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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 25.06.2001
Aktenzeichen: 1 U 48/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 847
Zu den Sorgfaltsanforderungen bei der Aufklärung über eine laparoskopische Leistenbruchoperation und bei deren Durchführung
Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil

1 U 48/00 2 O 304/99 LG Lüneburg

Verkündet am 25. Juni 2001

####### Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 11. Juni 2001 durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts ####### und die Richter am Oberlandesgericht ####### und ####### für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung gegen das am 19. Juli 2000 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung von 35.000 DM abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in der selben Höhe leisten.

Die Parteien können die Sicherheit durch eine schriftliche, unbedingte, unbefristete, unwiderrufliche und selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, Volksbank oder öffentlichen Sparkasse erbringen.

Wert der Beschwer: über 60.000 DM.

Tatbestand

Der zwischenzeitlich verstorbene Ehemann der Klägerin litt seit dem Frühjahr 1993 unter starken Schmerzen in der Leistengegend. Sein Hausarzt ####### diagnostizierte einen Leistenbruch re. Er wies den Ehemann der Klägerin in das von der Beklagten zu 1 betriebene Städtische Krankenhaus ein. Die Aufnahme geschah am 4. Oktober 1993.

Eine (klinische) Untersuchung ergab im Bereich der re. Leiste einen 3 x 2 cm großen Bruchsack im Sinne einer Leistenhernie re. Auf der linken Seite war keine Hernie nachweisbar. Die Operation wurde für den 7. Oktober 1993 geplant. Das (dokumentierte) Aufklärungsgespräch ist nicht datiert, jedoch von dem Ehemann der Klägerin und vom Beklagten zu 4 als dem aufklärenden Arzt unterschrieben worden. Der Aufklärungsbogen enthält den Hinweis auf eine durchzuführende endoskopische Operation (laparoskopische Hernioplastik). Es wird die Neuartigkeit der Operationsmethode und insbesondere das Fehlen von Langzeiterfahrungen betont. Weiterhin wird darauf aufmerksam gemacht, dass es zu Verletzungen der Bauchorgane sowie der im Bauchraum befindlichen Gefäße und Nerven kommen könne. Zusätzlich heißt es: 'Sollte sich intraoperativ das Bestehen eines Leistenbruches auch auf der anderen Seite herausstellen, so bin ich mit der gleichzeitigen Operation beider Leistenbrüche einverstanden'.

Die Operation erfolgte wie geplant am 7. Oktober 1993. Operateur war der Beklagte zu 4, sein Assistent der Beklagte zu 5. Die Operationsdiagnose lautete: 'Indirekte Leistenhernie re., kombinierte direkte und indirekte Leistenhernie li.'. Der Operationsbericht dokumentiert ein regelrechtes Vorgehen und einen glatten Verlauf (Seite 6 f. des Gutachtens von ##############, Bd. I 45) einer bds. laparoskopischen Hernioplastik durch sog. transabdominelle präperitoneale Mesh-Reparationen (scil. ein bds. Einlegen eines Kunststoffnetzes zwischen Bauchfell und Beckenwand, um die Bruchpforten von innen her zu verschließen). Postoperativ kam es zu einem Hämatom im Leisten- und Hodenbruch re., das konservativ behandelt wurde.

Der Ehemann der Klägerin wurde (planmäßig) am 14. Oktober 1993 mit einem fortbestehenden mäßiggradigen Hämatom und einer Schwellung der re. Leiste in hausärztliche Betreuung entlassen. Die sonografische Untersuchung zu diesem Zeitpunkt zeigte im gesamten Operationsbereich, also auch im Retroperitoneum, kein ausgeprägtes Hämatom, ebenso wenig laborchemisch einen Hb-Abfall (Seite 2 des Gutachtens von ##############, Bd. I 107).

Bei weiter bestehender Schwellung der re. Leiste bemerkte der Ehemann der Klägerin am 20. Oktober 1993 ein Taubheitsgefühl im Bereich des re. Oberschenkels. Im Rahmen eines Hausarztbesuches am 21. Oktober 1993 wurde dieses Taubheitsgefühl dokumentiert und vereinbart, dass der Ehemann der Klägerin sich am 22. Oktober 1993 im Städtischen Krankenhaus nachuntersuchen lassen solle.

An diesem Tage fuhr er mit seinem Fahrzeug in das Krankenhaus. Lt. Ambulanzbericht des Krankenhauses vom selben Tage geschah die (Notfall-)Vorstellung 'wegen Schwellung und Schmerzen im Bereich der rechten Leiste zur Befundkontrolle und Verlängerung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung'. Der Beklagte zu 4 diagnostizierte eine 8 x 2,5 cm große walzenförmige Resistenz der re. Leiste im Verlauf des Samenstrangs re. zur Hautoberfläche. Der Ehemann der Klägerin gab an, insbesondere bei Belastung Schmerzen und darüber hinaus ein geringes Taubheitsgefühl im Bereich des re. Oberschenkels zu haben. Der Beklagte zu 4 diagnostizierte ferner eine geringfügige ödematöse Schwellung des Hodensacks, wobei beide Hoden von normaler Größe und Lage waren und nicht druckdolent erschienen. Sonografisch wurde eine vermehrte Flüssigkeitseinlagerung im Bereich des Samenstrangs re. erkannt. Der Beklagte zu 4 punktierte das Hämatom, konnte es jedoch nicht komplett entleeren. Der Ehemann der Klägerin wurde dann in hausärztliche Betreuung entlassen. Ob dies auf seinen eigenen ausdrücklichen Wunsch geschah, ist streitig. Der Beklagte zu 4 hat in den Krankenunterlagen u. a. vermerkt: 'Ausführliche telefonische Beratung mit dem Hausarzt ############## ... Weitere Empfehlung: Wie mit dem Hausarzt telefonisch besprochen, kurzfristige Befund- und Verlaufskontrolle, ggf. kurzfristige sonografische Kontrolle. Bei Beschwerdezunahme sofortige Wiedervorstellung des Patienten hier und ggf. stationäre Aufnahme'. Die Reflektion dieses Telefonats beim Hausarzt ist von diesem wie folgt niedergelegt worden: 'Ein Telefonat mit Krankenhaus #######: Serom im OP-Bereich und entlang des Samenstranges punktiert. Braucht Zeit!'.

Am 24.Oktober 1993 klagte der Ehemann der Klägerin über Übelkeit. In den Abendstunden wurde eine Temperaturerhöhung auf 38,3°C gemessen. Im Laufe des nächsten Tages bestand weiterhin eine erhöhte Temperatur. Auch litt der Ehemann der Klägerin nunmehr unter Schweißausbrüchen und starken Rückenschmerzen. Das Beschwerdebild verschlechterte sich zusehends. Um 17:30 Uhr stellten sich plötzlich Atembeschwerden und jagender Puls ein, das Fieber stieg auf 39°C. Als der herbeigerufene Hausarzt etwa 15 Min. später erschien, waren bereits eine Sprachlähmung und eine Bewegungsnot der Hände eingetreten. Kurze Zeit später verstarb der Ehemann der Klägerin.

Die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Lüneburg leitete ein Todesermittlungsverfahren ein. Der Obduktionsbefund ergab ein erheblich vergrößertes Herz (620 g leer). Weiterhin wurde an der Vorderwand der A. iliaca externa re. im Leistenbereich ein 3 mm langer quergestellter glattrandiger Defekt festgestellt. An dieser Stelle waren ca. 550 ml Blut ausgetreten, die zu einem 250 ml umfassenden retroperitonalem und zu einem 300 ml umfassenden intraperitonalem Hämatom geführt hatten. Der Obduzent sah sich nicht in der Lage, die Todesursache eindeutig zu klären.

Ein Ermittlungsverfahren gegen die Beklagten zu 4 und 5 und den Hausarzt wurde mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Die Staatsanwaltschaft holte ein Gutachten von ############## und ein Obergutachten des Privatdozenten ####### ein. Weiterhin lagen der Staatsanwaltschaft Gutachten des Pathologen ############## und des Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgen ##############, eingeholt durch die beschuldigten Ärzte, vor. Die Klägerin holte Gutachten der Gefäßchirurgen ############## und ############## und des Chirurgen ############## ein. Wegen der Einzelheiten wird auf diese Gutachten verwiesen.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, ihr stünden wegen einer fehlerhaften Behandlung ihres Ehemannes sowie wegen einer fehlerhaften Aufklärung Schadensersatzsprüche gegen die Beklagten zu. Ihr Ehemann sei über die (alternative) Operationstechnik mittels eines Bauchschnitts mangelhaft aufgeklärt worden. Um einem Patienten die Wahl zwischen der laparoskopischen und der herkömmlichen Operationstechnik zu ermöglichen, müssten ihm die Vor- und Nachteile beider Techniken dargestellt werden, und zwar bereits deshalb, weil es sich bei der laparoskopischen Operation um ein relativ neues Verfahren gehandelt habe, über dessen langfristige Folgen noch keine ausreichenden Erfahrungen vorhanden gewesen seien. Darüber hinaus werde diese unter Vollnarkose durchgeführt, während die herkömmliche Operation nur in Lokalanästhesie, also unter erheblich geringeren Belastungen, ausgeführt werde. Ihr Ehemann hätte bei richtiger Aufklärung der laparoskopischen Operation nicht zugestimmt, insbesondere nicht einer zweiseitigen.

Weiterhin hat die Klägerin die Ansicht vertreten, bei der Operation und bei der Nachbehandlung sei in mehrfacher Hinsicht vom Standard abgewichen worden. Intraoperativ sei die A. iliaca externa re. unbemerkt verletzt worden. Die Folge sei die bei der Obduktion festgestellte tangentiale Verletzung. Dadurch sei es zu der starken Blutung gekommen. Diese sei für den Tod ursächlich geworden. Zwar führten normalerweise Blutungen in einem Umfang von 550 ml nicht zum Herztod oder zu einem Herz-Kreislauf-Versagen. Indessen habe bei ihrem Ehemann ein Risikofaktor, nämlich das weit überhöhte Herzgewicht, vorgelegen, sodass auch gewöhnliche körperliche Belastungen oder Stress- und Schmerzreaktionen zu einem sog. 'Sekundenherztod' führen konnten.

Die Beklagten zu 4 und 5 hätten die Operation gar nicht ausführen, vom Beklagten zu 2 also nicht für die Operation eingeteilt werden dürfen, weil sie keine Fachärzte gewesen seien.

Auch sei die postoperative Behandlung fehlerhaft gewesen. Das klinische Bild habe sich seit dem 20. Oktober 1993 zusehends verschlechtert. Der Beklagte zu 4 sei am 22. Oktober 1993 den Symptomen nicht hinreichend nachgegangen. Insbesondere das Taubheitsgefühl hätte nicht auf einer Nervverletzung unter der Operation beruhen können, weil es sich dann sofort eingestellt hätte. Es habe daher vieles auf einen progredienten Prozess im Sinne einer Vergrößerung des Hämatoms hingedeutet. Eine sofortige stationäre Aufnahme sei zwingend gewesen.

Die Beklagten haben die Ansicht vertreten, der Ehemann der Klägerin sei ordnungsgemäß aufgeklärt worden und die Behandlung fehlerfrei gewesen.

Insbesondere habe der Beklagte zu 4 die A. iliaca externa re. nicht verletzt. Die Beklagten zu 4 und 5 seien auch ohne Facharztanerkennung für die Operation ausreichend qualifiziert gewesen. Der Beklagte zu 4 habe bis zum 7. Oktober 1993 bereits 189 laparoskopische Eingriffe selbständig durchgeführt und weiteren 178 assisstiert. Auch postoperativ sei nicht fehlerhaft behandelt worden. Bis zum 22. Oktober 1993 seien keine wesentlichen Änderungen des klinischen Bildes, insbesondere keine zunehmende Verschlechterung des Allgemeinzustandes und keine Anhaltspunkte für einen lokal progredienten Prozess im Sinne einer Vergrößerung eines Hämatoms feststellbar gewesen. Es sei lediglich eine Schwellung der re. Leistenregion sowie eine Beeinträchtigung der Sensibilität an der Innenseite des re. Oberschenkels direkt angrenzend an das Leistenband diagnostiziert worden. Erst am 22. Oktober 1993 sei eine Verschlechterung eingetreten. Der Ehemann der Klägerin habe aber eine stationäre Aufnahme kategorisch abgelehnt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die bds. laparoskopische Operation sei indiziert gewesen und fehlerfrei durchgeführt worden. Eine 'direkte oder indirekte' Verletzung der A. iliaca externa re. durch den Beklagten zu 4 sei nicht ersichtlich. Die erste Alternative schiede offensichtlich aus, weil dann die Operation infolge des ausströmenden Blutes sofort hätte abgebrochen werden müssen. Eine Verletzung durch fehlerhaftes Setzen einer Metallklammer hätten sowohl der Pathologe ############## als auch der Chirurg ####### auf Grund einer Inaugenscheinnahme des Asservats ausgeschlossen. Ein Aneurysma spurium sei auf Grund des Obduktionsberichts mangels einer Bindegewebsverkapselung eines Hämatoms auch ausgeschlossen. Es müsse von einer schicksalhaften Komplikation ausgegangen werden. Die fehlende Facharztanerkennung der Beklagten zu 4 und 5 habe sich nicht auf den Verlauf ausgewirkt. Die ärztliche Aufklärung sei ausreichend gewesen.

Die Klägerin hat frist- und formgerecht Berufung eingelegt. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, es müsse davon ausgegangen werden, dass die Außenwand der A. iliaca im Rahmen der Operation vom 7. Oktober 1993 verletzt worden sei mit der Folge, dass es nach einer Latenzzeit von etwa 2 Wochen zu einer Perforation der Arterie gekommen sei. Eine spontane (primäre) Ruptur sei ebenso wie ein Zusammenhang mit der Punktion vom 22. Oktober 1993 ausgeschlossen. Auch sei 'postoperativ unzureichend aufgeklärt' worden (Seite 3 der Berufungsbegründung). Die intraoperative 'geringfügige Verletzung' (Seite 9 der Berufungsbegründung) rechtfertige nicht die Annahme eines schicksalhaften Verlaufs. Am 22. Oktober 1993 hätte ihr Ehemann stationär aufgenommen werden müssen. Jedenfalls hätte er aber gewarnt werden müssen, die Klinik zu verlassen. An diesem Tage habe bereits ein kompliziertes Hämatom vorgelegen, das eine konsequentere Diagnostik bzw. eine operative Revision erfordert hätte, was aber mangels Facharztqualifikation des Beklagten zu 4 unterblieben sei. Dabei wäre dann die Verletzung der A. iliaca bemerkt worden.

Ferner erneuert die Klägerin auch ihre Aufklärungsvorwürfe.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagten zu verurteilen, ihr als Gesamtschuldner ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens 50.000 DM, nebst 8 % Zinsen seit dem 16. September 1994 zu zahlen,

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, ihr als Ersatz für Vermögensschäden in der Vergangenheit bis zum 31. Dezember 1999 214.877,78 DM nebst 8 % Zinsen auf 100.404,48 DM seit dem 16. September 1994 zu zahlen, und

3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr allen weiteren Vermögensschaden zu ersetzen, sofern der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstigen Dritten übergegangen ist oder übergehen wird.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Es sei unzutreffend, dass es bei der Operation vom 7. Oktober 1993 (unbemerkt) zu einer Gefäßverletzung gekommen sei. Das könne aber auch als wahr unterstellt werden, weil darin jedenfalls kein Sorgfaltsmangel zu erblicken sei. Die Ruptur sei erst nach dem 22. Oktober 1993 als Folge einer nicht iatrogenen Vorschädigung der A. iliaca entstanden. Es müsse unterschieden werden zwischen dem am 22. Oktober 1993 festgestellten Bauchdeckenhämatom und dem später entstandenen retro- und intraperitonealen Hämatom. Ersteres sei weder 'beunruhigend' noch 'Besorgnis erregend' gewesen. Die weitere Entwicklung habe aber beobachtet werden müssen, sei es stationär, sei es durch den Hausarzt. Da der Ehemann der Klägerin eine stationäre Kontrolle abgelehnt habe, habe der Beklagte zu 4 den Hausarzt diesbezüglich informiert. Weil der 22. Oktober 1993 ein Freitag gewesen sei, seien hausärztliche Kontrollen am Wochenende unterblieben. Soweit es die behauptete Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht betreffe, müsse auch berücksichtigt werden, dass die Gefahr einer Gefäßverletzung bei minimalinvasiven Operationen keineswegs größer sei als bei der herkömmlichen Operationstechnik. Der Ehemann der Klägerin hätte in jedem Fall in eine laparoskopische Operation eingewilligt, weil dann, und zwar im Gegensatz zu einer Operation nach der herkömmlichen Methode, in einer Sitzung sowohl ein Leistenbruch re. als auch li. hätte operiert werden können. Gründe für eine Schadensersatzpflicht der Beklagten zu 2, 3 und 5 seien nicht ersichtlich.

Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die Schriftsätze verwiesen.

Die Akten 13 Js 21018/93 Staatsanwaltschaft Lüneburg lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist unbegründet.

I.

Die Indikation der laparoskopischen bds. Leistenbruchoperation ist nicht anzuzweifeln (Seiten 21 und 23 des Gutachtens von #######, Bd. I 60). Die Operation ist auch technisch nicht zu beanstanden (Seite 33 a. a. O., Bd. I 72). Nachbehandlung und Aufklärung sind korrekt.

Im Einzelnen:

1. a) Ausgeschlossen ist nach übereinstimmender Ansicht aller Sachverständiger das intraoperative Setzen eines kompletten ca. 3 mm langen Defektes in der gesamten A. iliaca, weil bei einer kompletten Verletzung das ausströmende Blut dem Operateur sofort jegliche Sicht genommen hätte und ein weiteres laparoskopisches Operieren unmöglich geworden wäre. Davon geht die Klägerin jetzt auch aus.

Ferner betrugen die Hb-Werte vor bzw. nach der Operation 16,0 bzw. 15,7 g/dl, was unter Berücksichtigung der Messgenauigkeit identischen Werten entspricht. Ein intraoperativer bzw. postoperativer größerer Blutverlust, wie er bei einer 3 mm langen Eröffnung der A. iliaca zu erwarten gewesen wäre, kann deshalb auch aus diesem Grunde ausgeschlossen werden.

b) Ist während der Erstoperation durch ein Instrument unbemerkt die Vorderwand der A. iliaca verletzt worden und hat sich diese Verletzung auf die Außenwand (Adventitia und Media) beschränkt - eine Verletzung wird weder im Operationsbericht noch im postoperativen Verlauf beschrieben - mit der Folge einer sekundären Arrosionsblutung (zu einem späteren Zeitpunkt), wie sie für eine nichtpenetrierende Gefäßverletzung typisch ist, wäre ein Behandlungsfehler zu verneinen, weil eine solche Verletzung zum typischen Operationsrisiko sowohl einer konventionellen als auch einer minimalinvasiven Leistenbruchoperation gehört und - bei anfänglich fehlender Blutung - vom Operateur auch bei sorgfältiger Inspektion des Wundgebietes nicht bemerkt werden kann. Es würde sich somit um eine schicksalhafte, d. h. nicht vorwerfbare Komplikation, handeln (vgl. Seiten 8 ff. des Gutachtens von ##############, Bl. 37 ff. d. A.; Seite 46 des Gutachtens von #######, Bl. 85 d. A.).

Entsprechendes würde für die von ############## diskutierte Alternative - Defekt der Intima und der Media durch ein mechanisches Trauma mit einer Ruptur der Adventita in der Folgezeit - gelten. Auch bei einem derartigen Verletzungsmechanismus bekommt der Operateur keine Kenntnis von dem Gefäßschaden (vgl. auch Seite 9 der Berufungsbegründung), sodass auch dann von einem schicksalsmäßigen Verlauf ausgegangen werden muss (Seite 4 des Gutachtens von ##############, Bl. 104 d. A.).

c) Im Übrigen ist auch nicht bewiesen, dass es bei der Operation vom 7. Oktober 1993 überhaupt zu einer Verletzung der A. iliaca gekommen ist.

Der Privatdozent ####### hat zur Klärung der Frage, ob bei der Operation versehentlich eine Staplerklammer in die A. iliaca gesetzt worden ist - der Operationsbericht verhält sich nicht über eine Identifikation der äußeren Beckengefäße -, das im Institut für Gerichtsmedizin in ####### noch vorhandene Asservat untersucht, sodass seinen diesbezüglichen Darlegungen ausschlaggebende Bedeutung zukommt. Er hat jedoch keine Metallklammer, die mit den Beckengefäßen in Kontakt gebracht werden könnte, gefunden.

Andere Möglichkeiten einer Arterienverletzung - beispielsweise beim Verschluss des Peritoneums am Ende der Operation mit der Folge der Entstehung eines Defekts durch mechanische Irritation und den Zug des Clips - sind rein hypothetisch (vgl. Seite 46 des Gutachtens von ##############, Bd. I 85). Der Tod des Ehemanns der Klägerin wäre aber auch im Falle einer Clipverletzung den Beklagten nicht zurechenbar, weil diese nicht sorgfaltswidrig geschehen wäre (a. a. O.).

2. Für ein Aneurysma spurium fehlt, wie ####### im Einzelnen ausgeführt hat, ein morphologisches Korrelat, das aber bei der Obduktion, wenn es denn vorhanden gewesen wäre, hätte festgestellt werden müssen (vgl. im Einzelnen Seite 6 f. des Gutachtens von #######, Bd. III 205 f. der EA). Ebenso hat auch ############## ein Aneurysma spurium ausgeschlossen (Gutachten Bd. II 159 der EA).

3. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass am 22. Oktober 1993 durch die Punktion des Serohämatoms am re. Leistenkanal, das nichts mit der ca. 250 ml umfassenden retroperitonealen und der ca. 300 ml umfassenden intraperitonealen Blutansammlung zu tun hat, also andere Ursachen als eine Verletzung der A. iliaca hat (vgl. Seite 9 des Gutachtens von ##############, Bl. 39 d. A.), ein Defekt in der A. iliaca mit konsekutiver Blutung entstanden ist. ####### hat dazu ausgeführt, es sei, abgesehen von dem Problem der zeitlichen Inkongruenz, schwer vorstellbar, wie eine 0,9 mm durchmessende Punktionsnadel einen 3 mm durchmessenden Defekt verursacht haben könne. Es erscheine auch zweifelhaft, ob von der Leiste aus mit einer 40 mm langen Nadel bei einem großen, dickleibigen Mann (106 kg, 194 cm) bis in die Tiefe des Retroperitonealraums vorzudringen und die A. iliaca zu erreichen ist. Vielmehr erfordere die Punktion der deutlich weniger weit abgelegenen Oberschenkelschlagader bei fettleibigen Patienten gelegentlich eine deutlich längere als die hier zur Diskussion stehende Kanüle. Auch die Annahme, dass es im Zusammenhang mit der Punktion zu einer sekundären Keimbesiedlung im Bereich des Hämatoms gekommen sei, sei verfehlt. Nehme man an, dass die in der re. Leiste durchgeführte Punktion zum Einschleppen von Keimen und einem infektanfälligen Bluterguss geführt hätte, müsste sich am Ort des Geschehens die klassische Entzündungstrias bestehend aus Rötung, Überwärmung und Schmerz eingestellt haben. Rötung und Überwärmung würden jedoch weder im Bericht der Ehefrau noch im Untersuchungsbefund des Hausarztes angegeben. Letztendlich wäre die Ausbildung einer Eiterung (Abszess/ Phlegmone) der weitere natürliche Verlauf gewesen. All dies werde jedoch vom Obduzenten nicht beschrieben. Vielmehr sei das Bauchfell 'blank' gewesen. Auch für den Bereich der A. iliaca würden lediglich Blutreste, jedoch kein Eiter erwähnt.

4. Auch aus der Nachbehandlung vom 22. Oktober 1993 kann eine Haftung der Beklagten nicht hergeleitet werden; insbesondere kann dem Beklagten zu 4 nicht haftungsbegründend vorgeworfen werden, das von ihm untersuchte Serohämatom in der rechten Leiste lediglich punktiert und nicht einer Revisionsoperation unterzogen zu haben.

a) Dabei kann zunächst dahingestellt bleiben, ob der Beklagte zu 4 zu einer solchen Revisionsoperation überhaupt verpflichtet war. Denn es spricht nichts dafür, dass durch eine solche Operation der spätere tragische Kausalverlauf vermieden worden wäre. Es steht eindeutig fest, dass das vom Beklagten zu 4 am 22. Oktober 1993 untersuchte und punktierte Serohämatom als solches gewiss nicht zum Tode des Ehemannes der Klägerin geführt hat. Maßgebend für dessen Tod kann allenfalls - Definitives lässt sich dazu nicht feststellen - die spätere Ruptur der A. iliaca und die damit verbundene Blutung, die zu den bei der Obduktion festgestellten beiden retro- und intraperitonealen Hämatomen geführt hat, gewesen sein. Damit aber hatte das Serohämatom nichts zu tun (so insbesondere auch ############## auf S. 9 seines Gutachtens - Bl. 38 d. A.). Die Ruptur der A. iliaca ist vermutlich erst am 25. Oktober 1993, jedenfalls aber erst nach dem 22. Oktober 1993, erfolgt (so insbesondere ############## auf Seite 5 seines Gutachtens - Bl. 161 BA II, ############## auf Seite 44 seines Gutachtens - Bl. 83 d. A. - und ####### auf Seite 9 seines Gutachtens - Bl. 38 d. A.). Die A. iliaca bereits im Rahmen einer Reoperation des Serohämatoms zu inspizieren, hätte am 22. Oktober 1993 überhaupt kein Anlaß bestanden. Insbesondere hat ############## überzeugend ausgeführt (Seite 9 seines Gutachtens - Bl. 38 d. A.), dass der spätere dramatische Verlauf am 22. Oktober 1993 nicht vorhersehbar gewesen sei. Die eigentliche Blutung sei erst nach der Vorstellung vom 22. Oktober 1993 eingetreten. Am 22. Oktober 1993 hätten die Ärzte von einer unversehrten A. iliaca ausgehen dürfen. Es habe keine Hinweise gegeben, die an eine Komplikation, wie sie sich dann einige Tage später ereignete, hätten denken lassen müssen. Auch ############## hat in seinem Gutachten ausgeführt (S. 5 seines Gutachtens - Bl. 161 BA II), dass die Masse der Blutung erst am Todestage oder allenfalls sehr kurz vorher erfolgt sei.

Dass und wie der Beklagte zu 4 im Rahmen einer operativen Revision am 22. Oktober 1993 die noch nicht aufgebrochene Wandverletzung der A. iliaca gleichwohl hätte feststellen können, wird von der Klägerin auch nicht ansatzweise dargelegt; auch aus den vorgelegten Gutachten ergibt sich dafür nichts.

b) Im Übrigen kann der Senat aber auch nicht feststellen, dass der Beklagte zu 4 am 22. Oktober 1993 behandlungsfehlerhaft von einer Revisionsoperation des Serohämatoms abgesehen hat. Die Gutachten von ############## (Seite 15 seines Gutachtens - Bl. 214 BA III), ############## (S. 9 seines Gutachtens - Bl. 38 d. A.) und ############## (Seite 3 seines Gutachtens - Bl. 159 BA II) bescheinigen dem Beklagten zu 4 für den 22. Oktober 1993 ausdrücklich ein korrektes Vorgehen. Soweit ############## dies anders sieht (Seite 49 seines Gutachtens - Bl. 88 d. A.), ist dies nicht so überzeugend ausgeführt, dass der Senat deshalb gegen die Gutachten von #######, ####### und ####### einen entsprechenden Behandlungsfehler des Beklagten zu 4 als bewiesen ansieht. Da insoweit eindeutig die Beweislast bei der Klägerin liegt, bleibt sie (jedenfalls) hinsichtlich eines Behandlungsfehlers am 22. Oktober 1993 beweisfällig.

5. Letztlich muss davon ausgegangen werden, dass der Riss in der A. iliaca entweder unabhängig von Operation und Punktion entstanden ist, beispielsweise auf Grund einer 'Wanderkrankung' - die re. Beckenarterie und die re. A. iliaca wiesen arteriosklerotische Wandeinlagerungen auf (Seite 2 des Gutachtens von ##############, Bd. I 107) - mit einem nachfolgenden Aneurysma dissecans, das dann durchgebrochen ist (vgl. Seite 14 des Gutachten von #######), oder aber, dass der Riss - wenn iatrogen - nicht vorhersehbar war. Dieser und weitere ungünstige Faktoren - rd. doppeltes Herzgewicht der Norm und 120 g über dem 'kritischen Herzgewicht' mit der Folge einer nicht unbeträchtlichen relativen Koronarinsuffizienz (vgl. das Gutachten von ##############) und einer Kreislauferkrankung - können dann zum Tode geführt haben. Sicheres lässt sich jedoch insoweit nicht feststellen. So hat ############## beispielsweise im Gegensatz zu den anderen Gutachtern vermutet, dass das plötzliche Kreislaufversagen durch eine Thrombose mit konsekutiver Lungenembolie verursacht sein könne (Seite 4 seines Gutachtens, Bd. I 109 d. A.).

Allemal fehlt es an einem vorwerfbaren Sorgfaltsmangel des Krankenhauspersonals (vgl. Seite 16 des Gutachtens von #######). Dagegen spricht manches für eine Überforderung des Hausarztes mit der klinischen Situation ab dem 24. Oktober 1993 (vgl. im Einzelnen Seite 41 des Gutachtens von ##############).

6. Es kommt nicht darauf an, ob die Beklagten zu 4 und 5, insbesondere der Beklagte zu 4 als Operateur, seinerzeit bereits Fachärzte waren, weil die Facharztanerkennung keine Erfahrung in den minimalinvasiven Techniken voraussetzt. Über eine derartige Erfahrung verfügten aber die Beklagten zu 4 und 5 in reichem Maße. Ferner hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat noch einmal klargestellt, dass für die Zeit bis zum 22. Oktober 1993 kein Behandlungsfehler mehr behauptet werde. Die Behandlung an diesem Tage hat aber - wie ausgeführt worden ist - keine Auswirkung auf den Verlauf gehabt.

Soweit es die Wiedervorstellung am 22. Oktober 1993 betrifft, kommt es auf die fehlende Facharztanerkennung des Beklagten zu 4 auch nicht an, weil diese sich auf den Verlauf nicht ausgewirkt hat. Denn an diesem Tage war - wie ausgeführt worden ist - an den Schädigungsmechanismus, der zum Tode des Ehemanns der Klägerin geführt hat, noch gar nicht zu denken und eine Inspektion der A. iliaca nicht geboten.

7. a) Die Aufklärung zur laparoskopischen Hernioplastik als solcher ist angemessen gewesen (vgl. Seite 24 ff. des Gutachtens von ##############, Bd. I 63 d. A.):

Die Aufklärung soll dem Patienten kein medizinisches Entscheidungswissen vermitteln, sondern ihm aufzeigen, was der Eingriff für seine persönliche Situation bedeuten kann. Er soll dessen Art und Schwere erkennen. Dazu müssen ihm die Risiken nicht medizinisch exakt und nicht in allen denkbaren Erscheinungsformen dargestellt werden, ein allgemeines Bild von der Schwere und Richtung des konkreten Risikospektrums genügt (Steffen-Dressler, Arzthaftungsrecht, 8. Aufl., Rn. 329 m. z. N. aus der Rechtsprechung des BGH).

In dem Aufklärungsformular wird zunächst die neue Operationsmethode der laparoskopischen Hernioplastik angesprochen und es wird in selbstkritischer Weise auch auf die fehlenden Langzeiterfahrungen mit dieser Methode, insbesondere Rezidivraten und Häufigkeiten von Komplikationen, eingegangen. In den weiteren Unterpunkten wird nicht nur das Einbringen von Fremdmaterial erläutert, sondern werden auch die für diese Art der Leistenbruchoperation typischen Komplikationen angesprochen. Auch Komplikationen, wie z. B. Verletzungen des Dünn- und Dickdarms, werden erwähnt. Schließlich waren als Spätfolge Verwachsungen einzukalkulieren, die einen Darmverschluss verursachen können. Alle diese Komplikationen werden in dem Aufklärungsformular angesprochen.

Im Verlauf einer laparoskopischen Leistenbruchoperation wird, nachdem man laparoskopisch zum Bauchfell über die Leistenregion gelangt ist, dieses eröffnet und man gelangt in das sogenannte Retroperitoneum, also den Raum unter und hinter dem Bauchfell. Hier verlaufen die großen Gefäße und Nerven, sodass Komplikationsmöglichkeiten bei diesen Strukturen ebenfalls angesprochen werden müssen, was unter Punkt 2 der Einwilligung auch geschehen ist.

Unter Punkt 4 und 5 werden dann die allgemein üblichen Komplikationen ausführlich dargelegt. In einem Nachsatz wird erläutert, dass im Falle eines (auch intraoperativ diagnostizierten) bds. Leistenbruchs auch eine bds. Operation geschieht.

b) Selbst wenn der Ehemann der Klägerin über die Alternative der herkömmlichen Operationsmethode hätte aufgeklärt werden müssen und das nicht geschehen ist, hat die Klage keinen Erfolg, denn der Senat kann keine Feststellungen zu einem Entscheidungskonflikt des Ehemanns der Klägerin treffen, weil dieser zwischenzeitlich verstorben ist. Das geht zu Lasten der Klägerin als der Anspruchstellerin (s. zur Rechtslage OLG Bamberg VersR 1998, 1025).

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 und 108 Abs. 1 ZPO.



Ende der Entscheidung

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