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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Bamberg
Urteil verkündet am 22.11.2004
Aktenzeichen: 4 U 39/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
ZPO § 543 Abs. 2 S. 1 n. F.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Bamberg IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 39/03

in dem Rechtsstreit

wegen Schmerzensgeldes,

Der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Bamberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und die Richter am Oberlandesgericht ... und ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. November 2004

für Recht erkannt:

Tenor:

1.

Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts Bayreuth vom 16. Januar 2003 wird zurückgewiesen.

2.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch den Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4.

Die Revision wird nicht zugelassen.

5.

Berufungsstreitwert: 20.451,68 € (wie erste Instanz)

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt Schadensersatz (Schmerzensgeld) wegen der Folgen einer Blasenverletzung anlässlich einer Dickdarmresektion (1. Teil der Operation vom 15.12.1998) mit Entfernung der Gebärmutter und der Eierstöcke (2. Teil der Operation vom 15.12.1998) in der Frauenklinik des Beklagten in ...

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen:

- Die Klägerin sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme (Aussage der Stationsärztin Dr. ...) umfassend (auch über den zweiten Teil der Operation) aufgeklärt und auf eine Verletzung der ableitenden Harnwege (Harnblase) hingewiesen worden.

- Die Aufklärung (auch zum 2. Teil der Operation) habe der Stationsärztin übertragen werden dürfen.

- Der zweite Teil der Operation sei nach dem Ergebnis des eingeholten Sachverständigengutachtens (wegen Krebsverdachtes) notwendig gewesen.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter und führt aus:

- Das Landgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine (spezielle) Patientenaufklärung nicht von dem operierenden Spezialisten durchzuführen sei.

- Dr. ... habe ihr nur erklärt, zusammen mit dem Dickdarm sei ein "verbackener Eierstock" zu entfernen; die Entfernung der Gebärmutter und des zweiten Eierstockes sei kein Thema gewesen,

- Sie habe ihr Einverständnis mit darüber hinausgehenden Eingriffen von einer weiteren von Dr. ... angekündigten Aufklärung durch Mitglieder des gynäkologischen Operationsteams abhängig machen wollen; der zweite Eingriff, bei dem die Blase verletzt worden sei, sei deshalb rechtswidrig gewesen.

Die Entfernung der Gebärmutter und des zweiten Eierstockes sei auch nicht notwendig gewesen, weil der Sachverständige (Dr. ...) von einem falschen Hb-Wert (2,8 g/dl) ausgegangen sei; insoweit habe das Landgericht ein weiteres Gutachten einholen müssen.

Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil und die gewechselten Schriftsätze wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

1.

Übertragung der Aufklärungspflicht auf die Stationsärztin

Die Übertragung der Aufklärungspflicht auf die Stationsärztin Dr. ... im Rahmen der Organisation der Klinik war zulässig (Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 4. Auflage, RN C/108, S. 210 unter Hinweis auf BGH NJW 1992, 2351, BGH NJW 1980, 1905, OLG Oldenburg NJW-RR 1999, 390, OLG Schleswig NJW-RR 1994, 1052, OLG Nürnberg VersR 1992, 754) .

Damit war eine gesonderte Aufklärung über den 2. Teil der Operation durch das gynäkologische Team nicht mehr erforderlich. Die von der Klägerin zitierte Literaturstelle (Geigel/Schlegelmilch, Der Haftpflichtprozeß, 23. Auflage, 14. Kapitel, RN 226, S. 456) steht dem nicht entgegen.

Danach ist bei Behandlung durch mehrere Ärzte jeder Behandler aufklärungspflichtig.

Dies schließt aber nicht aus, dass einer davon - wie vorliegend nach deren Aussage die Stationsärztin Dr. ... - die Gesamtaufklärung übernimmt.

Folge einer solchen (zulässigen) "Delegation" ist lediglich, dass die Aufklärungspflicht auf den informierenden Arzt übergeht und dieser (unter Umständen nicht allein, aber auch) etwaige Aufklärungsmängel zu verantworten hat (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, 4. Zivilsenat, Beschluss vom 24. Januar 1994, Az: 4 W 3/94, NJW-RR 1994, 1052 - 1053 - Fortbildung BGH, 8. Mai 1990, VI ZR 227/89, NJW 1990, 2929).

Entscheidend bleibt, dass der Klägerin "im großen und ganzen" eine allgemeine Vorstellung von dem Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren vermittelt worden ist (BGH 6. Zivilsenat, Urteil vom 7. April 1992, Az: VI ZR 192/91 = MDR 1992, 748-749 = VersR 1992, 960-962 = NJW 1992, 2351-2353; BGHZ 90, 103, 106 ff.).

Ein Aufklärungsgespräch, das diese Kriterien erfüllt, führt deshalb auch dann zu einer wirksamen Einwilligung des Patienten, wenn es nicht vom tatsächlichen Operateur geführt worden ist.

2.

Tatsächliche und ausreichende Aufklärung

Nach dem Beweisergebnis hat die Stationsärztin Dr. ... die Klägerin unter Besprechung der als Anlage B 7 vorgelegten Basisinformation ("perimed - Formblatt") umfassend und in ausreichender Weise aufgeklärt.

Die Klägerin war danach auch mit dem 2. Teil der Operation einverstanden.

Die Berufungsbegründung befasst sich nicht mit der Aussage der Stationsärztin Dr. ..., auf die das Landgericht seine Entscheidung gestützt hat.

Sie argumentiert vielmehr mit einer angeblichen Aussage des Arztes Dr. ..., der aber die Klägerin (unstreitig) nicht aufgeklärt hat.

Die Zeugin hat im Aufklärungsbogen (Anlage B 7) unstreitig eingetragen (Seite 4), die Klägerin auf eine evtl. Entfernung von Gebärmutter und Eierstock (und auch auf mögliche Störungen der Blasentätigkeit, vgl. S. 3) hingewiesen zu haben. Frau Dr. ... hat auch als Zeugin angegeben, sich an den "komplexen" Fall der Klägerin hat erinnern zu können und diese umfassend aufgeklärt zu haben (Protokoll vom 25.07.2002, S. 2, Bl. 119 d.A.).

Sie hat bekundet, das erwähnte Aufklärungsformular (Anlage B 7) während der Aufklärung ausgefüllt und die Klägerin auch über die Risiken einer Gebärmutterentfernung unterrichtet zu haben (a.a.O., S. 3, Bl. 120 d.A.).

Der Klägerin sei bereits vor der Operation empfohlen worden, die Gebärmutter und die Eileiter zur Vermeidung einer weiteren Operation mit entfernen zu lassen.

Ein solches Vorgehen hat im Übrigen auch der Sachverständige für sinnvoll gehalten (Protokoll vom 06.06.2002, S. 3/4, Bl. 103/104 d.A.), so dass die Angaben der Zeugin Dr. ... auch aus diesem Grund nachvollziehbar und glaubhaft erscheinen.

Die Zeugin hat schließlich eindeutig bekundet, die Klägerin sei mit der Gebärmutterentfernung anlässlich der Darmresektion einverstanden gewesen; wäre das nicht der Fall gewesen, so hätte sie dies auf dem Aufklärungsbogen schriftlich vermerkt (a.a.O., S. 4, Bl. 121 d.A.).

Es gibt keinen Grund, der eindeutigen Bekundung der vom Landgericht als glaubwürdig eingeschätzten Zeugin nicht folgen zu können.

Der Inhalt der Aufklärung entspricht den oben zitierten Kriterien der BGH-Rechtsprechung.

Mit der Aussage des Ehemannes der Klägerin, der an dem maßgeblichen Aufklärungsgespräch (unstreitig) nicht teilgenommen hat, hat sich das Landgericht ebenfalls zutreffend auseinandergesetzt (UA S. 7 Absatz 2).

3.

Notwendigkeit des 2. Teils der Operation

Der Sachverständige Dr. ... stellt im Gutachten vom 10.12.2001 dar, dass wegen eines "Carcinoma in situ" (beginnende Krebserkrankung) eine Gebärmutterentfernung empfohlen worden war (Hinweis auf B 4, Schreiben des Krankenhauses Klinik für Innere Medizin mit Dialyse - vom 02.02.1998).

Im Ergänzungsgutachten vom 15.04.2001 (und im Termin vom 06.06.2002) hat er den 2. Teil der Operation (dort S. 2) für notwendig angesehen. Ein Bezug zu dem in der Berufungsbegründung angesprochenen Hb-Wert (vgl. Gutachten 10.12.2001, S. 2 - massive Blutarmut) ist nicht ersichtlich.

Im o.g. Schreiben des Krankenhauses (Anlage B 4, dort S. 2) war aus gynäkologischen Gründen (verstärkte und häufige Menstruationsblutungen/Verdacht auf "Carcinoma in situ") eine vaginale Gebärmutterentfernung ("vaginale flyster-ektomie") empfohlen worden. rund war - und das hat der Sachverständige offensichtlich berücksichtigt - ein bei einem zytologischen Abstrich gewonnener PAP - Wert ("PAP IV a").

Zu diesem Punkt hat der Senat ein weiteres Sachverständigengutachten eines Gynäkologen zu folgenden Beweisfragen eingeholt:

III.

Die Klägerin führt im Schriftsatz vom 30.04.2003 aus, ihr sei (wegen des Ratschlags in Anlage B 4 Seite 2) bereits am 02.02.1998 im Krankenhaus ... der Gebärmutterhals entfernt worden (Verweis auf Schriftsatz vom 27.06.2001, Bl. 24 ff. <26> d.A. und S. 4 des Protokolls vom 12.07.2001, Bl. 35 d.A.), was der Sachverständige in den Gutachten vom 10.12.2001 und vom 15.04.2002 nicht berücksichtigt habe.

IV.

Der Beklagte erwidert hierzu in den Schriftsätzen vom 02.06.2003 (Bl. 204-205) und vom 16.06.2003 (Bl. 215-216):

Am 02.02.1998 sei im Klinikum ... eine Konisation (Entnahme einer konusförmigen Gewebeprobe zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken) durchgeführt worden.

Ungeachtet dessen sei das Entfernen von Gebärmutter und Eierstöcken - wie am 15.12.1998 geschehen (2. Teil der Operation) - indiziert gewesen.

Zur Veranschaulichung hat die Beklagten Anlagen (Schriftsatz 16.06.2003 unter a) bis f), Bl. 215 d.A.) vorgelegt, u.a. den Operationsbericht vom 05.02.1998 über die Operation vom 03.02.1998.

Der Sachverständige Prof. Dr. med. ... kommt in seinem Gutachten vom 31.08.2004 (Bl. 234-246 d.A.) zu dem (eindeutigen) Ergebnis, dass die Gynäkologische Zusatzoperation aus mehreren Gründen zum Nutzen der Patientin notwendig und ohne Einschränkung indiziert gewesen sei (Zusammenfassung des Gutachtens auf S. 12, Bl. 245 d.A.).

Die eine Operation indizierenden Risikogründe hat der Sachverständige genannt:

- Erhöhtes Risiko für das Entstehen eines invasiven Karzinoms,

- Hohe Wahrscheinlichkeit für rezidivierende vaginale Blutungsstörungen,

- Mitbeteiligung des Uterus und der Ovarien an den Darmverwachsungen,

- Zysten im Bereich der Eierstöcke und

- Erhöhtes Risiko einer späteren Re-Laparatomie.

Am 02.02.1998 sei lediglich eine Konisation (Entnahme einer konusförmigen Gewebeprobe zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken) erfolgt (entspricht dem Vortrag des Beklagten).

Es bestehen keinerlei Bedenken, dem ausführlichen und überzeugenden, die Beweisfragen erschöpfenden Gutachten zu folgen.

4.

hilfsweise: nicht bewiesene Kausalität

Hinsichtlich der Kausalität des zweiten Operationsteils für die jetzigen Beschwerden der Klägerin wäre zudem zu berücksichtigen:

Im Rahmen der Darmresektion mussten Nerven im kleinen Becken der Klägerin getrennt werden.

Dies kann ebenfalls zu den Beschwerden der Klägerin (Harninkontinenz) geführt haben.

Damit war die Blasenverletzung durch den zweiten Teil der Operation nicht zwingend ursächlich hierfür (vgl. Angabe des Sachverständigen im Termin vom 06.06.2002, Prot. S. 2, Bl. 102 d.A.).

III.

Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 97 Absatz 1 ZPO (Kosten), 708 Nr. 10, 711 ZPO (vorläufige Vollstreckbarkeit) und 543 Abs. 2 S. 1 ZPO n.F. (Zulassung der Revision).

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

Die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtssprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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