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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Bremen
Urteil verkündet am 06.10.2005
Aktenzeichen: 2 U 39/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 286
1. Stürzt ein Fußgänger in unmittelbarer Nähe einer Gefahrenstelle, so liegt nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises der Schluss nahe, dass die Gefahrenstelle Ursache des Sturzes war (wie BGH VersR 2005, 1086 = BGHRep 2005, 1181)

2. Für die Richtigkeit der aufgestellten Behauptung, es sei in unmittelbarer Nähe des Ortes, an dem es zum Sturz gekommen sei, eine Gefahrenstelle vorhanden, kommt dem Geschädigten die Erleichterung des Beweises des ersten Anscheins nicht zugute.


Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen Im Namen des Volkes URTEIL

Geschäftszeichen: 2 U 39/05

Verkündet am: 6. Oktober 2005

In dem Rechtsstreit

hat der 2. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen auf die mündliche Verhandlung vom 15. September 2005 durch die Richter Friedrich, Dr. Schnelle und Dierks

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bremen vom 14. April 2005 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von € 5.650,-- abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um ein von dem Kläger verlangtes Schmerzensgeld aus einem Unfall, den der Kläger auf eine von der Beklagten schuldhaft begangene Verletzung der Verkehrssicherungspflicht zurückführt, sowie um die vom Kläger gleichfalls begehrte Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, sämtliche materiellen, in der Zukunft auftretenden Schäden aus diesem Unfall zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen seien.

Am 27. November 2002 gegen 11.45 Uhr kam der Kläger, der bereits etwa ein Jahr zuvor, nämlich am 30. November 2001, einen Unfall mit erheblichen Verletzungsfolgen erlitten hatte und dem der linke Arm fehlt, auf der Feuerwehrzufahrt zum Grundstück Neuwieder Straße 52 zu Fall. Er zog sich dabei einen Bruch des rechten Oberschenkels zu und wurde vom Rettungsdienst der Stadt Bremen zunächst in das Zentralkrankenhaus Bremen-Ost verbracht. Von dort wurde er am 28. November 2002 in die Klinik Boberg in Hamburg verlegt. In dieser Klinik wurde der Kläger am 2. Dezember 2002 operiert; es wurde ein Fixateur eingesetzt, der bis zu seiner Entfernung am 7. April 2003 dem Kläger Bewegung nur im Rollstuhl erlaubte. Während dieses Zeitraums befand sich der Kläger nochmals in der Zeit zwischen dem 3. und dem 17. Januar 2003 sowie zwischen dem 4. und dem 14. April 2003 stationär in der Klinik Boberg. Dort wurde am 6. Januar 2003 in einer weiteren Operation Knochenmark des Klägers von seinem Becken in den rechten Oberschenkel verpflanzt. Auch nach dem 7. April 2003 waren nach Behauptung des Klägers ärztliche Behandlungen des verletzten Beines erforderlich. Am 12. April 2003 hat der Kläger nach seiner Darstellung eine Gehschiene erhalten, die es ihm ermöglicht hat, einige Stunden am Tag zu laufen, im Übrigen ist er bis Dezember 2003 auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen gewesen.

Der Kläger hat behauptet, er sei deshalb gestürzt, weil ein Pflasterstein in der fraglichen, von ihm gemeinsam mit einem Begleiter, dem Zeugen Th. R. , benutzten Feuerwehrzufahrt zum Haus Neuwieder Straße 52 etwa 5 cm aus dem übrigen Niveau herausgeragt habe und er über diesen Stein gestolpert sei. Der Kläger hat gemeint, die Beklagte habe die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt, und hat die Beklagte auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes, das sich nach seinen Vorstellungen auf etwa € 25.000,-- belaufen müsse, sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten in Bezug auf den materiellen, in der Zukunft noch zu erwartenden Schaden, soweit entsprechende Ansprüche ihm noch zustünden, in Anspruch genommen. Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt und dazu zum einen bestritten, dass der Pflasterstein 5 cm über das ihn umgebende Pflasterwerk herausgeragt habe, und zum anderen geltend gemacht, dass ungeklärt sei, ob und welche der im einzelnen nach Darstellung des Klägers eingetretenen gesundheitlichen Schäden von dem Unfall am 27. November 2002 herrührten, denn es sei möglich, dass es sich noch um Schadensfolgen des Unfalls vom 30. November 2001 gehandelt habe. Im Übrigen könne auch nicht festgestellt werden, dass der Unfall des Klägers am 27. November 2002 - wie von ihm behauptet - auf ein Stolpern über den fraglichen Pflasterstein zurückzuführen sei, denn der Kläger könne durchaus schon wegen der zu diesem Zeitpunkt bereits vorhandenen körperlichen Beeinträchtigungen (Bruch des rechten Oberschenkels im Jahre 2001, Fehlen des linken Arms) auch ohne Anstoßen an den fraglichen Stein zu Fall gekommen sein. Zumindest sei ihm ein erhebliches Mitverschulden anzulasten.

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Tatbestand (Bl. 110-112 d.A.) und Entscheidungsgründe (Bl. 112) ergänzend Bezug genommen wird, die Klage nach Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen R. sowie der nach dem Unfall tätig gewordenen Rettungssanitäter mit im Wesentlichen folgender Begründung abgewiesen: Der Kläger habe nicht bewiesen, dass er über einen aus der Pflasterung herausragenden Stein gestolpert sei, denn der Zeuge R. habe einen solchen Geschehensablauf nicht bestätigt. Vielmehr könne der Kläger nach der Aussage dieses Zeugen auch aus einem anderen Grund gestolpert sein.

Gegen dieses ihm am 19. April 2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 4. Mai 2005 Berufung eingelegt und diese am Montag, den 20. Juni 2005 unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens im Wesentlichen mit dem Hinweis begründet, dass das Urteil des Landgerichts auf einer fehlerhaften Würdigung der Aussage des Zeugen R. beruhe. Nach dieser stehe nämlich fest, dass der Kläger jedenfalls in der Nähe des fraglichen, aus der Pfllasterung herausragenden Steins zu Fall gekommen sei. Deshalb habe das Landgericht die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins berücksichtigen müssen,

Der Kläger beantragt,

1. unter Abänderung des am 14. April 2005 verkündeten Urteils des Landgerichts Bremen, Geschäfts-Nr. 2 O 704/04, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 26. Juni 2003 zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen Schäden aus dem Unfall vom 27. November 2002 auf dem Gehweg vor dem Objekt der Beklagten in der Neuwieder Straße 52 in Bremen zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungs-träger oder sonstige Dritte übergehen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens das ergangene Urteil, das sie in Begründung und Ergebnis für zutreffend hält, und weist vor allem darauf hin, dass die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins dem Kläger nicht zustatten kämen, weil nicht feststehe, dass der Kläger über den angeblich aus dem Pflaster herausragenden Stein gestolpert sei, wobei nach wie vor in Abrede genommen werde, dass im Zeitpunkt des Unfalls am 27. November 2002 in der Pflasterung überhaupt ein Niveauunterschied vorhanden gewesen sei. Im Übrigen dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass der Kläger mit der von ihm erhobenen Forderung erst nach etwa einem halben Jahr seit dem Unfall an die Beklagte herangetreten sei und es damit selbst unmöglich gemacht habe, die für die angebliche Ursächlichkeit notwendigen Feststellungen rechtzeitig zu treffen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der Berufungsbegründung (Bl. 126/127 d.A.) sowie den weiteren Schriftsatz des Klägers vom 27. Juli 2005 (Bl. 133 d.A.) nebst Anlage (Bl. 134 d.A.) und die Berufungserwiderung (Bl. 136 - 139 d.A.) Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Klägers ist statthaft (§ 511 Abs. 1 und 2 Nr. 1 ZPO), form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 517, 520 Abs. 1 und 2 Satz 1 und 3, Abs. 3 Satz 1 und 2 ZPO) und somit zulässig. Sie ist aber nicht begründet und war daher zurückzuweisen, denn das Landgericht hat mit Recht die Klage abgewiesen. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu, denn er hat nicht bewiesen, dass die von ihm behaupteten gesundheitlichen Schäden ursächlich auf eine Verletzung der der Beklagten obliegenden Verpflichtung zur Verkehrssicherung zurückzuführen sind.

1.

Der Kläger selbst geht in seiner Berufungsbegründung - mit Recht - nicht mehr davon aus, dass durch die Aussage des Zeugen Rath der Beweis geführt sei, er, der Kläger, sei am 27. November 2005 über einen aus der Pflasterung herausragenden Stein gestolpert, wobei an dieser Stelle offen bleiben kann, ob sich dieser um 5 cm oder nur um 2 cm aus dem übrigen Niveau der Feuerwehrzufahrt abgehoben haben soll.

2.

Der Kläger meint jedoch, ihm komme der Beweis des ersten Anscheins zugute, wonach entsprechend der Lebenserfahrung davon auszugehen sei, dass eine vorhandene Gefahrenquelle die Ursache für einen Sturz eines Fußgängers bilde, sofern sie ihrer Natur nach geeignet sei, einen derartigen Unfall auszulösen. Dem Kläger ist zuzugeben, dass seine Überlegungen insoweit im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stehen, als dieser mit Urteil vom 2. Juni 2005 - III ZR 358/04 - VersR 2005, 1086 = BGHRep 2005, 1181 in der Tat - wiederum wie schon im Jahre 1962 - entschieden hat, dass für den Fall, dass ein Fußgänger in unmttelbarer Nähe einer Gefahrenstelle stürze, nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises der Schluss nahe liege, die Gefahrenstelle sei Ursache des Sturzes gewesen. Indessen setzt die Heranziehung dieses vom Bundesgerichtshof mit Recht niedergelegten Grundsatzes die Feststellung voraus, dass der Sturz in unmittelbarer Nähe einer Gefahrenstelle stattgefunden hat. Daran aber fehlt es hier, denn der Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass im Zeitpunkt des Unfalls in der fraglichen Feuerwehrzufahrt eine Gefahrenstelle vorhanden war, die geeignet gewesen wäre, das Stolpern des Klägers und seinen Sturz auszulösen. Zwar weist die vom Kläger eingereichte Fotografie (Bl. 21 d.A.), die Aufschluss über den vom Kläger begangenen Weg geben soll, eine Unebenheit in der Pflasterung aus, doch ist diese Aufnahme mit der Datumsangabe "07/05/2003" versehen und vermag daher nicht zu belegen, dass der dort abgebildete Zustand tatsächlich bereits am Unfalltage, also am 27. November 2002 und damit etwa ein halbes Jahr zuvor, in gleicher Weise vorhanden war, wobei an dieser Stelle offen bleiben kann, ob eine Unebenheit des aus der Fotografie ersichtlichen Umfangs überhaupt eine "Gefahrenstelle" im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bildet. Da die Beklagte die von dem Kläger behauptete Unebenheit sowohl erst- als auch zweitinstanzlich in Abrede genommen hat, hätte der Kläger, damit ihm der vom Bundesgerichtshof anerkannte Anscheinsbeweis zustatten kommen kann, den Nachweis führen müssen, dass am 27. November 2002 vor 11.45 Uhr der von ihm behauptete Zustand vorhanden war. Das aber ist ihm, wie bereits oben unter 1. dargelegt, nicht gelungen, und es fehlt auch an einem entsprechenden Beweisantritt, dem der Senat hätte nachgehen können.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 711 Satz 1 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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