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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 16.02.2004
Aktenzeichen: 3 Ws 252/03
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
StPO § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
Es liegt in der Dispositionsfreiheit eines Verurteilten, an der Aufklärung fraglicher Vorgänge in seinem Vollzugsverhalten, aus denen Zweifel an einer günstigen Sozial- und Kriminalprognose, insbesondere an einem Wandel seiner Persönlichkeit erwachsen sind, mitzuwirken und so dem Gericht und auch dem Sachverständigen die erforderlichen Anknüpfungstatsachen für eine kriminalprognostische Beurteilung zu vermitteln.
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE

3 Ws 252/03

wegen bes. schwerer Brandstiftung u.a.

hier: Versagung bedingter Entlassung nach § 57 Abs. 1 StGB

Beschluss vom 16. Februar 2004

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - M. vom 09. Oktober 2003 wird kostenpflichtig als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

B. K. wurde durch Urteil des Landgerichts D. vom 16.06.1995 wegen besonders schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit Überlassen einer Schusswaffe an einen Nichtberechtigten, wegen unerlaubten Erwerbs einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe sowie wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung (Tatzeitraum Februar 1991) zu der Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Der Verurteilte befindet sich in dieser Sache seit dem 07.02.1994 in Haft, zunächst in Untersuchungshaft und seit dem 26.10.1995 in Strafhaft. Die Hälfte der Strafe war am 06.05.2001 vollstreckt. Zwei-Drittel-Termin war der 06.10.2003, Strafende ist für den 06.08.2008 notiert.

Mit Beschluss vom 27.09.2001 hatte die Strafvollstreckungskammer eine bedingte Entlassung des Verurteilten schon nach Verbüßung der Hälfte der Gesamtfreiheitsstrafe abgelehnt. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde des Verurteilten war ohne Erfolg geblieben.

Mit Beschluss vom 09.10.2003 hat es die Strafvollstreckungskammer abgelehnt, nach Verbüßung von zwei Dritteln der Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren und sechs Monaten die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe von damals noch vier Jahren und zehn Monaten zur Bewährung auszusetzen. Dagegen hat der Verurteilte mit Schreiben vom 15.10.2003 sowie mit Verteidigerschriftsatz vom 20.10.2003 form- und fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt, mit der er - unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung - seine bedingte Entlassung, hilfsweise die Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer zu neuer Entscheidung erstrebt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Schrift vom 09.12.2003 auf Verwerfung des Rechtsmittels als unbegründet angetragen. Sie hält den Inhalt der fraglichen TÜ-Protokolle im vorliegenden Vollstreckungsverfahren - siehe dazu nachstehend II. - für verwertbar. Der Verurteilte ist mit Schreiben vom 28.12.2003 und mit Verteidigerschriftsatz vom 29.12.2003 entgegengetreten.

II.

Das Rechtsmittel des Verurteilten hat keinen Erfolg.

Nach § 57 Abs. 1 StGB setzt das Gericht die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe nach Verbüßung von (mehr als) zwei Dritteln der verhängten Strafe zur Bewährung aus, wenn dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Bei der Entscheidung sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Taten, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten des Verurteilten im Vollzug, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.

Die Verantwortungsklausel des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB fordert als Voraussetzung für eine vorzeitige bedingte Entlassung die Wahrscheinlichkeit des Erfolges der Aussetzung der Vollstreckung, wobei insbesondere die Kriterien des "Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit" und des "Gewichts des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsgutes" dem Wahrscheinlichkeitsurteil Grenzen setzen (Senat StV 2002, 322; BGH NStZ-RR 2003, 200 = StraFo 2003, 255 = StV 2003, 678 = BGHR StGB § 57 Abs. 1 Erprobung 2). Bei Straftaten der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB bezeichneten Art, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren geahndet wurden - wie vorliegend -, sind die zu stellenden Anforderungen dahin verschärft, dass - was zu gegebener Zeit gutachterlich zu klären ist (§ 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO) - das Fortbestehen der durch die Tat zu Tage getretenen Gefährlichkeit des Verurteilten auszuschließen ist. In diesem Rahmen setzt das mit der Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung verbundene "Erprobungswagnis" keine Gewissheit künftiger Straffreiheit voraus; es genügt, wenn - eindeutig festzustellende - positive Umstände die Erwartung im Sinne einer wirklichen Chance rechtfertigen, dass der Verurteilte im Falle seiner Freilassung nicht mehr straffällig, sondern die Bewährungszeit durchstehen werde. Dies entspricht ebenso der ständigen Rechtssprechung des Senats, wie die Einschränkung, dass nicht aufklärbare Unsicherheiten und Zweifel, ob solche Umstände in zureichendem Maße vorliegen, zu Lasten des Verurteilten gehen (vgl. letzthin Senat B. v. 07.01.2004 - 3 Ws 276/03 -). Bezüglich möglicher Straftaten ist zwar ein Restrisiko einzugehen; ob dieses vertretbar ist, ist durch eine Gesamtabwägung aller entscheidungserheblicher Umstände zu ermitteln. Dabei kommt - wie schon eingangs betont - dem Sicherheitsanliegen der Allgemeinheit aber besonderes Gewicht zu (BVerfG NJW 1998, 2202); je höherwertige Rechtsgüter in Gefahr kommen können, um so geringer muss das Risiko eines Rückfall sein. Auch insoweit gehen verbleibende Zweifel an einer hinreichend günstigen Sozial- und Kriminalprognose zu Lasten des Verurteilten.

Dies bedeutet, dass je nach Schwere der Straftaten, die vom Verurteilten nach Erlangung der Freiheit im Falle eines Bewährungsbruches zu erwarten stünden (vgl. § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB), unterschiedliche Anforderungen an das Maß der Wahrscheinlichkeit für ein künftiges strafloses Leben des Verurteilten zu stellen sind. Das Gewicht der bei einem Rückfall drohenden Rechtsgutverletzung wird im Regelfall wiederum nach Art und Schwere der Straftaten zu beurteilen sein, die der Verurteilte bereits begangen hat (BGH a.a.O.).

Kommt mithin bei der demnach gebotenen Abwägung aller entscheidungserheblichen Umstände dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit und dem Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsgutes insbesondere dann besondere Bedeutung bei, wenn der Verurteilung - wie vorliegend - ein Verbrechen gegen das Leben oder die körperliche Integrität oder eine andere besonders gefährliche Straftat zugrunde lag, ist aber auch zu beachten, dass mit zunehmender Dauer des Freiheitsentzuges der Anspruch des Verurteilten auf Achtung seiner Menschenwürde und seiner freien Persönlichkeit zunehmendes Gewicht auch für die Anforderungen gewinnt, die an die für die Prognoseentscheidung im Rahmen des § 57 Abs. 1 StGB notwendige Sachverhaltsaufklärung zu stellen sind (Senat StV 2002, 322; BVerfG NJW 2000, 501; dass. NJW 2000, 502).

Bei Anlegung dieses Maßstabes ist es derzeit nicht verantwortbar, den Verurteilten vorzeitig bedingt aus der Strafhaft zu entlassen.

Die Straftaten des Verurteilten (Tatzeit: Februar 1991) resultierten aus seiner tiefen Verstrickung in das "Rotlichtmilieu" - seit dem Jahre 1987 -. Wie der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 14.11.2001 - 3 Ws 192/01 - betont hat, war der Verurteilte die treibende Kraft der verfahrensgegenständlichen Brandlegung in der "A.-Bar", die er mit hoher krimineller Energie plante und durchführte, wobei er den Mitverurteilten E., eine labile Persönlichkeit mit mangelndem Selbstwertgefühl, zur Vollstreckung skrupellos in seine Tat einband; die schwerwiegende Tat hatte, abgesehen von dem hohen Fahrnisschaden, den Erstickungstod eines Gastes der Bar zur Folge. Die weitere Tat, nämlich die nach Einbruch in die Wohnung eines Freiers an dem daraus Flüchtenden auf offener Straße verübte gefährliche Körperverletzung war ebenfalls von nicht zu unterschätzender krimineller Intensität geprägt.

Damit konzentriert sich die von § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB geforderte Prognose auf die Frage, ob mit erhöhter Wahrscheinlichkeit (vgl. zu diesem Grad: BVerfG NJW 2000, 502, 503; BGH a.a.O.) zu erwarten steht, dass die Wirkungen des nun zehn Jahre andauernden (Straf-) Vollzugs den Verurteilten, der mittlerweile das 39. Lebensjahr vollendet hat, von einer Rückkehr in das "Rotlichtmilieu", und insbesondere von weiteren, gar einschlägigen Straftaten abhalten werden und welche Delikte zu erwarten stünden, falls der Verurteilte rückfällig würde. Demgegenüber kann sich der Verurteilte nicht - wie aber mit Verteidigerschriftsatz vom 20.10.2003 vorgetragen - mit Erfolg darauf berufen, dass eine Rückkehr in das alte Milieu - was freilich zutreffend ist - straffrei wäre, hat sich doch gerade in seinem Fall dieses Umfeld als kriminogen erwiesen, und ebenso wenig auf das am 01.01.2002 in Kraft getretene Prostitutionsgesetz (vgl. hierzu BGH NJW 2004, 81) noch darauf, dass er nach den Taten vom Februar 1991 bis zu seiner Festnahme im Februar 1994 "trotz einer damaligen extrem verwurzelten Zugehörigkeit zum einschlägigen negativen Rotlichtmilieu" (vgl. Schreiben des Verurteilten vom 28.12.2003) keinerlei weitere Straftaten begangen habe.

Derzeit lässt sich ein einschlägiger Rückfall des Verurteilten nicht mit der gebotenen Sicherheit ausschließen, eine erhöhte Wahrscheinlichkeit künftiger straffreier Führung des Verurteilten nicht bejahen.

Zu diesem Ergebnis gelangt der Senat bereits nach Lage der Akten, auch ohne Einholung eines - von dem Verurteilten hilfsweise begehrten - kriminalprognostischen Gutachtens (§ 454 Abs. 2 StPO). Ein solches wäre nur dann einzuholen, wenn das Gericht erwägt, die Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen. Das Sachverständigengutachten soll es dem Gericht ermöglichen, einen eine vorzeitige Entlassung u. U. rechtfertigenden Persönlichkeitswandel des Verurteilten und die von dem Verurteilten ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit im Falle einer beabsichtigten Strafaussetzung zur Bewährung zuverlässiger einschätzen zu können (vgl. hierzu die Gesetzesmaterialien BT-Dr. 13/8586 S. 10). Wenn im Einzelfall wegen besonderer Umstände, etwa in der Persönlichkeit des Verurteilten - wie hier - eine Aussetzung der Reststrafe offensichtlich nicht verantwortet werden kann und das Gericht deshalb zu Recht die Strafaussetzung nicht in Betracht zieht, ist eine Beurteilung durch eine Sachverständigenanhörung nicht erforderlich (BGH NJW 2000, 1663 m.w.N. = NStZ 2000, 279; vgl. auch OLG Karlsruhe Die Justiz 1999, 346; OLG Hamburg NJW 2000, 2758; OLG Köln StraFo 2001, 34; Senat B. v. 12.03.2002 - 3 Ws 11/02 - m.w.N.). Gleiches gilt, wenn dem Gericht ebenso wie dem Sachverständigen wichtige Entscheidungskriterien für die Beantwortung der Frage fehlen, in welchem Umfang der Verurteilte an der Erreichung des Vollzugsziels mitarbeitet und dieses bereits verwirklicht worden ist, bzw. ob der Verurteilte mit seinem Verhalten im Vollzug dieses konterkariert, d.h. hintertreibt, mithin die Stellung einer positiven Kriminal- und Sozialprognose hinsichtlich der künftigen Lebensführung des Verurteilten in Freiheit mangels genügender Beurteilungsgrundlagen nicht hinreichend fundiert werden kann. So liegt der Fall hier.

Insoweit hat der Senat im Wesentlichen bedacht:

Zwar verbüßt der Verurteilte erstmals eine Freiheitsstrafe; bei einem derartigen Täter ist im Allgemeinen anzunehmen, dass die erkannte Strafe nach Verbüßung von zwei Dritteln derselben ihre spezialpräventiven Wirkungen entfaltet hat und es verantwortbar ist, den Strafrest nach § 57 Abs. 1 StGB auszusetzen, sofern seine Führung im Vollzug keinen Anlass zu gewichtigen Beanstandungen gegeben hat (vgl. BGH a.a.O.). Der Senat übersieht auch nicht, dass der Verurteilte nur unwesentlich vorbestraft war, im Vollzug in den Jahren 1996 und 1997 den Hauptschulabschluss erlangte, PC-Kurse besuchte, eine Schreinerlehre im Juli 2001 erfolgreich beendete, im Juni 2002 das Abitur mit guten Ergebnissen bestand, seine Ausführungen zur Prüfung in Pfungstadt am 28.05.2002, 17.06.2002 und 18.06.2002 nicht missbrauchte, sodann ein Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Fernuniversität Hagen aufnahm und parallel hierzu im Rahmen seiner Arbeitseinteilung in der Schreinerei regelmäßige und gute Leistungen erbringt.

Soweit es die Persönlichkeit des Verurteilten und seine Entwicklung während des Strafvollzuges im Übrigen angeht, imponieren demgegenüber allerdings folgende Vorgänge:

Zum 04.08.1998 musste der Verurteilte von der Justizvollzugsanstalt F., in der er die Realschule besuchte, aus disziplinarischen Gründen wegen unerlaubten Besitzes eines Mobiltelefons in die Justizvollzugsanstalt M. zurückverlegt werden.

Im Mai und Juni 2002 hatte der Verurteilte unter Verstoß gegen die Bestimmung des § 32 StVollzG mit Hilfe eines in die Justizvollzugsanstalt M. - wenn auch, soweit bekannt, nicht von ihm - eingeschmuggelten Mobiltelefons, das auch andere Gefangene nutzten, eine Vielzahl von Telefonaten aus der Anstalt heraus geführt, u.a. mit seiner Bekannten C. W. in R.. Diese hatte in der Justizvollzugsanstalt S. bis zu ihrer Entlassung im April 2002 eine mehrjährige Freiheitsstrafe wegen räuberischer Erpressung verbüßt; zwischen ihr und dem Verurteilten bestand in jener Zeit reger Briefverkehr. Weitere Kontaktperson war die Verlobte des Verurteilten, Dipl. Psych. und Dipl. Sozialarbeiterin X. in F., soweit deren an den Senat gerichtetem Schreiben vom 20.12.2003 entnommen werden kann. Bekannt wurden die Telefonate des Verurteilten im Zuge einer im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Mannheim gegen T. nach §§ 100 a, 100 b StPO rechtmäßig richterlich angeordneten Telefonüberwachung. Der Verurteilte hat u.a. mit an den Landesbeauftragten für Datenschutz gerichtetem Schreiben vom 10.10.2003, das er der Staatsanwaltschaft Mannheim übermittelte, eingeräumt, das fragliche "Handy" für private Telefonate mitbenutzt zu haben. Dass er mit C. W. telefoniert hatte, erhellt aus der Beschwerdeschrift des Verurteilten vom 15.10.2003.

Außerdem ergab sich auf Grund der Telefonate der Verdacht, dass der Verurteilte mit Hilfe von C. W. das Einschmuggeln eines Mobiltelefons in die Justizvollzugsanstalt M. organisierte. Die daraufhin getätigten Ermittlungen führten dazu, dass am 21.06.2002 im Zuge einer am Haupttor der Justizvollzugsanstalt durchgeführten Personen- bzw. Zugangskontrolle bei Rechtsanwalt Y, der u.a. den Verurteilten vertrat, in dessen Unterhose ein Mobiltelefon und in dessen Aktenkoffer weiteres Zubehör sichergestellt werden konnte. Ob das Mobiltelefon für den Verurteilten bestimmt war, steht nicht fest. Gegen Y. und C. W. wurden - zwischenzeitlich in Rechtskraft erwachsene - Bußgeldbescheide erlassen, gegen Y. wurde darüber hinaus ein - zwischenzeitlich ebenfalls rechtskräftig abgeschlossenes - standesrechtliches Verfahren durchgeführt. Gegen den Verurteilten wurden besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet, die im Verlaufe des Jahres 2003 reduziert und mit Verfügung der Anstalt vom 28.08.2003 gänzlich aufgehoben wurden (vgl. hierzu Senat B. v. 16.12.2003 - 3 Ws 194/03 -).

Einer Verwertung vorstehender Erkenntnisse steht die Bestimmung des § 100 b Abs. 5 StPO zweifelsfrei nicht entgegen. Vielmehr ist die mittelbare Verwertung der aus der Telefonüberwachung gewonnenen Zufallserkenntnisse in der Weise statthaft, dass diese zur Grundlage weiterer Ermittlungen gegen den Verurteilten gemacht werden bzw. wurden, deren Ergebnisse ihrerseits keinem Verwertungsverbot unterliegen (BGH St 26, 298, 303; St 32, 10, 15; vgl. auch BGH St 14, 358, 365; St 31, 304, 308; Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 100 a Rdnr. 20; § 100 b Rdnr. 7).

Da die angefallenen Zufallserkenntnisse gegen den Verurteilten aber nicht den Verdacht einer Katalogtat nach § 100 a StPO begründen, sieht der Senat davon ab, den Inhalt der abgehörten Telefonate und der darüber gefertigten TÜ-Protokolle als solchen im vorliegenden Vollstreckungsverfahren zu verwerten und zwar in Anbetracht des - unbeschadet der von der Generalstaatsanwaltschaft vorgetragenen beachtlichen Argumente für eine Verwertbarkeit - verbleibenden verfassungsrechtlichen Risikos. Der Senat folgt damit nicht der Handhabung durch die Strafvollstreckungskammer, die auf Grund des Inhaltes der TÜ-Protokolle zu der Überzeugung gelangte, dass der Verurteilte "seine Ausbildung und sein Studium als Alibi benutze, um eine Strafaussetzung zur Bewährung zu erreichen", in Wirklichkeit aber für diesen Fall "seine Rückkehr ins alte Milieu mit der Beteiligung an S-Clubs und Förderung der Prostitutionsausübung" vorbereite (BAS. 36). Auf die mit Verfügung vom 12.12.2003 gehaltene Anfrage des Senats hat der Verurteilte nämlich mit Schreiben vom 28.12.2003 sowie mit Verteidigerschriftsatz vom 29.12.2003 den bereits mit Verteidigerschriftsatz vom 01.10.2003 erhobenen Widerspruch gegen die Verwertung der TÜ-Protokolle aufrechterhalten. Zwar bestimmt § 100 b Abs. 5 StPO (lediglich), dass durch richterlich angeordnete TK-Überwachungsmaßnahmen erlangte personenbezogene Informationen in anderen Strafverfahren zu Beweiszwecken verwendet dürfen, soweit sich bei Gelegenheit der Auswertung Erkenntnisse ergeben, die zur Aufklärung einer der in § 100 a StPO bezeichneten Straftaten benötigt werden. Hierum geht es vorliegend aber nicht. Allerdings liegt es nicht fern, dass die Verwertung des Inhaltes der TÜ-Protokolle, wenn sie auch gegen den Verurteilten keinen Verdacht auf eine Katalogtat oder deren Vorbereitung ergeben haben, gleichwohl zur Versagung seiner bedingten Entlassung aus der Strafhaft führt, der ein sanktionsähnlicher Charakter beigemessen werden könnte. Es ist nicht auszuschließen, dass sich aus diesen Protokollen, die auch Gegenstand der mündlichen Anhörung des Verurteilten durch die Strafvollstreckungskammer am 25.09.2003 waren, zu denen er jedoch inhaltlich nicht Stellung nehmen wollte, fundierte Erkenntnisse über die Lebenseinstellung des Verurteilten und dessen Zukunftsplanung gewinnen ließen.

Wohl reicht allein der Widerspruch des Verurteilten gegen die Verwertung der TÜ-Protokolle nicht aus, eine günstige Prognose i. S. d. § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zu verneinen. Die Haltung des Verurteilten erschwert aber die Stellung einer hinreichend zuverlässigen Sozial- und Kriminalprognose (vgl. ähnlich im - hier nicht gegebenen - Fall fortdauernder Leugnung der Anlasstat durch einen Verurteilten: Senat B. v. 19.12. 2000 - 3 Ws 273/00 -; BVerfG NJW 1998, 2202; OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 251). In Anbetracht des in dem gravierenden Verstoß gegen § 32 StVollzG liegenden Versagens des Verurteilten im Vollzug, soweit dieser Verstoß und seine Folgen verwertbar feststehen, fehlt es wegen der mangelnden Öffnung des Verurteilten im Übrigen an einer ausreichenden Beurteilungsgrundlage, um mit der gebotenen Sicherheit prognostizieren zu können, dass sich der Verurteilte im Falle seiner Freilassung nicht in das Rotlichtmilieu zurückbewegt, sich jedenfalls rechtstreu verhalten wird. Die bloße Äußerung des Verurteilten, nach seiner Entlassung mit seiner Verlobten zusammenziehen, heiraten, eine Familie mit Kindern gründen, das Studium mit finanzieller Unterstützung seiner Mutter fortsetzen und sich während der vorlesungsfreien Zeit handwerklich betätigen zu wollen, trägt eine verantwortbare Entlassung des Verurteilten nicht. Es liegt in der Dispositionsfreiheit des Verurteilten (vgl. zum nemo-tenetur-Prinzip: Meyer-Goßner a.a.O. Einl. Rdnr. 29a m.w.N.), durch seine Mitwirkung an der Aufklärung der fraglichen Vorgänge im Vollzug die bestehenden Zweifel an der günstigen Sozial- und Kriminalprognose, insbesondere an seinem Persönlichkeitswandel auszuräumen; nur so werden auch dem Gericht und dem Sachverständigen - lückenlos - die Anknüpfungstatsachen für eine kriminalprognostische Beurteilung vermittelt werden können.

Darauf, dass der Verurteilte wegen seines Vollzugsverhaltens in der Zeit nach den Verfehlungen vom Mai/Juni 2002 Vollzugslockerungen nicht gewährt werden konnten, kommt es nach alledem nicht mehr entscheidend an. Freilich erweitert sich die Basis der Anknüpfungstatsachen für die der erkennenden Strafvollstreckungskammer letztlich vorbehaltene - zu gegebener Zeit erneut zu treffende - prognostische Beurteilung, wenn der Verurteilte im Rahmen eines Lockerungsprogramms erprobt worden ist. Die Chancen, dass Sachverständiger und das Gericht, das über die Aussetzung zu entscheiden hat, zu einer zutreffenden Kriminal- und Sozialprognose gelangen werden, werden durch die vorherige Gewährung von Lockerungen und die hierdurch gewonnenen Erfahrungen verbessert (vgl. Senat StV 2002, 322; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997, 323, 324; BVerfG NJW 2000, 501; dass. NJW 2000, 502). Die Versagung von Lockerungen entbehrte bislang - soweit im vorliegenden Verfahren feststellbar - in Anbetracht des in der Person des Verurteilten und seinem Vollzugsverhalten zutage getretenen Missbrauchsrisikos nicht einer tragfähigen Grundlage. Das Risiko des Missbrauchs von Lockerungen wird ebenfalls besser einschätzbar mittels sachverständiger Hilfe, die allerdings - wie ausgeführt - der Mitwirkung des Verurteilten bedarf. Auf dieser Grundlage wird die Vollzugsbehörde zu gegebener Zeit erneut über die Gewährung möglicher Lockerungen zu befinden haben. Ohne eine Vorbewährung des Verurteilten in "kontrollierter Freiheit" dessen Entlassungsreife zu unterstellen, geht nicht an.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird durch vorliegende Entscheidung nicht tangiert.

Abschließend sei klargestellt, dass sich die Versagung der bedingten Entlassung des Verurteilten vorliegend nicht auf Gesichtspunkte der Schuldschwere, der Generalprävention und der Verteidigung der Rechtsordnung, d.h. auf eine Häufung von schuldbezogenen und generalpräventiven Argumenten gründet, die die Entscheidung nicht tragen könnten (BVerfG NJW 1994, 378 = NStZ 1994, 53). Die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe wird nicht aus Gründen der erheblichen Schuld des Verurteilten und/oder der besonderen Gefährlichkeit der von ihm begangenen Delikte im Allgemeinen, sondern ausschließlich aus spezialpräventiven Gründen abgelehnt, zumal noch nicht hinreichend beurteilt werden kann, dass keine Gefahr mehr besteht, dass dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbesteht.

Der Senat hat nach alledem das Rechtsmittel des Verurteilten mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO als unbegründet verworfen.

Ende der Entscheidung

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