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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 02.09.2008
Aktenzeichen: 8 ME 53/08
Rechtsgebiete: HebG, NHebG, VwGO


Vorschriften:

HebG § 2
HebG § 3
NHebG § 1
NHebG § 7
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet. Aus den von ihr mit der Beschwerdebegründung fristgerecht vorgebrachten und gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO vom Senat allein zu prüfenden Gründen ergibt sich kein Anlass, den angegriffenen Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 21.Mai 2008 wiederherzustellen.

Der Antragsgegner widerrief mit diesem Bescheid die der im Jahr 1957 geborenen Antragstellerin erteilte Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung "Hebamme". Die Antragstellerin habe sich "eines Verhaltens schuldig gemacht", aus dem sich ihre Unzuverlässigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 HebG zur Ausübung ihres Berufes ergebe. Deshalb sei gemäß § 3 Abs. 2 HebG die ihr erteilte Berufserlaubnis zu widerrufen. Die Antragstellerin habe bei einer im April 2008 in ihrer Praxis durchgeführten Geburt den Geburtsverlauf und sein "Management" fehlerhaft eingeschätzt und unzureichend dokumentiert sowie Fehler bei der Begleitung der Nachgeburtsphase und eine mangelhafte Fürsorge gezeigt. Zusammen mit weiteren Berufspflichtverstößen, die Gegenstand früherer gegen die Antragstellerin eingeleiteter Verfahren gewesen seien, begründe dies die Annahme, dass die Antragstellerin nicht mehr die notwendige Gewähr dafür biete, in Zukunft ihren Beruf als Hebamme ordnungsgemäß auszuführen. So sei ihr im Jahr 1998 die nunmehr widerrufene Erlaubnis überhaupt nur unter Zurückstellung erheblicher Bedenken erteilt worden, da sie unmittelbar zuvor ihr Zeugnis über die bestandene Prüfung zur Hebamme gefälscht habe. Wegen des Vorwurfs, die Geburtshilfe fehlerhaft durchgeführt zu haben, sei im Oktober 2000 erstmals ein Widerrufsverfahren eingeleitet und im November 2002 eingestellt worden, nachdem die Antragstellerin die ihr dringend nahe gelegten Fortbildungsmaßnahmen absolviert habe. Im Sommer 2006 sei gegen die Antragstellerin ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung in Ausübung ihres Berufes als Hebamme und deshalb erneut auch ein Widerrufsverfahren eingeleitet worden. Das Ermittlungsverfahren sei mangels strafrechtlichen Beweises und daraufhin im Juli 2007 auch das Widerrufsverfahren eingestellt worden. Anlass für das bereits kurze Zeit danach, nämlich zum Jahresende 2007, nochmals eingeleitete und jetzt hier streitige Widerrufsverfahren sei dann ein weiteres strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die Antragstellerin gewesen, und zwar nunmehr wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung im Rahmen ihrer Berufsausübung als Hebamme. Aufgrund der Vielzahl der Verfahren sei nicht nur die Prognose gerechtfertigt, die Antragstellerin werde auch in Zukunft ihre Berufspflichten verletzen, sondern darüber hinaus die Anordnung der sofortigen Vollziehung angezeigt. Diese Maßnahme sei insbesondere zum Schutz werdender Mütter vor Gefahren geboten, die ihnen bei der Ausübung der Geburtshilfe durch die Antragstellerin drohten.

Das Verwaltungsgericht hat den gegen diesen Bescheid gerichteten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt. Es hat ausgeführt, dass eine Hebamme im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 HebG unzuverlässig sei, wenn sie auf Grund von Tatsachen keine hinreichende Gewähr für eine zukünftige ordnungsgemäße Berufsausübung biete. Grundlage für diese Prognose könnten auch Tatsachen sein, die nicht durch ein Strafgericht rechtskräftig festgestellt worden seien. Ausreichend für den Widerruf der geschützten Berufserlaubnis sei es daher, dass die Antragstellerin sehr wahrscheinlich wegen eines berufsrechtlich relevanten Fehlverhaltens strafrechtlich verurteilt werde. Hiervon sei das Verwaltungsgericht jedenfalls hinsichtlich des zwischenzeitlich ergänzend gegen die Antragstellerin erhobenen Vorwurfs des Abrechnungsbetruges überzeugt. Deshalb könne dahinstehen, ob die vom Antragsgegner gegen die Antragstellerin erhobenen und zuvor wiedergegebenen Vorwürfe zuträfen. Sei die Antragstellerin somit unzuverlässig, so sei auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung im Ergebnis rechtmäßig. Denn es sei zu befürchten, dass die Antragstellerin voraussichtlich auch in Zukunft ihre berufsspezifischen Pflichten missachte. So habe schon die Berufserlaubnis nur unter Zurückstellung von erheblichen Bedenken erteilt werden können. Später seien mehrfach Verfahren zum Widerruf der Erlaubnis eingeleitet worden. Diese Widerrufsverfahren hätten der Antragstellerin offenbar nicht hinreichend zur Warnung gedient. Denn sie habe sich nach Überzeugung des Gerichts in einem erheblichen und fortgesetzten Umfang höchstwahrscheinlich des Abrechnungsbetruges schuldig gemacht. Die negative Zuverlässigkeitsprognose gehe nicht dahin, dass die Antragstellerin bei einer weiteren Berufstätigkeit als Hebamme wieder Abrechnungsbetrug begehen werde, sondern dahin, dass sie aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls nicht Gewähr dafür biete, sie werde in Zukunft die berufsspezifischen Vorschriften und Pflichten im Interesse des einzelnen Patienten und der Allgemeinheit beachten.

Die Einwände, die die Antragstellerin zur Begründung ihrer Beschwerde gegen die Richtigkeit dieser Entscheidung vorträgt, greifen nicht durch.

Die Antragstellerin vertritt zunächst die Ansicht, dass eine Entscheidung über ihre Unzuverlässigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 HebG und ein so begründeter Widerruf nach § 3 Abs. 2 HebG wegen eines angeblichen Betruges gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen nur bzw. erst dann ergehen dürften, wenn das behauptete Vergehen durch rechtskräftiges strafgerichtliches Urteil festgestellt worden sei. Dies gebiete die Unschuldsvermutung. Ein solches Verständnis des § 2 Abs. 1 Nr. 2 HebG geht jedoch fehl. Schon dem Wortlaut nach setzt diese Bestimmung nicht die Begehung einer Straftat, sondern "nur" ein - nicht einmal zwingend berufsbezogenes - Fehlverhalten voraus, aus dem sich die Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufes ergibt. Ein solches Fehlverhalten kann zugleich auch einen Straftatbestand verwirklichen, muss dies aber nicht (vgl. nur Erdle/Becker (Hrsg.), Recht der Gesundheitsfachberufe, Ziffer 20.1, § 2 HebG, Rn. 3 unter Bezugnahme auf Ziffer 40.1, § 2 KrPflG, Rn. 3 ff., m. w. N.). Denn bei dem Widerruf der geschützten Berufsbezeichnung "Hebamme" wegen Unzuverlässigkeit handelt es sich um eine Maßnahme der Gefahrenabwehr, die unabhängig davon zu ergeben hat, ob das zu Grunde liegende Fehlverhalten nun schuldhaft gewesen ist oder überhaupt einen Straftatbestand verwirklicht hat. Einer vorhergehenden rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung bedarf also es nicht. Das gebietet auch nicht die von der Antragstellerin dazu herangezogene Unschuldsvermutung, die sich auf den Schuldvorwurf in einem Strafverfahren bezieht (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.4.2003 - 5 C 4/02 -, BVerwGE 118, 109 ff., sowie Urt. v. 17.6.1998 - 1 C 27/96 -, BVerwGE 107, 58 ff.).

Wegen der unterschiedlichen Zielsetzungen und Voraussetzungen für den Widerruf der Berufserlaubnis wegen Unzuverlässigkeit nach § 3 Abs. 2 HebG einerseits und für die Anordnung eines Berufsverbots durch ein Strafgericht gemäß § 70 StGB bzw. für ein vorläufiges Berufsverbot gemäß § 132a StPO andererseits kommt den letztgenannten strafrechtlichen Bestimmungen keine exklusive Wirkung zu, d.h. sie stehen entgegen der Annahme der Antragstellerin auch während eines laufenden Ermittlungsverfahrens der Anwendung des § 3 Abs. 2 HebG nicht entgegen (vgl. zur Aufhebung der Heilpraktikererlaubnis: OVG Münster, Beschl. v. 25.2.1998 - 13 B 500/97 -, juris, m. w. N.).

Die Antragstellerin wendet ergänzend ein, dass es vorliegend an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage fehle, einer Hebamme die erteilte Berufserlaubnis allein wegen des Verdachts der Begehung einer Straftat zu widerrufen. Diese Auffassung trifft als solche zu, trägt aber nicht den von der Antragstellerin daraus gezogenen Schluss, dass die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts deshalb zu ändern sei. Denn das Verwaltungsgericht hat trotz zum Teil missverständlicher Ausführungen im Ergebnis nicht allein tragend auf eine zu erwartende Verurteilung der Antragstellerin wegen Abrechnungsbetruges abgestellt. Vielmehr hat es sich aufgrund der Angaben in den Ermittlungsakten zu Recht eine eigenständige und auf den Seiten 7 bis 10 der Beschlussausfertigung umfangreich begründete Überzeugung von dem Fehlverhalten der Antragstellerin bei der Abrechnung ihrer Leistungen gebildet und darauf gestützt eine berufsbezogene Gefahrenprognose zu Lasten der Antragsstellerin getroffen. Ein solches Vorgehen ist nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.1.1991 - 1 BvR 1326/90 -, NJW 1991, 1530 ff.). Die Annahme, dass die Antragstellerin gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen in erheblichem Umfang Leistungen abgerechnet hat, die tatsächlich von ihr nicht erbracht worden sind, wird zusätzlich durch das Ergebnis der inzwischen erfolgten polizeilichen Vernehmungen von Patientinnen der Antragstellerin unterstrichen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Protokolle der Vernehmungen (Beiakte Z) Bezug genommen, die in der Anlage zum Schreiben der Polizeiinspektion A. vom 21. August 2008 übersandt worden sind. Die Antragstellerin ist diesen sehr detaillierten Vorwürfen bislang weder im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren noch in diesem berufsbezogenen Widerrufsverfahren entgegengetreten. Sie hat den Vorwurf des Abrechnungsbetruges im Gegenteil über ihre früheren Prozessbevollmächtigten ursprünglich eingeräumt, diese Erklärung nunmehr aber über ihre jetzigen Bevollmächtigten widerrufen lassen.

Ist das Verwaltungsgericht daher zu Recht davon ausgegangen, dass die Antragstellerin in erheblichem Umfang Abrechnungsbetrug zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen begangen hat und dass Anhaltspunkte für eine grundlegende Änderung dieses Verhaltens bei der Antragstellerin nicht gegeben sind, so ist dem Verwaltungsgericht auch darin zu folgen, dass die Antragstellerin schon deshalb im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 2 HebG unzuverlässig und die ihr erteilte Erlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 HebG zu widerrufen ist (vgl. bereits Senatsbeschl. v. 26.10.2007 - 8 LA 95/07 -). Dieser rechtliche Ausgangspunkt wird im Übrigen auch von der Antragstellerin mit ihrer Beschwerde nicht angegriffen.

Soweit die Antragstellerin ergänzend "vollumfänglich" auf ihr Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren Bezug nimmt, ist dieser Verweis im Beschwerdeverfahren unzureichend. Eine solche pauschale Bezugnahme entspricht nicht dem Darlegungserfordernis des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO (vgl. nur Kopp/Schenke, VwGO, § 146, Rn. 41; VGH München, Beschl. v. 6.2.2008 - 11 CE 07/3089 -, juris, jeweils m. w. N.).

Dementsprechend kommt es für das Beschwerdeverfahren schon nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, ob die vom Verwaltungsgericht angeführte und von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren nicht in einer den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügenden Weise angegriffene Begründung die Anordnung des Sofortvollzugs trägt. Insoweit ist daher lediglich ergänzend darauf hinzuweisen, dass die Anordnung des Sofortvollzugs nach Auffassung des Senats hier in erster Linie zur Abwendung einer konkreten Gefahr für Leib und Leben der werdenden Mütter bei einer von der Antragstellerin in ihrer Praxis betreuten und nicht normal verlaufenden Geburt gerechtfertigt ist, wie dies der Antragsgegner bereits zutreffend im angefochtenen Ausgangsbescheid ausgeführt hat (vgl. dazu Beschluss des Senats vom 19.01.2005 - 8 ME 181/04 -; grundsätzlich dazu auch BVerfG, Bschl. v. 12.03.2004 - 1 BvR 540/04 - NVwZ - RR 2004, 545 ff, m. w. N). Denn die Antragstellerin ist in einem solchen Fall nicht in der Lage, sachgerecht zu reagieren, insbesondere rechtzeitig auf eine Einlieferung in eine Klinik hinzuwirken bzw. einen Arzt hinzuziehen, wozu sie nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 NHebG verpflichtet ist. Diese Einschätzung lag bereits dem Schreiben der Bezirksregierung Weser-Ems, der Funktionsvorgängerin des Antragsgegners, vom 15. März 2002 zugrunde. Darin wurde ausgeführt, dass der Antragstellerin die notwendigen Kenntnisse zur Leitung von außerklinischer Geburtshilfe fehlten, sie die Grenzen ihres Tuns nicht zu erkennen vermöge und hierdurch Mutter und Kind erheblichen Gefahren ausgesetzt seien. Von dem in Aussicht genommenen Widerruf ist damals nur Abstand genommen worden, weil der Antragstellerin nochmals die Möglichkeit eingeräumt werden sollte, sich insoweit fortzubilden. Die von ihr durchgeführten Fortbildungsmaßnahmen haben aber offenbar nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Denn in dem Verfahren des am 29. April 2006 geborenen B., des am 11. August 2007 gestorbenen C. sowie der am 10. April 2008 geborenen D. hat die Antragstellerin trotz erheblicher Probleme beim Geburtsverlauf jedenfalls nicht rechtzeitig ärztliche Hilfe in Anspruch genommen. Aus der Schilderung des Geburtsverlaufs von D. aus Sicht der Antragstellerin in der Antragsbegründung vom 12. Juni 2008 ergibt sich keine andere Bewertung. So fehlen etwa Angaben zu den Maßnahmen, die von der Antragstellerin am 10. April 2008 zwischen 0.00 Uhr und dem von ihr auf 3.54 Uhr dokumentierten Geburtszeitpunkt getroffen worden sind. Zudem übergeht sie die detaillierten Hinweise auf eine unzureichende bzw. fehlerhafte Dokumentation des Geburtsverlaufs. Nach den Angaben des Oberarztes und des Chefarztes der Auricher Klinik, in die D. nach Geburt eingeliefert worden ist, hätte Frau D. - vergleichbar zwei anderen ähnlich gelagerten Fällen - zu einem früheren Zeitpunkt in die Geburtsklinik verlegt werden können und müssen, um einen Schaden vom Kind abzuwenden. Außerdem ist danach die Erstversorgung des Kindes inadäquat durchgeführt worden und so eine weitere Verschlechterung des Zustandes des Neugeborenen eingetreten.

Allein in der unterbliebenen rechtzeitigen Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe bei einer nicht normal verlaufenden Geburt liegt schon eine erhebliche und gewichtige Verletzung der Berufspflichten. Insoweit kommt es also nicht auf die Klärung der allein strafrechtlich relevanten Frage an, ob diese Berufpflichtverletzung auch kausal für eine Gesundheitsbeeinträchtigung der Mutter bzw. des Säuglings gewesen ist.

Bei einer Gesamtwürdigung besteht daher die konkrete Gefahr, dass die Antragstellerin, die regelmäßig in ihrer Praxis Geburten betreut, bei einem nicht komplikationsfreien Geburtsverlauf entgegen § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 NHebG nicht rechtzeitig ärztliche Hilfe in Anspruch nimmt und dadurch die Gesundheit und die körperliche Unversehrtheit der werdenden Mutter oder des Säuglings gefährdet. Jedenfalls zur Abwendung dieser Gefahr ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtmäßig gewesen.

Ende der Entscheidung

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