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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Braunschweig
Urteil verkündet am 18.01.2007
Aktenzeichen: 1 U 24/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 31
BGB § 253
BGB § 278
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 831 Abs. 1 S. 1
1. Eine konservative Therapie, die gegenüber der operativen Behandlungsalternative erhebliche Nachteile und Risiken aufweist, bedarf für die Rechtmäßigkeit ihrer Durchführung der Einwilligung durch die zuvor entsprechend aufzuklärende Patientin (im Anschluss an BGH NJW 2005, 1718).

2. Es stellt einen haftungsbegründenden Aufklärungsmangel (Mangel der Risiko- oder Selbstbestimmungsaufklärung) dar, wenn der Arzt die Patientin, die einen schweren Mehrfachtrümmerbruch des Oberarms erlitten hat, nicht über die Möglichkeit der zeitnahen operativen Therapie (Endoprothese) informiert und stattdessen eine riskante und wenig Erfolg versprechende konservative Therapie durchführt, ohne die Patientin zuvor über deren erhebliche Nachteile und Risiken aufzuklären.

3. Für einen solchen Aufklärungsfehler hat auch ein Chefarzt, der persönlich nicht bei der Erstaufnahme der Patientin mitgewirkt hat, aufgrund Organisationsverschuldens einzustehen, wenn er keine organisatorische Vorsorge dafür getroffen hat, dass in solchen Fällen eine das Selbstbestimmungsrecht der Patientin wahrende Aufklärung tatsächlich erfolgt. greift er später in das Behandlungsgeschehen ein, hat er sich wenigstens über die Durchführung der Aufklärung zu erkundigen und bei deren Fehlen diese nachzuholen bzw. nachholen zu lassen.

4. Hat der Arzt eine ohne Vornahme der erforderlichen Selbstbestimmungaufklärung des Patienten eine riskantere und erheblich weniger Erfolg versprechende konservative Behandlungsmethode gewählt, deren Risiken sich dann verwirklicht haben, so betrifft die Frage, ob eine operative Behandlung im konkreten Fall zu einem besseren Ergebnis geführt hätte oder nicht, nicht die Kausalität der tatsächlich durchgeführten konservativen Behandlung für den eingetretenen Schaden, sondern den hypothetischen Kausalverlauf im Falle des rechtmäßigen Alternativverhaltens, für den der Arzt die Beweislast trägt (im Anschluss an BGH NJW 2005, 1718, 1719).

5. Der einem Schädiger obliegende Beweis dafür, dass auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten derselbe Schaden eingetreten wäre, ist jedenfalls misslungen, wenn - sachverständig beraten - festzustellen ist, dass im Falle des rechtmäßigen Alternativverhaltens der Schaden mit einer Wahrscheinlichkeit von 10% vollständig ausgeblieben wäre.


Gründe:

I.

Die Klägerin erlitt als Taxifahrerin aufgrund eines Verkehrsunfalls am 10.06.1998 einen Mehrfachtrümmerbruch des linken Oberarmes. Sie wirft den Beklagten als groben Behandlungsfehler vor, dies nicht erkannt zu haben, sie fehlerhaft weder über Operationsmöglichkeiten informiert, noch operiert, noch weitergehend untersucht und dadurch eine weitgehende Gebrauchsbeeinträchtigung des linken Armes verursacht zu haben.

Wegen des Sach- und Streitstands erster Instanz sowie der darin gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Seite 3 - 5 = Bl. 9698 d.A.) Bezug genommen. Das Landgericht hat nach Einholung des Gutachtens des gerichtlichen Sachverständigen Dr. B. dem von beiden Parteien gestellten Antrag auf Sachverständigenanhörung nicht entsprochen und den Rechtsstreit entschieden. Mit dem angefochtenen Urteil hat es mit Ausnahme eines geringen Anteils der Zinsen und unter "Glättung" des zuerkannten Schmerzensgeldes (40.000 € statt 40.903 € [80.000 DM]) der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, es stehe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass die Beklagten entweder mit der Diagnose "subkapitale Humeruskopffraktur" fehlerhaft einen einfachen Bruch diagnostiziert haben oder aber, dass sie zwar den dislozierten Trümmerbruch erkannt, diesen aber falsch, weil konservativ statt operativ behandelt haben. Die Frage der Beweislastumkehr stelle sich nicht, weil bereits bewiesen sei, dass die von der Klägerin erlittenen Folgen auf das ärztliche Fehlverhalten der Beklagten zu 2.) bis 6.) zurückzuführen seien. Der Sachverständige habe insoweit Mitursächlichkeit der verspätet durchgeführten Operation festgestellt, was ausreiche. Außerdem "neige" das Landgericht dazu, einen groben Diagnose und Behandlungsfehler anzunehmen. Im schriftlichen Gutachten seien alle relevanten Fragen schon beantwortet worden, so dass der Sachverständige habe nicht mehr angehört werden müssen.

Gegen dieses ihr am 28.03.2006 zugestellte (Bl. 106 d.A.) Urteil haben die Beklagten mit dem am 27.04.2006 beim Oberlandesgericht Braunschweig eingegangenen Schriftsatz (Bl. 119 d.A.) Berufung eingelegt, die sie innerhalb der bis zum 28.06.2006 verlängerten Berufungsbegründungsfrist (Bl. 129f., 131 d.A.) mit dem am 28.06.2006 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz (Bl. 132 d.A.) begründet haben. Sie rügen, das Sachverständigengutachten sei zu Unrecht von einer Fehldiagnose ausgegangen, obwohl sie - die Beklagten - schon von Anfang an von der (unstreitig zutreffenden) dislozierten Trümmerfraktur ausgegangen seien. Die daraufhin von ihnen veranlasste Therapie sei, wie stets vorgetragen, eine Methode der Wahl gewesen, womit sich der Sachverständige und das Landgericht nicht auseinandergesetzt hätten, obwohl im Gutachten die verschiedenen medizinischen Lehrmeinungen dargestellt seien. Das Landgericht habe auch übersehen, dass es Mehrfach- bzw. Konsekutivbehandlungen gebe, d.h. die Auffassung, erst nach erfolglosem Versuch der schonenderen konservativen Behandlung operativ vorzugehen. Das Landgericht habe auf unzureichender Gutachtengrundlage einen groben Behandlungsfehler bejaht und dabei seine eigene vorangegangene Alternativbetrachtung denkfehlerhaft aufgegeben. Die Schadenskausalität der zunächst vorgenommenen konservativen Therapie sei nicht nur nicht bewiesen, sie bestehe auch in Wahrheit nicht. Auch bei sofortigem Einsatz der später erfolgten Oberarmkopfprothese wäre mit sehr großer Wahrscheinlichkeit kein anderes Ergebnis eingetreten. Der Nachweis eines angeblich fehlerbedingten Anteils sei jedenfalls nicht zu führen, was sich auch aus den Vorgutachten der Profess. Dres. T. (K6, S. 20) und H. (K8, S. 5, 7) ergebe. Den Feststellungsantrag bzgl. zukünftiger immaterieller Schäden halten die Beklagten für unzulässig, weil es insoweit an der Darlegung besonderer Umstände mangele.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Sie trägt weiterhin vor, dass den Beklagten ein schwerer Diagnosefehler unterlaufen sei, den diese lediglich nachträglich "umdeuteten". Sie wiederholt ihre Behauptung, die Beklagte zu 5.) habe der Klägerin und deren Ehemann als Diagnose einen glatten Bruch des linken Oberarmes und nicht etwa einen Mehrfachtrümmerbruch mitgeteilt. Dementsprechend sei auch die Annahme des Landgerichts zutreffend, dass sie - die Klägerin - gerade nicht über die Therapiemöglichkeiten des Mehrfachtrümmerbruchs von den Beklagten aufgeklärt worden sei. Die konservative Therapie sei in jedem Fall falsch gewesen. Die Berufung übersehe, dass es nach dem Gutachten nicht auf den allgemeinen Meinungsstreit ankomme, weil aufgrund der Schwere des Trümmerbruchs eine konservative Therapie von vornherein habe ausscheiden müssen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch zeugenschaftliche Vernehmung des Ehemannes der Klägerin gemäß prozessleitender Verfügung vom 09.10.2006 sowie durch Anhörung des Sachverständigen Dr. B.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Berufungsverhandlung vom 07.12.2006 (Bl. 199 - 211 d.A.) Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung bleibt überwiegend ohne Erfolg.

Die Beklagten sind der Klägerin im zuerkannten Umfang zum Schadensersatz und zur Zahlung von Schmerzensgeld gem. §§ 823 Abs. 1, 831 Abs. 1 Satz 1, 847 Abs. 1, 31, 840 BGB a. F. bzw. zum Schadensersatz auch aus positiver Verletzung des ärztlichen Behandlungsvertrages (§§ 611, 278 BGB a. F.) verpflichtet.

Es war fehlerhaft, die Klägerin konservativ statt operativ zu behandeln (1.). Es kann dahinstehen, ob dies einen groben Behandlungsfehler darstellt oder ob den Beklagten stattdessen ein grober Diagnosefehler unterlaufen ist. Selbst wenn zu Gunsten der Beklagten gemäß deren Vortrag unterstellt wird, die richtige Diagnose gestellt zu haben, so bot jedenfalls die konservative Therapie gegenüber der Möglichkeit der frühzeitigen Operation so erhebliche Nachteile, was die Chancen und Risiken betraf, dass ihre Durchführung der klägerischen Einwilligung bedurfte und die Beklagten deshalb die Klägerin zuvor hätten über die therapeutischen Möglichkeiten beraten und aufklären müssen. diese Aufklärung haben die Beklagten zu 2.) bis 6.) [im Folgenden: Beklagten] pflichtwidrig unterlassen (2.). Im Rahmen der - wegen der zur Durchführung der konservativen Therapie fehlenden rechtfertigenden Einwilligung für den Verlauf nach rechtmäßigem Alternativverhalten - die Beklagten treffenden Beweislast ist ihnen nicht der Beweis gelungen, dass eine zur völligen Wiederherstellung der Klägerin jedenfalls geeignete frühzeitige operative Therapie gegenüber dem jetzigen Zustand keine oder nur eine begrenzte Verbesserung erbracht hätte (3.). Die vom Landgericht festgestellte Schmerzensgeldhöhe lässt zwar keine durchgreifenden Ermessensfehler erkennen. das zuerkannte Schmerzensgeld ist aber gleichwohl überhöht (4.). Die Höhe der zuerkannten Zinsen ist zum Teil nicht berechtigt (5.). Das Feststellungsbegehren ist zulässig und gerechtfertigt (6.).

Im Einzelnen:

1.

Geht man zu Gunsten der Beklagten davon aus, dass sie den Mehrfachtrümmerbruch mit Luxation erkannt haben, so war die durchgeführte konservative Therapie gleichwohl behandlungsfehlerhaft.

Dass die Klägerin konservativ behandelt worden ist, stellt auch unter Berücksichtigung sämtlicher Einwendungen der Beklagten mit Rücksicht auf unterschiedliche allgemeine Meinungen in der Medizin im vorliegenden konkreten Fall einen Behandlungsfehler dar.

Die Berufung rügt zwar zu Recht, dass das Landgericht den Sachverständigen trotz ausdrücklichen Antrages verfahrensfehlerhaft nicht angehört hat (vgl. GeißGreiner, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl., Teil E, Rn. 16 und 17 mit zahlreichen Nachweisen aus der BGH-Rechtsprechung).

Die vor dem Senat durchgeführte Anhörung des Sachverständigen hat jedoch bestätigt, dass es fehlerhaft war, die Klägerin konservativ zu behandeln.

Der Sachverständige hat die in der Berufungsverhandlung vom Beklagten zu 2.) selbst abgegebene Einschätzung bestätigt, dass es sich um eine eindeutig erkennbare, sehr schwerwiegende Mehrfachtrümmerfraktur gehandelt habe. Allgemein gebe es Behandlungsrichtlinien, die zwar nicht zwingend seien, weil aus der Summe der Anamnese, der Diagnoseparameter und sozialtherapeutischer Erwägungen es sich auch im Einzelfall das Erfordernis ergeben könne, von der so genannten herrschenden Meinung abzuweichen. Vorliegend sei es aber so gewesen, dass die Schwere der konkreten Fraktur nach der schon damals gültigen Lehrmeinung zu einer Operationsindikation geführt habe. Bei dem von der Klägerin erlittenen Bruch sei die Durchblutung des Oberarmkopfes gleichsam aufgehoben gewesen. Die Chance, die Durchblutung dort wenigstens partiell zu erhalten bzw. eigentlich wieder herzustellen, sei bei der konservativen Behandlung nicht vorhanden gewesen. Es sei auch die Oberarmkopfkalotte disloziert gewesen. Die Wiedererlangung der Armfunktion sei bei dieser Art der Verletzung bei konservativer Behandlung niemals möglich, allenfalls der Erhalt einer Restfunktion. Bei Verletzungen dieser Art sei eine Abwägung zu treffen, die einerseits die Chancen, andererseits die Risiken einer Operation berücksichtige. Im Falle der Klägerin seien die allgemeinen Operationsrisiken, da sie vergleichsweise jung gewesen sei, relativ gering gewesen. Ihr sei deshalb auf jeden Fall zur operativen Behandlung zu raten gewesen. Durch diese hätten größere Chancen auf Funktionsverbesserung bzw. Wiederherstellung bestanden. Die operative Behandlung hätte selbst dann gegenüber der konservativen Behandlung entscheidende Vorteile geboten, wenn eine zunächst vorgenommene Operationsintervention nicht zu der gewünschten Durchblutungsverbesserung geführt hätte und das - bei konservativer Therapie ohnehin unvermeidliche - Absterben des Oberarmfragmentes nicht hätte verhindert werden können. In diesem Fall, so der Sachverständige weiter, wäre dann der weitere Schritt die Durchführung einer Endoprothese gewesen. Wenn also dieser Endoprothese ein chirurgischer Zwischenschritt vorausgegangen wäre, so hätten bei diesem Zwischenschritt auch schon die anderen Fragmente in ihre richtige Position gebracht werden können. Nach konservativer Therapie dauere hingegen über mehrere Wochen der dislozierte Zustand an. Das führe im Weichteilbereich zu Verwachsungen und Vernarbungen, welche die spätere Reponierung erschwerten, wenn nicht gar unmöglich machten. Diesen Verwachsungen und Vernarbungen bei konservativer Therapie könne auch nicht durch Krankengymnastik begegnet werden. Dadurch könne man nur eine Restbeweglichkeit erhalten. An der fehlenden Reposition der Fragmente könne die Krankengymnastik nichts ändern. Es komme zu Rückziehungen. Problematisch seinen insbesondere Fragmente, an denen die Muskelmanschette hänge. Die Luxation würde sich deshalb trotz Krankengymnastik mit Sicherheit manifestieren. Die Überlegung, welche die Beklagten für sich anführten, dass man die konservative Therapie als Zwischenschritt versuchen könne, gebe es zwar in der Medizin. Speziell für die Klägerin und ihre konkrete schwere Verletzung habe aber ein Vorgehen ohne möglichst rasche Operation von vornherein schlechtere Chancen auf Heilung geboten.

Der Senat schließt sich diesen überaus anschaulichen und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. B. an. An der hinreichenden Sachkunde des Sachverständigen bestehen keine Zweifel. Auf Seite 12, 3. Absatz, des Protokolls der Berufungsverhandlung vom 07.12.2006 (Bl. 210 d.A.) wird Bezug genommen.

2.

Die Beklagten haben durch die unterlassene Aufklärung der Klägerin über die verschiedenen Behandlungsalternativen deren Selbstbestimmungsrecht verletzt.

Es ist die Pflicht des behandelnden Arztes, den Patienten über die in seinem Fall bestehenden Behandlungsmöglichkeiten mit wesentlich unterschiedlichen Risiken oder wesentlich unterschiedlichen Erfolgsaussichten in Kenntnis zu setzen und ihm als Subjekt der Behandlung die Wahl zwischen den gleichermaßen medizinisch indizierten Behandlungsmethoden zu überlassen (BGH NJW 2005, 1718). Zwar ist die Wahl der Behandlungsmethode primär Sache des Arztes. Gibt es indes mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden, die wesentlich unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen aufweisen, besteht mithin eine echte Wahlmöglichkeit für den Patienten, dann muss diesem nach entsprechend vollständiger ärztlicher Aufklärung die Entscheidung überlassen bleiben, auf welchem Wege die Behandlung erfolgen soll und auf welches Risiko er sich einlassen will (BGH a.a.O.. vgl. BGHZ 102, 17 [22] = NJW 1988, 763. NJW 1988, 765 = VersR 1988, 190 [191], jew. m.w. Nachw.). Es geht dabei um die dem Patienten geschuldete Selbstbestimmungsaufklärung oder Risikoaufklärung (BGH NJW 2005, 1718. vgl. BGHZ 102, 17 [22] = NJW 1988, 763. Laufs, in: Laufs-Uhlenbruck, Hdb. des ArztR, 3. Aufl., § 63 Rdnrn. 21ff.) und nicht um therapeutische (Verhaltens) Aufklärung (Sicherungsaufklärung). Hierauf waren die Parteien zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung nicht noch einmal hinzuweisen (§ 139 ZPO), nachdem am Schluss der Berufungsverhandlung der Senat nach vorläufiger Beratung darauf hingewiesen hat, dass eine Haftung entweder wegen grob fehlerhafter therapeutischer Beratung oder wegen fehlerhafter Aufklärung in Betracht komme, und der Senat nunmehr abschließend in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH (NJW 2005, 1718) letztere Haftungsgrundlage bejaht. Die Pflicht zur Selbstbestimmungsaufklärung ist in gleicher Weise Nebenpflicht des Behandlungsvertrags wie Ausfluss der Garantenstellung des Arztes (BGH a.a.O.. vgl. BGH VersR 1981, 456 [457]. NJW 1990, 2929 = VersR 1990, 1010 [1011]).

Die Voraussetzungen für eine Beteiligung der Klägerin an der Therapiewahl lagen hier unzweifelhaft vor. Das ergibt sich schon daraus, dass die Anwendung der konservativen Behandlung fehlerhaft gewesen ist, weil sie allenfalls im Allgemeinen als Methode der Wahl in Betracht kommen mag, hier aber wegen der Schwere des Bruchs so erheblich schlechtere bzw. nicht vorhandene Heilungschancen bot, dass die operative Methode hätte vorgezogen werden müssen (s. o. Ziff. 1). Nichts anders gilt, wenn man sich die Sicht der Beklagten zu eigen machte, wonach die konservative Behandlung eine von mehreren Möglichkeiten zur Behandlung des Bruchs gewesen wäre (vgl. BGH NJW 2005, 1718). Wegen der gleichwohl - wie oben festgestellt - gegebenen wesentlich unterschiedlichen Risiken und Erfolgsaussichten der konservativen bzw. der operativen Therapie, die der Klägerin insoweit eine echte Wahlmöglichkeit eröffneten, war ihre Beteiligung an der Therapiewahl erforderlich. Mit dem Sachverständigen Dr. B. ist davon auszugehen, dass spätestens zum Zeitpunkt der zweiten von den Beklagten gefertigten Röntgenaufnahme - die unstreitig die Schwere des Bruchs in seinem Ganzen Ausmaß gezeigt hat (vgl. auch GA Dr. B. v. 30.06.2005, S. 15) - der Klägerin hätte gesagt werden müssen, dass es sich um eine schwere Verletzung handelt, die operiert werden sollte. Der Klägerin hätten spätestens jetzt die schlechteren Chancen der konservativen Therapie und die für den Erfolg einer späteren Operation höheren Risiken sehr nachteiliger Verwachsungen und Vernarbungen einerseits und andererseits die allgemeinen Risiken einer Operation bei höherer Erfolgschance erklärt werden müssen. Wegen ihres vergleichsweise geringen allgemeinen Operationsrisikos hätte ihr zur Operation geraten werden müssen.

Die Beklagten zu 2.) 6.) haben jedoch die der Klägerin eröffnete Wahl ohne ordnungsgemäße Beteiligung der Patientin allein getroffen bzw. aufrechterhalten und die konservative Behandlung durchgeführt. Die Behandlung der Klägerin erfolgte hiernach ohne ihre wirksame Einwilligung, war rechtswidrig und ist von den Beklagten zu vertreten (§§ 276, 278 BGB a. F.). Sie haften daher für die aus dieser rechtswidrigen Behandlung entstandenen und entstehenden Folgen (vgl. BGH NJW 2005, 1718, 1719).

Auf die Frage der hypothetischen Einwilligung kommt es nicht an. Die Beklagten haben zu keinem Zeitpunkt behauptet, die Klägerin hätte sich im Falle ihrer ordnungsgemäßen Aufklärung für die konservative Therapie entschieden. Es bedurfte deshalb auch nicht der Darlegung eines Entscheidungskonflikts durch die Klägerin.

3.

Den Beklagten ist der Nachweis nicht gelungen, dass auch bei zeitnaher operativer Behandlung keine funktionell vollständige Heilung der Klägerin herbeigeführt worden wäre. Hierfür tragen sie aufgrund der zu Gunsten der Klägerin eingreifenden Beweislastumkehr die volle Darlegungs- und Beweislast. Eine solche Beweislastumkehr greift nicht nur bei einem - hier offen gelassenen - groben Behandlungsfehler, sondern auch bei einem - wie hier - Aufklärungsfehler in Form der Verletzung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten ein. Die Frage, ob eine operative Behandlung zu einem besseren Ergebnis geführt hätte oder nicht, betrifft nicht die Kausalität der tatsächlich durchgeführten konservativen Behandlung für den eingetretenen Schaden, sondern den hypothetischen Kausalverlauf im Falle des rechtmäßigen Alternativverhaltens, für den die Beklagten ebenfalls beweispflichtig sind (vgl. BGH NJW 2005, 1718, 1719. BGHZ 106, 153 [156] = BGH NJW 1989, 1538. VersR 1959, 811 [812]. VersR 1981, 677 [678]. NJW 1987, 1481 = VersR 1987, 667 [668]. VersR 1989, 289 [290]).

Mit den weiteren Ausführungen des Sachverständigen Dr. B. ist davon auszugehen, dass bei frühzeitiger Operation aufgrund der dadurch verbesserten Ausgangslage die Klägerin bei Versorgung mit einer Endoprothese, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auch dann nötig gewesen wäre, eine 1015%ige Chance auf Ausheilung, d. h. auf Erreichung des Funktionsgrades und der Beschwerdefreiheit eines Naturgelenks gehabt hätte. Durch den hier relativ späten Zeitpunkt der Endoprothesemaßnahme bei vorausgegangener konservativer Behandlung haben sich die Chancen auf eine verbesserte Situation deutlich verringert. Den ihnen obliegenden Beweis dafür, dass bei der Klägerin derselbe Verlauf und Zustand, wie er nunmehr eingetreten ist, auch nach zeitnaher operativer Behandlung eingetreten wäre, haben die Beklagten damit nicht geführt. der Nachweis der bloßen Möglichkeit genügt insoweit nicht.

An der hinreichenden Qualifikation des Sachverständigen Dr. B. bestehen auch insoweit keine Zweifel. Die hier zu beantwortenden Fragen betrafen sowohl das Fachgebiet der Orthopädie wie das der Unfallchirurgie. Beide Fachgebiete überschneiden sich bei knöchernen Verletzungen durch äußere Gewalteinwirkung ohnehin. Der Sachverständige ist seit dem Jahr 2000 Facharzt für Orthopädie, seit drei Jahren Oberarzt an der Uniklinik in Marburg und seit einem halben Jahr Leitender Oberarzt der Abteilung für Orthopädie und Rheumatologie. Er verfügt zudem über eine erhebliche forensische Erfahrung bei der Behandlung traumatologischer Patienten und steht unmittelbar vor der Absolvierung der unfallchirurgischen Facharztprüfung.

4.

Obwohl die landgerichtliche Bemessung des Schmerzensgeldes keine Ermessensfehler erkennen lässt, war der zuerkannte Betrag zu reduzieren, da er mit 40.000,00 € zu hoch angesetzt ist.

Auch nach der Reform des Rechtsmittelrechts hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Schmerzensgeldbemessung auf der Grundlage der nach § 529 ZPO maßgeblichen Tatsachen gemäß §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO in vollem Umfang darauf zu überprüfen, ob sie überzeugt. Es darf sich nicht darauf beschränken, die Ermessensausübung der Vorinstanz auf Rechtsfehler zu überprüfen (BGH NJW 2006, 1589, und zwar ausdrücklich entgegen OLG Braunschweig MDR 2004, 1185).

Die vom Landgericht bei der Zuerkennung des Schmerzensgeldes für die bisher entstandenen immateriellen Schäden herangezogenen Grundlagen sind zwar nicht zu beanstanden. Insoweit wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung unter Ziffer 1. S. 8f. der Entscheidungsgründe (Bl. 101f. d.A.), denen sich das Berufungsgericht nach eigener Prüfung anschließt, Bezug genommen. Dies gilt jedoch mit der berichtigenden Maßgabe, dass das vom Landgericht angeführte Urteil bei Hacks-Ring-Böhm, 21. Aufl., Nr. 2553, eine Entscheidung des Landgerichts Neubrandenburg (nicht: "Brandenburg") ist.

Zwar wird das landgerichtliche Urteil hinsichtlich der Erwägungen zum Schmerzensgeld von den Beklagten im Berufungsverfahren auch nicht ausdrücklich angegriffen. Aus der in der Berufungsbegründung enthaltenen Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen lässt sich nur der darin liegende Einwand ableiten, die Höhe der klägerischen Schmerzensgeldvorstellung berücksichtige nicht, dass die Folgen, wie sie vorliegen, ohnehin eingetreten wären. Weil das zu beweisen den Beklagten gerade nicht gelungen ist (s.o. zu Ziff. 2c ), ist dieser Einwand unbeachtlich.

Die vom Landgericht herangezogene Entscheidung des Landgerichts Neubrandenburg ist aber hinsichtlich des ihr zugrundeliegenden Falles nicht vollständig vergleichbar. Lässt man das dort mit 20% bewertete Mitverschulden außer Betracht und berücksichtigt man andererseits den zwischenzeitlichen Kaufkraftschwund, so könnte sich zwar ein Schmerzensgeldbetrag von annähernd 40.000,00 € ergeben. Entscheidend war dort aber außerdem, dass zusätzlich eine im Bereich des Ober und Unterarmes sichtbare 16 cm lange Narbe verblieben war und ferner, dass nach 4 Jahren eine Folgeoperation notwendig wurde. Zieht man ergänzend die deshalb eher vergleichbaren Fälle zu den Entscheidungen des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 20.12.1990 - 8 U 11089 - (VersR 1991, 1176: Fehlerhafte Oberarmbruchnagelung mit Lähmung des Nervus radialis, Gebrauchsfähigkeit des Armes und der Hand bleibend beeinträchtigt, Berufsunfähigkeit, Schmerzensgeld 55.000,00 DM = 27.500,00 €, kaufkraftschwundbereinigt heute 38.000,00 €) und vom 11.07.1991 - 8 U 2090 - (VersR 1992, 1096: Einsteifung des Schultergelenkes nach fehlerhafter Fortsetzung einer Cortisoninjektionstherapie, Arbeitsplatzverlust mit Frühverrentung als Folge, Schmerzensgeld 50.000,00 DM, kaufkraftschwundbereinigt heute 33.000,00 € ) heran, so ist, auch mit Rücksicht auf den bestehen bleibenden immateriellen Vorbehalt, ein Schmerzensgeld von 36.000,00 € angemessen und ausreichend, zumal eine Lähmung des Hauptnervs (vgl. OLG Düsseldorf VersR 1991, 1176), die neben dem vollständigen Funktionsausfall auch zu Sensibilitätsausfällen führt, im vorliegenden Fall glücklicherweise nicht gegeben ist.

5.

Wegen der Zinsen wird zunächst auf Seite 9 der landgerichtlichen Entscheidungsgründe (Bl. 102 d.A.) verwiesen. Soweit die Klägerin ihr Zinsbegehren auf den gesetzlichen Verzugszins stützt (S. 24 der Klageschrift = Bl. 24 d.A.), kommt § 288 Abs. 1 BGB in der seit dem 01.05.2000 geltenden Fassung nicht zur Anwendung, weil die Schmerzensgeldforderung bereits vor dem 01.05.2000 erstmals fällig geworden ist, sodass der bis dahin gültige gesetzliche Verzugszins von 4% gem. § 288 Abs. 1 BGB a.F. maßgeblich ist (Art. 229 § 1 Abs. 1 Satz 3 EGBGB). Soweit das Landgericht der Klägerin entgegen dem gestellten Antrag auf den Betrag von 25.564,99 € über den 31.12.2001 hinausgehend überhaupt keine Zinsen zugesprochen hat, war das mangels Anschlussberufung nicht abzuändern.

6.

Zu Unrecht rügt die Berufung, dass die Klägerin ein Feststellungsinteresse bezüglich zukünftiger immaterieller Schäden nicht dargelegt habe. Es ist unstreitig geblieben, dass nicht auszuschließen ist, dass es in Zukunft zu einer Lockerung der Endoprothese kommen kann, die eine Revisionsoperation - mit weiteren Schmerzen - erforderlich machen würde (vgl. Klageschrift S. 23 = Bl. 23 d.A.). Einer weitergehenden Darlegung "besonderer Umstände" bedarf es entgegen der Auffassung der Beklagten nicht. Ein solches Erfordernis ist auch nicht der von den Beklagten zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln (VersR 1992, 975f.) zu entnehmen.

II.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

III.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO (40.000,00 € Schmerzensgeld + 20.000,00 € Feststellung).

IV.

Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 12.01.2007 gab keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 156 ZPO).

Auf die Ausführungen zum groben Behandlungsfehler kommt es nicht an, weil die Entscheidung darauf nicht gestützt ist. das gilt entsprechend für die angeregte Revisionszulassung. Die hier relevanten Rechtsfragen (insbesondere die Einwilligungsbedürftigkeit bei Entscheidung zwischen konservativer und operativer Therapie nach Knochenbrüchen, Beweislast bei Verletzung des Selbstbestimmungsrechts für die Kausalität des Schadens) sind bereits höchstrichterlich geklärt (vgl. BGH NJW 2005, 1718ff. mwNw).

Soweit im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 12.01.2007 erstmals die Behauptung aufgestellt wird, die Klägerin sei auf die alternative Therapie (Operation) hingewiesen worden, ist dieses Vorbringen gem. §§ 520 Abs. 3 Nr. 4, 531 Abs. 2 ZPO präkludiert und gem. § 296a Satz 1 ZPO verspätet. Bis zum Schluss der mündlichen Berufungsverhandlung vom 07.12.2006 ist unstreitig geblieben, dass eine solche Aufklärung der Klägerin nicht stattgefunden hat. vielmehr haben sich die Beklagten durchgehend so verteidigt, bei der konservativen Behandlung habe es sich um eine (mindestens) gleichwertige Therapieoption gehandelt, so dass eine derartige Aufklärung auch nicht erforderlich gewesen wäre. In der Berufungsverhandlung hat der Beklagte zu 2.) ohne dass dies förmlich protokolliert worden ist - spontan geäußert, er "gehe davon aus, dass seine Oberärzte die Klägerin selbstverständlich über die Behandlungsalternativen informiert" hätten. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat daraufhin erklärt, falls derartiges von den Beklagten nunmehr behauptet werden sollte, die Klägerin das bestreiten und als verspätet rügen werde. Die deshalb ausdrücklich gestellte Nachfrage des Senats, ob die Beklagten nunmehr erstmals behaupten wollten, dass eine derartige Aufklärung doch stattgefunden habe, hat deren Prozessbevollmächtigter verneint.

Die Haftung des Beklagten zu 2.) kann nicht dadurch entfallen, dass er bei der Aufnahme der Klägerin und der eigenmächtigen ärztlichen Entscheidung zur konservativen Therapie ggf. wegen Urlaubs noch nicht an der Behandlung der Klägerin beteiligt war. Nach dem maßgeblichen Sach- und Streitstand zum Schluss der mündlichen Verhandlung trifft den Beklagten zu 2.) als Chefarzt der Aufklärungsfehler als Organisationsverschulden, weil er keine organisatorische Vorsorge dafür getroffen hat, dass in Fällen wie dem vorliegenden eine das Selbstbestimmungsrecht des Patienten wahrende Aufklärung tatsächlich erfolgt. Außerdem war er unstreitig an der ambulanten Nachbehandlung der Klägerin beteiligt, bei der er persönlich die Möglichkeit gehabt hätte, nach entsprechender Rückfrage die gebotene Aufklärung nachzuholen bzw. nachholen zu lassen mit der Folge, dass die Klägerin - so informiert - zumindest hätte die Entscheidung treffen können, ob sie die konservative Therapie weiterhin fortsetzen (vgl. auch insoweit BGH NJW 2005, 1718ff.) oder sich zur Operation entschließen möchte.

Ende der Entscheidung

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