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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Bremen
Urteil verkündet am 23.09.2004
Aktenzeichen: 2 U 62/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 675
BGB § 242
Vereinbart ein Depotinhaber mit dem Kreditinstitut, bei dem das Depot unterhalten wird, dass die verwahrten Wertpapiere bei Absinken ihres Kurswertes unter einen bestimmten Betrag veräußert werden sollen ("Glattstellungsvereinbarung"), befolgt das Kreditinstitut diese Vereinbarung jedoch nicht und erklärt sich der Depotinhaber in Gesprächen damit einverstanden, von einer Veräußerung abzusehen in der auch von den Mitarbeitern des Kreditinstituts geteilten Hoffnung, die Kurse würden sich erholen, so handelt der Depotinhaber widersprüchlich im Sinne des § 242 BGB, wenn er bei enttäuschter Erwartung das Kreditinstitut auf Schadensersatz wegen der Missachtung der "Glattstellungs-vereinbarung" in Anspruch nimmt.
Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen Im Namen des Volkes URTEIL

Geschäftszeichen: 2 U 62/03

Verkündet am: 23. September 2004

In Sachen

hat der 2. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 2. September 2004 durch die Richter

Friedrich, Dr. Schnelle und Dierks

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bremen vom 12. Juni 2003 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus Anlagegeschäften des Klägers bei der Beklagten. Der Kläger unterhielt seit 1994 bei der Beklagten ein Wertpapierdepot, welches im Frühjahr des Jahres 2000 mit ca. 2,7 Mio. DM seinen Höchststand erreicht hatte. Danach fiel der Wert des Wertpapierdepots kontinuierlich. Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von € 563.256,60, weil die Beklagte eine angeblich im September 2000 geschlossene sog. "Glattstellungsvereinbarung" nicht beachtet habe.

Das Landgericht - 2. Zivilkammer - hat durch Urteil vom 12. Juni 2003 die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der seinen Anspruch von € 563.256,60 in zweiter Instanz weiter verfolgt.

Der Kläger trägt im Berufungsverfahren u. a. vor, die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung sei fehlerhaft. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass eine "Glattstellungsvereinbarung" geschlossen worden sei. Zudem sei es auch nicht treuwidrig, sich auf diese Vereinbarung zu berufen. Diese Vereinbarung sei nicht aufgehoben worden und eine Verzichtserklärung sei nicht abgegeben worden. Zudem habe die Beklagte ihn im November 2000 durch fehlerhafte Beratung zum Halten der Depotwerte veranlasst. Zumindest sei der bis Anfang November eingetretene Schaden von DM 74.000,-- zu ersetzen.

Der Kläger beantragt, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Bremen vom 12.06.2003 - 2 O 994/02 - die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 563.256,60 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 25.09.2001 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im ersten Rechtszug wird auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 214 - 222 d. A.) sowie wegen des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren auf die Schriftsätze vom 16.10.2003 (Bl. 240 - 246 d. A.), vom 18.05.2004 (Bl. 293 - 297 d. A.) sowie vom 25.08.2004 (Bl. 308 ff. d. A.) Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Klägers ist zwar statthaft (§ 511 ZPO) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 517, 519, 520 ZPO).

Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Die in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils angestellten Erwägungen treffen zu. Dem Kläger stehen gegenüber der Beklagten keine vertraglichen Schadensersatzansprüche wegen Nichteinhaltung der angeblich geschlossenen "Glattstellungsvereinbarung" zu, weil derartige Ansprüche wegen widersprüchlichen Verhaltens (§ 242 BGB) ausgeschlossen sind und eine Auslegung der angeblichen Vereinbarung ergibt, dass ein geringfügiges Unterschreiten der Summe von 2 Mio. DM keine Vertragsverletzung darstellt.

Angesichts dieser Bewertung kommt es im Ergebnis nicht darauf an, ob die "Glattstellungsvereinbarung" im September 2000 tatsächlich vereinbart wurde. Mit dem Landgericht neigt der Senat zu der Annahme, dass eine derartige Vereinbarung getroffen wurde. Diese wurde unter Berücksichtigung des Vortrages der Beklagten später auch nicht wieder aufgehoben. Einen derartigen Vorgang hat die Beklagte nicht konkret vorgetragen. Dies war unter Berücksichtigung des Standpunktes der Beklagten, dass die Vereinbarung nicht getroffen wurde, auch gar nicht denkbar.

Letztlich konnte diese Frage dahinstehen, da Schadensersatzansprüche gemäß § 242 BGB wegen widersprüchlichen Verhaltens ausgeschlossen sind. Zwar ist ein derartiges widersprüchliches Verhalten nicht generell verboten und daher auch nicht ausgeschlossen. Jeder Partei steht es in der Regel frei, sich auf die Nichtigkeit bzw. die Unwirksamkeit oder Bedeutungslosigkeit der von ihr abgegebenen Erklärung zu berufen. Widersprüchliches Verhalten ist aber dann missbräuchlich, wenn für den anderen ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist (vgl. BGH in NJW 86, 2107) oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Derartige besondere Umstände liegen insbesondere dann vor, wenn der jeweilige Gegner sich auf die fragliche Erklärung verlässt und bestimmte Maßnahmen einleitet bzw. unterlässt.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Der Kläger hat durch sein Verhalten ab Anfang November 2000 die Beklagte bzw. deren Mitarbeiter davon abgehalten, das Wertpapierdepot zu veräußern, um dadurch die angeblich geschlossene "Glattstellungsvereinbarung" zu erfüllen. Anfang November des Jahres 2000 erfuhr der Kläger durch Übersendung eines Depotauszuges davon, dass der Wert seines Depot unter die Marke von 2 Mio. DM (exakt 1,926 Mio. DM) gesunken war. Sodann verhandelte der Kläger mit dem Zeugen Engels - dem damals zuständigen Mitarbeiter der Beklagten - miteinander. Inhaltlich ging es um das Wertpapierdepot des Klägers. Im Ergebnis bestand der Kläger gegenüber der Beklagten nach seinen eigenen Erklärungen im Termin vom 15.05.2003 (Bl. 199/200) nicht auf Einhaltung der angeblich geschlossenen Vereinbarung. Er ließ sich nach seinen Angaben von der Hoffnung leiten, der Wert des Depots werde wieder steigen, daher bestand er nicht mehr auf einem Verkauf des Depots. Eine vom Kläger verlangte Garantie der Beklagten, dass der Depotwert zukünftig den Wert von 2 Mio. DM wieder erreichen werde, wurde seitens der Beklagten nicht abgegeben. Im Februar des Jahres 2001 leistete der Kläger einen Nachschuss in Höhe von DM 100.000,-- an die Beklagte zwecks Ankaufs weiterer Wertpapiere.

Der Senat bewertet dieses Verhalten des Klägers als widersprüchlich. Einerseits legte er besonderen Wert auf Erhaltung des Wertes seines Depots (mindestens 2 Mio. DM). Andererseits ließ er sich in Kenntnis der Unterschreitung der genannten Grenze auf Gespräche mit der Beklagten ein. Angesichts der Erwartungshaltung der Beklagten bestand er dann nicht mehr auf Einhaltung der angeblich geschlossenen "Glattstellungsvereinbarung". Hierdurch hat er die Beklagte zumindest davon abgehalten, die fragliche "Glattstellungsvereinbarung" einzuhalten. Wer jedoch einen Vertragspartner vom angeblich vertragsgemäßen Verhalten abhält, der ist gemäß § 242 BGB in Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben anschließend gehindert, aus der Nichteinhaltung der fraglichen Vereinbarung Schadensersatzansprüche herzuleiten.

Dem Kläger stehen auch keine Schadensersatzansprüche wegen einer etwaigen Pflichtverletzung der Beklagten im Rahmen der Abwicklung des Depots zu. Zwar neigt der Senat zu der Annahme, dass Anfang November 2000 im Rahmen der Gespräche zwischen dem Kläger und dem Zeugen Engels ein Anlageberatungsvertrag stillschweigend geschlossen wurde. Hierfür spricht insbesondere auch der Inhalt des Schreibens der Beklagten vom 16.03.2001 (Bl. 48 d. A.). Demzufolge war die Beklagte verpflichtet, den Kläger nach Kräften zu informieren, soweit es aufgrund der Person des Klägers geboten war. Der weitere Vortrag des Klägers zur angeblichen Pflichtverletzung der Beklagten im Rahmen der Anlageberatung ist aber pauschal bzw. unsubstanziiert und damit unbeachtlich. Eine Pflicht der Beklagten kann nur bezüglich bestimmter Wertpapiere bestanden haben, weil insoweit spezifische Informationen vorgelegen haben könnten. Eine generelle Beratung hinsichtlich eines umfassenden Depots bestand jedoch nicht. Angesichts dieses zu pauschalen Vortrages des Klägers bedurfte es auch nicht der von ihm beantragten Einholung eines Sachverständigengutachtens bezüglich der Frage, ob ein sorgfältig handelnder Bankkaufmann einen anderen Rat erteilt hätte. Auch dieser Rat hätte nur speziell bezogen auf bestimmte Wertpapiere erteilt werden können und ggf. auch müssen.

Zudem scheiden auch Schadensersatzansprüche des Klägers in Höhe von DM 74.000,-- wegen des Unterschreitens der angeblich vereinbarten Grenze von 2 Mio. DM bis Anfang November 2000 aus. Unter Berücksichtigung des Vortrages des Klägers war aus seiner Sicht keine Vereinbarung des Inhalts getroffen worden, dass exakt 2 Mio. DM auf dem Konto verbleiben sollten. Insoweit bekundete der Kläger im Termin vom 15.05.2003 beim Landgericht (Bl. 199 d. A.), es sei nicht so gewesen, dass schon bei einem geringfügigen Unterschreiten der Grenze von 2 Mio. DM ein Verkauf eingeleitet werden sollte. Hieraus ist nach Ansicht des Senats die Schlussfolgerung zu ziehen, dass mit dem Wert von 2 Mio. DM eine "Zirkagrenze" gemeint war. Hierdurch sollte dem Kläger der Vermögenswert von etwa 2 Mio. DM erhalten bleiben. Hierbei war zudem zu berücksichtigen, dass ein Depot dieses Wertes schwerlich innerhalb eines ganz kurzen Zeitraumes zu veräußern gewesen wäre. Während des Zeitraums des Verkaufs wären weitere Kursschwankungen bzw. -änderungen nicht zu vermeiden gewesen. Somit stellt die Unterschreitung der Grenze von 2 Mio. DM um DM 74.000,-- - also etwa 3,7 % - keine Pflichtverletzung dar, die dem Kläger einen Schadensersatzanspruch gewähren könnte.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 542 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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