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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Bremen
Urteil verkündet am 11.05.2007
Aktenzeichen: 4 U 26/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 242
BGB § 906
BGB § 1004
1. Ein später hinzugezogener Nachbar ist nicht uneingeschränkt zur Duldung jeglicher Immission verpflichtet (wie BGHZ 148, 261 = MDR 2001, 1233 = NJW 2001, 3119). Dies gilt auch im Verhältnis zu Immissionen, die in der Nutzung von dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Flächen ihren Ursprung haben.

2. Die Lästigkeit eines Geräusches, die für das Immissionsrecht entscheidend ist, hängt nicht allein von Messwerten, sondern auch von einer Reihe anderer Umstände ab, für die es auf die Beurteilung des Tatrichters ankommt.

3. Maßgebend für die Entscheidung, ob eine wesentliche Beeinträchtigung vorliegt, ist eine wertende Betrachtung, wobei auch öffentliche Belange zu würdigen sind (hier: Wahrnehmung einer Aufgabe im öffentlichen Interesse durch ein Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs).


Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen Im Namen des Volkes URTEIL

Geschäftszeichen: 4 U 26/06

Verkündet am 11. Mai 2007

In Sachen

hat der 4. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen auf die mündliche Verhandlung vom 20. April 2007 durch die Richter Wever, Schumann und Schilling

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt. III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

Der Kläger nimmt die Beklagte, eine Verkehrsgesellschaft, auf Unterlassung von Geräuschimmissionen in Anspruch, die von den von ihr eingesetzten Omnibussen verursacht werden.

A.

Der Kläger erwarb im Jahre 1997 das Hausgrundstück T. Str. 1e Ecke V. Weg in Bremerhaven. Die Beklagte betreibt mit behördlicher Genehmigung seit 1955 eine Omnibuslinie im Rahmen des öffentlichen Personennahverkehrs, die am Hause des Klägers vorbeiführt. Die Busse der Beklagten befahren die kopfsteingepflasterte T. Straße am Haus des Klägers vorbei und biegen in den geteerten V. Weg ein. Im August 2001 beschwerte sich der Kläger erstmals bei der Beklagten über die durch ihre Busse verursachten Geräusche.

Der Kläger betrieb wegen der Geräuschimmissionen beim Landgericht Bremen ein selbständiges Beweisverfahren zum Geschäftszeichen 6 OH 24/03; insoweit wird insbesondere auf den Hinweis des Sachverständigen Bartels vom 23. August 2003 (Bl. 40 der beigezogenen Akte des Landgerichts Bremen zum Geschäftszeichen 6 OH 24/03, im Folgenden: BA), das Gutachten des Sachverständigen B. vom 22. November 2003 und das Ergänzungsgutachten vom 23. Januar 2004 sowie auf das Protokoll vom 1. April 2004 Bezug genommen (Bl. 70 ff. BA).

Der Kläger hat unter Bezugnahme auf das selbständige Beweisverfahren behauptet, die durch die Busse verursachten Geräusche seien so stark, dass er in seinem Schlafzimmer keinen Schlaf finden könne bzw. durch den Lärm aufwache. Durch angepasste Fahrweise, nämlich "außerordentlich langsame" Fahrt und "nur mäßige Beschleunigung" könne der Buslärm auf ein verträgliches Maß zurückgeführt werden.

Die Beklagte hat die vom Kläger im Einzelnen vorgetragenen Messwerte unter Hinweis des von ihr eingereichten Parteigutachtens der t. -GmbH vom 14. September 2004 bestritten. Eine andere Buslinienführung sei nicht möglich. Die Busse führen an der fraglichen Stelle ohnehin schon langsam. Soweit der Kläger die Einhaltung von Grenzwerten für den Zeitraum von 22 Uhr bis 6 Uhr fordere, fehlten entsprechende Messungen. Zudem hat sich die Beklagte auf Verwirkung berufen.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 13. Juli 2006 abgewiesen (Bl. 89 ff. d. A.). Es hat ausgeführt, etwaigen Ansprüchen aus §§ 1004, 906 BGB stünde der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen. Der Kläger sei wie ein später hinzugekommener Nachbar zu behandeln, der sich "sehenden Auges" einer Geräuscheinwirkung ausgesetzt habe. Ihn treffe eine gesteigerte Duldungspflicht. Zwar sei die Beklagte - anders als in der vom Landgericht herangezogenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs (NJW 2001, 3119) - keine dem Kläger benachbarte Grundstückseigentümerin. Jedoch sei deren Verhältnis dem zweier Grundstücksnachbarn vergleichbar (wird ausgeführt, vgl. Bl. 92 d. A.). Der Einwand unzulässiger Rechtsausübung bringe es mit sich, dass dem Kläger auch der hilfsweise geltend gemachte Zahlungsanspruch nicht zustehe.

Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz und der Begründung der Entscheidung im Einzelnen wird auf das angefochtene Urteil des Landgerichts Bremen vom 13. Juli 2006 Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Der Kläger wendet mit seiner Berufung ein, das Landgericht habe die Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 2001 nicht auf seinen Fall anwenden dürfen. Bei dem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis handele es sich um ein Sonderverhältnis, dessen Voraussetzungen hier nicht vorlägen. Das Landgericht habe sich auch über die Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1983 (NJW 1984, 1242) hinweggesetzt, der ein vergleichbarer Fall zugrunde gelegen habe. Dort sei der mit seiner Klage erfolgreiche Kläger erst zehn Jahre nach Inbetriebnahme der Haltestelle Eigentümer geworden. Gleichwohl habe der Bundesgerichtshof keine unzulässige Rechtsausübung angenommen. Zudem habe das Landgericht - anders als der Bundesgerichtshof in der Entscheidung aus dem Jahre 2001 - keine Zumutbarkeitserwägungen angestellt. Selbst wenn man der Auffassung des Landgerichts folgen wollte, hätte es prüfen müssen, welche Maßnahmen zur Reduzierung von Immissionen von der Beklagten bereits ergriffen worden seien und ob eine Reduzierung der Geschwindigkeit der vorbeifahrenden Busse zu der gewünschten Reduzierung der Geräuschentwicklung führen würde.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Bremen vom 13. Juli 2006 zu verurteilen, Lärmemissionen durch den Betrieb der am Haus des Klägers vorbeiführenden Omnibuslinie, die in dem Haus T. Str. 1e, 27574 Bremerhaven, innerhalb des Hauses bei gekippten Fenstern zu Lärmemissionen von mehr als 40 dB tagsüber (6.00 bis 22.00 Uhr) und mehr als 25 dB nachts (22.00 bis 6.00 Uhr) oder aber zu Geräuschpegelsprüngen von mehr als 20 dB bei geschlossenen Fenstern führen, bei Meidung eines vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes zu unterlassen,

hilfsweise,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.331,76 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24. Januar 2006 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte behauptet, durch ihren Busverkehr würden die zulässigen Emissionswerte nicht überschritten. Die vom Kläger begehrte Messmethode entspreche nicht dem heutigen Stand der Technik. Die Beklagte vertritt die Auffassung, die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (aus dem Jahr 2001) müsse auch auf den hier vorliegenden Fall Anwendung finden. Der Unterschied zu der Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1983 bestünde darin, dass es sich damals um eine Haltestelle gehandelt habe, deren Gebrauch im Gegensatz zur Straßennutzung als Gemeingebrauch eine Sondernutzung darstelle. Die Geräuschentwicklung könne auch nicht durch besonders langsames Vorbeifahren reduziert werden, weil dadurch die Gesamtlärmbelästigung erhöht werden würde. Schließlich könne sich die Beklagte auch auf Gewohnheitsrecht berufen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 16. Oktober 2006 (Bl. 108 ff. d. A.), den Schriftsatz der Beklagten vom 27. November 2006 (Bl. 128 ff. d. A.) und vom 6. März 2006 (Bl. 202 d. A.) sowie die Ausführungen der Parteivertreter in der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2007 (Bl. 155 ff. d. A.) verwiesen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines schalltechnischen Sachverständigengutachtens, ergänzende Anhörung des Sachverständigen im Termin vom 16. Februar 2007 und 20. April 2007 sowie durch Augenschein. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen B. vom 1. März 2007 (Bl. 172 ff. d. A.) sowie auf die Protokolle vom 16. Februar (Bl. 155 ff. d. A.) und vom 20. April 2007 (Bl. 205 ff. d. A.) Bezug genommen.

B.

Die gemäß §§ 511, 513, 517, 519, 520 ZPO zulässige Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Der Kläger hat gegen die Beklagte weder einen Anspruch auf Unterlassung (bzw. Geräuschreduzierung) aus § 1004 BGB noch einen Ausgleichsanspruch aus § 1004 i. V. mit § 906 Abs. 2 S. 2 BGB. Die von den Bussen der Beklagten ausgehenden Geräuschimmissionen beeinträchtigen die Benutzung des Grundstücks des Klägers nur unwesentlich und sind daher vom Kläger gemäß 906 Abs. 1 BGB hinzunehmen.

I. Entgegen der Ansicht des Landgerichts muss sich der Kläger indessen nicht die Einwendung einer unzulässigen Rechtsausübung gemäß § 242 BGB entgegenhalten lassen. Zwar mag das Verhalten des Klägers insoweit widersprüchlich erscheinen, als er sich gleichsam sehenden Auges durch den Erwerb seines Hauses in eine Situation begeben hat, in der er - seiner Auffassung nach - mit wesentlichen Beeinträchtigungen rechnen musste. Das ändert aber nichts daran, dass die zeitliche Priorität (also der Umstand, dass die Störung schon im Zeitpunkt des Eigentumserwerbs vorlag) nach der vom Landgericht in Bezug genommenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 2001, 3119, 3120) dem Störer keinen Rechtfertigungsgrund für die Eigentumsbeeinträchtigung des Nachbarn gibt. Vielmehr ist der später hinzugezogene Nachbar nicht uneingeschränkt zur Duldung jeglicher Immission verpflichtet (BGH, NJW 2001, 3119, 3121). Auf Verwirkung kann sich die Beklagte schon deshalb nicht berufen, weil jede neue Geräuscheinwirkung den Unterlassungsanspruch von neuem auslöst, es mithin immer an dem Zeitmoment fehlen wird (vgl. BGH, NJW-RR 2006, 235).

II. Die Klage kann aber deshalb keinen Erfolg haben, weil der Kläger gemäß § 1004 Abs. 2 i. V. mit § 906 Abs. 1 BGB zur Duldung der von ihm gerügten Lärmimmissionen verpflichtet ist. Der Senat hat nach Durchführung der Beweisaufnahme die Überzeugung gewonnen, dass es an einer wesentlichen Beeinträchtigung des Klägers durch die Geräuschimmissionen der Omnibusse der Beklagten fehlt.

1. Maßgebend für die Beurteilung der Wesentlichkeit ist eine wertende Betrachtung unter Berücksichtigung des Empfindens eines "verständigen Durchschnittsmenschen" und dasjenige, was diesem unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange zuzumuten ist (vgl. BGH, NJW 2001, 3119; 1993, 925, 929; OLG Düsseldorf, OLGR 2002, 328, 329). Das Einhalten oder Unterschreiten von Richtwerten indiziert nur die Unwesentlichkeit der Beeinträchtigung. Die Lästigkeit eines Geräusches, die rechtlich für das Immissionsrecht entscheidend ist, hängt nicht allein von Messwerten (zumal von Mittelungspegeln), sondern von einer Reihe anderer Umstände ab, für die es auf das eigene Empfinden des Tatrichters ankommt. Deswegen ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn sich der Tatrichter bei seiner Beurteilung im Wesentlichen auf das Ergebnis der Augenscheinseinnahme stützt (BGH, NJW 2001, 3119, 3120). Schließlich ist bei wertender Betrachtung von entscheidendem Gewicht das überragende Allgemeininteresse an einem funktionierenden öffentlichen Personennahverkehr (OLG Düsseldorf, OLGR 2002, 328, 330). Bei der Beurteilung der Wesentlichkeit der Beeinträchtigung, die letztlich auf eine Abwägung der feststellbaren berechtigten Interessen des betroffenen Bürgers einerseits und des Nahverkehrsunternehmens andererseits hinausläuft, muss deshalb neben der Einwirkung auf den Eigentümer auch Berücksichtigung finden, dass das Verkehrsunternehmen eine Aufgabe im öffentlichen Interesse wahrnimmt (OLG Köln, OLGR 2002, 309, 310).

2. Nach diesen Maßstäben hat der Kläger die durch die Busse verursachte Geräuschentwicklung hinzunehmen. Zwar hat der Sachverständige Bartels in seinem Gutachten vom 1. März 2007 eine Überschreitung einzelner Grenzwerte festgestellt. Eine wertende Betrachtung insbesondere unter Berücksichtigung des vom Senat eingenommenen Augenscheins und des besonderen Zwecks des von der Beklagten betriebenen öffentlichen Personennahverkehrs ergibt jedoch, dass es an einer wesentlichen Beeinträchtigung der Benutzung seines Grundstücks mangelt.

a) Der Sachverständige ist in seinem Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, dass die Immissionsrichtwerte nach der TA-Lärm für allgemeine Wohngebiete durch vorbeifahrende Busse - teilweise - überschritten sind, und zwar:

- tags mit 65 bzw. 63 dB(A) statt 55 dB(A) und nachts mit 64 bzw. 59 dB(A) statt 40 dB(A), jeweils bezogen auf die Beurteilungspegel/Außenpegel

- nachts mit 77-82 dB(A) statt 60 dB(A), jeweils bezogen auf die Maximalpegel/Außenpegel (Seite 5 des Sachverständigengutachten, Bl. 177 d. A.)

- nachts mit 34 bzw. 29 dB(A) statt 25 dB(A), jeweils bezogen auf die Beurteilungspegel/Innenpegel

- tags mit 40-49 dB(A) statt 45 dB(A) und nachts mit 48-50 dB(A) statt 35 dB(A), jeweils bezogen auf die Maximalpegel/Innenpegel (Seite 6 des Sachverständigengutachten, Bl. 178 d. A.)

Außerdem seien die Richtwerte bzw. Anhaltswerte für tieffrequente Geräuschimmissionen nach DIN 45 680 (Seite 7 des Sachverständigengutachten, Bl. 179 d. A.) sowie nach weiteren unterschiedlichen Literaturangaben überschritten (Seite 9 des Sachverständigengutachten, Bl. 181 d. A.).

Demgegenüber sind die nach den RLS-90 ermittelten Grenzwerte im Wesentlichen eingehalten (vgl. Seite 8 des Sachverständigengutachten, Bl. 180 d. A.).

Der Sachverständige hatte bereits im selbständigen Beweisverfahren zutreffend darauf hingewiesen, dass es für die hier zu entscheidende Fallkonstellation keine einschlägigen Normen und Grenzwerte gibt (vgl. etwa Schreiben vom 23. August 2003, Bl. 40 f. BA). Zwar hat die Rechtsprechung die entsprechende Anwendung der TA-Lärm für Verfahren wie das vorliegende gebilligt. Daraus folgt indes nicht, dass die TA-Lärm von den möglichen Feststellungen der Geräuschimmissionen die am besten geeigneteste ist. Bedenken ergeben sich daraus, dass die TA-Lärm ihrem Zweck nach nur für Anlagen gilt (vgl. Ziffer 1 TA-Lärm vom 26. August 1998) und nicht für öffentliche Verkehrswege (vgl. das vorgenannte Schreiben des Sachverständigen, Bl. 40 f. BA); deshalb betreffen beispielsweise die Immissionsrichtwerte für die Innenpegel Geräuschübertragungen innerhalb von Gebäuden oder bei Körperschalübertragungen (vgl. Ziffer 6.2 TA-Lärm).

Dagegen sind die RLS-90 nach den Angaben des Sachverständigen auf Verkehrssituationen zugeschnitten (vgl. Seite 3 des Protokolls vom 16. Februar 2007, Bl. 157 d. A.). Nach ihnen richtet sich im Rahmen des Verkehrslärmschutzes Maßnahmen der Lärmvorsorge bzw. der Lärmsanierung (vgl. Seite 4 des Sachverständigengutachten, Bl. 176 d. A.). Ginge man etwa von einem Fall der Lärmsanierung aus, der dem Begehren des Klägers am nächsten kommen dürfte, wären Grenzwerte von lediglich 70 dB(A) tags und 60 dB(A) nachts einzuhalten (Seite 4 des Sachverständigengutachten, Bl. 176 d. A.). Im Gegensatz zur TA-Lärm werden bei den RLS-90 die Werte nicht gemessen, sondern aufgrund des tatsächlichen Verkehrs errechnet. Bei seiner Berechnung ist der Sachverständige, der diese Methode jedenfalls für die vorliegende Fallgestaltung ursprünglich präferiert hat (vgl. Seite 6 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2007, Bl. 160 d. A.), von einer geschätzten Anzahl von 1.000 Fahrzeugen pro Tag ausgegangen. Diesen Wert hält der Senat nach der Augenscheinseinnahme und Erörterung mit den Parteien für angemessen. Die vorgenannten Grenzwerte wären indes nach Angeben des Sachverständigen selbst dann deutlich eingehalten, wenn man statt von 1.000 Fahrzeugen pro Tag von 2.000 ausginge (vgl. Seite 3 des Protokolls vom 20. April 2007, Bl. 207 d. A.).

b) Die Frage, welche Methode hier zu bevorzugen ist, kann im Ergebnis dahinstehen. Selbst wenn man - aufgrund der vom Sachverständigen alternativ zugrunde gelegten Methoden - eine Überschreitung der jeweiligen Grenzwerte bejahte, bedeutete dies nicht zwangsläufig, dass die Geräuscheinwirkungen die Nutzung des Grundstückes des Klägers wesentlich beeinträchtigen. Denn maßgebend für die Beurteilung der Wesentlichkeit ist - wie bereits dargetan - eine wertende Betrachtung unter Berücksichtigung des Empfindens eines verständigen Durchschnittsmenschen. Der Senat konnte bei der Augenscheinseinnahme eine besondere Lästigkeit der von den Bussen des Beklagten verursachten Geräuschimmissionen nicht feststellen. Im Gegenteil erschienen ihm andere vorbeifahrende Fahrzeuge, wie etwa Mopeds, von ihrer Geräuschentwicklung deutlich auffälliger und damit beeinträchtigender zu sein. Dabei hat sich der Senat jeweils eine Busvorbeifahrt bei geöffneten und geschlossenen Fenstern im Wohnzimmer sowie im Schlafzimmer angehört. Dem Senat ist aufgefallen, dass der Bus nur bei einer der vier Vorbeifahrten anhielt, ansonsten aber immer um die Ecke gebogen ist, ohne erneut anfahren zu müssen. Es spricht also vieles dafür, dass die Busse zu den Nachtzeiten (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr), in denen es ausweislich des aktuellen Fahrplans von montags bis freitags insgesamt sechs Vorbeifahrten (gegen 5.11 Uhr, 5.36 Uhr, 5.55 Uhr, 22.23 Uhr, 23.23 Uhr und 0.23 Uhr), am Samstag vier (gegen 5.11 Uhr, 22.23 Uhr, 23.23 Uhr und 0.23 Uhr) und an Sonn- und Feiertagen drei gibt (22.23 Uhr, 23.23 Uhr und 0.23 Uhr), jedenfalls in den meisten Fällen ohne anzuhalten um die Kurve fahren können und damit weniger Geräusche verursachen werden.

c) Schließlich ist bei wertender Betrachtung, ob die Beeinträchtigung für den Kläger wesentlich ist, das überragende Allgemeininteresse an einem funktionierenden öffentlichen Personennahverkehr von nicht unerheblichem Gewicht. Dem in jeder Hinsicht zu unterstützenden Anliegen, eine möglichst flächendeckende Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr zu erreichen (vgl. OLG Köln, OLGR 2002, 309, 310), stehen die Interessen des Klägers gegenüber, von Geräuschimmissionen verschont zu bleiben. Der Umstand, dass sich der Kläger "sehenden Auges" in diese Situation begeben hat, als er das Grundstück erworben hatte, schließt ihn zwar entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht von jeden Abwehrrechten aus. Er führt jedoch zu einer gesteigerten Duldungspflicht, die letztlich ebenfalls in die wertende Betrachtung Eingang findet.

III. Da es an den Voraussetzungen für den vom Kläger geltend gemachten Abwehranspruch fehlt, ist auch die hilfsweise geltend gemachte Forderung des Klägers auf Erstattung der Kosten für Lärmschutzmaßnahmen unbegründet. Erst wenn wesentliche Nutzungsbeeinträchtigungen vorliegen, ein Abwehranspruch aber wegen übergeordneter Gründe ausgeschlossen oder begrenzt würde, kommt eine Kompensation durch etwaige Ausgleichsleistungen in Betracht (OLG Düsseldorf, OLGR 2002, 328, 331).

IV. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

V. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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