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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 06.04.2001
Aktenzeichen: 3 Ws 31/01
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 112 a Abs. 1 Nr. 2 | |
StPO § 114 Abs. 2 | |
StPO § 120 Abs. 1 | |
StPO § 125 | |
StPO § 126 | |
StPO § 132 a Abs. 1 |
2. Das Beschwerdegericht kann die Ersetzung eines den inhaltlichen Anforderungen des § 114 Abs. 2 Nr. 2 StPO nicht genügenden Haftbefehls durch einen ordnungsgemäßen Haftbefehl jedenfalls dann dem nach §§ 125, 126 StPO zuständigen Gericht überlassen, wenn der (rechtsfehlerhafte) Haftbefehl nicht vollzogen wird.
3. Wird dem Beschuldigten die Vornahme von Betrugstaten im Rahmen eines professionellen Betrugssystem vorgeworfen, besteht der Haftgrund der Wiederholungsgefahr jedenfalls dann nicht mehr, wenn die Geschäftsräume des Beschuldigten geschlossen sind, dem Beschuldigten die Ausübung seiner Geschäftstätigkeit untersagt worden ist und zur Fortsetzung der Betrugsstraftaten erhebliche sachliche und personelle Mittel erforderlich sind, die dem Beschuldigten nicht mehr zur Verfügung stehen.
4. Die Anordnung eines vorläufigen Berufsverbotes nach § 132 a Abs. 1 StPO ist nur unter strikter Beobachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter statthaft.
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE
Beschluss vom 06. April 2001
wegen Verd. des Betruges u.a.
hier: weitere Haftbeschwerde
Tenor:
Die weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Landgerichts Mannheim vom 17. Januar 2001 wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des weiteren Beschwerdeverfahrens und die dem Beschuldigten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe:
I.
Gegen den Beschuldigten K führt die Staatsanwaltschaft Mannheim ein Ermittlungsverfahren (616 Js 595/00) wegen Verdachts des Bankrotts, des Betruges und Vergehen nach §§ 64, 84 GmbHG. Am 11.12.2000 erließ das Amtsgericht - Haftrichter - Mannheim gegen den Beschuldigten auf Antrag der Staatsanwaltschaft ausschließlich auf den Haftgrund der Wiederholungsgefahr gestützten Haftbefehl (41 Gs 2464/00), aufgrund dessen der Beschuldigte am 14.12.2000 ergriffen wurde. Der Haftbefehl wurde dem Beschuldigten am 15.12.2000 eröffnet. Mit Beschluss vom selben Tage setzte das Amtsgericht - Haftrichter - Mannheim (41 Gs 2712/00) den Haftbefehl außer Vollzug und wies den Beschuldigten an, sich sämtlicher Aktivitäten in Bezug auf Veranstaltung von Konzerten zu enthalten, umgehend Hinweise über die Abmeldung der Einzelfirma und die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung der Staatsanwaltschaft vorzulegen, sowie sich wöchentlich einmal bei dem für seinen Wohnsitz zuständigen Polizeirevier zu melden. Mit am 29.12.2000 beim Amtsgericht eingegangenem Schreiben vom 23.12.2000 legte der Beschuldigte sowohl gegen den Haftbefehl vom 11.12.2000, als auch gegen den Beschluss vom 15.12.2000 mit dem Antrag Beschwerde ein, den Haftbefehl vom 11.12.2000 aufzuheben. Auf die Beschwerde des Beschuldigten, der das Amtsgericht nicht abgeholfen hatte, hob das Landgericht Mannheim mit Beschluss vom 17.01.2001 den Haftbefehl des Amtsgerichts Mannheim vom 11.12.2000 auf. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft vom 31.01.2001, der das Landgericht mit begründetem Beschluss vom 01.02.2001 nicht abgeholfen hat.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt unter dem 13.02.2001, auf die weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft den Beschluss des Landgerichts Mannheim vom 17.01.2001 aufzuheben und die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Mannheim vom 11.12.2000 mit der Maßgabe zu verwerfen, dass dieser Haftbefehl unter den folgenden Auflagen außer Vollzug gesetzt wird:
"1. Der Beschuldigte hat sich sämtlicher geschäftlicher Aktivitäten im Zusammenhang mit der Veranstaltung von Konzerten zu enthalten.
2. Der Beschuldigte hat umgehend einen Nachweis über die Abmeldung der Einzelfirma bei der Staatsanwaltschaft Mannheim vorzulegen."
II.
Der Senat behandelt die weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft als zulässig (§ 310 Abs. 1 StPO). Die Verhaftung i.S.d. § 310 Abs. 1 StPO betreffen zwar nur bzw. alle Beschlüsse, die unmittelbar zum Gegenstand haben, ob der Beschuldigte in Haft zu nehmen oder zu halten ist (BGHSt 25, 120, 121 = MDR 1973, 420; 26, 270, 271; 29, 200, 201, 202; 36, 396, 398). Dieses Ziel verfolgt das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft nicht, sondern lediglich die Wiederherstellung des außer Vollzug gesetzten Haftbefehls des Amtsgerichts Mannheim mit der Modifizierung des Beschlusses über die Außervollzugsetzung des Haftbefehls dahin, dass der Nachweis der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung sowie die Meldeauflage entfallen. Ob sich das Unmittelbarkeitserfordernis auf den Bestand des Haftbefehls oder (enger) auf den Eingriff in die Freiheit bezieht, ist indes strittig (vgl. nur LR-Gollwitzer StPO 24. Aufl. § 310 Rdnr. 11 m.w.N.; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 310 Rdnr. 7 m.w.N.). Eine weitere Beschwerde des in Freiheit befindlichen Beschuldigten gegen den Bestand eines unter Auflagen außer Vollzug gesetzten Haftbefehls erachtet der Senat in ständiger Rechtsprechung und in Übereinstimmung mit den anderen Strafsenaten des Oberlandesgerichts jedenfalls als unzulässig (Senat NStZ 1983, 41; B.v. 12.12.1996 - 3 Ws 345/96-). Ob hieraus für die weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft, sofern sie - wie hier - eine positive Entscheidung über die Anordnung der - wenn auch nicht zu vollziehenden - Untersuchungshaft erstrebt, folgt, dass ebenfalls auf die Unzulässigkeit dieses Rechtsmittels zu erkennen ist, braucht der Senat vorliegend aber nicht zu entscheiden.
Das Landgericht hat nämlich im Ergebnis zu Recht, indes aus folgenden Gründen den Haftbefehl des Amtsgerichts Mannheim vom 11.12.2000 aufgehoben.
Der Haftbefehl des Amtsgerichts kann nicht bestehen bleiben; er entspricht, soweit dem Beschuldigten unter Nrn. 3, 4a, b, c, d und 5 Vergehen des Betruges nach § 263 StGB angelastet werden, nicht den inhaltlichen Anforderungen, die § 114 Abs. 2 StPO an einen Haftbefehl stellt. Die Sachverhaltsdarstellung entbehrt diesbezüglich jeglicher Angaben zur Zahl der geschädigten Konzertbesucher, insbesondere zu dem diesen im einzelnen und insgesamt erwachsenen Schaden. Einer Konkretisierung und Substantiierung der Schadensbeträge bedurfte es im Rahmen der Sachverhaltsdarstellung nicht zuletzt aufgrund der Informations- und Umgrenzungsfunktion des Haftbefehls. Die Bezugnahme auf das bisherige Ermittlungsergebnis des Polizeipräsidiums Mannheim genügt nicht. Der Haftbefehl wird damit der ihm zugedachten Funktion, verlässlich über die Gründe der Anordnung der Untersuchungshaft Auskunft zu geben, nicht gerecht. Zwar wird, namentlich in einem frühen Stadium der Ermittlungen nicht in jedem Fall verlangt werden können, dass der Vorwurf in einer Weise dargestellt wird, wie die insoweit gleichlautende Vorschrift des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO es für die Anklageschrift verlangt; oftmals wird nämlich die abschließende Konkretisierung des in seinen Umrissen schon hinreichend bekannten und auch bereits dringenden Tatverdachts erst im Laufe der Ermittlungen möglich werden, deren Durchführung der Erlass des Haftbefehls gerade ermöglichen soll (vgl. hierzu etwa auch Senat B.v. 16.10.1998 - 3 HEs 195/98 -). Jedoch ist die Tat mindestens so genau darzustellen, dass der Beschuldigten den gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Vorwurf nach Umfang und Tragweite eindeutig erkennen kann (KK-Boujong StPO 4. Aufl. § 114 Rdnr. 6; OLG Stuttgart Die Justiz 1980, 88; OLG Düsseldorf StV 1996, 440; Brandenburgisches OLG StV 1997, 140). Dabei steigen die Anforderungen an die Konkretheit der Darstellung des Tatvorwurfs mit fortschreitender Dauer der - wenn auch nicht vollzogenen - Untersuchungshaft.
So hätte es vorliegend zumindest der Auswertung und Einarbeitung der in der vorläufigen Schadensaufstellung des Polizeipräsidiums Mannheim vom 08.12.2000 (Stand: 28.09.2000; vgl. hierzu EA IV) dargestellten Erkenntnisse bedurft; gleiches gilt für die Aufstellung der Geschädigten, insbesondere hinsichtlich der Tat Nr. 3 (vgl. hierzu EA II Reg. 4). Bezüglich der Taten Nr. 4a und Nr. 5 lässt sich ohnedies auch der vorläufigen Schadensaufstellung ein hinreichend zu beziffernder Schaden nicht entnehmen. Im übrigen stehen Herkunft und Verlässlichkeit der sichergestellten Computerausdrucke über verkaufte und reservierte Karten (BMO 3 2 DuSu Nr. 8, 19) nicht hinreichend fest, um den Schadensumfang zu beziffern.
Diesen Mängeln des Haftbefehls kann der Senat nicht durch Neufassung abhelfen (vgl. auch Brandenburgisches OLG a.a.O.). Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich der Beschuldigte aufgrund des (fehlerhaften) außer Vollzug gesetzten Haftbefehls auf freiem Fuß befindet, d.h. wenn der Beschuldigte nicht unter Aufhebung des fehlerhaften Haftbefehls freizulassen ist oder wenn der (fehlerhafte) Haftbefehl etwa wegen Flucht oder Haft des Beschuldigten in anderer Sache nicht vollzogen wird. Bei derartigen Gegebenheiten kann der Erlass eines neuen Haftbefehls dem nach §§ 125, 126 StPO zuständigen Gericht überlassen werden (OLG Stuttgart Die Justiz 1985, 31; 1985, 217; OLG Düsseldorf StV 1996, 440). So liegt der Fall hier.
Für die Prüfung des Erlasses eines neugefassten Haftbefehls weist der Senat auf folgendes hin:
Die Einhaltung des nach § 120 Abs. 1 StPO besonders zu beachtenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit wird nicht nur an der Höhe des festzustellenden, von dem Beschuldigten jeweils verursachten Schadens, sondern auch an der besonderen Bedeutung der Sache für den Beschuldigten einerseits und für die Rechtsgemeinschaft andererseits zu prüfen sein.
Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112a Abs. 1 Nr. 2) setzt im übrigen voraus, dass jede einzelne Tat ihrem konkreten Erscheinungsbild nach die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigt. Da die Katalogtaten dieser Bestimmung schon generell schwerwiegender Natur sind, kann das Merkmal "die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigend" vom Gesetzgeber nur als weitere Einschränkung des Haftgrundes gemeint sein. Es können daher nur Taten überdurchschnittlichen Schweregrades und Unrechtsgehaltes bzw. solche, die mindestens in der oberen Hälfte der mittelschweren Straftaten liegen, als Anlasstaten in Betracht kommen. Maßgeblich für die Beurteilung sind insbesondere auch Art und Umfang des jeweiligen angerichteten Schadens. Die Tatschwere nach dem Gesamtschaden zu bewerten, ist unzulässig (OLG Frankfurt StV 2000, 209 = NStZ 2001, 75). Wird einem Beschuldigten die Vornahme von Betrugstaten im Rahmen eines professionellen Betrugsystems vorgeworfen, besteht überdies der Haftgrund der Wiederholungsgefahr jedenfalls dann nicht mehr, wenn die Geschäftsräume des Beschuldigten geschlossen sind, dem Beschuldigten die Ausübung seiner Geschäftstätigkeit untersagt worden ist und zur Fortsetzung der Betrugsstraftaten erhebliche sachliche und personelle Mittel erforderlich sind, die dem Beschuldigten nicht mehr zur Verfügung stehen (vgl. hierzu etwa LG Köln StV 1997, 28).
Sollte, wie die Strafkammer in der angefochtenen Entscheidung anregt, die Anordnung eines vorläufigen Berufsverbotes nach §§ 132a StPO, 70 StGB erwogen werden, gibt der Senat zu bedenken:
Ein vorläufiges Berufsverbot darf nur verhängt werden, wenn - neben den in § 132a Abs. 1 StPO genannten Voraussetzungen - zusätzlich festgestellt ist, dass das Verbot schon vor rechtskräftigem Abschluss des Hauptverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr konkreter - in der Entscheidung darzulegender - Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter erforderlich ist (OLG Düsseldorf NStZ 1984, 379). Die Anordnung eines vorläufigen Berufsverbotes muss, selbst wenn die endgültige Anordnung sehr wahrscheinlich ist, wegen der Auswirkungen einer solchen vorläufigen - nicht durch das Ergebnis einer Hauptverhandlung abgesicherten - Entscheidung auf einen grundgesetzlich geschützten Existenzbereich die Ausnahme bilden (OLG Hamm B.v. 04.08.1988 - 2 Ws 145/88 -). Als Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsfreiheit ist die Anordnung nur zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter sowie unter strikter Beobachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft (BVerfGE 48, 292; OLG Karlsruhe StV 1985, 49; OLG Bremen StV 1997, 9; BGHSt 28, 84).
Letztlich weist der Senat darauf hin, dass der Beschuldigte entgegen der Annahme der Staatsanwaltschaft und der Strafkammer durchaus seine Einzelfirma gewerberechtlich abgemeldet hat und zwar mit Schreiben vom 15.12.2000 (EA VI 888); förmlich hat der Beschuldigte die Firma mit Formular vom 04.01.2001, bei der Stadt Mannheim - Gewerbekartei - eingekommen am 09.01.2001, abgemeldet (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 84, 379 f.).
Der Senat hat nach alledem - dem Antrag der Verteidigung vom 26.03.2001 folgend - die Beschwerde der Staatsanwaltschaft sowie den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO zurückgewiesen.
Ende der Entscheidung
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