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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Braunschweig
Beschluss verkündet am 07.02.2005
Aktenzeichen: 1 Ss 53/04
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 23
StGB § 23 Abs. 2
StGB § 56
StGB § 56 Abs. 2
StGB § 57
StPO § 354 Abs. 2
Über die Strafaussetzung zur Bewährung für mehrere in einem Urteil verhängte Freiheitsstrafen kann nur gleichlautend aufgrund einer einheitlichen Prognose entschieden werden; die teilweise auch vertretene Auffassung, auch die Aussetzung nur einer von mehreren Strafen sei möglich, fußt auf einer überholten Gesetzeslage.
Tenor:

Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft Braunschweig wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 02. Juni 2004 im Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich der Frage der Strafaussetzung zur Bewährung bei beiden Gesamtfreiheitsstrafen mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Braunschweig zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Durch Urteil vom 26.11.2003 hat das Schöffengericht in ... gegen den Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten wegen unerlaubten Handelns mit Betäubungsmitteln verhängt. Es hat festgestellt, der Angeklagte habe in der Zeit von Januar 1998 bis März 2003 in mindestens 50 Fällen jeweils mindestens ein halbes Gramm Kokain für 30,00 € an den Zeugen A. und in der Zeit von März bis August 2000 in mindestens 30 Fällen jeweils mindestens 1 g Kokain an den Zeugen B. mit dem handelsüblichen Gewinn verkauft. Wegen jeder dieser Taten hat das Amtsgericht eine Einzelstrafe von vier Monaten Freiheitsstrafe verhängt und aus diesen Einzelstrafen die bereits genannte Gesamtfreiheitsstrafe gebildet.

Das Schöffengericht hat weiter festgestellt, dass der Angeklagte bereits durch Urteil des Amtsgerichts ... vom 29.07.2002 - rechtskräftig seit dem 06.08.2002 - wegen unerlaubten Besitzes von Haschisch und wegen unerlaubten Handelns mit Kokain zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten mit Bewährung und zu einer gesonderten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 10,00 € verurteilt worden war. Das Schöffengericht hat davon abgesehen, diese Verurteilung in seine Entscheidung einzubeziehen und zur Begründung darauf verwiesen, dass nicht habe festgestellt werden können, wie viele Taten vor und wie viele Taten nach dem 29.07.2002 begangen worden sind.

Das rechtzeitig eingelegte und als Berufung zu behandelnde Rechtsmittel des Angeklagten hat das Landgericht durch Urteil vom 02.06.2004 mit der Maßgabe verworfen, dass es den Angeklagten wegen unerlaubten Handelns mit Kokain in 70 Fällen unter Einbeziehung der Verurteilung durch das Amtsgericht ... vom 29.07.2002 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren unter Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung und darüber hinaus wegen unerlaubten Handelns mit Kokain in zehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt hat. Das Landgericht ist hinsichtlich der einzelnen Taten im Grundsatz zu denselben Feststellungen wie das Schöffengericht gelangt, hat jedoch zusätzlich festgestellt, dass zehn Verkäufe von Kokain an den Zeugen A. nach dem 29.07.2002 und die übrigen Verkäufe an den Zeugen A. und den Zeugen B vor dem 29.07.2002 abgewickelt worden sind. Aus diesem Grunde ist die Kammer abweichend vom Amtsgericht zu einer Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil vom 29.07.2002 gelangt. Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten wegen zehn Fällen des Handelns mit Kokain hat das Landgericht unter Hinweis darauf nicht zur Bewährung ausgesetzt, dass der Angeklagte diese Taten nach der einschlägigen Vorverurteilung vom 29.07.2002 begangen hat. Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren hat es demgegenüber u.a. mit der Begründung zur Bewährung ausgesetzt, dass der Angeklagte bei Begehung der jeweiligen Taten noch nicht vorbestraft gewesen sei und dass für ihn ein geregeltes soziales Umfeld vorhanden sei.

Gegen das Urteil des Landgerichts hat der Angeklagte rechtzeitig und formgerecht unter Erhebung der Sachrüge Revision eingelegt; er beantragt, unter teilweiser Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache insoweit zurückzuverweisen, als der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten ohne Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden ist. Nach dem Zusammenhang der Revisionsbegründung begehrt der Angeklagte Strafaussetzung auch hinsichtlich dieser Teilstrafe.

Demgegenüber verfolgt die Staatsanwaltschaft mit ihrer ebenfalls rechtzeitig eingelegten und begründeten Revision das Ziel, die Aussetzung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren zur Bewährung zu beseitigen. Sie beantragt, das angefochtene Urteil "im Hinblick auf die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung aufzuheben", weil die Begründung des Landgerichts zur Bewilligung von Bewährung einerseits und zur Verweigerung von Bewährung andererseits widersprüchlich sei. Bei der Prüfung der Frage, ob dem Angeklagten eine günstige Sozialprognose gestellt werden könne, sei einheitlich auf den Zeitpunkt des Urteilserlasses abzustellen.

Die Generalstaatsanwaltschaft unterstützt das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und tritt dem Rechtsmittel des Angeklagten entgegen.

Sie beantragt,

das angefochtene Urteil auf die Revision der Staatsanwaltschaft Braunschweig hin im Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich der Frage der Strafaussetzung zur Bewährung bei beiden Gesamtfreiheitsstrafen mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Braunschweig zurückzuverweisen.

II.

Beide Rechtsmittel sind erfolgreich, da dem Landgericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung ein Rechtsfehler unterlaufen ist, der sich bei beiden gesonderten Gesamtfreiheitsstrafen auswirkt.

1.Der Senat hat nur über die Bewährungsfrage zu entscheiden, da die Beschränkung hierauf aufseiten beider Rechtsmittelführer wirksam ist.

Dass eine Rechtsmittelbeschränkung nicht nur auf den Rechtsfolgenausspruch insgesamt, sondern - weiter differenzierend - auch innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung möglich ist, wird allgemein anerkannt (BGHSt 11, 393, 395; BGH NStZ 1982, 285 f). Nur in Ausnahmefällen ist eine solche Beschränkung nicht zulässig, nämlich dann, wenn die für die Aussetzung der Vollstreckung maßgeblichen Gesichtspunkte so eng mit den Strafzumessungserwägungen verknüpft sind, dass das Rechtsmittel notwendig den ganzen Strafausspruch ergreift (vgl. die Vorgenannten). Insbesondere ist die Beschränkung auf die Bewährungsfrage dann nicht wirksam, wenn die vom Tatrichter vorgenommene Strafzumessung nicht einmal in Umrissen erkennen lässt, ob die verhängte Freiheitsstrafe die angemessene Sanktion für die abgeurteilte Tat ist (OLG Köln NStZ 1989, 90, 91).

Der letztgenannte Mangel liegt hier nicht vor. Zwar enthält das angefochtene Urteil keine Angaben zum Wirkstoffgehalt des verkauften Kokains (zu diesem Gesichtspunkt vgl. Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 318 Rdnr.17 m.Rspr.Nw.; differenzierend OLG Frankfurt NStZ-RR 2003, 23, 25) und zwar enthält das Urteil auch keine näheren Einzelheiten zu den Taten aus der einbezogenen Sache. Jedoch ist der Schuldumfang im Großen und Ganzen erkennbar, wobei es insbesondere zu der einbezogenen Sache im angefochtenen Urteil immerhin heißt, dass der Angeklagte wegen Handelns mit Kokain, aber nur wegen Besitzes von Haschisch zu bestrafen gewesen sei. Soweit nicht mitgeteilt wird, ob die im Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 29.07.2002 zusätzlich verhängte Geldstrafe vollstreckt worden ist (s. dazu UA S.5 unten/6 oben, wo nur Ausführungen zur Nichtvollstreckung der gleichzeitig verhängten Freiheitsstrafe zu finden sind) kann ausgeschlossen werden, dass eine etwaige falsche Sachbehandlung in diesem Punkte sich auf die Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren ausgewirkt haben kann (vgl. dazu § 354 Abs.1 a StPO).

2.Der hiernach allein zu prüfende Ausspruch über die Strafaussetzungen zur Bewährung ist nicht schon deshalb aufzuheben, weil die Summe der Gesamtstrafen von zwei Jahren und von neun Monaten die Zwei-Jahres-Grenze des § 56 Abs.2 StGB überschreitet. Wenn in einem Urteil zwei gesonderte Strafen verhängt worden sind, sind diese nämlich getrennt zu behandeln und nicht zusammen zu zählen (BGH NJW 1985, 1719; Gribbohm, in: Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl., § 56 Rdnr.8).

Jedoch ist es entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht möglich, dem Angeklagten für zwei in demselben Urteil verhängte Freiheitsstrafen unterschiedliche Sozialprognosen i.S.d. § 56 StGB zu stellen. Vielmehr kann die Frage, ob nach den gesamten Umständen die Erwartung gerechtfertigt ist, der Angeklagte werde unter der Einwirkung der Aussetzung in Zukunft ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben führen, nur einheitlich beantwortet werden. Es genügt gerade nicht, dass diese positive Erwartung nur hinsichtlich einer der abgeurteilten Taten bejaht wird; der Verurteilte muss vielmehr in jeder Hinsicht erwarten lassen, in Zukunft straffrei zu bleiben (BGHSt 11, 342, 343). Der maßgebliche einheitliche Zeitpunkt der Prognose ist derjenige des Urteils (Schönke/Schröder/Stree, StGB, 26. Aufl., § 56 Rdnr.17).

Die Auffassung, in Ausnahmefällen sei es nicht ausgeschlossen, die Vollstreckung nur einer von mehreren Strafen zur Bewährung auszusetzen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 56 Rdnr.11 unter Verweisung auf BayObLG NJW 1966, 2369, 2370), ist überholt. Sie stützt sich - wie die Gründe der zitierten Entscheidung des Bayrischen Obersten Landesgerichts ergeben - auf eine nicht mehr existierende Gesetzeslage, nämlich auf die Fassung der zurzeit jener Entscheidung geltenden Bewährungsvorschrift des § 23 StGB, dessen Abs.3 lautete:

Strafaussetzung zur Bewährung darf nicht angeordnet werden, wenn

1. das öffentliche Interesse die Vollstreckung der Strafe erfordert oder

2. während der letzten fünf Jahre vor Begehung der Straftat die Vollstreckung einer gegen den Verurteilten im Inland erkannten Freiheitsstrafe zur Bewährung oder im Gnadenwege ausgesetzt oder

3. der Verurteilte innerhalb dieses Zeitraumes im Inland zu Freiheitsstrafen von insgesamt mehr als sechs Monaten verurteilt worden ist.

Die vorgenannte Entscheidung bezog sich auf den Fall, dass bei einem Angeklagten, für den zwei getrennte Freiheitsentziehungen angeordnet worden waren, zwar insgesamt eine günstige Täterprognose i.S.d. damaligen § 23 Abs.2 StGB gestellt werden konnte, wo aber in einem der beiden Fälle dennoch das öffentlichen Interesse die Vollstreckung der Strafe erforderte. Bei einer Konstellation wie der vorliegenden, bei der es allein auf die Täterprognose ankommt, hat auch das Bayrische Oberste Landesgericht die Auffassung vertreten, dass diese im Falle der Verurteilung wegen mehrerer Taten zu selbständigen Freiheitsstrafen nur einheitlich beurteilt werden kann (S.2370, a.a.O.).

Der Sache nach hat das Landgericht es unternommen, schon bei der Urteilsverkündung die Prognose zu stellen, dass der Angeklagte nach einer gewissen "Teilverbüßung" derartig beeindruckt sein wird, dass er in Zukunft ein straffreies Leben führen und die weitere Vollstreckung nicht erforderlich sein wird. Das von der Strafkammer angestrebte Ziel ist aber nur mit Hilfe der Regeln des § 57 StGB zu erreichen, nach denen eine Prognose auf einer realen Tatsachengrundlage erst getroffen werden kann, wenn die in der genannten Vorschrift vorausgesetzte Teilverbüßung tatsächlich stattgefunden hat.

3. Nach dem vorstehend Gesagten sind beide Rechtsmittel erfolgreich, ist also der Ausspruch über beide Strafaussetzungen zur Bewährung aufzuheben, weil über die Aussetzungsfrage nur einheitlich und gleichzeitig entschieden werden kann, die neue Strafkammer, an welche nach § 354 Abs.2 StPO zurückzuverweisen ist, also bei der Bewährungsfrage für beide Strafen freie Hand haben muss.

III.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens war dem Landgericht zu überlassen, da der endgültige Erfolg der wechselseitigen Rechtsmittel zurzeit noch nicht fest steht.

Ende der Entscheidung

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