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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Bremen
Urteil verkündet am 05.10.2005
Aktenzeichen: 1 U 44/05
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 119
BGB § 157
BGB § 779
ZPO § 286
1. Die sog. Generalquittung in einem gerichtlich protokollierten Vergleich soll im Interesse des Rechtsverkehrs klare Verhältnisse schaffen und künftigen Streitigkeiten vorbeugen. Sie erfasst grundsätzlich auch bereits titulierte Ansprüche der Parteien.

2. Behauptet eine Partei, der Inhalt der Generalquittung sei abweichend von ihrem eindeutigen Wortlaut von den Parteien übereinstimmend dahingehend verstanden worden, sie erfasse titulierte Ansprüche nicht, so ist diese Partei insoweit beweisbelastet.

3. Eine Anfechtbarkeit einer im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs abgegebenen Willenserklärung wegen Irrtums über den Inhalt der Erklärung ist nicht eröffnet, wenn das rechtsirrtumsfrei erklärte und gewollte Rechtsgeschäft außer der mit seiner Vornahme erstrebten Rechtswirkung noch andere, nicht erkannte und nicht gewollte Rechtswirkungen hervorbringt (wie RGZ 88, 278, 284).


Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen Im Namen des Volkes URTEIL

Geschäftszeichen: 1 U 44/05

Verkündet am : 05.10.2005

In Sachen

hat der 1. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28.09.05 unter Mitwirkung der Richter Neumann, Dr. Wittkowski und Dr. Schilling

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bremen - 3. Zivilkammer, Einzelrichter - vom 30.05.05 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

1. Wegen des Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. ZPO.

2. Die statthafte (§ 511 ZPO) und auch im Übrigen zulässige (§§ 517, 519, 520 ZPO) Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Der Senat verweist insoweit auf die Erörterung in der mündlichen Verhandlung, in der im Einzelnen dargelegt worden ist, dass die angefochtene Entscheidung - auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens - zutreffend ist (§ 540 Abs. 1 Nr. 2 ZPO).

Insbesondere hat das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung zu Recht darauf hingewiesen, dass die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits von der Auslegung der sogenannten Ausgleichsquittung abhängt, die der Rechtsvorgänger der Beklagten und die Kläger in dem Rechtsstreit des Landgerichts Bremen zum Az. 8 O 1844/03 im Verhandlungstermin vom 13.07.04 vereinbart haben. Diese Klausel lautet: "Damit sind alle gegenseitigen Ansprüche der Parteien - gleich aus welchem Rechtsgrund - erledigt".

Bei der Auslegung dieser Klausel ist von ihrem Wortlaut und ihrem objektiven Sinn auszugehen (BGHZ 121, 13, 16; BGH NJW 1995, 3258).

Wortlaut und objektiver Sinn der Erledigungsklausel sind eindeutig. Da die Ausgleichsquittung "alle gegenseitigen Ansprüche" der Parteien zum Gegenstand hat, erfasst die Formulierung ihrem Wortlaut und ihrem objektiven Sinn nach auch titulierte Ansprüche der Parteien, mithin auch den zu Gun-sten des Rechtsvorgängers der Beklagten mit Urteil des Landgerichts Bremen vom 02.07.03 titulierten Zahlungsanspruch gegen die Kläger in Höhe von € 8.228,12 nebst Zinsen.

Bei dieser Sachlage oblag es der Beklagten zu beweisen, dass der Inhalt der Erledigungsklausel abweichend von ihrem eindeutigen Wortlaut von den Parteien übereinstimmend dahingehend verstanden worden ist, dass die Ausgleichsquittung titulierte Ansprüche nicht erfasst (BGH NJW 01, 144; NJW RR 01, 421; w.N. bei Palandt-Heinrichs, Komm. zum BGB, 64. Aufl. 2005, § 133 Rn. 29).

Dieser Beweis ist der Beklagten nicht gelungen.

Die Beklagte macht insoweit geltend, aufgrund der Äußerungen des Vorsitzenden Richters W. im Verhandlungstermin des Landgerichts vom 13.07.04 sei für die den Vergleich schließenden Parteien klar gewesen, dass die Erledigungsklausel die bereits titulierte Forderung zu Gunsten des Rechtsvorgängers der Beklagten nicht erfasst. Dass es sich so verhält, lässt sich aufgrund der Aussage des Zeugen W. jedoch nicht feststellen.

a) Nach dem Inhalt der Aussage des Vorsitzenden Richters W. , der in dem Verhandlungstermin vom 13.07.04 den genannten gerichtlichen Vergleich vorbereitet und protokolliert hat, sollten mit dem Abschluss des Vergleichs "alle Ansprüche aus dem Pachtverhältnis" zwischen dem Rechtsvorgänger der Beklagten und den Klägern erledigt sein. Zum Kreis solcher Ansprüche zählte, wie sich von selbst versteht, auch der mit Urteil des Landgerichts Bremen - 3. Zivilkammer, Einzelrichter - vom 02.07.03 titulierte Zahlungsanspruch in Höhe von € 8.228,12 nebst Zinsen, bei dem es sich um einen Anspruch auf Zahlung von Restpachtzins für den Zeitraum August 1996 bis Dezember 2001 sowie Januar 2002 bis September 2002 handelte.

b) Nach der Aussage des Zeugen W. waren Gegenstand der Erörterungen vor Protokollierung des gerichtlichen Vergleichs am 13.07.04 im Verhandlungstermin nicht allein die Forderungen, die den Gegenstand des seinerzeit bei dem Landgericht anhängigen Rechtsstreits zum Az. 8 O 1844/03 und des selbständigen Beweisverfahrens zum Az. 8 O H 99/02 bildeten. Vielmehr wurden auch eventuelle "weitere Ansprüche aus dem Pachtverhältnis" in dem Verhandlungstermin diskutiert, wobei Einigkeit darüber bestand, dass solche "weiteren Ansprüche" von der Erledigungsklausel in Ziffer 3 des Vergleichs erfasst waren. Überdies sind der Aussage des Zeugen W. zufolge auch die Sicherungshypotheken angesprochen worden, die unstreitig der Sicherung der mit Urteil vom 02.07.03 titulierten Hauptforderung und des entsprechenden Kostenfestsetzungsbeschlusses des Landgerichts Bremen vom 21.08.03 (17) dienten. Damit steht fest, dass auch weitere Ansprüche - neben den mit der Klage zum Az. 8 O 1844/03 geltend gemachten - Gegenstand der Vergleichserörterungen waren, wobei auch die titulierte Hauptforderung zumindest mittelbar erörtert worden ist.

c) Nach der eigenen Darstellung der Beklagten (Schriftsatz vom 03.01.05 = Bl. 45) hat der Zeuge W. in dem Verhandlungstermin vom 13.07.04 überdies erklärt, der Rechtsvorgänger der Beklagten müsse Zug um Zug gegen Zahlung die Löschungsbewilligung für die Sicherungshypotheken hergeben. Dieser Hinweis des Vorsitzenden Richters im Verhandlungstermin zeigt ebenfalls, dass auch die titulierte Forderung - jedenfalls mittelbar - Gegenstand der Vergleichserörterungen gewesen ist.

Aufgrund der vorgenannten im Verhandlungstermin am 13.07.04 erörterten Gesichtspunkte steht fest, dass die Erledigungsklausel in Ziffer 3 des Vergleichs so gemeint war, wie es ihr Wortlaut ausdrücklich besagt: Mit Abschluss des Vergleichs sollten sämtliche Ansprüche der Parteien aus dem Pachtverhältnis erledigt sein. Diesem Verständnis der Ausgleichsquittung steht auch das Volumen der Forderungen, die von der Erledigungsklausel erfasst sind, nicht entgegen: Den Gegenstand des Rechtsstreits des Landgerichts Bremen zum Az. 8 O 1844/03 bildeten Forderungen zur Summe von 91.194,77 €; die bereits titulierte Forderung des Rechtsvorgängers der Beklagten gegen die Kläger belief sich auf 8.228,12 €. Da jeder Vergleich ein wechselseitiges Nachgeben beinhaltet, war die in dem Vergleich vereinbarte Zahlung der Kläger an den Rechtsvorgänger der Beklagten in Höhe von € 66.000,- unter Berücksichtigung der bestehenden Prozessrisiken auch dann keineswegs unvernünftig, wenn mit der Zahlung dieses Betrages auch der titulierte Anspruch in Höhe von 8.228,12 € nebst Zinsen erledigt sein sollte.

Nach alledem ist dem Landgericht beizupflichten, wenn es die Ausgleichsquittung in Ziffer 3 des Vergleichs dahingehend versteht, dass auch titulierte Ansprüche von der Erledigungsklausel erfasst sind. Im Übrigen wird nur dieses Verständnis der Funktion der hier vorliegenden umfassenden Erledigungserklärung in einem gerichtlich protokollierten Vergleich gerecht, die im Interesse des Rechtsverkehrs klare Verhältnisse schaffen und künftigen Streitigkeiten vorbeugen soll (BAG, Urteil vom 16.09.1974, AP § 630 BGB Nr. 9).

d) Wie das Landgericht des weiteren im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat, hat der Vergleich vom 13.07.04 auch nach wie vor Bestand, da die von dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten mit Schriftsatz vom 09.11.04 erklärte Anfechtung des Vergleichs wegen Inhaltsirrtums (§§ 119, 142 BGB; s. Bl. 29) vorliegend nicht greift, weil nämlich die Voraussetzungen der Anfechtbarkeit des Vergleichs wegen Inhaltsirrtums nach § 119 Abs. 1 BGB nicht schlüssig dargetan sind. Die Beklagte macht insoweit geltend, sie habe erst mit Erhalten der Klagschrift vom 25.10.04 erkannt, dass die Kläger die Ziffer 3 des Prozessvergleichs anders auslegten als sie; sie - Beklagte - sei davon ausgegangen, dass die Erledigungsklausel die titulierte Forderung nicht erfasse. Diese Behauptung reicht nicht aus, um die Anfechtbarkeit des Vergleichs wegen Irrtums zu begründen. Vielmehr scheidet eine Anfechtbarkeit des Vergleichs wegen Irrtums bei der vorstehend festgestellten Sachlage aus.

Richtig ist zwar der Ausgangspunkt der Argumentation der Beklagten, dass ein Rechtsirrtum im gleichen Umfang zur Anfechtung wie jeder andere Tatsachenirrtum berechtigen kann, wobei ein Irrtum über den Inhalt der Erklärung vorliegt, wenn infolge Verkennung oder Unkenntnis seiner rechtlichen Bedeutung ein Rechtsgeschäft erklärt ist, das nicht die mit seiner Vornahme erstrebte, sondern eine davon wesentlich verschiedene Rechtswirkung, die nicht gewollt ist, hervorbringt, nicht dagegen, wenn ein rechtsirrtumsfrei erklärtes und gewolltes Rechtsgeschäft außer der mit seiner Vornahme erstrebten Rechtswirkung noch andere, nicht erkannte und nicht gewollte Rechtswirkungen hervorbringt (so wörtlich RGZ 88, 284). Anders ausgedrückt: Rechtsfolgen, die als autonome Rechtsetzung erscheinen, aber so nicht gewollt sind, unterliegen der Anfechtung wegen Inhaltsirrtums, nicht aber Rechtsfolgen, die auf gesetzlicher Bestimmung beruhen (Staudinger-Singer, 2004, § 119 Rn. 67 m.w.N.). Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes mag grundsätzlich eine Anfechtbarkeit des Vergleichs wegen Inhaltsirrtums nach § 119 Abs. 1 BGB in Betracht kommen. Allerdings hat der Anfechtende, da der Irrtum eine innere Tatsache ist, Indizien und sonstige Anknüpfungstatsachen vorzutragen und zu beweisen, anhand derer auf das Vorliegen eines Irrtums geschlossen werden kann; sofern es sich um ungewöhnliche, bei durchschnittlicher Sorgfalt vermeidbare Irrtümer handelt, sind an den Nachweis und die entsprechenden Behauptungen strenge Anforderungen zu stellen (Staudinger-Singer, a.a.O. Rn. 113 m.w.N.).

Diesen strengen Anforderungen wird der Vortrag der Beklagten nicht gerecht. Wie oben ausgeführt spricht der Wortlaut der Ausgleichsquittung eindeutig für eine Erledigungserklärung auch rechtskräftig titulierter Forderungen. Auch die Erörterungen in dem Verhandlungstermin des Landgerichts vom 13.07.04 bestätigen diese Auslegung. Für den Prozessbevollmächtigten der Beklagten, der den Vergleich als bevollmächtigter Vertreter des Rechtsvorgängers der Beklagten abgeschlossen hat, konnte angesichts des eindeutigen Wortlauts der Erledigungsklausel und der Erörterungen in dem Verhandlungstermin kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass die Klausel so gemeint war wie sie formuliert ist, nämlich als umfassende Erledigungsklausel.

Sollte der Prozessbevollmächtigte bei der Protokollierung des Vergleichs vergessen haben, dass dem Rechtsvorgänger der Beklagten seinerzeit eine bereits titulierte Forderung zustand, würde dies eine Anfechtbarkeit des Vergleichs wegen Irrtums nicht begründen, weil ein solcher Irrtum als unbeachtlicher Motivirrtum und nicht als Inhaltsirrtum anzusehen wäre.

Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Nr. 1, 2 ZPO nicht gegeben sind.

Die übrigen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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