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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Braunschweig
Urteil verkündet am 24.08.2006
Aktenzeichen: 1 U 1/02
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Zu der Frage, ob die Hemisphärektomie für ein an dem Sturge-Weber-Syndrom erkranktes Kind pflichtwidrig verzögert worden ist.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 06. Dezember 2001 wird zurückgewiesen, soweit darüber nicht schon in dem Teilurteil des Senats vom 30. Dezember 2002 befunden worden ist, soweit es im Revisionsverfahren aufrechterhalten worden ist.

Auf die Berufung der Beklagten zu 1. und des Beklagten zu 2. wird das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 06. Dezember 2001 abgeändert.

Die Klage gegen die Beklagten zu 1. und 2. wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits, soweit darüber nicht schon in dem aufrechterhaltenen Teil des vorgenannten Teilurteils des Senats befunden worden ist.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten zu 1. und 2. vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweiligen Vollstreckungsbetrages leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 153.387,56 € festgesetzt.

Tatbestand:

Der jetzt 13-jährige Kläger verlangt von den Beklagten wegen eines vermeintlichen ärztlichen Behandlungsfehlers Schmerzensgeld. Der Kläger, der an einem sog. Sturge-Weber-Syndrom litt und deshalb auch an einer Epilepsie, ist im Januar 1999 in der Bonner Klinik für Epilepthologie operiert worden; ihm wurde die linke Großhirnhälfte entfernt (Hemisphärektomie). Seitdem ist der Kläger anfallsfrei; es hat sich eine Besserung des Zustandes ergeben.

Der Kläger macht den Beklagten zum Vorwurf, dass ihm dort anlässlich früherer Behandlungen nicht schon eher zu einer Hemisphärektomie geraten worden ist. Er befand sich seit 1990 über Jahre hinweg in der neuropädiatrischen Klinik der Beklagten zu 1., deren Chefarzt der Beklagten zu 2. ist, in Behandlung. Der Kläger erhielt Medikamente, welche fortdauernde epileptische Anfälle nicht verhindern konnten. 1995 wurde der Kläger zur Abklärung, ob ein epilepsiechirurgischer Eingriff insbesondere im Wege der Hemisphärektomie in Betracht kam, stationär aufgenommen. Das Gehirn wurde durch verschiedene bildgebende Verfahren untersucht. Unter Leitung des früheren Beklagten zu 3. wurde ein EEG-Langzeit-Monitoring zur Ableitung und Beobachtung epileptischer Anfälle vorgenommen. Von einer Vorstellung des Klägers zu einer Operation wurde danach Abstand genommen.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass er bei einer früheren Hemisphärektomie nicht nur schon mehrere Jahre eher anfallsfrei hätte leben können, sondern dass durch eine solche frühere Hirnoperation fast die Entwicklung eines Gesunden hätte erreicht werden können. Der Kläger hat deswegen Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 300.000 DM verlangt. Hinsichtlich der Behandlung durch den Beklagten zu 2. ist der Kläger von bedingtem Vorsatz ausgegangen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, jedoch nicht weniger als 300.000 DM, nebst 4% Zinsen seit dem 01.01.1992.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben die Auffassung vertreten, dass jedenfalls bis Ende 1995 eine Hemisphärektomie nicht indiziert gewesen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des Landgerichtsurteil und auf die erstinstanzlichen Schriftsätze der Parteien, wegen des Ergebnisses der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme auf das Gutachten der Sachverständigen T. (Aktendeckel) und auf das Ergebnis ihrer mündlichen Anhörung im Terminsprotokoll vom 08.11.2001 vor dem Landgericht (Band II Bl. 264 ff. d.A.) verwiesen.

Das Landgericht hat der Schmerzensgeldklage in Höhe von 150.000 DM gegen die Beklagten zu 1. und 3. stattgegeben. Es hat in Übereinstimmung mit der Sachverständigen Dr. T. angenommen, dass nach dem Monitoring vom 13.07.1995 fehlerhaft keine weiteren Untersuchungen, insbesondere eine Wiederholung des Monitoring, veranlasst worden seien. Das Landgericht auch den Kausalzusammenhang für bewiesen erachtet und ist davon ausgegangen, dass der Kläger bei einer Operation 1995 schon 3 Jahre früher hätte anfallsfrei hätte sein können; hingegen sei nicht anzunehmen, dass der Kläger bei einer früheren Operation die Entwicklung eines nahezu gesunden Kindes genommen hätte. Hinsichtlich des Beklagten zu 2. hat das Landgericht die Klage wegen seiner Beamteneigenschaft und mangels feststellbaren Vorsatzes abgewiesen.

Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Der Kläger erstrebt die Verurteilung auch des Beklagten zu 2. und die Erhöhung des zuerkannten Schmerzensgeldes auf mindestens 300.00 DM, während die Beklagten die vollständige Klageabweisung erstreben und hinsichtlich des Beklagten zu 3. darauf hinweisen, dass ihm lediglich die Durchführung des EEG-Monitoring übertragen gewesen sei, während für die weitere Behandlung der Beklagte zu 2. zuständig gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

1. in teilweiser Abänderung des Urteil des Landgerichts Göttingen der Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, aber nicht weniger als weitere 150.000 DM, insgesamt somit mindestens 300.000 DM, nebst 4% Zinsen sei 01.01.1992,

2. die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagten beantragen,

1. das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen;

2. die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die Schriftsätze der Parteien in zweiter Instanz Bezug genommen.

Der Senat hat die erstinstanzlich bestellte Sachverständige Dr. T. angehört sowie den zum weiteren Sachverständigen bestellten Facharzt Prof. E. und den Privatgutachter Dr. R. (Protokoll vom 21.11.2002, Band III Bl. 554 ff. d. A.). Der Senat hat anschließend durch Teilurteil die Klage gegen die Beklagten zu 2. und 3. abgewiesen (Bd. III Bl. 611 d.A.). Während die Abweisung der Klage gegen den früheren Beklagten zu 3. rechtskräftig geworden ist, ist das Teilurteil, soweit es den Beklagten zu 2. betrifft, im Revisionsverfahren vom Bundesgerichtshof aufgehoben worden.

Nach Rückkehr der Akten vom Bundesgerichtshofs hat der Senat ein weiteres Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. W. eingeholt (Bd. V Bl. 221 ff d.A.) sowie weiterhin eine ergänzende Stellungnahme dieses Sachverständigen (Bd. V Bl. 274 ff. d.A.). Schließlich ist der Sachverständige W. vom Senat noch persönlich angehört worden (Protokoll vom 14. Juli 2006, Bd. V Bl. 312 ff d.A.).

Wegen der Ergebnisse der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren wird auf die angeführten Aktenstellen (Terminsprotokolle sowie die Gutachten T. und W. und Ergänzungsgutachten W.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist unbegründet, während die Berufung der Beklagten Erfolg hat und zur Abweisung der Klage führt (jeweils soweit darüber bereits nicht durch rechtskräftiges Teilurteil entschieden worden ist). Dem Beklagten zu 2. kann ein Behandlungsfehler nicht vorgeworfen werden, wie sich in der vor dem Senat geführten Beweisaufnahme herausgestellt hat.

1. Im Jahre 1993 lag entgegen der Auffassung des Klägers keine Situation vor, welche die Ärzte der Beklagten zur Durchführung einer Entfernung der linken Hirnhälfte (Hemisphärektomie) hätte veranlassen müssen.

Dabei war, wie die Vorgeschichte zeigt, der Beklagte zu 2. durchaus mit der Möglichkeit einer operativen Behandlung des Sturge-Weber-Syndroms vertraut, obwohl in Deutschland damit bislang kaum Erfahrungen bestanden. Wie die vom Kläger vorgelegte Anlage K6 (Arztbrief vom 31.01.1991) zeigt, war bereits im Jahre 1991 die Möglichkeit einer neurochirurgischen Intervention in der Neurochirurgischen Klinik der Beklagten zu 1. mit deren Chefarzt Prof. M. sowie mit Dr. H. von der Epilepsie-Klinik Bethel besprochen worden, wurde zunächst aber wegen des noch nicht abgeschlossenen Versuchs der medikamentösen Anfallsbeherrschung für noch nicht angezeigt gehalten. Dies wurde auch mit den Eltern des Klägers besprochen, wie der Kläger bereits in der Klageschrift vorträgt (Bd. I Bl. 8 oben d.A.).

Die Möglichkeit, die Anfallsfreiheit des Klägers durch Medikamentenbehandlung zu erreichen, ist nach der Auffassung der Sachverständigen Frau Dr. T., wie sie bei ihrer Anhörung im Termin vom 21.11.2002 dargelegt hat (dort Protokoll Seite 2, Bl. 547 d. A.) auch im Jahr 1993 noch nicht ausgeschöpft gewesen. Ihrer Auffassung gab es damals noch erhebliche Reserven für eine medikamentöse Behandlung. Auch sei Anfang der 90iger Jahre nach dem damaligen Erkenntnisstand für Kleinkinder noch ein erhebliches Risiko bei der operativen Behandlung gesehen worden, so dass es nachvollziehbar war, den Kläger zunächst weiter mit Medikamenten zu behandeln.

Diese Sichtweise hat auch der Sachverständige E. bei seiner Anhörung bestätigtŽ(Protokoll Seite 4, Bd. III Bl. 549 d. A.).

Nach Auffassung des Sachverständigen W. bestand die Indikation zur Hemisphärektomie links auch deswegen nicht, weil auch die rechte Hemisphäre von der Grunderkrankung betroffen war und epilepsietypische Potenziale aufwies, so dass zu befürchten war, das Ziel der Anfallsfreiheit könne durch eine Hemisphärektomie links nicht erreicht werden (Ergänzungsgutachten Seite 3, Bd. V Bl. 276 d. A.).

Danach ist ein Behandlungsfehler für 1993 nicht feststellbar. Den Ärzten der Beklagten kann auch kein Behandlungsfehler im Sinne einer Verletzung der therapeutischen Aufklärungspflicht angelastet werden. Da aus ihrer zutreffenden Sicht die Indikation für eine Hemisphärektomie links 1993 nicht zu stellen war, bedurfte es keiner weiteren Hinweise. Die Eltern des Klägers waren zudem seit 1991 über die grundsätzliche Möglichkeit einer derartigen Operation informiert; sie hätten, wenn sie die Behandlungsempfehlung der Göttinger Klinik angezweifelt hätten, von sich aus andere Ärzte konsultieren können. Es gab jedoch keinen Anlass zu einem derartigen Ratschlag.

2. Entgegen der Auffassung des Landgerichts lässt sich aber auch für das Jahr 1995 kein Behandlungsfehler der Beklagten feststellen, insbesondere nicht in einer unterlassenen Empfehlung zu der Hemisphärektomie links. Die Voraussetzungen für eine solche Operation waren nach dem Ergebnis der dazu in der Klinik der Beklagten durchgeführten vorbereitenden Untersuchungen nicht gegeben; jedenfalls war dies nach dem damaligen ärztlichen Standard so zu beurteilen.

Die Sachverständige T. hat allerdings in ihrem schriftlichen Gutachten im Anschluss an das Video-EEG mit Anfallsableitung weitere Untersuchungen zur Befundklärung für erforderlich gehalten. Da aus der Anamnese auch andere Anfälle als die während des Video-EGG zu Tage getretenen tonischen Anfallsmusters bekannt gewesen seien, hätten diese über einen längeres Monitoring abgeleitet werden müssen. Die Sachverständiger meint, dass das Monitoring deswegen entweder hätte verlängert oder zu einem anderen Zeitpunkt noch einmal wiederholt werden müssen. Dies sei auch deswegen geboten gewesen, weil eine eindeutige elektrische Aktivität wegen Überlagerung durch Bewegungsartefakte nicht hätte analysiert werden können. Die Sachverständige hat weiterhin die Wiederholung einer Magnetresonanztomographie (MRT) mit Gabe des Kontrastmittels Gadolinium für erforderlich gehalten und die Auffassung vertreten, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit bei einer längeren EEG-Registrierung und Wiederholung der bildgebenden Verfahren eine linkshemisphärische Epilepsie zu diagnostizieren gewesen wäre.

Dieser Auffassung der Sachverständigen T. hat der Sachverständige E. widersprochen. Im Termin vom 20.11.2002 (Protokoll Seite 5, Bl. 558 d. A.) hat er erklärt, dass Anzeichen auf eine Bilateralität der Erkrankung gegeben gewesen seien. Die im Video-EEG abgeleiteten chronischen bilateralen Anfälle sprächen dafür, dass der Kläger ein "Hochrisikokandidat" für eine Operation gewesen sei, sodass das Absehen von einer Hemisphärektomie nicht als Behandlungsfehler angesehen werden könne. Im Gegensatz dazu seien im Jahre 1998 über längere Dauer hinweg keine Feststellungen einer rechtsseitigen Hirntätigkeit im Zusammenhang mit Anfällen mehr getroffen worden.

Die Sachverständige T. ist bei ihrer Auffassung geblieben und hat das Erfordernis weiterer Untersuchungen mit der Diskongruenz der bereits erhobenen Befunde begründet. Der Privatgutachter R. hat weitere Untersuchungen in der damaligen Situation hingegen nicht für erforderlich gehalten.

Der Sachverständige E. hat auf die Ausführungen der Sachverständigen T. erwidert, dass aus seiner Sicht damals sehr viel dafür gesprochen habe, dass auch die andere Hirnhälfte betroffen war, so dass er sich mit großer Wahrscheinlichkeit nicht anders entschieden hätte als der Beklagte zu 2..

Im Hinblick auf den Widerspruch zwischen der Auffassung der Sachverständigen T. und derjenigen Sachverständigen E. und des Privatgutachters R. hat der Senat ein weiteres Gutachten des Sachverständigen W. eingeholt. Der Sachverständige W. weist darauf hin, dass schon die Kernspinspektroskopie vom 11.07.1995 in der morphologisch gesund erscheinenden rechten Hemisphäre pathologische metabolische Veränderungen gezeigt habe (Gutachten Seite 6 unten /7 oben, Bd. V, Bl. 226 f d. A.). Außerdem hat der Sachverständige W. die Bilder verschiedener bildgebender Untersuchungen zwischen 1991 und 1997 ausgewertet, u.a. diejenigen einer (von der Sachverständigen T. nicht berücksichtigten) Magnetresonanztomografie vom 25.02.1995, die mit dem Kontrastmittel Gadolinium durchgeführt wurde. Diese zeige auch über der rechten vorderen Hirnhälfte sowie der rechten Insel- und Temporalregion erweiterte äußere Liquorräume im Sinne einer Hirnatrophie. Er kommt dann zu der Auffassung, dass nach dem EEG-Monitoring vom 13.07.1995 keine weitergehenden Untersuchungen notwendig gewesen seien. Das Langzeitvideo-Monitoring habe keine neuen Aspekte erbracht, sondern die Beteiligung der rechten Hirnhälfte bestätigt, für die es zuvor schon zahlreiche klinische, elektrophysiologische, bildgebende und biochemische Nachweise gegeben habe (Gutachten Seite 14 unten, Bl. 234 d. A.).

Seine Auffassung hat der Sachverständige W. bei seiner Anhörung am 14.07.2006 bestätigt und erläutert (Bd. V, Bl. 312 ff d. A.). Der Sachverständige wies darauf hin, dass man erst Anfang der 90iger Jahre begonnen hat, in Deutschland Patienten mit Sturge-Weber-Syndrom zu operieren, und zwar auf Grund von Erfahrungen in den USA und in Kanada. Der Sachverständige hat nochmals betont, dass nach den im Sommer 1995 vorgenommenen Untersuchungen signifikante Membranverluste und pathologische metabolische Veränderungen auch auf der rechten Hemisphäre festzustellen waren, so dass man befürchten musste, dass auch nach einer Hemisphärektomie links keine Anfallsfreiheit erzielt würde, weil auch rechts epileptogenes Potenzial war.

Der Senat ist hiernach davon überzeugt, dass der Sachverständige W. Recht hat und dass es, wie auch schon der Sachverständige E. und der Privatgutachter R. bestätigt haben, kein Behandlungsfehler war, nach den im Jahre 1995 erhobenen Befunden nicht zu operieren bzw. die Operation zu empfehlen und auch keine weitergehenden Untersuchungen in dieser Richtung durchzuführen. Hingegen kann der Auffassung der Sachverständigen T. nicht gefolgt werden, zumal die von ihr für notwendig gehaltene Gadolinium-MRT schon - was sie nicht erwähnt - im Februar 1995 durchgeführt worden war und die von ihr gesehene Diskongruenz der Befunde so nicht bestanden hat, wie der Sachverständige W. im Einzelnen dargelegt hat.

Es muss in diesem Zusammenhang allerdings darauf hingewiesen werden, dass es zwei Versionen des Protokolls über das Langzeit-Monitoring vom 13.07.1995 gibt, nämlich die Anlage K9 (Anlagenband Bl. 21) und die Anlage B2 (Bd. I Bl. 71 d. A.), in der im Gegensatz zu dem zuvor genannten Bericht von einem interiktual hochaktiven epileptogenen Fokus rechtsfrontozentral die Rede ist. Der Kläger hat die Echtheit der Anlage B2 bestritten; zu seinen Gunsten geht der Senat davon aus, dass die Anlage K9 der zutreffende Bericht ist und ein hochepileptogener Fokus rechts bei dem Video-EEG am 13.07.1995 nicht festgestellt werden konnte. Der Sachverständige W. hat hierzu ausgeführt, dass sich an seiner Gesamtbeurteilung nichts dadurch ändere, dass nicht von einem interiktualen Fokus rechts ausgegangen werde. Entscheidend sei, dass der Ausgangspunkt im Anfall nicht gefunden werden konnte. Das erscheint dem Senat schlüssig und überzeugend, zumal es sich um typische Anfälle gehandelt hat, welche die Mutter des Klägers unstreitig durch Knopfdruck während der Ableitung als solche gekennzeichnet hatte.

Zusätzlich soll noch darauf hingewiesen werden, dass auch im Jahre 1998 erst ein "Bauchgefühl" des (insoweit) sachverständigen Zeugen E. entscheidend für den Entschluss zur Operation gewesen ist (Protokoll vom 28.12.2002, Seite 7, Bd. III, Bl. 560 d. A.). Das zeigt, wie schwierig die Frage der Operabilität gewesen ist und dass aus dem Operationserfolg 1998 keinesfalls auf die medizinische Indikation zur Operation schon 1995 oder gar 1993 zu schließen ist. Dem steht auch die von allen Ärzten betonte Dynamik und Variabilität der Krankheit des Sturge-Weber-Syndroms entgegen, die u.a. auch veränderliche Hirnprozesse beinhaltet.

Bei der operativen Entfernung einer Hirnhälfte handelt es sich, wie von dem Sachverständigen W. betont wird, um eine schwere Operation, die zwangsläufig zur Lähmung der entgegengesetzten Körperhälfte führt und die daneben erhebliche Risiken aufweist, z. B. neben einem letalen Ausgang auch eine zusätzliche starke Beeinträchtigung von hirnangesiedelten Fähigkeiten. Um dies in Kauf zu nehmen, muss eine einigermaßen günstige Prognose dahin gestellt werden können, dass das Ziel der Operation, nämlich die Freiheit von epileptischen Anfällen, erreicht werden kann. Die bei zahlreichen Untersuchungen zu Tage getretene Beteiligung der rechten Hirnhälfte sprach jedoch, wie von dem Sachverständigen W., aber auch von E. und R. hervorgehoben worden ist, gegen eine günstige Prognose zu der Zielerreichung Anfallsfallsfreiheit. Unter diesen Umständen ist die Entscheidung des Beklagten zu 2. gegen eine Operation und für eine Weiterbehandlung mit Medikamenten nicht zu beanstanden.

Ergänzend soll noch erwähnt werden, dass dem Hinweis des Klägers auf verschiedene Veröffentlichungen, in denen (auch) für das Sturge-Weber-Syndrom eine möglichst frühzeitige Operation des Patienten empfohlen wird, keine weiterführende Bedeutung zukommt, weil dies den Arzt selbstverständlich nicht von der vorherigen Prüfung der Voraussetzungen für eine solche Hirnoperation entbindet und diese Voraussetzungen hier aus den genannten Gründen nicht festzustellen waren. Im Übrigen hat, wie schon ausgeführt, der Beklagte schon 1991, also im Kleinkindalter des Klägers, die Möglichkeiten für eine Operation geprüft und mit anderen Ärzten diskutiert.

Auch im Jahr 1995 ist keine Verletzung der therapeutischen Aufklärungspflicht festzustellen. Die Eltern des Klägers waren über die Möglichkeit der operativen Entfernung der linken Hirnhälfte streitig informiert; der Abklärung der Operabilität hatten ja gerade die im Jahr 1995 vorgenommenen Untersuchungen gedient. Wenn die Eltern der Beurteilung des Beklagten zu 2. nicht vertrauen wollten, hätten sie von sich aus anderweitigen ärztlichen Rat in Anspruch nehmen können. Hierzu raten musste der Beklagte zu 2. aber nicht.

3. Kann nach allem ein Behandlungsfehler nicht festgestellt werden, so erübrigt sich die Frage nach der Kausalität. Es soll nur vorsorglich darauf hingewiesen werden, dass die Feststellungen des Landgerichts zur Kausalität äußerst zweifelhaft erscheinen, weil sich für einen groben Behandlungsfehler in dem Sachverständigengutachten T. keine ausreichende Grundlage findet und weil wegen des nicht geringen Risikos des Misserfolgs der Operation von einem Nachweis der Kausalität nicht ausgegangen werden kann.

Mangels Nachweises eines Behandlungsfehlers hat der Kläger keinen Anspruch auf Schmerzensgeld gegen die Beklagten zu 1. und zu 2., so dass die Klage auf die Berufung der Beklagten insgesamt abzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 9, 711 ZPO.

Einen Grund zur Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO sieht der Senat nicht.

Der Streitwert entspricht dem Berufungsantrag.

Ende der Entscheidung

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