Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 30.08.2004
Aktenzeichen: 9 ME 101/04
Rechtsgebiete: BauNVO, NNatG


Vorschriften:

BauNVO § 14 I 1
BauNVO § 14 I 2
BauNVO § 3
NNatG § 45 c
Die Haltung von 30 Rassetauben und 20 Kanarienvögeln als reine Volierenhaltung kann in einem reinen Wohngebiet zulässig sein.
Tatbestand:

Die Antragsteller wenden sich als Eigentümer des in D. liegenden Wohnhausgrundstücks E. (Flurstück F.) gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 2. Februar 2004 für den Neubau einer Vogelvoliere in den Abmessungen von 8 m x 10 m (80 m²) im hinteren Bereich des westlich angrenzenden Nachbarflurstücks G.. Der einschlägige Bebauungsplan Nr. H. "I." setzt insoweit reines Wohngebiet (WR) fest. Der Antragsgegner erteilte die Baugenehmigung unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs. Der Widerruf würde erfolgen, wenn es zu unzumutbaren Nachbarbelästigungen kommen würde. Als Bestandteil der Baugenehmigung sind unter "Nebenbestimmungen und Hinweise" die Angaben des Beigeladenen angeführt, dass

"a) es sich um eine reine Volierenhaltung handelt,

b) Freiflüge der Vögel nicht erfolgen und

c) während der Nachtzeiten das Gebäude geschlossen wird und somit kaum wahrnehmbare Geräusche nach außen dringen".

Der dem Bauantrag beigefügten Betriebsbeschreibung ist zu entnehmen, dass die Vogelvoliere zur Hälfte in einer festen Holzkonstruktion als Stall errichtet werden soll. Das Freigehege soll aus Draht hergestellt werden. Die Vogelvoliere ist zur Unterbringung von 30 Tauben und 20 Kanarienvögeln gedacht. Der Beigeladene (und seine Frau) sind langjährige Mitglieder im Geflügelzuchtverein D..

Der Antragsgegner beendete ein zunächst eingeleitetes Verfahren auf Genehmigung eines Tiergeheges nach § 45 c NNatG, nachdem das am Verfahren beteiligte Niedersächsische Landesamt für Ökologie mitgeteilt hatte, dass der Antrag für die Haltung von Kanarienvögeln und Rassetauben gestellt worden sei. Hierbei handele es sich um domestizierte Zuchtformen, die in freier Natur nicht vorkämen. Daher bestehe auch kein Genehmigungserfordernis nach § 45c NNatG.

Den Antrag der Antragsteller auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 6. April 2004 mit der Begründung abgelehnt, dass die Vogelvoliere gemäß § 14 Abs. 1 BauNVO als untergeordnete Nebenanlage auch in einem reinen Wohngebiet zulässig sei. Die zur Genehmigung gestellte Bauausführung, der Standort der Vogelvoliere und die Eigenart des konkreten Baugebietes ließen den Rückschluss auf eine ausnahmsweise unzulässige Tauben- bzw. Vogelhaltung gemäß § 15 BauNVO nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat dabei seine Auffassung vorrangig auf das Urteil des OVG Lüneburg vom 26.9.1980 - 6 A 188/78 - BRS 36 Nr. 49 = ZfBR 1981, 98, gestützt. Wegen der verwaltungsgerichtlichen Ausführungen im Einzelnen wird auf den Beschluss Bezug genommen.

Die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragsteller stützt sich auf eine Stellungnahme des Veterinäramtes des Antragsgegners - Dr. J.- vom 31. März 2004 bzw. eine Stellungnahme des Tierschutzvereines D. und Umgebung e.V. vom 13. April 2004. Danach sei die vom Antragsgegner offensichtlich für eine Taubenhaltung genehmigte geschlossene Voliere ohne Freiflugmöglichkeiten aus tierschutzrechtlicher Sicht nicht zulässig. Tauben hätten ein starkes Flugbedürfnis, welches in einer Voliere mit 80 m² Grundfläche und einer angenommenen Höhe von 2,50 m nicht dauerhaft befriedigt werden könnte.

Die Beschwerde der Antragsteller hat keinen Erfolg.

Der Senat folgt im Ergebnis der Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die vom Antragsgegner genehmigte Vogelvoliere mit 80 m² Grundfläche zur Aufnahme von 30 Brieftauben und 20 Kanarienvögeln (noch) als eine dem reinen Wohnen (§ 3 BauNVO) dienende untergeordnete Nebenanlage zugelassen werden kann und die Kleintierhaltung auch nicht der Eigenart des konkreten Baugebietes widerspricht (§ 14 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BauNVO). Soweit das Verwaltungsgericht seine Auffassung dabei im Wesentlichen auf das Urteil des OVG Lüneburg vom 26. September 1980 (aaO) stützt, ist dies nicht zu beanstanden. Nach dieser Entscheidung sind bauliche Anlagen für eine kleine Brieftaubenzucht auch in reinen Wohngebieten grundsätzlich zulässig. Dem entschiedenen Fall lag ein Taubenschlag für maximal 30 Brieftauben zugrunde. Zu der durch § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO, insbesondere Satz 2, zugelassenen Kleintierhaltung, die typischerweise aus Liebhaberei gerade auch in Wohngebieten gehalten werden, gehören auch (Brief-)Tauben. Allerdings beschränkt sich diese Aussage auf eine "kleine Brieftaubenzucht". In der hier streitigen Vogelvoliere sollen demgegenüber "30 Tauben und 20 Kanarienvögel" untergebracht werden. Der vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellung, dass das genehmigte Vorhaben gleichwohl den durch § 14 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BauNVO abgesteckten Zulässigkeitsrahmen nicht verlässt, ist dennoch zu folgen. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang allerdings auf weitere veröffentlichte und zur Abgrenzung geeignete Entscheidungen. So hat der VGH Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 17.11.1998 (5 S 989/96 - BRS 60 Nr. 65) die Zulässigkeit eines Taubenhauses für 50 Reisebrieftauben in einem reinen Wohngebiet verneint. Das BVerwG hat in seinem Beschluss vom 1. März 1999 (4 B 13.99 - BRS 62 Nr. 85 = BauR 2000, 73 = ZfBR 1999, 234) diese Entscheidung nicht beanstandet, vielmehr bekräftigt, dass die Frage, ob die Haltung von 50 Brieftauben mit der Eigenart eines Wohngebietes vereinbar sei, nicht abstrakt, sondern nur unter Würdigung gerade der Verhältnisse des betroffenen Wohngebietes und der beabsichtigten Art der Taubenhaltung zu beantworten ist. Der HessVGH führt in seinem Beschluss vom 20. März 1981 (IV TH 20/81 - BRS 42 Nr. 66) aus, dass eine Taubenhaltung in Wohngebietes keinesfalls generell unzulässig, vielmehr eine Einzelfallprüfung vorzunehmen sei. In seinem Beschluss vom 5. Januar 1999 (4 B 131.98 - BRS 62 Nr. 84) weist das BVerwG darauf hin, dass die Frage, ob ein Taubenhaus für 80 Sporttauben in einem allgemeinen Wohngebiet zulässig ist, auch von der Verkehrsüblichkeit abhängt. Die Verkehrsüblichkeit könne lokal oder regional unterschiedlich sein.

Die vom Verwaltungsgericht getroffene Entscheidung ist jedenfalls wegen der besonderen Haltungsform der in der Vogelvoliere untergebrachten 30 Tauben und 20 Kanarienvögel und der konkreten Bauausführung nicht zu beanstanden. Genehmigt worden ist lediglich eine reine Volierenhaltung, bei der Freiflüge der Vögel nicht erfolgen, zudem in den Nachtzeiten das Gebäude geschlossen wird. Diese der angegriffenen Baugenehmigung beigefügten Nebenbestimmungen schließen eine Belästigung der Antragsteller durch die Vogelvoliere nahezu aus, jedenfalls wäre diese nicht unzumutbar. Dieser rechtlichen Beurteilung stehen auch nicht die von den Antragstellern im Beschwerdeverfahren vorgelegte Stellungnahme des Veterinäramtes des Antragsgegners vom 31. März 2004 bzw. die des Tierschutzvereines D. vom 13. April 2004 entgegen. Zu unterscheiden ist nämlich die Haltung von Brief- oder Reisetauben von der Haltung von anderen Taubenarten, insbesondere von sonstigen Zier- bzw. Rassetauben (wie etwa die im Tiergehegegenehmigungsverfahren angesprochenen Deutschen Modeneser aber auch Diamant- oder Pfautauben oder sog. Kings). Nur bei den ersteren besteht das in den obigen Stellungnahmen angeführte starke Flugbedürfnis. Die Haltung von Brieftauben ist aber nach der Stellungnahme des Niedersächsischen Landesamtes für Ökologie vom 10. Dezember 2003 vom Beigeladenen weder beabsichtigt noch vom Antragsgegner mit der Baugenehmigung vom 2. Februar 2004 genehmigt worden.

Ende der Entscheidung

Zurück