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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Braunschweig
Beschluss verkündet am 22.02.2006
Aktenzeichen: 2 W 21/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 147
Werden mehrere Klageverfahren aus Gründen der tatsächlichen Vereinfachung nur zu einem Erörterungstermin anberaumt und dort erörtert, ohne dass eine förmliche Verfahrensbindung gemäß § 147 ZPO durch ausdrücklichen Verbindungsbeschluss erfolgt, kann eine Zusammenrechnung der Gegenstandswerte der selbständigen Klageverfahren zu einem Gesamtgegenstandswert erfolgen.
Tenor:

Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Beklagten wird der Streitwertfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Braunschweig vom 18.01.2006 abgeändert und der Streitwert für das gesamte Verfahren auf 57.292,86 EUR festgesetzt.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Mit der Klage im Verfahren ....... hat die Klägerin die Zahlung von 312.498,79 EUR und im Verfahren .... die Zahlung von weiteren 57.292,86 EUR erstrebt. Im gemeinsam anberaumten Hauptverhandlungstermin am 18.01.2006 entschied der Vorsitzende der 2. Kammer für Handelssachen beim Landgericht Braunschweig durch Beschluss, dass die Sachen .... und .... gemeinsam verhandelt werden sollen. Entsprechend diesem Beschluss wurde die Sach- und Rechtslage in beiden Verfahren gemeinsam erörtert. Anschließend wurde der Rechtsstreit in beiden Verfahren durch den Abschluss eines Vergleichs, der beide Aktenzeichen trägt, beigelegt.

Nach Anhörung der Verfahrensbeteiligten setzte das Landgericht Braunschweig im Hauptverhandlungstermin vom 18.01.2006 zugleich den Streitwert nach Anhörung wie folgt fest:

"Nach Anhörung wird der Wert für den Rechtsstreit im Verfahren ....... auf 312.498,79 EUR und im Rechtsstreit ........ auf 57.292,86 EUR festgesetzt, für die Verhandlung am 18. Januar 2006 jedoch auf den zusammengerechneten Betrag beider Verfahren und für den Vergleich in beiden Sachen ebenfalls auf den zusammengerechneten Betrag aus diesen beiden Einzelbeträgen."

Gegen diesen Streitwertfestsetzungsbeschluss richtet sich die Streitwertbeschwerde der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 26. Januar 2006 mit dem Ziel einer Streitwertfestsetzung, aufgrund derer es ihnen möglich wäre höhere Gebühren von der Mandantin zu verlangen. Sie vertreten die Auffassung, dass eine Verbindung der Verfahren nach § 147 ZPO nicht erfolgt und deshalb eine teilweise Addition der Streitwerte nicht möglich sei.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 06.02.2006 der Streitwertbeschwerde nicht abgeholfen, weil die Beschwerdeführer im Verhandlungstermin zur beabsichtigten Streitwertfestsetzung keine Stellungnahme abgegeben hätten, und sie zur weiteren Entscheidung dem Oberlandesgericht Braunschweig vorgelegt.

II.

1.

a) Die vom Beklagtenvertreter im eigenen Namen erhobene Beschwerde ist gem. § 32 Abs. 2 S. 1 RVG statthaft.

b) Sie ist auch sonst zulässig. Insbesondere scheitert die Zulässigkeit der Streitwertbeschwerde nicht an einem fehlenden Rechtsschutzbedürfnis, weil die Prozessbevollmächtigten der Beklagten der erfolgten Festsetzung des Streitwerts im Rahmen der der angefochtenen Entscheidung vorausgegangenen Anhörung nicht widersprochen haben. Dem steht bereits entgegen, dass die Streitwertfestsetzung nicht zur Disposition der Parteien bzw. ihrer Vertreter steht, sondern von Amts wegen objektiv vom Gericht anhand des Sach- und Streitstandes zu bestimmen ist (OLG Hamm, FamRZ 1997, 691 ff.). Selbst einem Einverständnis des Prozessbevollmächtigten mit einer konkret beabsichtigen Streitwertfestsetzung kommt deshalb auch weder die Bedeutung eines Rechtsmittelverzichts zu noch entfällt dadurch die Beschwer (OLG Köln, OLG-R Köln 2000, 119 sowie OLG Celle, Nds. Rechtspflege 2005, 324). Schließlich kann ein Rechtsmittelverzicht auch nicht vor Erlass der Entscheidung wirksam erklärt werden.

c) Das Rechtsschutzinteresse der Prozessbevollmächtigten der Beklagten an der Durchführung der Streitwertbeschwerde entfällt auch nicht deshalb, weil sie sich möglicherweise gegenüber ihrer Mandantin schadensersatzpflichtig gemacht haben, indem sie es unterlassen haben, im Erörterungstermin vor dem Landgericht Braunschweig am 18.01.2006 darauf hinzuwirken, dass die beiden Verfahren ...... und ..... förmlich gemäß § 147 ZPO miteinander verbunden werden. Die Frage, ob das Für und Wider des Vorgehens unter Einbeziehung der Kostenfolge vorliegend eine Verfahrensverbindung sinnvoll erscheinen lässt, die Beschwerdeführer mit der Verpflichtung, ihre Auftraggeberin vor unnötigen Verfahrenskosten zu schützen, mithin verpflichtet waren, eine Verbindung der Verfahren herbeizuführen, ist nicht im Rahmen der Streitwertfestsetzung zu klären. Die Streitwertfestsetzung hat objektiv zu erfolgen, zumal nicht nur der Gebührenanspruch eines Prozessbevollmächtigten betroffen ist. Zudem ist § 11 Abs. 5 RVG zu entnehmen, dass ein derartiger Einwand nicht im Kostenverfahren sondern im normalen Klageverfahren zu prüfen ist. Entsprechend diesem Rechtsgedanken kann ein solcher Einwand auch nicht im Streitwertfeststellungsverfahren berücksichtigt werden.

2.

Das eingelegte Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

Werden mehrere Klageverfahren aus Gründen der tatsächlichen Vereinfachung nur zu einem Erörterungstermin anberaumt und dort erörtert, ohne das eine förmliche Verfahrensverbindung gem. § 147 ZPO durch ausdrücklichen Verbindungsbeschluss erfolgt, kann keine Zusammenrechnung der Gegenstandswerte der selbständigen Klageverfahren zu einem Gesamtgegenstandswert erfolgen. Die Gegenstandswerte verbundener Klageverfahren sind erst vom Zeitpunkt ihrer Verbindung an zu einem Gesamtstreitwert zu addieren. Bis zur Verbindung sind getrennt erhobene Klageverfahren verfahrens- und damit auch kostenmäßig getrennt zu behandeln. Die Vorschriften über die Kostenberechnung und den Kostenansatz des Gerichtskostengesetz erlauben es nicht, mehrere vom erkennenden Gericht als selbständig behandelte Verfahren beim Kostenansatz als Einheit zu betrachten. Der Grundsatz des Ansatzes von Kosten für das jeweils einzelnen Verfahren ist zwar im Gesetz nicht ausdrücklich ausgesprochen, kommt jedoch in seiner Systematik (vgl. hierzu § 45 GKG) zum Ausdruck (ebenso BFH, Beschluss vom 15. Februar 1984 II E 1/84 - zitiert bei Juris).

Der Umstand, dass über die Verfahren 22 O 2343/05 und 22 O 2915/05 gemeinsam im Termin am 18. Januar 2006 verhandelt worden ist, führt nicht dazu, dass eine Verbindung zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung i.S. des § 147 ZPO erfolgt ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass § 147 ZPO es nicht verbietet, dass das Gericht zur Vereinfachung eines Verfahrens mehrere Prozesse vorübergehend rein tatsächlich gemeinsam verhandelt und die betroffene Kammer vorliegend so verfahren hat. Es entspricht einer als zweckmäßig anerkannten gerichtlichen Übung, dass Prozesse derselben oder auch verschiedener Parteien - sofern es sich um gleiche oder ähnliche Sachverhalte oder Rechtsfragen handelt, besonders dann, wenn in den verschiedenen Prozessen dieselben Anwälte auftreten - nach Möglichkeit auf dieselbe Zeit terminiert werden. Dies regen die Prozessbevollmächtigten zur Reduzierung der eigenen Reisekosten häufig selbst an. Der beiderseitige Vortrag kann dann im Hauptverhandlungstermin dadurch vereinfacht werden, dass die Ausführungen, die vor dem Gericht zunächst in einer Sache gemacht werden, in der anderen Sache nicht mehr besonders mündlich wiederholt zu werden brauchen, dass vielmehr dieser Vortrag ohne weiteres durch eine Bezugnahme auf die Ausführungen in der zuerst verhandelten Sache ersetzt wird. Auf diese Weise kann auch eine Beweisaufnahme durch tatsächliche Zusammenlegung der Termine vereinfacht und deren Wiederholung in zwei verschiedenen Verfahren vermieden werden. Die weitergehenden Wirkungen einer echten Prozessverbindung nach § 147 ZPO sind damit jedoch nicht gewollt und treten auch nicht ein (vgl. BGH NJW 1957, 183; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 157 Rn. 5), solange nicht das Gericht die Verfahren gemäß § 147 ZPO miteinander verbindet.

Aus dem vom Landgericht in der Sitzung am 18.01.2006 gefassten Beschluss ergibt sich, dass das Gericht nur im Sinne der oben genannten Darlegung eine vorübergehende Verknüpfung der Verfahren zu Vereinfachungszwecken und nicht eine Verbindung im Sinne des § 147 ZPO herbeiführen wollte. Dies folgt schon daraus, dass die Verbindung nur zur gemeinsamen Verhandlung und eben nicht zur gemeinsamen Entscheidung in dem Beschluss ausgesprochen worden ist. Auch fehlt eine Anordnung dazu, welches der beiden Aktenzeichen nach einer Verbindung führen soll. Zudem ist dem Nichtabhilfebeschluss vom 06.02.2006 zu entnehmen, dass das Gericht keine Verbindung i.S. des § 147 ZO herbeiführen wollte, indem es selbst ausführt, dass eine Verbindung nur zur gemeinsamen Erörterung anerkanntermaßen zulässig sei.

Wurden die beiden Verfahren jedoch - wie dargelegt - nicht miteinander i.S. des § 147 ZPO verbunden, ist für jedes Verfahren ein gesonderter Streitwert festzusetzen mit der Folge, dass die Streitwertfestsetzung des Landgerichts Braunschweig, wie im Beschlusstenor dieser Entscheidung erfolgt, zu korrigieren ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 68 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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