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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 18.09.2003
Aktenzeichen: 9 LB 390/02
Rechtsgebiete: NKAG, Nds Zweckverbandsgesetz


Vorschriften:

NKAG § 5 II 1
NKAG § 5 II 4
Nds Zweckverbandsgesetz § 13 IV
1. Wird ein Abwasserbeseitigungssystem auch von Dritten (hier der Nachbargemeinde) in Anspruch genommen, so müssen hierfür in die Gebührenkalkulation nur die anteiligen Kosten für die in Anspruch genommenen Anlageteile eingestellt werden (Änderung der bisherigen Rechtsprechung).

2. Zinsvorteile aus Abschreibungserlösen müssen dem Gebührenhaushalt gutgeschrieben werden, soweit sich die Abschreibungen auf beitragsfinanzierte Anlageteile beziehen.


Gründe:

I. Der Kläger wendet sich gegen die Höhe der von ihm erhobenen Kanalbenutzungsgebühren. Die Beklagte betreibt nach § 1 Abs. 1 ihrer Kanalanschlusssatzung vom 17. Dezember 1998 eine rechtlich selbständige Anlage zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung. An diese Anlage ist auf der Grundlage eines am 26. Juni 1980 mit der Stadt E. geschlossenen Vertrags auch deren Ortschaft F. angeschlossen. Das dort anfallende Schmutzwasser gelangt über eine Transportleitung in das Leitungsnetz der Beklagten und von dort in deren Klärwerk. § 9 Abs. 2 des Vertrags sieht vor, dass die Stadt E. an die Beklagte ein Entgelt in Höhe der anteiligen Kosten für das benutzte Leitungsnetz und für das Klärwerk zahlt.

Mit dem streitbefangenen Bescheid vom 15. Januar 2000 zog die Beklagte den Kläger für das Jahr 1999 zu einer Kanalbenutzungsgebühr in Höhe von 943,25 DM und für das Jahr 2000 zu einer Vorauszahlung auf die Kanalbenutzungsgebühr in Höhe von 676,80 DM heran. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 6. April 2000 als unbegründet zurück. Mit seiner daraufhin erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, die seiner Heranziehung zugrunde gelegten Gebührensätze (6,69 DM/m³ für 1999 und 4,80 DM/m³ für 2000) seien überhöht, weil die Gebührenkalkulation der Beklagten mehrere Mängel aufweise:

Der mit der Stadt E. geschlossene Vertrag sei unvereinbar mit dem Satzungsrecht der Beklagten, weil nicht die satzungsmäßigen Gebühren erhoben würden. Die Stadt E. dürfe - wie ein Großeinleiter - nicht günstiger gestellt werden als die übrigen Benutzer des Abwasserbeseitigungssystems. Bei einer Gleichbehandlung hätten für 1999 81.979,95 DM und für 2000 45.315,- DM zusätzlich gebührenmindernd in die Kalkulation eingestellt werden müssen.

Unter der Kostenposition "Sonstige Unterhaltungskosten Schmutzwasserkanal" seien zu Unrecht 700.000,- DM für 1999 und 647.500,- DM für 2000 in die Gebührenkalkulation eingestellt worden. Die Ansicht der Beklagten, dass alle Aufwendungen für die Sanierung des Leitungsnetzes betriebswirtschaftlich und gebührenrechtlich Erhaltungsaufwand seien und voll in die Kalkulation eingestellt werden dürften, sei rechtlich nicht haltbar.

Der allgemeine Gemeindehaushalt der Beklagten erziele in unzulässiger Weise wirtschaftliche Vorteile zu Lasten des Gebührenhaushalts, weil er über die Erlöse aus kalkulatorischen Abschreibungen unabhängig davon, wie die abgeschriebenen Anlagegüter früher finanziert worden seien, in voller Höhe frei verfügen könne. Die von der Beklagten erzielten Abschreibungserlöse bezögen sich in Höhe von 50 % auf Anlagegüter, die nicht von der Beklagten, sondern von den Beitragszahlern oder über Zuschüsse finanziert worden seien. Dadurch habe die Beklagte allein 1999 einen Liquiditätszufluss von ca. 519.000,- DM aus Abschreibungen erhalten, dem wirtschaftliche Belastungen der Beklagten aus Eigen- oder Fremdmitteln nicht gegenüber gestanden hätten. Dieser Liquiditätsvorteil müsse in Form eines fiktiven Zinses gebührenmindernd an die Gebührenzahler weiter gegeben werden.

Der Kläger hat sinngemäß beantragt,

den Heranziehungsbescheid der Beklagten vom 15. Januar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. April 2000 aufzuheben, soweit darin eine Kanalbenutzungsgebühr für 1999 und eine Vorauszahlung auf die Kanalbenutzungsgebühr für 2000 festgesetzt sind.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage des Klägers mit dem angefochtenen Urteil vom 23. Januar 2002 als unbegründet abgewiesen. Auf den Antrag des Klägers hat der Senat die Berufung gegen das Urteil mit Beschluss vom 16. August 2002 (9 LA 152/02) zugelassen, weil in dreifacher Hinsicht ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Gebührenkalkulation der Beklagten und damit an der Richtigkeit des Urteils bestünden: In der Gebührenkalkulation der Beklagten hätte der mit der Stadt E. geschlossene Vertrag so berücksichtigt werden müssen, als ob sich das von der Stadt zu zahlende Entgelt nach den anteiligen Kosten nicht nur am Klärwerk, sondern am gesamten, also nicht nur am benutzten, Leitungsnetz bemesse. Soweit die Kostenposition "Sonstige Unterhaltungskosten Schmutzwasserkanal" auch Aufwendungen für Renovierungen und Erneuerungen enthalte, sei der Aufwand in den streitbefangenen Kalkulationsperioden nicht voll ansatzfähig, sondern nur über Abschreibungen refinanzierbar gewesen. Die - bei der Beklagten etwa 50 % ausmachenden - Abschreibungserlöse aus drittfinanzierten Anlageteilen müssten, sofern die Erlöse nicht unmittelbar für Abwasserbeseitigungszwecke verwendet und die Kosten der Abwasserbeseitigung vollständig über Gebühren gedeckt würden, in einer fiktiven Rücklage angesammelt und mit einem jährlichen kalkulatorischen Zins belegt werden, den der allgemeine Gemeindehaushalt dem Gebührenhaushalt zu überlassen habe.

Im Berufungsverfahren verfolgt der Kläger seine bisherigen Einwände weiter. Er bezweifelt, dass durch die Position "Sonstige Unterhaltungskosten Schmutzwasserkanal" Aufwendungen für Sanierungsmaßnahmen erfasst worden sind, zumal die Beklagte in den früheren Verfahrensstadien gemeint habe, auch Renovierungs- und Erneuerungsaufwand sei voll ansatzfähig. Der Kläger bestreitet, dass die der Beklagten zugeflossenen Abschreibungserlöse unmittelbar zur Tilgung von für die Abwasserbeseitigung aufgenommenen Kommunalkrediten verwendet worden sind.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie vertritt die Ansicht, ihr technisch einheitliches Abwasserbeseitigungssystem in zulässiger Weise in zwei rechtlich selbständige Einrichtungen aufgeteilt zu haben, nämlich in eine Einrichtung für ihr Gemeindegebiet und eine weitere Einrichtung, hinsichtlich derer sie mit der Stadt E. die vertragliche Regelung geschlossen habe. Wegen dieser Aufteilung dürfe sie unterschiedliche Entgelte von den Gebührenpflichtigen einerseits und der nicht dem Benutzungszwang unterliegenden Stadt E. andererseits beanspruchen. Bei einer Gleichbehandlung der Gebührenpflichtigen und der Stadt E. würde sich der Gebührensatz im Übrigen um weniger als 3 % ändern.

Bei der Abgrenzung zwischen Reparatur, Renovierung und Erneuerung habe der Senat - so führt die Beklagte weiter aus - keinen hinreichenden Bezug zum Anlagebegriff der leitungsgebundenen Einrichtung hergestellt. Auf den Gesichtspunkt der Verlängerung von Abschreibungsfristen könne es nicht ankommen. Die vom Kläger gewünschte Katalogisierung nach Abschnitten, mit der die Beklagte allerdings gerade begonnen habe, führe zu immensen, nicht zumutbaren Kosten und verkenne den Einrichtungsbegriff.

Kalkulatorische Zinsen aus Abschreibungen in Bezug auf durch staatliche Zuwendungen finanzierte Anlageteile müssten allein der Kommune zustehen, weil die staatlichen Zuwendungen ausschließlich der begünstigten Gemeinde zu Gute kommen sollten, so dass aus ihnen Eigenkapital der Gemeinde werde. Entsprechendes gelte auch für - von der Beklagten allerdings nicht erzielte - Bewertungsgewinne, da es sich insoweit um eine reine Rechengröße, nicht aber um vom Gebührenzahler aufgebrachtes Kapital handele. Eine Zinsgutschrift sei ihr, der Beklagten, selbst bei Abschreibungen auf durch die Gebührenzahler finanzierte Anlageteile nicht möglich, weil die Abschreibungserlöse im vollen Umfang zur Tilgung des noch offenen Fremdkapitals verwendet würden. Mittel, die akkumuliert in eine Rücklage eingestellt und verzinst werden könnten, verblieben nicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und den vorgelegten Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

II.

Die zugelassene Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte den Heranziehungsbescheid vom 15. Januar 2000 im angefochtenen Umfang aufheben müssen, weil der Bescheid hinsichtlich der Erhebung einer Kanalbenutzungsgebühr für 1999 und einer Vorauszahlung auf die Kanalbenutzungsgebühr für 2000 rechtswidrig ist. Der dem Bescheid zugrunde gelegte Gebührensatz von 6,69 DM pro m³ für 1999 und 4,80 DM pro m³ für 2000 ist wegen einer in zweifacher Hinsicht fehlerhaften Gebührenkalkulation mehr als nur geringfügig überhöht, wodurch der Kläger in seinen Rechten verletzt wird (vgl. zur Geringfügigkeit im Gebührenrecht Urt. d. Sen. v 26. 7. 2000 - 9 L 4640/99 - Nds Rpfl 2001, 95 und v. 4. 11 2002 - 9 LB 215/02 - NSt-N 2003,36 = ZKF 2003, 153 sowie im Beitragsrecht Urt. v. 26. 2. 2002 - 9 KN 3294/01 - Nds VBl 2003, 220).

Zur Begründung verweist der Senat zunächst auf seine im Zulassungsbeschluss vom 16. August 2002 (- 9 LA 152/02 - NSt-N 2002, 320) gemachten Ausführungen. Lediglich an seiner Rechtsansicht, dass in der Gebührenkalkulation der Beklagten von einer Beteiligung der Stadt E. an den Gesamtkosten des Abwasserbeseitigungssystems der Beklagten, also nicht nur an den Kosten für die tatsächlich benutzten Einrichtungsteile, ausgegangen werden müsse, hält der Senat nach Überprüfung im Berufungsverfahren nicht fest. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 17. April 2002 (- 9 CN 1.01 - BVerwGE 116, 188 = KStZ 2002, 213 = NVwZ 2002, 1123 = NJW 2002, 2807 = DÖV 2002, 820 = DVBl. 2002, 1409) entschieden, dass den Gemeinden auch bei der Entscheidung darüber, wie sie ihr Abwasserbeseitigungssystem finanzieren wollen, ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Bewertungsspielraum zusteht. Dessen Grenzen hat die Beklagte nicht dadurch überschritten, dass sie in ihre Gebührenkalkulation für 1999 und 2000 nur die in § 9 Abs. 2 des Vertrags mit der Stadt E. vom 26.Juni1980 vorgesehene Kostenbeteiligung am Klärwerk und am tatsächlich benutzten Leitungsnetz eingestellt hat. Der Senat sieht es zwar - vor allem im Blick auf die im Zulassungsbeschluss vom 16. August 2002 genannten gebührenrechtlichen Grundsätze - weiterhin als ein in besonderem Maße sachgerechtes Finanzierungsmodell an, wenn die von der Nachbargemeinde zu zahlenden und in die Gebührenkalkulation einzustellenden Entgelte in gleicher Weise wie bei den Gebührenpflichtigen an den Gesamtkosten der öffentlichen Einrichtung und damit nicht nur an den Kosten für die tatsächlich in Anspruch genommenen Einrichtungsteile ausgerichtet sind. Vor allem bei Vereinbarungen zwischen Gemeinden gemäß § 13 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 des Niedersächsischen Zweckverbandsgesetzes vom 7. Juni 1939 i.d.F. vom 27. Januar 2003 (Nds.GVBl. S. 36), wonach ein Vertragspartner gegen angemessene Entschädigung den anderen Vertragspartnern die Mitbenutzung einer von ihm betriebenen Einrichtung einräumen kann, ist es vom gemeindlichen Bewertungsermessen aber auch noch gedeckt, wenn sich die Nachbargemeinde - zusätzlich zu den anteiligen Kosten des Klärwerks - nur an den Kosten der von ihr benutzten Leitungsnetze beteiligt. Dies gilt sowohl für die Festlegung des Angemessenen im Sinne von § 13 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Zweckverbandsgesetz als auch für die kalkulationsmäßige Berücksichtigung der Drittbeteiligung. Die in solchen Fällen bestehende Ungleichbehandlung von Gebührenpflichtigen und Nachbargemeinde lässt sich damit rechtfertigen, dass die Nachbargemeinde nicht zum Kreis der dem Anschluss- und Benutzungszwang unterworfenen Gebührenpflichtigen zählt und die allgemeinen gebührenrechtlichen Grundsätze daher nicht unmittelbar auf sie zur Anwendung kommen (vgl. Lichtenfeld, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: Januar 2003, § 6 Rdnr. 739). In dieser Hinsicht unterscheidet sich der Vertragspartner im Sinne von § 13 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Zweckverbandsgesetz vom gebührenpflichtigen Großeinleiter, dem nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Gerichts (seit Urteil vom 25.10.1984 - 3 OVG C 6/79 - NSt-N 1985, 281) vergünstigte Konditionen nicht eingeräumt werden dürfen. Allerdings muss die vertraglich vorgesehene Beteiligung der Nachbargemeinde kostendeckend sein, weil anderenfalls das gebührenrechtliche Erforderlichkeitsprinzip verletzt ist (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 23.9.1992 - 9 L 67/90 - NSt-N 1994, 22; VGH Kassel, Beschl. v. 27.4.1999 - 5 N 3909/98 - NVwZ-RR 2000, 243, 246; Lichtenfeld, aaO, § 6 Rdnr. 739). Auch diese Einschränkung wird von der Kostenregelung in § 9 Abs. 2 des Vertrages vom 26. Juni 1980 hinreichend beachtet.

Auch nach Überprüfung im Berufungsverfahren geht der Senat weiterhin davon aus, dass die Gebührenkalkulation der Beklagten bei der Kostenposition "Sonstige Unterhaltungskosten Schmutzwasserkanal" (700.000,-- DM für 1999 und 647.500,- DM für 2000) rechtliche Mängel aufweist. Der Senat hat in seinem Zulassungsbeschluss vom 16. August 2002 ausgeführt, dass die Kosten für notwendige Reparaturmaßnahmen in der jeweiligen Kalkulationsperiode voll angesetzt werden können, während der Aufwand für Renovierungs- und Erneuerungsmaßnahmen im Gebührenhaushalt nur über Abschreibungen berücksichtigt werden kann. An dieser Ansicht ist festzuhalten. Nach dem Ergebnis der Berufungsverhandlung ist der Senat davon überzeugt, dass die Kostenposition "Sonstige Unterhaltungskosten Schmutzwasserkanal" im wesentlichen Umfang auch Aufwand für Renovierungs- und Erneuerungsmaßnahmen enthält. Die Beklagte hat weder durch die Erläuterungen ihres Bevollmächtigten in der Berufungsverhandlung noch durch die dessen Schriftsatz vom 10. September 2003 beigefügten Anlagen, die keine näheren Aufschlüsselungen der aufgeführten Kostenpositionen enthalten und daher nicht aussagekräftig sind, nachvollziehbar gemacht, dass zu den "Sonstigen Unterhaltungskosten" nur Aufwand für unaufschiebbare Reparaturmaßnahmen gezählt worden ist. Dagegen spricht zum einen die beträchtliche Höhe sowohl der Gesamtkosten (700.000,- DM bzw. 647.500,- DM für jeweils nur ein Jahr) als auch der einzelnen Kostenpositionen, die mehrfach ein für Reparaturmaßnahmen völlig ungewöhnliches Ausmaß (z.B. 119.622,98 DM, 98.000,- DM, 93.000,- DM, 80.000,- DM und 71.000,- DM) erreichen. Ferner hat die Beklagte im Klage-, Zulassungs- und (zunächst) Berufungsverfahren durchgehend einen Kostenbegriff vertreten, der nicht - wie erforderlich - an betriebswirtschaftlichen Grundsätzen i.S. von § 5 Abs. 2 Satz 1 NKAG, sondern an einer beitragsrechtlichen Betrachtungsweise orientiert war und folglich zu einem zu weiten Spektrum ansatzfähiger Kosten geführt hat. Wenn die Beklagte aber betont hat, dass auch Kosten für teilweise Renovierungs- und Erneuerungsmaßnahmen in den jeweiligen Kalkulationsperioden voll ansatzfähig seien, so ist es vor allem in den augenblicklichen Zeiten knapper Haushaltskassen wahrscheinlich, dass sie von den aus ihrer Sicht bestehenden Möglichkeiten zur Refinanzierung entstandener Kosten auch tatsächlich Gebrauch gemacht hat. Der im Senatsbeschluss vom 16. August 2002 vertretenen Auffassung, dass zwischen voll ansatzfähigen Reparaturkosten einerseits und nur über Abschreibungen refinanzierbarem Renovierungs- und Erneuerungsaufwand andererseits zu differenzieren sei, ist erstmals durch den "auf Wunsch der Beklagten ergänzenden" Vortrag im Schriftsatz vom 8. April 2003 Rechnung getragen worden. Bei diesem Verfahrensablauf sowie Berücksichtigung des Umstands, dass die Beklagte weder auf das Berichterstatterschreiben vom 29. August 2003, in dem sie auf die Notwendigkeit substantiierterer Angaben hingewiesen worden ist, noch in der Berufungsverhandlung genauere Angaben zu den "Sonstigen Unterhaltungskosten" gemacht hat, drängt sich die Annahme geradezu auf, dass in der Vergangenheit auch Renovierungs- und/oder Erneuerungskosten in den jeweiligen Kalkulationsperioden voll angesetzt worden sind. Dies erklärt auch die erheblichen Gebührensprünge, die nach den Angaben der Beteiligten während der Berufungsverhandlung bei der Beklagten in den vergangenen Jahren wiederholt stattgefunden haben.

Der von der Beklagten für 1999 und 2000 beschlossene Gebührensatz ist ferner deshalb überhöht, weil Zinsvorteile aus Abschreibungen in Bezug auf beitragsfinanzierte Anlageteile nicht zu Gunsten der Gebührenpflichtigen berücksichtigt worden sind. Der Senat hat in seinem Zulassungsbeschluss vom 16. August 2002 die Ansicht vertreten, Zinsvorteile aus Abschreibungserlösen, die sich auf beitrags- und zuschussfinanzierte Anlageteile beziehen und nicht sofort für Abwasserbeseitigungszwecke verwendet werden, müssten dem Abwassergebührenhaushalt gutgeschrieben werden, wenn die Kosten der Abwasserbeseitigung vollständig über Gebühren gedeckt, nicht also teilweise durch den allgemeinen Gemeindehaushalt beglichen werden. An dieser Auffassung hält der Senat jedenfalls für beitragsfinanzierte Anlageteile fest. Ob entsprechendes auch - was die Beklagte vehement bestreitet - für zuschussfinanzierte Anlageteile gilt, muss nicht vertieft werden, weil bei der Beklagten schon eine Berücksichtigung der Zinsvorteile aus Abschreibungen in Bezug auf beitragsfinanzierte Anlageteile zu einer spürbaren Senkung des Gebührensatzes geführt hätte. Solche Zinsvorteile sind nicht nur anzunehmen, wenn - was ohnehin nur ausnahmsweise vorkommen dürfte - Zinserträge tatsächlich erzielt werden. Zinsvorteile der genannten Art liegen auch vor, wenn dem Vermögenshaushalt der Gemeinde zugeflossene Abschreibungserlöse wegen des haushaltsrechtlichen Grundsatzes der Gesamtdeckung bis zur vorgesehenen Verwendung für Abwasserbeseitigungszwecke zunächst für andere Vorhaben eingesetzt werden. In diesen Fällen hat eine Gutschrift zu Gunsten des Gebührenhaushalts in der Form zu erfolgen, dass die zunächst nicht für Abwasserbeseitigungszwecke verwendeten Abschreibungserlöse in einer fiktiven Rücklage angesammelt und mit einem jährlichen kalkulatorischen Zins belegt werden. Die Gutschrift des - tatsächlich erzielten oder fiktiven - Zinsvorteils zu Gunsten des Gebührenhaushalts rechtfertigt sich in den genannten Fällen aus der Erwägung, dass Abschreibungserlöse aus beitragsfinanzierten Anlageteilen nicht im Zusammenhang stehen mit einem eigenen Kapitaleinsatz der Gemeinde. Vielmehr haben Dritte, nämlich die Beitragszahler (und eventuell die Zuschussgeber), in die Abwasserbeseitigung investiert und es auf diese Weise ermöglicht, dass von den vorhandenen Anlagegütern abgeschrieben wird und die Abschreibungserlöse in den allgemeinen Gemeindehaushalt fließen. Die daraus resultierenden tatsächlichen oder fiktiven Zinsvorteile aus den Investitionen der Beitragszahler stehen nicht dem allgemeinen Gemeindehaushalt, aus dem die Investitionen nicht herrühren, sondern dem Gebührenhaushalt zu. Im Gegenzug erhält die Gemeinde auf die von ihr zugunsten der Abwasserbeseitigung getätigten Kapitaleinsätze kalkulatorische Zinsen nach § 5 Abs. 2 Satz 4 NKAG, so dass jedem Geldgeber diejenigen Zinsvorteile zufließen, die auf seinen Kapitaleinsatz zurückzuführen sind.

Nach dem Ergebnis der Berufungsverhandlung erfüllt die Beklagte die Voraussetzungen, unter denen Zinsvorteile aus Abschreibungserlösen in Bezug auf beitragsfinanzierte Anlageteile dem Gebührenhaushalt gutzuschreiben sind. Sie verwendet diese Erlöse nicht unmittelbar wieder für Abwasserbeseitigungszwecke und auch nicht zur Tilgung hierfür aufgenommenen Fremdkapitals, sondern setzt sie zunächst für andere Vorhaben ein. Dies hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten in der Berufungsverhandlung unter Verweis auf die Zulässigkeit einer solchen Vorgehensweise ausdrücklich erklärt. Gegen Letztere spricht auch nicht die im Berufungsverfahren vorgelegte Nebenrechnung nach § 12 GemHVO vom 31. Dezember 2001, in der die "Restfinanzierung allgemeiner Haushalt" mit 8.983.568,- DM ausgewiesen ist. Diese Position belegt die Differenz zwischen Ausgaben und Einnahmen im Rahmen der Nebenrechnung nach § 12 GemHVO. Sie besagt nicht zugleich, dass Abschreibungserlöse unmittelbar zur Tilgung von für die Abwasserbeseitigung aufgenommen Krediten eingesetzt worden sind.

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