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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Bamberg
Urteil verkündet am 24.02.2005
Aktenzeichen: 1 U 135/04
Rechtsgebiete: MB/KK 94, SGB V, BGB


Vorschriften:

MB/KK 94 § 1 Abs. 2
MB/KK 94 § 1 Abs. 2 S. 1
SGB V § 27 a
BGB § 242
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
1 U 135/04

Verkündet am 24. Februar 2005

in dem Rechtsstreit

wegen Erstattung med. Heilbehandlungskosten.

Der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Bamberg hat unter Mitwirkung des Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts ... und der Richter am Oberlandesgericht ... und ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 3. Februar 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Coburg vom 14. September 2004 wird zurückgewiesen.

II. Die Kläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger können die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen und der Entscheidung des Ausgangsgerichts wird auf das Urteil des Landgerichts Coburg vom 14.9.2004 Bezug genommen.

Gegen das ihnen am 20.9.2004 zugestellte Urteil haben die Kläger am 12.10.2004 Berufung eingelegt und das Rechtsmittel am 12.11.2004 begründet.

Sie machen geltend, das Landgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die bei den Klägern vorliegende Krankheit im Sinne der Versicherungsbedingungen durch die Geburt der beiden Kinder gelindert worden sei. Die Unfruchtbarkeit bestehe weiterhin. Die künstliche Befruchtung sei die einzige medizinisch anerkannte Behandlungsmöglichkeit. Die begehrte Kostenerstattung verstoße auch nicht gegen die Interessen der Versichertengemeinschaft. Abzustellen sei nur auf die konkrete Versicherung. Die Beklagte habe nicht dargelegt, dass sie aufgrund der durch künstliche Befruchtung bei weiteren Kindern entstehenden Kosten unzumutbar belastet werde bzw. die Beitragssätze erhöhen müsste. Gesamtgesellschaftlich und auch bei Betrachtung des Interesses der Versichertengemeinschaft sei nicht allein auf die entstehenden Kosten, sondern auch darauf abzustellen, dass die Geburt von mehr Kindern wünschenswert, und zur Aufrechterhaltung der sozialen Systeme und zur Gewinnung neuer Beitragszahler erforderlich sei. Der Wunsch der Kläger nach drei Kindern halte sich im Rahmen gesellschaftlicher Akzeptanz. Nicht entscheidend sei, dass die medizinische Behandlung nicht vital lebensnotwendig sei. Auf diesen Gesichtspunkt werde auch bei anderen Krankenbehandlungen nicht maßgeblich abgestellt. Auch wenn die Anzahl der Befruchtungsversuche zu begrenzen sei, müssten doch für jeden Kinderwunsch vier Versuche anerkannt werden, da nach wissenschaftlichen Erkenntnissen frühestens nach vier (bis sechs) Versuchen Rückschlüsse auf die Erfolgsaussicht gezogen werden könnten.

Die Kläger beantragen, das Urteil des Landgerichts Coburg vom 14.9.2004 abzuändern und wie folgt zu erkennen:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger als Gesamtgläubiger 4.797,40 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB ab Klagezustellung zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Klägern die Kosten für maximal drei weitere Versuche reproduktionsmedizinischer Behandlung im Rahmen der IVF/ICSI zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht geltend, die medizinische Behandlung, für die die Kläger Kostenerstattung begehren, sei nicht medizinisch notwendig, da durch die Geburt der beiden Kinder die Krankheitsfolge Kinderlosigkeit nicht mehr bestehe und damit Heilung, zumindest aber eine Linderung der Krankheit Unfruchtbarkeit eingetreten sei. Jedenfalls aber müssten bei den kostenträchtigen und nicht vital initiierten Behandlungsmaßnahmen die Interessen der Versichertengemeinschaft berücksichtigt werden. Dass Kinder gesellschaftlich erwünscht seien, könne sich nicht auf die vertraglichen Verpflichtungen der Beklagten auswirken. Es sei nicht gerechtfertigt, den Versicherungsnehmern für jeden Kinderwunsch drei oder vier Befruchtungsversuche zuzugestehen. Dies würde zu einer Ungleichbehandlung der Versicherten führen, bei denen es nach den ersten Versuchen nicht zur Geburt eines Kindes komme. Unrichtig sei, dass heute zwei oder sogar drei Kinder in der Bundesrepublik Deutschland die Regel seien. Bestritten werde hilfsweise die Erfolgsaussicht weiterer Behandlungen, da die Kläger nicht mitgeteilt hätten, wie viele Befruchtungsversuche sie bereits nach Geburt der Zwillinge hätten durchführen lassen.

II.

1. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass den Klägern der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung weiterer Kosten für künstliche Befruchtungsmaßnahmen nicht zusteht.

Versicherungsfall ist gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 MB/KK 94 die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Bei den Klägern liegt bzw. lag zwar grundsätzlich aufgrund der Sterilität eine Krankheit im Sinne dieser Bestimmung vor. Auch stellt die künstliche Befruchtung eine Heilbehandlung dar. Sie ist jedoch im vorliegenden Fall nicht (mehr) notwendig im Sinn der Versicherungsbedingungen, jedenfalls aber ist die Beklagte nach Treu und Glauben nicht verpflichtet, den Klägern die Kosten weiterer Befruchtungsversuche zu erstatten.

a) Die bei den Klägern bestehende organisch bedingte inoperable Sterilität (nicht jedoch die Kinderlosigkeit) ist zumindest bei Ehepartnern, die sich in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts gemeinsam für ein eigenes Kind entscheiden, als Krankheit im Sinne der Tarifbestimmungen anzusehen (vgl. BGHZ 99, 228; BGH VersR 98, 87; VersR 04, 588).

b) Die homologe In-vitro-Fertilisation stellt eine Heilbehandlung im Sinne des § 1 Abs. 2 MB/KK dar, da sie zumindest auf Linderung der Krankheit abzielt, auch wenn sie die Ursachen der Krankheit Sterilität nicht beseitigen kann (vgl. BGH a.a.O.; Bach/Moser, Private Krankenversicherung, 3. Auflage, Rdnr. 35 m. w. N.).

c) Diese Heilbehandlung kann aber vorliegend nicht als notwendig im Sinn der Versicherungsbedingungen angesehen werden. Notwendig ist eine Heilbehandlung, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar ist, sie als medizinisch notwendig anzusehen (vgl. BGH VersR 79, 221).

Fraglich ist bereits, ob nicht durch die Geburt der beiden Kinder (Zwillinge) eine "Heilung" der Krankheit "Unfruchtbarkeit" eingetreten ist. Zumindest ist eine (erhebliche) Linderung der Krankheit anzunehmen (so BGHZ 99, 228), so dass nicht mehr vom Vorliegen einer (behandlungsbedürftigen) Krankheit bzw. von der Notwendigkeit weiterer Behandlungen auszugehen ist (so OLG München, Urteil vom 23.3.2004, Gz 25 U 4788/03).

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die künstliche Befruchtung, die nicht auf Heilung oder Linderung der Sterilität als solche abzielt, nur deshalb als medizinisch notwendige Heilbehandlung angesehen werden, weil sie bei Erfolg die Sterilitätsfolgen lindern kann. Wird eine Behandlungsmaßnahme auf diese Weise als medizinisch notwendig definiert, obwohl sie die eigentliche Krankheit weder heilt noch lindert, muss sich die medizinische Notwendigkeit weiterer Maßnahmen daran orientieren, ob die Krankheitsfolgen eine Behandlung gebieten. Krankheitsfolge ist die Kinderlosigkeit bzw. die Unfähigkeit, weitere Kinder zu zeugen. Mit der Geburt eines Kindes besteht jedenfalls die Krankheitsfolge Kinderlosigkeit nicht mehr, wenn auch die Unfähigkeit, weitere Kinder zu zeugen, nicht beseitigt ist. Es kann dahinstehen, ob bereits nach der Geburt eines Kindes von einer hinreichenden Linderung (oder Beseitigung) der Krankheit Sterilität auszugehen ist (so OLG München a.a.O.; NVersZ 98, 83; a.A. OLG Düsseldorf VersR 04, 1546). Jedenfalls nach der Geburt von zwei Kindern kann nicht mehr von einer Notwendigkeit weiterer Behandlungen auf Kosten der Versichertengemeinschaft ausgegangen werden, zumal eine Durchschnittsfamilie in der Bundesrepublik Deutschland heute jedenfalls nicht mehr als zwei Kinder aufweist. Im Übrigen kommt es für die Frage der Notwendigkeit der Heilbehandlung nicht darauf an, ob die Geburt weiterer Kinder gesellschaftspolitisch erwünscht ist. Bei der Auslegung privatrechtlicher Regelungen sind gesellschaftspolitische Aspekte nicht relevant.

d) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind zudem der Erstattungsfähigkeit der Kosten für wiederholte Befruchtungsversuche auch unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben Grenzen gesetzt. Bei der Inanspruchnahme besonders kostenträchtiger und nicht vital lebensnotwendiger Behandlungen muss der Versicherungsnehmer in angemessener Weise auf den Versicherer und die Versichertengemeinschaft Rücksicht nehmen mit der Folge, dass die Versuche auf Kosten der Versichertengemeinschaft nicht beliebig oft wiederholt werden können, wobei zumindest bei drei Versuchen die Grenze noch nicht überschritten ist (vgl. BGHZ 99, 228; BGH NJW 88, 774; vgl. auch OLG Düsseldorf a.a.O.; Bach/Moser a.a.O., Rdnr. 53). Im vorliegenden Fall steht den Klägern kein Anspruch mehr zu. Zu berücksichtigen ist, dass die Beklagte bereits nicht unerhebliche Kosten (über 3.500,-- Euro) zur Herbeiführung der ersten Schwangerschaft getragen hat. Es wurden in diesem Zusammenhang bereits drei Behandlungen vorgenommen. Angesichts der Tatsache, dass die Kläger bereits zwei Kinder haben, ist es nicht, gerechtfertigt, die Versichertengemeinschaft mit weiteren Kosten von 4.797,40 Euro für einen weiteren (vergeblichen) Versuch und gegebenenfalls noch weitere ca. 15.000,-- Euro für drei weitere Versuche zu belasten. Es kann insbesondere der Auffassung der Kläger, der Versicherer müsse bei jedem weiteren Kinderwunsch wiederum bis zu vier neue Behandlungen bezahlen, nicht gefolgt werden. Hierdurch würde die Versichertengemeinschaft mit ganz erheblichen und nach oben nicht begrenzten Kosten belastet werden. Zudem würden die Versicherungsnehmer benachteiligt, bei denen die ersten drei oder vier Versuche fehlschlagen. Nach Treu und Glauben müssen demgegenüber gerade die Versicherungsnehmer verstärkt Rücksicht auf die Versichertengemeinschaft nehmen, bei denen durch die Geburt eines oder mehrerer Kinder bereits eine erhebliche Linderung der Krankheit Unfruchtbarkeit eingetreten ist.

Durch die Verneinung der Erstattungspflicht des Versicherers für weitere künstliche Befruchtungen wird nicht das Selbstbestimmungsrecht der Kläger unzumutbar eingeschränkt. Den Klägern steht es frei, auf eigene Kosten weitere künstliche Befruchtungen vornehmen zu lassen. Soweit es um die Kostenerstattung durch den Versicherer geht, hat eine Abwägung der Interessen der Versicherungsnehmer und der Versichertengemeinschaft stattzufinden, die zumindest ab dem dritten Kind zugunsten des Versicherers auszufallen hat (a. A. Marlow VersR 04, 1123). Auch im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung ist durch § 27 a SGB V die Erstattung von Kosten einer künstlichen Befruchtung erheblich eingeschränkt. Erstattet werden Kosten nur bei verheirateten Personen und nur in Höhe der Hälfte der Kosten für bis zu drei erfolglose Versuche.

Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12.3.2003 (VersR 03, 581) ist nicht zu entnehmen, dass die Notwendigkeit einer Heilbehandlung ausschließlich aus medizinischer Sicht zu beurteilen ist und finanzielle Aspekte hierbei außer Betracht zu bleiben haben. Der Bundesgerichtshof hat vielmehr auch in dieser Entscheidung, in der es lediglich um die Frage ging, ob eine kostspielige Behandlung zu erstatten ist, wenn es auch vergleichbare billigere Behandlungsmethoden gibt, betont, dass auch im Bereich der privaten Krankenversicherung § 242 BGB eine Rolle spiele und der Versicherungsnehmer bei der Inanspruchnahme besonders kostenträchtiger und nicht vital lebensnotwendiger Behandlungen in angemessener Weise Rücksicht auf den Versicherer und die Versichertengemeinschaft nehmen müsse.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zuzulassen, da. die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Der Bundesgerichtshof hat noch nicht abschließend entschieden, ob nach der Geburt eines oder mehrerer Kinder die Erstattung von Kosten für künstliche Befruchtung verlangt werden kann und wie viele Versuche vom Versicherer zu tragen sind. Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte hierzu ist uneinheitlich (vgl. oben).

Ende der Entscheidung

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