Schullandheim und Gasthof unterbrochen und nur über längere Fahrtwege erreichbar sein werde, was sich auch nachteilig auf den landwirtschaftlichen Verkehr auswirke, ist die Möglichkeit einer Rechtsverletzung ebenfalls nicht plausibel dargelegt. Den Gemeinden ist die Geltendmachung (vermeintlicher) Beeinträchtigungen landwirtschaftlicher oder gewerblicher Betriebe durch die Fachplanung verwehrt, da solche Beeinträchtigungen nur von den Betroffenen geltend gemacht werden können. Selbst wenn solche Beeinträchtigungen sich möglicherweise nachteilig auf die kommunale Wirtschaftsstruktur auswirken, was ersichtlich nicht der Fall und von der Antragstellerin auch nicht behauptet worden ist, können sie grundsätzlich nicht unter Berufung auf Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG abgewehrt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.2.1999 - 4 A 47.96 -, NVwZ 2000, 560; Nds. OVG, Urt. v. 8.3.2006 - 7 KS 145/02 -, UA S. 20; OVG R.-P., Beschl. v. 16.8.2001 - 1 B 10286/01, NuR 2002, 234). Die Inkaufnahme von Umwegen ist zwar eine nachteilige Folge für die Allgemeinheit. Insoweit kommen der Antragstellerin, die sich rechtlich nicht zur Sachwalterin ihrer Bürger oder der Allgemeinheit machen kann, jedoch keine wehrfähigen Rechte zu (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.1.1993 - 4 B 206.92 - NVwZ 1993, 184 <186>; Beschl. v. 9.2.1996 - 1 VR 45.95 -, NVwZ 1996, 1021 <1022>; Nds. OVG, Urt. v. 8.3.2006 - 7 KS 145/02 -, UA S. 14).

Entsprechendes gilt hinsichtlich des Vorbringens der Antragstellerin, das Vorhaben führe zu einer zusätzlichen Verlärmung der Wohngebiete "Teufelsküche/Scharperdrift", was im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens nicht untersucht und daher nachzuholen sei. Denn einer Gemeinde kommen nicht schon dann eigene "wehrfähige" Rechte zu, wenn nach ihrer Ansicht einzelnen Privatpersonen, die ihre Reche selbst geltend machen können, ein Schaden droht (vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 5.11.2002 - 9 VR 14.02 -, NVwZ 2003, 207 m. w. N.).

Schließlich vermag auch der Hinweis der Antragstellerin, infolge der Verkehrs- und Lärmzunahme werde im Bereich des Schnellenberger Weges die zukünftige Ausweisung von Baugebieten erheblich erschwert, eine Antragsbefugnis nicht zu begründen. Die Gemeinde ist hinsichtlich ihrer Planungsvorstellungen und deren Konkretisierungsstadium darlegungspflichtig. Ebenso ist es ihre Sache darzutun, worin die möglichen Konflikte liegen und warum trotz Abstimmung der Bauleitplanung auf die vorgegebene Situation bauleitplanerische Mittel nicht ausreichen, die Konflikte zu lösen (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.3.1992 - 7 C 18.91 -, BVerwGE 90, 96 <100>; Urt. v. 30.8.1993 - 7 A 14.93 -, Buchholz 442.08 § 36 BauGB Nr. 23 = NVwZ 1994, 371). Dies schließt es ein, auf einen Vorrang ihrer Planung gegenüber der angegriffenen, konkurrierenden Fachplanung nach Maßgabe des Prioritätsgrundsatzes einzugehen (vgl. dazu nur BVerwG, Beschl. v. 5.11.2002 - 9 VR 14.02 -, NVwZ 2003, 207). Diesen Anforderungen entsprechen die pauschalen Behauptungen der Antragstellerin nicht. Ihrem Vorbringen ist nicht zu entnehmen, dass die Absichten, in den Bereichen des Schnellenberger Weges weitere Baugebiete auszuweisen, bereits hinreichend konkret sind bzw. schon zum Zeitpunkt der Auslegung der Planunterlagen für die Ortskernentlastungsstraße als hinreichend verfestigt anzusehen waren, so dass ihnen gegenüber der Fachplanung ein Vorrang hätte eingeräumt werden müssen.

Ende der Entscheidung

Zurück