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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 18.02.2002
Aktenzeichen: 1 U 46/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823
Zu den Anforderungen der medizinischen Dokumentation des Behandlungsgeschehens bei der Infektion eines Fingers.
Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil

1 U 46/01

Verkündet am

18. Februar 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 7. Februar 2002 durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts ####### sowie die Richter am Oberlandesgericht ####### und ####### für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 26. Juli 2001 verkündete Urteil der 19. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leisten.

Den Parteien bleibt nachgelassen, die Sicherheit auch durch ein europäisches Geldinstitut, welches einem anerkannten Einlagensicherungsfonds angehört, zu erbringen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Wert der Beschwer der Klägerin: 36.000 Euro.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von den Beklagten Schadensersatz wegen der angeblich fehlerhaften Behandlung einer Infektion am Mittelfinger ihrer linken Hand.

Am 29. Juli 1996 gegen 05:45 Uhr morgens suchte die Klägerin die Notaufnahme des ####### in ####### wegen einer Infektion am linken Mittelfinger auf. In der Nacht hatte sie sich eine Blase am Mittelfinger aufgestochen, im Anschluss daran traten erhebliche Schmerzen auf. Der Beklagte zu 3 - Dienst habender Arzt in der Abteilung des Beklagten zu 2 - stellte eine druckschmerzhafte, gerötete Schwellung sowie eine beginnende Lymphangitis an der linken Hand fest. Wegen des zusätzlichen Verdachts auf eine Fingerfraktur veranlasste er eine Röntgenaufnahme, die nach seiner Auffassung den Frakturverdacht bestätigte, was aber unstreitig falsch war. Der Beklagte zu 3 ließ den Finger unter Einschluss des zweiten Fingers auf einer Unterarmgipsschiene ruhig stellen und leitete unter stationärer Aufnahme der Klägerin eine antibiotische Behandlung mit Gramaxin und eine Schmerzbehandlung mit Tramal ein.

Da sich der Zustand des Fingers verschlechterte, wurde am 2. Juli 1996 eine Incision zwecks Ausräumung des Infektherdes durchgeführt. Auch danach blieb eine Besserung aus, sodass die Klägerin am 3. Juli 1996 auf die handchirurgische Abteilung des Krankenhauses des Beklagten zu 1 verlegt und dort von der Handchirurgin ####### weiterbehandelt wurde. Nach deren Aufnahmebefund war der linke Mittelfinger massiv gerötet und geschwollen mit einer blasigen Abhebung im Bereich des gesamten Fingers und einer Nekrose mit einem Ausmaß von 1,5 x 1,5 cm an der Radialseite des Mittelgliedes (Bl. 154 GA). Die antibiotische Behandlung wurde - wegen des Verdachts einer Infektion mit anaeroben Bakterien - auf Zinacef und Metronidazol umgestellt, woraufhin der Infekt ausheilte. Wegen der gleichwohl verbliebenen Beeinträchtigungen begehrt die Klägerin Schadensersatz.

Die Klägerin hat den Beklagten mehrere Behandlungsfehler vorgeworfen:

Fehlerhaft sei die Diagnose einer Fraktur gewesen. Entsprechendes gelte für die Auswahl der Antibiotika, denn von vornherein hätte sich der Verdacht auf einen Befall mit anaeroben Bakterien aufdrängen müssen. Am 29. und 30. Juni seien weder Verbandswechsel noch Abstriche durchgeführt worden, obwohl dies erforderlich gewesen wäre. Indiz für das Unterbleiben dieser Maßnahmen sei, dass sie nicht von den Beklagten abgerechnet worden seien und dass auch die vorliegenden Abrechnungen des Landesgesundheitsamtes für Abstrich-Untersuchungen sich nicht auf eine Entnahme vom 30. Juni 1996 bezögen. Fehlerhaft sei schließlich gewesen, die Operation am 2. Juli in Blutsperre durchzuführen.

Die Klägerin hat behauptet, bei ordnungsgemäßer Behandlung wäre ihre Infektion folgenlos verheilt. Die den Beklagten anzulastenden Behandlungsfehler seien grob, was eine Umkehr der Beweislast für die Kausalität zur Folge habe. Als Folge der fehlerhaften ärztlichen Behandlung sei die Beweglichkeit des dritten und vierten Fingers der linken Hand stark eingeschränkt. Das Empfindungsvermögen sei insgesamt gestört. Zwei Operationen seien am 9. Juli 1996 und 16. April 1997 zur Deckung des Nekrosedefektes (unstreitig) durchgeführt worden. Es seien erhebliche Narben verblieben. Es sei nicht abzusehen, welche materiellen und immateriellen Schäden zukünftig entstünden. Insbesondere drohe ihr als Lehrerin für Sport und Werken die Gefahr des zukünftigen Berufsverlustes.

Die Beklagten haben Behandlungsfehler in Abrede gestellt. Der - unzutreffende - Verdacht einer Fraktur sei ohne Folgen geblieben, da auch bei einer reinen Entzündung die Hand mittels Gipsschiene ruhig gestellt worden wäre. Die antibiotische Behandlung sei korrekt gewesen, sie habe sich an der vorgefundenen Lymphangitis orientiert. Der Befall mit anaeroben Bakterien sei - was unstreitig ist - nicht sicher erwiesen. Am 29. Juni sei ein Abstrich nicht möglich gewesen, weil kein Sekret vorgefunden worden sei, wohl aber am 30. Juni. Ferner seien am 29. Juni und 30. Juni Verbandswechsel durchgeführt worden. Die Abrechnung des Abstrichs vom 30. Juni finde sich in der Rechnung der Beklagten zu 1 unter der Position 'Probeexzension aus oberflächlichem Körpergewebe'. Die Durchführung der Operation in Blutsperre sei lege artis gewesen. Die behaupteten Schäden würden bestritten.

Das Landgericht hat die Akten des vorgerichtlichen Schlichtungsverfahrens beigezogen. Weiter hat es Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Arztes ####### und durch Anhörung des Sachverständigen sowie durch Vernehmung der Zeugen #######, #######, ####### und #######. Es hat die Klage abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist es davon ausgegangen, dass am 29. und 30. Juni 1996 Verbandswechsel durchgeführt wurden und dass auch am 30. Juni ein Abstrich entnommen worden ist. Die Entnahme eines Abstrichs bereits am 29. Juni 1996 hat das Landgericht nicht für notwendig gehalten. Die eingeleitete Antibiotikatherapie hat es für richtig befunden. Den Verdacht auf eine Fraktur und die entsprechende Behandlung hat es für folgenlos erachtet, weil auch bei einer Infektion eine Gipsschiene hätte angelegt werden müssen. Auch hätten die behandelnden Ärzte nicht früher den Verdacht auf eine Infektion mit anaeroben Bakterien haben müssen, zumal ein Befall mit anaeroben Bakterien überhaupt nicht bewiesen sei. Schließlich sei es auch nicht fehlerhaft gewesen, die Operation am 2. Juli 1996 in Blutsperre durchzuführen.

Mit ihrer Berufung rügt die Klägerin eine fehlerhafte Beweiswürdigung des Landgerichts und eine Verkennung der Beweislast für die Durchführung der einzelnen Heilbehandlungsmaßnahmen. Sie behauptet, weder am 29. noch am 30. Juni 1996 seien Verbandswechsel und Abstriche durchgeführt worden. Etwas anderes sei auch durch die Zeugenaussagen nicht bewiesen. Gegen eine Durchführung dieser Maßnahmen spreche auch deren fehlende Abrechnung durch die Beklagten und das Landesgesundheitsamt. Die Klägerin rügt, insoweit habe das Landgericht dem Sachverständigen für die Erstattung seines Gutachtens falsche Vorgaben gemacht. Darüber hinaus sei auch die Dokumentation der Beklagten mangelhaft, sodass diese zu beweisen hätten, dass die behaupteten Behandlungsmaßnahmen tatsächlich durchgeführt worden seien. Bei rechtzeitig vorgenommenem Abstrich hätte der zutreffende Befund früher festgestellt werden und eine zielgerichtete Behandlung früher einsetzen können. Andauernde Krankheitsfolgen wären dann nicht aufgetreten. Ohnehin sei der Infektionsherd zu spät ausgeräumt worden. Ausweislich der vom Sachverständigen genannten Kriterien für eine Infektionsbehandlung sei die frühzeitige vollständige Ausräumung des Infektionsherdes erforderlich. Diese Ausräumung solle spätestens 'nach einer gestörten Nachtruhe' folgen. In ihrem Falle sei der - unstreitig am 2. Juli 1996 vorgenommene - operative Eingriff mithin verspätet gewesen.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils

1. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 30.677,51 Euro nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche materiellen Schäden zu ersetzen, die Folge der in dem Zeitraum zwischen dem 29. Juni und 3. Juli 1996 in der Unfallchirurgischen Klinik des ####### ####### unterlaufenen Behandlungsfehler sind, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergehen, und

3. für den Fall einer Maßnahme nach § 711 ZPO anzuordnen, dass die Sicherheitsleistung auch durch eine schriftliche, unbefristete, unwiderrufliche, unbedingte und selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, Volksbank, öffentlichen Sparkasse oder Bank, die einem anerkannten Einlagensicherungsfonds angehört, geleistet werden darf.

Die Beklagten beantragen,

1. die Berufung zurückzuweisen und

2. im Falle der Revisibilität eines Berufungsurteils außerdem anzuordnen, dass eine zur Ermöglichung oder zur Abwendung der Zwangsvollstreckung erforderliche Sicherheit auch durch Stellung einer unbedingten, unbefristeten, unwiderruflichen, selbstschuldnerischen Bürgschaft einer europäischen Großbank, Volksbank oder öffentlichen Sparkasse bewirkt werden kann.

Die Beklagten verteidigen das erstinstanzliche Urteil. Sie meinen, die Klägerin habe zu beweisen, dass die streitigen Behandlungsmaßnahmen nicht vorgenommen worden seien. Diesen Beweis habe sie nicht geführt. Beweiserleichterungen wegen unzureichender Dokumentation kämen der Klägerin nicht zugute. Denn diese rüge nicht, dass die Dokumentation lückenhaft sei, sondern vielmehr eine Fälschung der Dokumentation. Es gebe auch keine Indizien, welche eine andere Beurteilung zuließen. Der für den 30. Juni 1996 dokumentierte Abstrich sowie das Öffnen der Spannungsblase seien entgegen der Auffassung der Klägerin unter der Position 'Probeexzision aus oberflächlichem Körpergewebe' abgerechnet worden. Das Krankenblatt (Bl. 111 GA) enthalte Aufzeichnungen erst ab dem 1. Juli 1996, weil es ausschließlich die vom Beklagten zu 2 erbrachten ärztlichen Leistungen dokumentiere, die erst an diesem Tag begonnen hätten. Die Richtigkeit ihrer Dokumentation ergebe sich aus der Vernehmung der Zeugen ####### und #######. Auch spreche das Schreiben des ####### Landesgesundheitsamtes ####### vom 1. September 1996 für einen Abstrich vom 30. Juni 1996, denn es beziehe sich ausdrücklich hierauf.

Die Einwendungen der Klägerin gegen das Sachverständigengutachten seien nicht durchgreifend. Die Voraussetzungen für die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens lägen daher nicht vor.

Wegen des Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat keinen Erfolg. Die Klägerin hat keine Behandlungsfehler - insbesondere nicht das Unterbleiben gebotener Behandlungsmaßnahmen - bewiesen. Beweiserleichterungen kommen ihr insoweit nicht zugute. Im Einzelnen:

1. Weder in der - objektiv unzutreffenden - Verdachtsdiagnose einer Fraktur noch in der Auswahl der verabreichten Antibiotika sowie der Durchführung der Operation in Blutsperre liegt ein Behandlungsfehler. Zu diesem in 1. Instanz - jedoch nicht mehr ausdrücklich im Berufungsverfahren - als fehlerhaft gerügten Behandlungsgeschehen gilt Folgendes:

Die Verdachtsdiagnose einer Fraktur kann schon deshalb keinerlei Schadensersatzansprüche der Klägerin begründen, weil sie im Bezug auf die (richtige) Behandlung der Infektion folgenlos blieb, außerdem liegt darin kein Behandlungsfehler. Der Sachverständige ####### hat hierzu in seinem Gutachten vom 1. September 2000 ausgeführt, manchmal könnten Gefäßkanäle, wenn sie autograph-radiologisch getroffen seien, eine Fissur in einem Knochen vortäuschen. Daraus, dass sich diese Fraktur später nicht bestätigt habe, könne man keinen Behandlungsfehler ableiten, zumal sich die aus dem Frakturverdacht ergebende Ruhigstellung des Fingers gleichzeitig als eine notwendige Behandlung für den infizierten Finger darstelle (Sachverständigengutachten S. 12).

Die Auswahl des Antibiotikums war ebenfalls nicht fehlerhaft. Bis heute ist (unstreitig) nicht geklärt, ob und ggf. durch welche Bakterien die Infektion überhaupt verursacht wurde. Die anfängliche Gabe eines Breitbandantibiotikums war daher durchaus lege artis. Der Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten erläutert, nach Gabe eines Breitbandantibiotikums müsse man zunächst einmal abwarten. Ein sofortiger Wechsel eines Antibiotikums am nächstfolgenden Tage, falls noch keine Besserung ersichtlich sei und ein negativer Keimnachweis vorliege, sei nicht ratsam, da man durch den schnellen Wechsel eines Antibiotikums Resistenzen züchten könne. Da letztlich unklar sei, ob eine Anaerobierinfektion überhaupt bestanden habe, weil letztlich keine Bakterien nachgewiesen werden konnten, sei die Frage nach der Gabe des Antibiotikums letztendlich irrelevant (Sachverständigengutachten vom 1. Dezember 2000, S. 13, 14).

Schließlich war auch die Durchführung der Operation in Blutsperre fehlerfrei. ####### hat hierzu erläutert, grundsätzlich sei eine Operation in Blutleere ohne Auswickeln des Armes korrekt, um nicht die Bakterien in das Blutgefäßsystem hineinzudrücken. Eine Thrombose der Fingerarterie entstehe nicht durch eine Blutsperre, sondern sei Folge der Entzündung, die auch das Gefäßsystem betreffe (Sachverständigengutachten vom 1. Dezember 2000, S. 14, 15).

2. Die Klägerin hat auch nicht bewiesen, dass am 29. und 30. Juni 1996 erforderliche Verbandswechsel und Abstrichentnahmen unterblieben sind.

a) Insoweit liegt die Beweislast bei ihr. Grundsätzlich ist ein Patient darlegungs- und beweispflichtig für sämtliche anspruchsbegründenden Merkmale, also auch für das Unterlassen notwendiger Behandlungsmaßnahmen. Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr können dem Patienten indes zugute kommen, wenn Dokumentationsversäumnisse der Behandlungsseite vorliegen. Die unterbliebene Dokumentation einer aufzeichnungspflichtigen Behandlungsmaßnahme indiziert deren Unterbleiben (vgl. Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 8. Aufl., Rdn. 465). Im vorliegenden Fall rügt die Klägerin zwar eine mangelhafte Dokumentation. Nach feststehender Rechtsprechung sind an den Umfang einer medizinischen Dokumentation aber maßvolle Anforderungen zu stellen: Es genügt eine Aufzeichnung in Stichworten, (nur) die wichtigsten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen und Verlaufsdaten sind zu dokumentieren, Details sind nur anzugeben, wenn anders die Angaben für den Fachmann nicht hinreichend klar sind (Steffen/Dressler a. a. O., Rdn. 458, 459, 460). Der Senat vermag nach diesen Grundsätzen gravierende Dokumentationslücken nicht zu erkennen. Im Kurvenblatt (Bl. 55 d. A.) ist für den 29. Juni 1996 vermerkt: 'Abstrich nicht möglich.' Für den 30. Juni 1996 heißt es darin: 'Spannungsblase eröffnet. Abstrich'. Entsprechend ist im Pflegebericht (Bl. 52 d. A.) niedergelegt für den 29. Juni 1996 'Abstrich war nicht möglich' und für den 30. Juni 1996 'Spannungsblasen wurden vom Dr. eröffnet.' Darüber hinaus ist für beide Tage im Kurvenblatt (Bl. 55 d. A.) der unter 'tägl. Verordnungen' enthaltene Eintrag '1 x Chinosol abends anfeuchten', was nach Angaben der als Zeugin gehörten Krankenschwester ####### bedeutet, dass der Verband morgens anzulegen und abends anzufeuchten ist (Bl. 158 d. A.), abgehakt. Weiter heißt es bei den ärztlichen Kurznotizen auf dem Kurvenblatt: 'Abstrich 29.6. Æ 30.6.'. Damit ist die Dokumentation sowohl hinsichtlich der Entnahme eines Abstrichs am 30.6. als auch hinsichtlich der streitigen Verbandswechsel am 29.6. und 30.6. hinreichend aussagekräftig.

Dass die beiden Verbandswechsel und der Abstrich (möglicherweise) nicht abgerechnet wurden, führt nicht zur Lückenhaftigkeit der Dokumentation und ist erst recht nicht beweisend für das Unterlassen gebotener Verbandswechsel und Abstriche. Die Rechnung als solche gehört nicht zur ärztlichen Dokumentation. Dasselbe gilt für die Tatsache, dass das ####### Landesgesundheitsamt nur den am 3. Juli 1996 eingegangenen unstreitigen Abstrich vom 2. Juli 1996 abgerechnet hat. Immerhin liegt ein Untersuchungsbefund des Landesgesundheitsamtes vor, der sich ausdrücklich auf eine Entnahme vom 30. Juni 1996 bezieht (Bl. 150 GA). Dass das Krankenblatt (Bl. 111 d. A.) erst Behandlungsmaßnahmen ab dem 1. Juli 1996 aufweist, ist un-schädlich, denn in den anderen oben näher bezeichneten Krankenunterlagen ist das gesamte Behandlungsgeschehen ab dem 29. Juni aufgezeichnet, wenngleich zum Teil nur durch medizinische Hilfskräfte und nicht durch Ärzte, was indessen un-schädlich ist. Es muss daher im vorliegenden Fall bei dem Grundsatz bleiben, dass der Patient das Unterbleiben erforderlicher ärztlicher Behandlungsmaßnahmen zu beweisen hat. Die von der Klägerin in erster Instanz genannte Rechtsprechung (OLG Köln, NJW-RR 1995, 346) führt zu keiner anderen Beurteilung. Sie betrifft einen dem vorliegenden Fall nicht vergleichbaren Sachverhalt. In jenem Fall hatte ein Zahnarzt entgegen der medizinischen Notwendigkeit es unterlassen, den ordnungsgemäßen Sitz eingefügter Implantate röntgenologisch zu kontrollieren und das Ergebnis zu dokumentieren.

b) Die Klägerin hat den ihr obliegenden Beweis nicht geführt.

Der Ehemann der Klägerin hat zu den Tagen 29. und 30. Juni keine konkreten Angaben gemacht. Er hat lediglich bekundet, die Klägerin habe ihm berichtet, sie habe Schmerzen, aber es werde nichts getan.

Der Zeuge ####### hatte zwar an das konkrete Geschehen keine Erinnerung, er hat aber bestätigt, dass im Kurvenblatt unter dem 30. Juni der Eintrag 'Spannungsblase eröffnet' mit seinem Namenskürzel versehen sei. Er würde die Eintragung so deuten, dass das Eröffnen der Spannungsblase möglicherweise durch das Aufmachen des Verbandes geschehen und danach ein Abstrich entnommen worden sei. Normalerweise würde der Eintrag mit seinem Namenskürzel bedeuten, dass er von diesen Maßnahmen gewusst habe, eher aber, dass er sie selbst durchgeführt habe. Er halte es für ausgeschlossen, dass er einen Abstrich genommen habe, ohne den Verband zu öffnen. Die Zeugin ####### hat - wie bereits erwähnt - bekundet, den ihr gezeigten Behandlungsunterlagen entnehme sie, dass einmal eingetragen worden sei 'Chinosol'. Dies bedeute, morgens den Verband anlegen und abends anfeuchten. Das sei von ihr auch unter dem Datum 29. und 30. abgehakt worden, was heiße, dass das auch so durchgeführt worden sei. Berücksichtigt man neben diesen Zeugenaussagen, dass ein Befundbericht des Landesgesundheitsamtes vorliegt, der sich ausdrücklich auf eine Entnahme vom 30. Juni bezieht (Bl. 150 GA), so ist nicht nur der Beweis für das Unterbleiben eines Abstriches am 30. Juni 1996 und eines Verbandswechsels am 29. und 30. Juni nicht geführt, vielmehr dürfte sogar das Gegenteil feststehen.

Die von der Klägerin beantragte Parteivernehmung gemäß § 448 ZPO kommt nicht in Betracht. Insoweit fehlt schon der erforderliche Beweisvorsprung. Die von der Klägerin genannte Rechtsprechung (BGH NJW 1999, 363; EGMR NJW 1995, 1413) führt zu keiner anderen Beurteilung. Der BGH hat in seiner genannten Entscheidung ausdrücklich hervorgehoben, Voraussetzung für eine Parteivernehmung von Amts wegen sei, dass aufgrund der voraus gegangenen Beweisaufnahme oder des sonstigen Verhandlungsinhalts eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die zu beweisende Tatsache spreche. Die Entscheidung EGMR NJW 1995, 1413 hilft der Klägerin ebenfalls nicht weiter. In jener Entscheidung wird hervor gehoben, es sei nicht Aufgabe des Gerichtshofs, die Einschätzung nationaler Gerichte in Bezug auf die Tatsachen durch eigene Einschätzungen zu ersetzen, genau so sei es nicht Aufgabe des Gerichtshofs, das Beweisrecht der Niederlande in Zivilverfahren abstrakt zu untersuchen. Die Entscheidung betrifft nur grundsätzlich die Fragen der 'Waffengleichheit' und der 'fairen Anhörung'. Sie ist aber nicht geeignet, die Grundsätze des deutschen Zivilprozessrechtes über die Durchführung einer Parteivernehmung von Amts wegen in Frage zu stellen.

3. Schließlich verfängt auch nicht der Vorwurf, die Behandlungsseite habe den Infektionsherd nicht rechtzeitig genug ausgeräumt.

Richtig ist, dass der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten bei den 'Grundsätzen der Infektionsbehandlung' unter Nr. 1 ausgeführt hat, die vollständige Ausräumung des Infektionsherdes solle möglichst frühzeitig, noch vor Einschmelzung des Herdes erfolgen; spätestens nach 'einer gestörten Nachruhe' durch pochenden Schmerz sei der Zeitpunkt zur operativen Eröffnung des Herdes gekommen. Richtig ist auch, dass im vorliegenden Fall der Infekt erst am 2. Juli ausgeräumt wurde. Gleichwohl hat der Sachverständige in Kenntnis des gesamten Behandlungsverlaufs darin keinen vermeidbaren Fehler gesehen (Sachverständigengutachten vom 1. Dezember 2000, S. 11 unten). Er hat vielmehr sogar ausdrücklich ausgeführt, mit geringfügigen Abweichungen wäre er ähnlich vorgegangen wie die behandelnden Ärzte (Sachverständigengutachten vom 1. Dezember 2000, S. 15). Dabei ist der Sachverständige sehr wohl von Schmerzen der Klägerin ausgegangen. Dies ergibt sich schon daraus, dass er in seinem schriftlichen Gutachten (dort S. 3) ausdrücklich erwähnt hat, der Finger der Klägerin sei schmerzhaft und rot verschwollen gewesen. Auch war dem Sachverständigen aufgrund seiner Aktenkenntnis die Schmerzbehandlung mit Tramal bekannt. Er hat darüber hinaus auch die Aussage des Zeugen ####### gehört, der am 5. Juli 2001 bekundet hat, die Klägerin habe erhebliche Schmerzen gehabt. Gleichwohl ist der Sachverständige (Gutachten S. 4) ausdrücklich davon ausgegangen, eine Ausräumung des Infektes sei erst am 2. Juli 1996 erforderlich geworden.

4. Nur ergänzend bemerkt der Senat, dass selbst dann, wenn man zugunsten der Klägerin von Behandlungsfehlern ausginge, dieser kaum der Kausalitätsnachweis gelingen würde.

Der Sachverständige hat anlässlich seiner Anhörung durch das Landgericht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Frage des streitigen 1. Abstriches vom 30. Juni 1996 unerheblich sei, weil beim 2. unstreitigen Abstrich vom 2. Juli 1996 auch keine Bakterien festgestellt worden seien. Er halte es für unwahrscheinlich, dass am 30. Juni Bakterien vorhanden gewesen seien. Dies bedeutet also, selbst wenn am 30. Juni kein Abstrich durchgeführt worden wäre, hätte die Klägerin doch nicht bewiesen, dass sich dies auf den Krankheitsverlauf negativ ausgewirkt hätte. Dafür, dass in dem Unterlassen eines Abstriches ein grober Behandlungsfehler liegen würde, der der Klägerin Beweiserleichterung verschaffen könnte, sieht der Senat keine Anhaltspunkte. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass hinsichtlich der Abstriche der vom Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten genannte Kriterienkatalog nur die Forderung nach einem intraoperativen Abstrich enthält (Kriterienkatalog Nr. 5, schriftliches Sachverständigengutachten S. 10).

Soweit es die Verbandswechsel betrifft, ist den 'Grundsätzen der Infektionsbehandlung' nur zu entnehmen, dass frühzeitig postoperativ und bei starker Sekretion mehrmals täglich Verbandswechsel durchzuführen sind. Postoperative Verbandswechsel stehen aber nicht im Streit. Da am 29. Juni unstreitig keine Sekretion bestand, hätte an diesem Tag also nicht einmal ein Verbandswechsel durchgeführt werden müssen. Das heißt, das Postulat eines täglichen Verbandswechsels könnte sich allenfalls auf den 30. Juni beziehen. Der Sachverständige hat es aber sogar für möglich gehalten, dass es sich bei der Blasenbildung der Klägerin um eine beginnende Ausbildung einer Herpes-Simplex-Infektion gehandelt habe, die mit einer Blasenbildung einher gehe. Eine derartige Infektion würde nicht operativ behandelt und spreche auch nicht auf normale antibiotische Behandlungen an. Da diese Möglichkeit letztendlich nicht auszuschließen ist, dürfte der Kausalitätsnachweis von der Klägerin - auch hinsichtlich der Frage der Rechtzeitigkeit der Operation - kaum zu führen sein.

5. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die rechtlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 543 Abs. 2 ZPO).

6. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1 ZPO (Kosten des Berufungsverfahrens) und 708 Nr. 10, 711 ZPO (vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils).

Ende der Entscheidung

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