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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 11.07.2005
Aktenzeichen: 1 Ws 240/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 275a
Über einen Antrag auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 275a StPO kann nur durch Urteil, und nicht durch Beschluss entschieden werden.

Wird dennoch durch Beschluss entschieden und wird gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt, so handelt es sich der Sache nach um eine Revision gegen ein -fehlerhaftes- Urteil. Über dieses Rechtsmittel hat daher das Revisionsgericht zu entscheiden; eine Zuständigkeit des Beschwerdegerichts ist insoweit nicht gegeben.


Oberlandesgericht Celle Beschluss

1 Ws 240/05

In der Strafsache

wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern pp.

hier: Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft vom 3. Mai 2005 gegen den Beschluss der Jugendkammer 1 des Landgerichts Hannover vom 26. April 2005 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, die Richterin am Oberlandesgericht ####### und den Richter am Oberlandesgericht ####### am 11. Juli 2005 beschlossen:

Tenor:

Der Senat ist zu einer Entscheidung nicht berufen.

Gründe:

1. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrem als Beschwerde bezeichneten Rechtsmittel gegen eine als Beschluss bezeichnete Entscheidung der Jugendkammer des Landgerichts, mit dem eine Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 275 a StPO mit der Begründung abgelehnt wurde, es fehle an neuen Tatsachen hinsichtlich einer anzunehmenden weiteren Gefährlichkeit des Verurteilten. Die Kammer hat der Beschwerde unter Hinweis auf anderenfalls entstehende Verfahrens-, insbesondere Gutachter-kosten nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

2. Der Senat ist zu einer Entscheidung über das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft nicht berufen.

a) Nach § 275 a Abs. 2 StPO gelten für die Vorbereitung und Durchführung der auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft nach § 275 a Abs. 1 Satz 3 StPO durchzuführenden Hauptverhandlung die Vorschriften der §§ 213 bis 275 ent-sprechend, soweit nachfolgend nichts anderes geregelt ist. Das Gesetz bestimmt hiermit für das Verfahren über eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung eine entsprechende Anwendung des fünften und sechsten Abschnitts des zweiten Buches der Strafprozessordnung. Die Vorschriften des vierten Abschnitts zur Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens - und hiermit insbesondere der Vorschriften der §§ 203, 204 und 210 StPO - werden demgegenüber nicht in Bezug genommen. Bereits hieraus folgt, dass die Vorschrift des § 275 a StPO i.d.F. des Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Einführung der nachträg-lichen Sicherungsverwahrung eine Entscheidung über einen seitens der Staatsanwaltschaft gestellten Antrag durch Gerichtsbeschluss nicht vorsieht (vgl. schon OLG Hamm, NStZ-RR 2005, 110, 111).

Das Verfahren nach § 275 a StPO soll angesichts der Bedeutung dieser Entscheidung für den Verurteilten als auch für das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit in einem transparenten Verfahren eine Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und seiner Entwicklung im Rahmen einer erneuten Hauptverhandlung vornehmen, für welche die für das vorangegangene Erkenntnisverfahren geltenden Verfahrensregelungen ebenfalls Geltung finden (BT-Drucks. 15/2887, S. 15). Das Verfahren ist somit in Form eines Nachverfahrens bzw. als zweiter Teil des Erkenntnisverfahrens ausgestaltet. Hiernach ist, da es einer erneuten Eröffnung des Verfahrens nicht bedarf, für einen über die Zulassung des Verfahrens befindenden Beschluss entsprechend den Vorschriften der §§ 203, 204 und 207 StPO kein Raum (OLG Hamm a.a.O.).

Das Gericht entscheidet der gesetzgeberischen Wertung und der Systematik des Gesetzes zufolge über einen Antrag der Staatsanwaltschaft vielmehr durch Urteil, das bei Rechtskraft auch im Falle der Ablehnung des Antrags eine den gesamten Prozessgegenstand des dann abgeschlossenen Verfahrens umfassende Sperrwirkung entfalten soll (BT-Drucks. 15/3346, S. 18). Aus diesem Grunde soll auch eine die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung ablehnende Entscheidung der Überprüfung durch das Revisionsgericht unterliegen (OLG Hamm a.a.O., das - als Beschwerdegericht - indessen zugleich über eine den Erlass eines Unterbringungsbefehls nach § 275 Abs. 5 StPO ablehnende Entscheidung zu befinden hatte).

Aus alledem folgt, dass das Landgericht über die Ablehnung des Antrags der Staatsanwaltschaft nicht durch Beschluss, sondern nur durch Urteil entscheiden konnte.

b) Hieraus folgt zugleich aber auch, dass über die vom Landgericht getroffene Entscheidung nicht der Senat als Beschwerdegericht zu befinden hat.

Denn bei der vom Landgericht getroffenen Entscheidung kann es sich der Sache nach (Ablehnung eines Antrags der Staatsanwaltschaft nach § 275 Abs. 1 Satz 3 StPO) nicht um einen beschwerdefähigen - und überdies nach der Verfahrensordnung auch nicht vorgesehenen - Beschluss, sondern vielmehr nur um ein dem Rechtsmittel der Revision unterliegendes Urteil handeln. Dass die Entscheidung fehlerhaft als Beschluss bezeichnet wurde, ist hierbei unerheblich. Maßgeblich ist vielmehr deren sachlicher Inhalt und welches Rechtsmittel vom Gesetz zur Anfechtung dieser Entscheidung vorgesehen ist (vgl. nur KK-Ruß, 5. Aufl., § 296 Rn. 2 m.w.N.). Dies ist - abgesehen von der insoweit allein bestehenden Sonderregelung für einen vorläufigen Unterbringungsbefehl nach §§ 275 a Abs. 5, 126 a StPO - für das Verfahren über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 275 a StPO ein Urteil nach Hauptverhandlung. Urteile - und folglich mit der Revision anfechtbar - sind solche Entscheidungen, die nach der maßgeblichen Verfahrensordnung eine mündliche Verhandlung und öffentliche Verkündung voraussetzen und das Verfahren oder jedenfalls den Rechtszug beenden. Dies gilt auch, wenn im Einzelfall gewisse Kriterien der Qualifikation als Urteil, etwa das Durchführen einer mündlichen Verhandlung, fehlerhaft nicht erfüllt sind (SK-Frisch, 3. Aufbau-Lfg. Stand 1988, Vor § 296 Rn 99 f.). Denn es kommt nicht darauf an, ob eine mündliche Verhandlung und öffentliche Verkündung wirklich stattgefunden haben. Maßgeblich ist vielmehr, ob die betreffende Entscheidung nach dem Gesetz nur aufgrund mündlicher Verhandlung hätte ergehen dürfen (BGHSt 8, 381, 384; Meyer-Goßner, 47. Aufl., § 296 Rn. 13). Dies gilt nach den hier dargelegten Erwägungen auch für das Verfahren nach § 275 a StPO.

c) Demzufolge handelt es sich bei dem von der Staatsanwaltschaft eingelegten Rechtsmittel nicht um eine Beschwerde im Sinne der §§ 304 ff StPO. Vielmehr kann es sich der Sache nach (Anfechtung einer Entscheidung im Verfahren der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 275 a StPO) nur um das hierfür gesetzlich allein vorgesehene Rechtsmittel der Revision handeln. Eine falsch gewählte Bezeichnung ist hierbei nach § 300 StPO grundsätzlich unschädlich. Durch eine falsch gewählte Bezeichnung eines Rechtsmittels soll der Rechtsmittelführer nicht schlechter, aber auch nicht besser gestellt werden. Da der Senat als Beschwerdegericht zu einer Entscheidung über dieses als Revision zu behandelnde Rechtsmittel aber nicht berufen ist, kam eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nicht in Betracht.

3. Gegen die vorliegende Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht eröffnet, § 304 Abs. 4 StPO. Eine Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren ist nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

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