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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Bremen
Beschluss verkündet am 03.04.2007
Aktenzeichen: Verg 2/07
Rechtsgebiete: GWB, VgV, VOB/A


Vorschriften:

GWB § 97 Abs. 7
GWB § 101 Abs. 3
GWB § 101 Abs. 4
GWB § 107 Abs. 3 Satz 1
VgV § 4 Abs. 1 Satz 1
VOB/A § 3 a Nr. 5 a
1. Die Obliegenheit eines Bieters, ihm bekannt gewordene Verfahrensverstöße unverzüglich zu rügen, verlangt nicht nur eine Kenntnis der Tatsachen, die einen Verstoß gegen das Vergabeverfahren bedeuten könnten, sondern auch das Bewusstsein von deren rechtlicher Bedeutsamkeit, die bei schwieriger Rechtslage selbst bei einem bietenden Großunternehmen fehlen kann.

2. Da die Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge hinsichtlich der dort in Art. 30 Abs. 1 Unterabsatz 2 für die Mitgliedstaaten verbindlichen Regelung in der Bundesrepublik Deutschland nicht innerhalb der bis zum Ablauf des 31. Januar 2006 bemessenen Frist umgesetzt worden ist, obliegt es dem mit einer Streitsache befassten Gericht, für dessen Entscheidung die Umsetzung dieser Vorschrift von ausschlaggebender Bedeutung ist, diese im Wege gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung des inländischen Rechts selbst vorzunehmen, denn diese Bestimmung ist inhaltlich unbedingt und hinreichend genau.

3. Wird eine Ausschreibung, die als nichtoffenes Verfahren (§ 101 Abs. 3 GWB) begonnen hat, nach dessen Abbruch als Verhandlungsverfahren (§ 101 Abs. 4 GWB) fortgesetzt, so dürfen ohne erneute öffentliche Bekanntmachung ausschließlich diejenigen Bieter in das fortgeführte Verfahren einbezogen werden, die in dem vorangegangenem Verfahren Angebote abgegeben haben, die nicht aus formalen Gründen ausgeschlossen worden sind.


Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen Beschluss

Geschäftszeichen: Verg 2/07

verkündet am: 3. April 2007

In der Beschwerdesache

hat der Vergabesenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Blum, den Richter am Oberlandesgericht Dierks und die Richterin am Oberlandesgericht Wolff auf die mündliche Verhandlung vom 15. März 2007 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 2. Vergabekammer der Freien Hansestadt Bremen vom 9.1.2007 (Az VK 6/06) aufgehoben.

Die Vergabestelle wird verpflichtet, unter Ausschluss der Beigeladenen erneut in das Wertungsverfahren einzutreten.

Die Antragstellerin ist durch das bisherige Vergabeverfahren in ihren Rechten verletzt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragstellerin; die Beigeladene trägt jedoch ihre Kosten selbst.

Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten war für die Antragstellerin im Verfahren vor der Vergabekammer notwendig.

Der Beschwerdewert wird auf EUR 440.582,83 festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um die Rechtmäßigkeit des Verfahrens zur Vergabe der Leistungen Stahl- und Metallbauarbeiten für die Baumaßnahme Klimahaus 8°Ost in B. .

Die Antragsgegnerin - als Vergabestelle - hatte diese Arbeiten am 4.1.2006 europaweit im nichtoffenen Verfahren ausgeschrieben (Anlage A1 zum Nachprüfungsantrag, im Folgenden: NPA). Vertreterin der Vergabestelle war danach die S. (S. W. gesellschaft B. mbH). Als Schlusstermin für den Eingang der Teilnahmeanträge war der 30.1.2006 angegeben. 14 von 21 Bewerbern wurden zur Abgabe eines Angebots aufgefordert (Anlage A2 z. NPA).

Die Antragstellerin gab ein Angebot ab.

Die Beigeladene bewarb sich mit Schreiben vom 4./16.5.2006. Ihr wurde wegen der Versäumung des Schlusstermins eine Absage erteilt.

Die insgesamt sieben abgegebenen Angebote lagen so erheblich über den geschätzten Kosten (Abweichung um EUR 3.513.882,39) und vorhandenen Finanzmitteln, dass die Ausschreibung aufgehoben und den Bietern mitgeteilt wurde, dass ein Verhandlungsverfahren beabsichtigt sei.

Alle geeigneten Bewerber und Bieter aus dem vorangegangenen Verfahren einschließlich der Beigeladenen sowie weitere Unternehmer wurden mit Schreiben vom 28.8.2006 aufgefordert, sich am Verhandlungsverfahren zu beteiligen (Anlage A 5 z. NPA).

Die Antragstellerin gab mit Schreiben vom 29.9.2006 ein Angebot für Los 1 (Stahlbauarbeiten) ab (Anlage A 7 z. NPA), die Beigeladene gab mit Datum vom 3.10.2006 für Los 1 und für Los 2 (Metallbau-Fassadenarbeiten) ein Hauptangebot und 2 Nebenangebote ab.

Am 4.10.2006 wurden die Angebote eröffnet (Anlage A 12 z. NPA), es folgten Bietergespräche. Mit Schreiben vom 9.11.2006 an alle Bieter (Anlage A 13 z. NPA) teilte die Antragsgegnerin u.a. mit, dass als Auswahlkriterium für die Auswahlentscheidung der Preis heranzuziehen sei. Die Bieter erhielten Gelegenheit, ihre Angebote zu ändern oder zu ergänzen. Die Antragstellerin legte mit Schreiben vom 14.11.2006 ein neues Angebot vor (Anlage A 15 z. NPA).

Mit Schreiben vom 16.11.2006 teilte die Vergabestelle mit, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag für das Los 1 an die Beigeladene und für das Los 2 an eine Dritte zu erteilen (Anlage A 17 z. NPA). Der Antragstellerin wurde mitgeteilt, dass der Zuschlag auf ihr Angebot nicht erteilt werden könne, weil es ein wirtschaftlicheres Nebenangebot gäbe. Die Angebotssumme der Antragstellerin läge bei EUR 7.596.255,75, die der Beigeladenen bei EUR 7.381.919,19 (Schreiben vom. 21.11.2006, Anlage A 16 z. NPA). Unter dem 17.11.2006 wurde ein Vergabevermerk gefertigt (Bl. 50 - 60 d.A.).

Die Antragstellerin rügte mit Schreiben vom 17., 22. und 29.11.2006 die beabsichtigte Vergabe und beantragte mit Schreiben vom 29.11.2006 bei der Vergabekammer die Nachprüfung gemäß § 107 GWB.

Die Vergabekammer hat mit Beschluss v. 9.1.2007 den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen und dazu hinsichtlich der jetzt noch streitigen Fragen ausgeführt:

Die Antragstellerin sei mit der Rüge der Beteiligung der Beigeladenen ausgeschlossen, weil sie deren Beteiligung aus den Submissionsergebnissen habe erkennen können (Anlagen A 3 und A 12 zum Nachprüfungsantrag).

Im Übrigen sei die Rüge unbegründet, weil im Verhandlungsverfahren auch neue Bieter berücksichtigt werden konnten (Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, 2. Aufl., § 3 a VOB/A, Rdnr. 56; Ingenstau/Korbion 15. Aufl. § 3a VOB/A Rdnr. 25).

Die Rüge des fehlenden Nachweises der Gleichwertigkeit des Nebenangebots sei unbegründet. Gleichwertigkeit sei in erster Linie an dem in der Leistungsbeschreibung zum Ausdruck kommenden Willen der Vergabestelle zu messen und liege vor, wenn die Ausführung mit dem geforderten Schutzniveau in Bezug auf Sicherheit, Gesundheit und Gebrauchstauglichkeit gleichwertig sei und Vergabestelle funktional das gleiche Ergebnis wie mit der ausgeschriebenen Leistung erhalte (BayObLG v. 21.11.2001 - Verg 17/01, VergabeR 2002, 286 ff.)

Der Nachweis der Gleichwertigkeit und deren Prüfung sei zwar nicht gesondert dokumentiert worden, ergebe sich jedoch aus dem Bietererklärungsgespräch und den Gesprächen zwischen der Vergabestelle und der Beigeladenen am 24.10.2006 und 7.11.2006, sowie dem Vergabevermerk vom 17.11.2006 (unter 4.). Zweifel an der Gleichwertigkeit in dem o.g. Sinne ergäben sich danach nicht.

Die Rüge hinsichtlich der Veränderung der Verdingungsunterlagen betreffend die Kräne sei unbegründet, weil auch die Antragstellerin im Bietererklärungsgespräch darauf hingewiesen worden sei, dass der Antragsgegnerin Angebote wegen der Kräne vorlägen, die günstiger als die der Antragstellerin seien. Es hätte an dieser gelegen, ihr Angebot zu überarbeiten und von der Anmietung der Kräne Abstand zu nehmen und dies der Antragsgegnerin zu überlassen.

Auch die Möglichkeit der Reduzierung der Stahlmengen sei in diesem Gespräch besprochen worden, die Antragstellerin habe sich jedoch nicht in der Lage gesehen, dieser Möglichkeit näher zu treten.

Die Antragstellerin macht mit ihrer sofortigen Beschwerde geltend:

Die Antragsgegnerin habe hinsichtlich der Gestellung von Baukränen entweder einseitig gegenüber der Beigeladenen die Verdingungsunterlagen geändert bzw. beabsichtige, mit deren Nebenangebot ein Angebot anzunehmen, das eine unzulässige Änderung der Verdingungsunterlagen enthalte.

Die Antragsgegnerin sei ihrer - auch im Verhandlungsverfahren bestehenden - Dokumentationspflicht gemäß § 30 VOB/A mit dem Vergabevermerk vom 17.11.2006 nicht nachgekommen.

Es ergebe sich aus dem Vergabevermerk nicht die Prüfung der Vollständigkeit des Nebenangebots der Beigeladenen; die Gleichwertigkeit habe nach dem Leistungsverzeichnis durch Detailzeichnungen, Muster und System-Prüfzeugnisse nachgewiesen werden sollen. Das Vorliegen derartiger Nachweise sei nicht dokumentiert.

Es sei nach dem Vergabevermerk unklar, ob die Beigeladene überhaupt ein Hauptangebot abgegeben habe.

Die Prüfung des Nebenangebots hinsichtlich der Mindestanforderungen und der Gleichwertigkeit (betreffend jedenfalls die Vorgaben der Statik, des Wärmeschutznachweises und des Brandschutzes) sei nicht dokumentiert.

Damit hat nach Auffassung der Antragstellerin die Antragsgegnerin das Nebenangebot der Beigeladenen nicht hinreichend gemäß §§ 21 Nr.2, 25 Nr.5 VOB/A gewertet.

Das Nebenangebot der Beigeladenen habe gar nicht gewertet werden dürfen.

Es habe für Nebenangebote allgemeine Voraussetzungen, konkrete Mindestvoraussetzungen und auf Grund des Leistungsverzeichnisses die Vorgabe eines Gleichwertigkeitsnachweises durch Vorlage von Unterlagen etc. gegeben.

Die Reduzierung der Stahlmengen durch die Beigeladene habe zwangsläufig Änderungen in der Statik zur Folge gehabt, weshalb die Mindestvorgabe "gemäß Statik" nicht mehr vorgelegen haben könne. Es sei nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin sich mit der 562 Seiten umfassenden Statik der Ausschreibung bzw. der 3282 Seiten umfassenden Komplettstatik befasst habe. Sie habe sich lediglich mit der "plausiblen" Erklärung der Beigeladenen befasst und letztlich lediglich den Fall der statischen Nichtdurchführbarkeit in die Risikosphäre der Beigeladenen gelegt. Eine Machbarkeitsdarstellung bzw. -berechnung existiere nicht.

Auch die Prüfung weiterer Mindestanforderungen (Wärmeschutznachweis bzw. Brandschutz) sei ebenso wenig erfolgt wie die der Gleichwertigkeit mit der Ausschreibung.

Die Beigeladene habe am Verhandlungsverfahren gar nicht beteiligt werden dürfen, weil sie im aufgehobenen nichtoffenen Verfahren wegen Verspätung ihres Angebots ausgeschlossen worden sei. Mit diesem Einwand sei die Antragstellerin auch nicht ausgeschlossen, weil sie nicht habe erkennen können, dass die Beigeladene nicht - etwa als Nachunternehmerin - an dem vorangegangenen Verfahren beteiligt gewesen sei.

Tatsächlich habe die Antragsgegnerin nur die gewerteten Bieter des vorangegangenen Verfahrens beteiligen dürfen.

Die Antragstellerin beantragt,

1.) den Beschluss der Vergabekammer der Freien Hansestadt Bremen beim Senator für Bau, Umwelt und Verkehr vom 9.1.2007 - VK 6/06 - aufzuheben,

2.) festzustellen, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist,

3.) die Vergabestelle zu verpflichten, die Vergabeentscheidung aufzuheben und erneut in das Wertungsverfahren einzutreten,

4.) die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten durch die Beschwerdeführerin für notwendig zu erklären und der Beschwerdegegnerin die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen aufzuerlegen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

1.) die Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen,

2.) der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Kosten der Antragsgegnerin aufzuerlegen,

3.) die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragsgegnerin für notwendig zu erklären.

Die Antragsgegnerin erwidert:

Die Rüge gegen die Beteiligung der Beigeladenen sei verspätet. Aus Sicht der Antragstellerin sei klar gewesen, dass diese nicht als Bieterin im ersten Verfahren beteiligt gewesen sei.

Im Übrigen sei diese im ersten Verfahren beteiligt gewesen, allerdings verspätet. Sie sei jedenfalls nicht mangels Eignung ausgeschlossen worden.

Schließlich sei im Verhandlungsverfahren im Anschluss an die Aufhebung eines Verfahrens auch die Beteiligung neuer Bieter zulässig.

Das Angebot der Beigeladenen sei auch zu werten gewesen. In den Bietergesprächen (mit der Antragstellerin am 24.10.06) sei über konkrete Optimierungsmöglichkeiten gesprochen worden.

Die Mindestanforderungen seien von dem Nebenangebot der Beigeladenen auch eingehalten worden. Nach dem Formblatt "EVM Erg EG Neb 243 EG" seien nur die Rahmenbedingungen der Statik einzuhalten gewesen, Identität mit der Ausschreibung könne nicht verlangt werden. Die Einhaltung der Mindestanforderungen seien im Bietergespräch vom 24.10. mit der Beigeladenen besprochen worden. Am Brandschutz sei nichts verändert worden. Wärmeschutz betreffe nur das Los 2.

Auch die gestalterischen, statischen und bauphysikalischen Vorgaben würden eingehalten. Das sei allerdings Betriebsgeheimnis der Beigeladenen. Die Anforderungen aus der Aufforderung zur Angebotsabgabe (= Nebenangebote müssen den Konstruktionsprinzipien und den Planungsvorgaben entsprechen) seien erfüllt; darüber habe die Antragsgegnerin nicht nach "Gutdünken" entschieden, sondern nach pflichtgemäßem Ermessen.

Die Gleichwertigkeit des Nebenangebots der Beigeladenen sei nachgewiesen. Aus dem Text des Leistungsverzeichnisses sei ersichtlich, dass nur bei Änderung des Konstruktionssystems Nachweise zu erbringen waren. Die Beigeladene habe jedoch innerhalb des von der Antragsgegnerin ausgeschriebenen Systems eine Alternative angeboten, für die keine Nachweise erforderlich gewesen wären. Die Beigeladene habe auch das Risiko von Massenmehrungen übernommen.

Die Verdingungsunterlagen seien auch nicht nachträglich geändert worden. Aus dem Bietergespräch am 24.10.2006 habe die Antragstellerin erkennen können, dass auch die Möglichkeit einer Bereitstellung der Kräne durch die Vergabestelle bestanden habe. Ihr sei von der Vergabestelle gesagt worden: "Wir haben ein Angebot für Kräne in Höhe von 20.000,-- im Monat".

Die Beigeladene erwidert:

Sie habe auch im Hinblick auf die Baukräne lediglich ein vom Leistungsverzeichnis abweichendes Nebenangebot abgegeben. In einem solchen Nebenangebot könne von der ausgeschriebenen Leistung abgewichen werden. Im Übrigen könne im Verhandlungsverfahren über die Angebote verhandelt und diese abgeändert werden. Dies dürfe nur nicht dazu führen, dass andere Leistungen beschafft werden als angekündigt.

Im Übrigen mache diese Position lediglich EUR 24.000,-- zum Nachteil der Antragstellerin aus, das Angebot der Beigeladenen sei also immer noch günstiger.

Das Angebot der Beigeladenen sei auch wertbar gewesen. Aufgrund des im ersten Bietergespräch dringend geäußerten Wunsches nach weiteren Kosteneinsparungen habe sie gemeinsam mit dem Prüfstatiker der Antragsgegnerin, Herrn K. , in der Zeit vom 24.10. bis 8.11.2006 eine Alternativplanung entwickelt, die den Einsatz von Fachwerkträgern für die Dachkonstruktion sowie die Optimierung der gesamten Gebäudehülle unter Zugrundelegung der 3-dimensionalen Tragwirkung vorgesehen habe. Sämtliche Ansätze seien im Detail mit dem Prüfstatiker der Antragsgegnerin abgestimmt und erst nach dessen Zustimmung umgesetzt worden. In diese Planungen seien auch letzte geometrische Änderungen der Architekten eingegangen. Die Beigeladene habe eine statische Berechnung vorgelegt, bei der es sich um einen Standsicherheitsnachweis handele. Diese sei mit dem Statiker der Antragsgegnerin eingehend diskutiert und abgestimmt worden.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, die Frist gemäß § 117 Abs.1 S.1 GWB ist eingehalten. Der Beschluss v. 9.1.2007 ist am 11.1.2007 als Einschreiben durch Übergabe zur Post gegeben worden und gilt daher gemäß § 4 Abs.2 S.2 VwZG am 14.1.2007 als zugestellt. Die per Fax am 25.1.2007 eingegangene sofortige Beschwerde ist daher rechtzeitig.

Die Antragstellerin ist auch antragsbefugt, denn nach dem Vergabevermerk vom 17.11.2006 ist sie die Bieterin mit dem zweitgünstigsten Angebot und würde deshalb von einem Ausschluss der Beigeladenen bzw. deren Angeboten begünstigt. Nach dem Vergabevermerk handelt es sich bei dem Angebot der Antragstellerin um ein Hauptangebot.

Die Beschwerde ist auch begründet, denn die Antragsgegnerin verletzt mit dem beabsichtigten Zuschlag die Bestimmungen des Vergabeverfahrens so dass die Antragstellerin in ihren Rechten gemäß § 97 Abs.7 GWB verletzt ist.

Die Antragstellerin ist mit ihrer Rüge, dass die Beigeladene am Verhandlungsverfahren beteiligt worden ist, entgegen der Ansicht der Vergabekammer nicht nach § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB ausgeschlossen. Es war für die Antragstellerin aus dem vorangegangenen Verfahren schon nicht sicher zu erkennen, ob die Beigeladene eventuell bereits im Nichtoffenen Verfahren ein Angebot abgegeben hatte, aber aus formalen Gründen ausgeschlossen worden war. Nach bisheriger Meinung sind aber am Verhandlungsverfahren auch die Bieter zu beteiligen, die im vorangegangenen Verfahren aus anderen Gründen als der fehlenden Eignung ausgeschlossen worden waren (so Müller-Wrede in Ingenstau/Korbion, 15. Aufl., VOB/A, § 3 a Rdnr. 25; Rusam in Heiermann/Riedl/Rusam, 10. Aufl., VOB/A, § 3 a Rdnr. 14 m.w.N.; Külpmann in Kapellmann/Messerschmidt, 1. Aufl.. 2003, VOB/A, § 3 a Rndr. 44; Jasper in Motzke/Pietzcker/Prieß, 2001, VOB/A, § 3 a Rndr. 46). Die Antragstellerin konnte daher nicht allein aus einem Vergleich des Submissionsergebnisses des Nichtoffenen Verfahrens mit dem des Verhandlungsverfahrens darauf schließen, dass die Antragsgegnerin neue Bieter in das Verhandlungsverfahren einbezogen hatte. Dass die sodann von der Antragstellerin eingeschaltete Prozessbevollmächtigte diese Schlussfolgerung gezogen - und sogleich als Rüge vorgebracht - hat, kann der Antragstellerin nicht als vorher bei ihr vorhandenes Wissen zugerechnet werden.

Auch war von der Antragstellerin eine exakte Rechtskenntnis hinsichtlich der Regelungen in der neuen EU-Richtlinie (RL 2004/18/EG) nicht zu erwarten. Voraussetzung für eine Verletzung der Rügeobliegenheit aus § 107 Abs. 3 S. 1 GWB ist nicht nur die Kenntnis der Tatsachen, die einen Verstoß gegen das Vergabeverfahren bedeuten könnten, sondern auch die Kenntnis der rechtlichen Relevanz dieser Tatsachen. An dieser fehlt es auch bei Großunternehmen wie der Antragstellerin insbesondere dann, wenn die Rechtslage - wie hier - schwierig ist (vgl. Immenga/Mestmäcker-Dreher § 107 GWB, 3. Aufl. Rdnr.35/36).

Die Rüge der Beteiligung der Beigeladenen ist zudem berechtigt. Gemäß § 3 a Nr. 5 a VOB/A in der hier anwendbaren Fassung vom 12.09.2002 (wortgleich mit § 3 a Nr. 6 a in der Fassung vom 20.03.2006) hätte die Beigeladene an dem auf das Nichtoffene Verfahren folgenden Verhandlungsverfahren nicht beteiligt werden dürfen, weil die Antragsgegnerin dieses nicht öffentlich bekannt gemacht hat. Allerdings enthält der Wortlaut dieser Vorschrift keine Einschränkung dahingehend, dass "nur" die Bieter des vorangegangenen Verfahrens an dem Verhandlungsverfahren zu beteiligen sind. Die Regelung entspricht insoweit nicht den Anforderungen des Art. 30 (1) 2.UA der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (im Folgenden: VKR). Darin heißt es:

"Die öffentlichen Auftraggeber brauchen keine Bekanntmachung zu veröffentlichen, wenn sie in das betreffende Verhandlungsverfahren alle Bieter und nur die Bieter einbeziehen, die die Kriterien der Artikel 46 bis 52 erfüllen und die im Verlauf des vorangegangenen offenen oder nichtoffenen Verfahrens oder wettbewerblichen Dialogs Angebote eingereicht haben, die den formalen Voraussetzungen für das Vergabeverfahren entsprechen."

Nach dieser Richtlinie dürfen somit in das Verhandlungsverfahren nur Bieter einbezogen werden, die im Erstverfahren weder bei der formalen Prüfung noch in der Eignungsprüfung ausgeschlossen worden sind. Die Einbeziehung weiterer Bieter ist danach unzulässig (vgl. auch Kapellmann/Messerschmidt, 2. Aufl., § 3 a VOB Rdnr. 115).

Diese Richtlinie war bis zum 31. Januar 2006 umzusetzen (Art. 80 (1) VKR). Der deutsche Verordnungsgeber hat die Anforderungen des Art. 30 (1) 2.UA VKR jedoch - auch in der Fassung vom 20.03.2006 - nicht vollständig übernommen. Jedenfalls fehlt die ausdrückliche Anordnung, dass der Kreis der an einem Verhandlungsverfahren ohne vorangegangene öffentliche Bekanntmachung beteiligten Bieter auf die am vorausgegangenen Verfahren bereits beteiligten und die Anforderungen der Artt. 46 bis 52 erfüllenden Bieter zu beschränken ist.

Im Falle nicht rechtzeitiger bzw. nicht hinreichender Umsetzung einer Richtlinie kann sich der Einzelne gegenüber dem Staat unmittelbar auf die Richtlinie berufen, wenn die Bestimmungen inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind (EuGH NJW 1992, S. 165 Rdnr. 11).

In einem Rechtsstreit zwischen Privaten - wie hier - ist zwar eine direkte Anwendung der Richtlinie nicht möglich, jedoch ist es unter Berücksichtigung der Art. 10 und Art. 249 Abs.3 EG-Vertrag Aufgabe der Gerichte, die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das in der Richtlinie vorgesehene Ziel zu erreichen, durch geeignete Maßnahmen zu erfüllen. Deshalb müssen die Gerichte innerstaatliches Recht so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zweckes der Richtlinie auslegen (EuGH EuZW 2004, S. 691, 696 Rdnr. 108 - 113).

Nach dem Gebot der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung inländischen Rechts muss die Vorschrift des § 3 a Nr. 5 a) VOB/A - jedenfalls nach der Umsetzungsfrist - dahingehend ausgelegt werden, dass auch nach deutschem Recht in einem Verhandlungsverfahren im Anschluss an ein vorhergehendes - aufgehobenes - Vergabeverfahren ohne öffentliche Bekanntmachung nur die Bieter einbezogen werden dürfen, die geeignet sind und die in dem vorangegangenen Verfahren Angebote abgegeben haben, die nicht aus formalen Gründen ausgeschlossen worden sind. Diese Auslegung ist nach Ansicht des Senats nach dem Sinn und Zweck der Regelung möglich. Im Unterschied zu § 3 a Nr. 4 a) VOB/A a.F. ist das Verhandlungsverfahren nach § 3 a Nr. 5 a) VOB/A a.F. ohne - erneute - öffentliche Bekanntmachung zulässig. Das gebietet es, an diesem Verfahren auch nur die Bieter des vorangegangenen Verfahrens zu beteiligen, weil die Beteiligung einzelner weiterer Bieter, ohne dass dieser Kreis durch eine (allgemeine) öffentliche Bekanntmachung bestimmt würde, eine erhebliche Missbrauchsgefahr durch das gezielte Aussuchen einzelner Bieter seitens der Auftraggeber begründet. Dies ist gerade bei der etwas freieren Vergabe im Verhandlungsverfahren zu vermeiden.

Nach diesen Grundsätzen war die Beigeladene mit ihren Angeboten vom Verhandlungsverfahren auszuschließen, weil sie in dem vorangegangenen Verfahren ausgeschlossen worden war, da sie - wegen der Versäumung der Bewerbungsfrist - kein formal ordnungsgemäßes Angebot abgegeben hatte.

Die Antragstellerin - als zweitgünstigste Anbieterin - ist deshalb durch die beabsichtigte Vergabe des Auftrags an die Beigeladene in ihren Rechten verletzt.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung von § 91 Abs.1 ZPO. Da die Beigeladene keine Anträge gestellt hat, war sie in entsprechender Anwendung von § 154 Abs.3 VwGO an den Kosten nicht zu beteiligen.

Der Beschwerdewert ergibt sich aus § 50 Abs.2 GKG (Auftragssumme der Antragstellerin EUR 8.811656,67 brutto, davon 5% = EUR 440.582,83).

Ende der Entscheidung

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