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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 09.12.2002
Aktenzeichen: 1 U 35/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823
Zu der Grundaufklärung des Arztes über die Risiken einer Myelografie gehört notwendigerweise der Hinweis auf die Gefahr einer Querschnittslähmung.
Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil

1 U 35/02

Verkündet am 9. Dezember 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 25. November 2002 durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts ####### sowie die Richter am Oberlandesgericht ####### und ####### für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten zu 4 wird das am 24. April 2002 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg teilweise abgeändert und zu Ziff. 1 des Tenors wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten zu 1 und 4 werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 5.010,67 € zu zahlen, der Beklagte zu 1 nebst 4 % Zinsen seit dem 24. März 1998, der Beklagte zu 4 nebst 4 % Zinsen seit dem 25. September 1998. Im Übrigen wird die Klage gegen die Beklagten zu 1, 3 und 4 abgewiesen.

Die weiter gehenden Berufungen der Beklagten zu 1 und 4 werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten zu 1 und 4 als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Wert der Beschwer: 5.010,67 €.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten zu 4 hat Erfolg, soweit es den Zinszeitpunkt betrifft. Im Übrigen sind die Berufungen unbegründet. Im Einzelnen:

I.

Hinsichtlich des den Beklagten zu 4 betreffenden Zinszeitpunktes weist das erstinstanzliche Urteil eine offensichtliche Unrichtigkeit auf, die der Senat auch noch im Berufungsverfahren berichtigen kann (vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 21. Aufl., § 319 Rn. 22). Die Klage ist dem Beklagten zu 4 am 25. September 1998 zugestellt worden (Bl. 164 GA). Das Landgericht hat sich hinsichtlich des Zinstermins ganz offensichtlich nur in der Jahreszahl (1996 statt 1998) geirrt.

II.

Die weiter gehende Berufung des Beklagten zu 4 und die gesamte Berufung des Beklagten zu 1 sind unbegründet:

1. Eine Haftung der Beklagten zu 1 und 4 ergibt sich aus einer nicht ausreichenden Aufklärung des Klägers über die Risiken der Myelographie.

a) Dabei kann dahinstehen, ob überhaupt in hinreichendem Umfang über dasjenige Risiko aufgeklärt wurde, welches sich im vorliegenden Fall verwirklicht hat (Abduzensparese auf Grund eines Liquorverlustes); denn im vorliegenden Fall mangelt es bereits an der erforderlichen Grundaufklärung. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH kommt bei Aufklärungsmängeln ein Haftungswegfall nicht in Betracht, wenn der Patient nicht wenigstens eine Grundaufklärung über Art und Schweregrad des Eingriffs erhalten hat. Diese erforderliche Grundaufklärung ist nur dann erteilt, wenn dem Patienten ein zutreffender Eindruck von der Schwere des Eingriffs und von der Art der Belastungen vermittelt wird, die für seine körperliche Integrität und Lebensführung auf ihn zukommen können, während es nicht erforderlich ist, alle denkbaren Risiken medizinisch exakt zu beschreiben und Details hierzu anzugeben (BGH NJW 1996, 777, 779). Im Falle einer Myelographie gehört zur Grundaufklärung notwendigerweise, dass auch auf die Gefahr einer Querschnittslähmung hingewiesen wird. Denn die Grundaufklärung setzt voraus, dass der Patient auch einen Hinweis auf das schwerste in Betracht kommende Risiko erhalten hat, welches dem Eingriff spezifisch anhaftet (BGH a. a. O.).

Entgegen der Auffassung der Beklagten war der im Aufklärungsmerkblatt enthaltene schlichte Hinweis auf Lähmungen als Folge des Eingriffs - auch im Kontext mit dem Hinweis auf mögliche bleibende Schäden - nicht genügend. Nach der Rechtsprechung des BGH (BGH NJW 1995, 2410, 2411) wird der Arzt mit dem reinen Hinweis auf Lähmungen den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Information des Patienten nämlich dann nicht gerecht, wenn - wie bei Durchführung einer Myelographie - eine Querschnittslähmung zu befürchten ist, und zwar auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass grundsätzlich eine Aufklärung 'im Großen und Ganzen' ausreicht.

Die Haftung wegen Aufklärungsfehlern entfällt auch nicht dadurch, dass einem Patienten in einem ausgehändigten Merkblatt - welches noch dazu (so im vorliegenden Fall) unzureichend ist - die Möglichkeit des Nachfragens zu weiteren Komplikationen, auf die nicht ausdrücklich hingewiesen worden ist, eingeräumt wird. Würde dieses ausreichen, so würde es die Aufklärungspflicht ins Gegenteil verkehren, die eine Informationspflicht des Arztes und keine Nachfragepflicht oder Nachfrageobliegenheit des Patienten ist.

b) Folge der mangelhaften Grundaufklärung ist eine Haftung der Beklagten zu 1 und 4 auch im Falle eines lege artis durchgeführten Eingriffs, wenn nur ein Gesundheitsschaden auf eben diesem Eingriff beruht. Daran bestehen aber nach den Ausführungen des Sachverständigen ####### keine Zweifel, denn dieser hat sich in seinem Gutachten vom 2. Mai 2000 ausdrücklich der Meinung der behandelnden Neurologen angeschlossen, wonach die Abduzensparese des Klägers eine Folge der Myelographie ist.

c) Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich aus der Entscheidung BGH NJW 2000, 1784, nichts Abweichendes. Dort hat der BGH zwar ausgeführt, wenn sich gerade das aufklärungspflichtige und auch tatsächlich aufgeklärte Risiko verwirklicht habe, spiele es keine Rolle, ob bei der Aufklärung andere Risiken der Erwähnung bedurft hätten. Dass der 6. Senat des BGH mit dieser Entscheidung aber eine Abkehr von seiner Rechtsprechung zur Grundaufklärung hätte vollziehen wollen, ist in keiner Weise ersichtlich. In jenem Fall hatte ein Kind einen Impfschaden in Form einer Kinderlähmung erlitten. Die Mutter des Kindes war über die Gefahr von Lähmungen aufgeklärt worden, nicht hingegen über die Gefahr von anderen Risiken wie Meningo-Encephalitis und Krampfanfälle. Dies ist indes kein Problem der Grundaufklärung, sondern eine Frage der Aufklärung über mehrere nebeneinander bestehende Risiken. Dafür, dass der BGH an seiner Rechtsprechung zur Grundaufklärung festhält, spricht auch sein späteres Urteil vom 30. Januar 2001 (MedR 2001, 421).

d) Dass der Kläger nach seinem eigenen Vortrag das Merkblatt ungelesen unterschrieben hat, führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn die von den Beklagten zitierte Entscheidung des OLG Hamm vom 10. Oktober 1994 (AHRS II 1025/101) ist - wie die Beklagten selbst zutreffend anmerken - dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. In jenem Fall lag ein Merkblatt vor, welches die Risiken des Eingriffs (Augenoperation) hinreichend beschrieb, was vorliegend - wie ausgeführt - gerade nicht der Fall ist.

e) Es unterliegt auch keinem Zweifel, dass der Kläger sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte. Sein diesbezüglicher Vortrag und die entsprechenden Ausführungen des Landgerichts werden mit der Berufungsbegründung auch nicht angegriffen.

2. Die Berufung des Beklagten zu 4 hat auch nicht etwa deshalb Erfolg, weil das Landgericht dem Kläger mehr zuerkannt hätte als beantragt. Zwar nimmt das Protokoll vom 13. März 2002 tatsächlich nur Bezug auf die klägerischen Anträge aus der Klagschrift, die zunächst nur den Beklagten zu 1 betraf. Dass sich die in der mündlichen Verhandlung gestellten Anträge gegen alle zum Zeitpunkt der Antragstellung noch am Rechtsstreit beteiligten Beklagten richten sollten, ergibt sich aber schon aus dem Protokoll vom 13. März 2002. Dort hat nämlich das Landgericht festgehalten, es sei Abweisung der Klage 'gegen die Beklagten' beantragt worden. Die unbeanstandete Verwendung des Plurals führt notwendigerweise zu der Auslegung, dass alle Verfahrensbeteiligten davon ausgingen, der klägerische Antrag solle sich auf alle noch am Verfahren beteiligten Beklagten beziehen.

3. Das angefochtene Urteil begegnet auch hinsichtlich der Höhe der zuerkannten Forderungen keinen Bedenken.

a) Nach den mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2002 vorgelegten ärztlichen Attesten ist das zuerkannte Schmerzensgeld von 8.000 DM angemessen. Ausweislich des Attestes vom 19. September 2000 musste der Kläger sich wegen der Abduzensparese am linken Auge zumindest bis Oktober 1996 in 14tägigen Abständen augenärztlichen Kontrollen unterziehen. Diese Kontrollen waren auch später noch erforderlich, wenn auch in größeren Abständen. Die Abduzensparese bildete sich nur allmählich zurück, noch am 8. Oktober 1998 war eine Funktionseinschränkung nachweisbar.

Ausweislich des Attestes vom 4. Oktober 2002, das nicht nur abstrakt die möglichen Folgen einer Abduzensparese, sondern ganz konkret die Beeinträchtigungen des Klägers beschreibt, litt dieser aufgrund der Abduzensparese unter dem Sehen von Doppelbildern. Die Behandlung erfolgte mit Prismenfolien auf dem linken Brillenglas, was uneingeschränktes beidäugiges Sehen nicht ermöglichte. Trotz der Prismenfolie waren zumindest beim Blick nach links weiterhin störende Doppelbilder vorhanden. Das Sehen von Doppelbildern wurde - wenn auch nur bei extremem Blick nach links - noch bei einer Untersuchung am 4. April 1997 festgestellt.

Durch diese Beeinträchtigungen waren dem Kläger, wie dieser auch bei seiner Anhörung durch den Senat glaubhaft erklärt hat, über einen längeren Zeitraum viele Verrichtungen des täglichen Lebens wie etwa das Besteigen einer Leiter, die Zubereitung von Mahlzeiten, das Führen eines Kraftfahrzeuges usw. nicht möglich.

Diese Beeinträchtigungen rechtfertigen nach Überzeugung des Senats im Hinblick auf ähnliche in der Rechtsprechung entschiedene Fälle (vgl. Schmerzensgeldtabelle Hacks, 20. Auflage, lfd. Nrn. 1018 und 1054, wo in etwas länger zurückliegenden Entscheidungen jeweils ein Schmerzensgeld von 6.000 DM zugesprochen wurde) ein Schmerzensgeld von 8.000 DM.

b) Dem Kläger sind auch die geltend gemachten Kosten für eine Haushaltshilfe zu Recht zugesprochen worden. Aus den vorgelegten ärztlichen Attesten und der persönlichen Anhörung des Klägers ergibt sich - wie ausgeführt -, dass der Kläger über einen langen Zeitraum bei der Ausführung der Verrichtungen des täglichen Lebens, mithin also auch bei Haushaltstätigkeiten, auf fremde Hilfe angewiesen war. Ein Betrag von 1.800 DM insgeamt hierfür erscheint nicht überhöht und ist nachvollziehbar, und zwar auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers nach und nach gebessert hat. Im Bereich der hier in Frage stehenden haftungsausfüllenden Kausalität kann das Gericht die Höhe eines Schadens unter Würdigung aller Umstände schätzen (§ 287 ZPO).

III.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1 , 100 Abs.4 ZPO (Kosten des Berufungsverfahrens) und 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO (vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils).

IV.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die rechtlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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