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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 16.07.2008
Aktenzeichen: 1 Ws 306/08
Rechtsgebiete: RVG-VV


Vorschriften:

RVG-VV Nr. 4109
RVG-VV Nr. 4115
RVG-VV Nr. 4121
Dem beigeordneten Verteidiger steht der Erhöhungszuschlag zur Terminsgebühr auch dann zu, wenn der Angeklagte erst am Ende des Verhandlungstages, aber vor Beendigung des Hauptverhandlungstermins, in Haft genommen wird. Es kommt nicht darauf an, ob im Einzelfall aufgrund der Inhaftierung Umstände gegeben sind, die zu konkreten Erschwernissen der Tätigkeit des Verteidigers geführt haben.
Oberlandesgericht Celle Beschluss

1 Ws 306/08

In der Strafsache

gegen M. A.,

geboren am 1. Januar 1966 in Ö./M. (T.) zurzeit JVA R.

wegen versuchten Totschlags u.a.

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Beschwerde des Verteidigers gegen den Beschluss der 1. großen Strafkammer des Landgerichts H. vom 4. Juni 2008 nach Anhörung des Bezirksrevisors durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, den Richter am Oberlandesgericht ####### - zu Ziff. 1. zugleich als Einzelrichter - und den Richter am Oberlandesgericht ####### am 16. Juli 2008 beschlossen: Tenor:

1. Das Verfahren wird auf den Senat übertragen.

2. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

3. Der Beschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Landgerichts vom 15. November 2007 wird dahingehend abgeändert, dass dem Pflichtverteidiger weitere 55,93 € aus der Staatskasse zu erstatten sind.

4. Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Gegen den Angeklagten war bei der 1. großen Strafkammer - Schwurgericht - des Landgerichts H. ein Strafverfahren wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung anhängig, in dem Rechtsanwalt R. am 22. Juni 2007 als Pflichtverteidiger beigeordnet wurde. Die Hauptverhandlung fand am 22. und 25. Oktober sowie am 5. November 2007 statt. Der zweite Hauptverhandlungstag dauerte von 9:00 bis 14:15 Uhr. Nachdem Staatsanwaltschaft, Nebenklägervertreter und Verteidigung zur Sache plädiert hatten, wurde die Hauptverhandlung kurzfristig unterbrochen. Nach deren Fortsetzen wurde erneut in die Beweisaufnahme eingetreten und ein Haftbefehl gegen den Angeklagten verkündet. Daraufhin wurde die Beweisaufnahme wieder geschlossen und die Prozessbeteiligten wiederholten ihre Anträge. Das Urteil wurde zu Beginn des dritten Hauptverhandlungstages verkündet.

Mit seinem Antrag vom 6. November 2007 begehrt der Verteidiger die Festsetzung seiner Pflichtverteidigervergütung. Der Kostenbeamte hat am 15. November 2007 den auch für den zweiten Hauptverhandlungstag geltend gemachten Erhöhungszuschlag wegen der Inhaftierung des Angeklagten in Abzug gebracht, weil der Angeklagte erst kurz vor Ende des Hauptverhandlungstermins festgenommen worden sei. Die hiergegen gerichtete Erinnerung hat die Kammer durch ihre Einzelrichterin mit dem angefochtenen Beschluss als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde, die durch den angefochtenen Beschluss wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zugelassen worden ist.

II.

Das Verfahren ist nach § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG vom Einzelrichter auf den Senat übertragen worden, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Zu beantworten ist die Frage, ob einem Pflichtverteidiger der Erhöhungszuschlag zur Terminsgebühr auch dann zusteht, wenn der Angeklagte erst am Ende des Verhandlungstages in Haft genommen wird.

III.

Die Beschwerde ist zulässig (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 3 Satz 2 und 3 RVG) und in der Sache begründet.

1. Der Senat ist zu einer Entscheidung in der Sache berufen.

a) Dass die Einzelrichterin trotz der auch von ihr erkannten grundsätzlichen Bedeutung des Verfahrens davon abgesehen hat, die Sache nach § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG auf die Kammer zu übertragen, begründet wegen § 33 Abs. 8 Satz 4 RVG keinen Umstand, der zur Zurückweisung der Sache aufgrund eines Verfahrensfehlers führt.

b) Einer Entscheidung des Senats steht auch nicht entgegen, dass der Verteidiger gegen den Festsetzungsbeschluss des Kostenbeamten vom 15. November 2007 erst unter dem 10. April 2008 die Erinnerung erhoben hat. Entgegen der Auffassung des OLG Koblenz in NStZ-RR 2005, 391 ist der Rechtsbehelf nicht fristgebunden. Dies folgt aus dem eindeutigen Wortlaut des § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG, der die Fristvorschrift des § 33 Abs. 3 RVG nur für das Verfahren über die Beschwerde, nicht aber für das Verfahren über die Erinnerung für anwendbar erklärt (vgl. Hartmann, Kostengesetze, § 56 RVG, Rn. 6).

2. Die Beschwerde ist begründet. Entgegen der Auffassung der Kammer steht dem Verteidiger für den zweiten Hauptverhandlungstag eine Terminsgebühr mit Erhöhungszuschlag zu. Es ist unerheblich, dass der Angeklagte erst gegen Ende und nach (erstmaliger) Schließung der Beweisaufnahme in Untersuchungshaft genommen worden ist. Denn jedenfalls zu einem Teil des Hauptverhandlungstermins am 25. Oktober 2007 befand sich der Angeklagte nicht auf freiem Fuß. Der Gesetzgeber hat für die Bemessung der Terminsgebühren zwar eine Differenzierung insoweit vorgenommen, als jeder Hauptverhandlungstermin für sich gesondert bei der Festsetzung der entstandenen Gebühr zu betrachten ist. Eine weitergehende Differenzierung innerhalb eines Hauptverhandlungstermins ist indes nur in Bezug auf die Dauer der Hauptverhandlung zu erkennen (VV 4110, 4111, 4116, 4117, 4122, 4123). Hingegen ist der Erhöhungszuschlag nach VV 4109, 4115 und 4121 pauschaliert und aufgrund der Vorbemerkung 4 Abs. 4 des VV allein davon abhängig, dass sich der Beschuldigte nicht auf freiem Fuß befindet. Diese Formulierung enthält eine generelle, nicht auf den Einzelfall bezogene und zwingende Regelung, die ohne Ausnahmen oder Einschränkungen ihrer Anwendung gilt. Für die Entstehung des Anspruchs auf die Gebühr mit Zuschlag kommt es daher nicht darauf an, ob im Einzelfall aufgrund der Inhaftierung Umstände gegeben sind, die zu konkreten Erschwernissen der Tätigkeit des Verteidigers geführt haben (vgl. Gerold/Schmidt-Burhoff, RVG VV Vorb. 4 Rn. 44; KG, Beschluss vom 5. Dezember 2006, 3 Ws 213/06, bei Burhoff). Entscheidend ist nur, dass der Mandant des Verteidigers in dem Verfahrensabschnitt, für den die erhöhte Betragsrahmengebühr geltend gemacht wird, irgendwann nicht auf freiem Fuß war. Insoweit reicht es aus, dass der Mandant während des Verfahrensabschnitts, für den die Gebühr geltend gemacht wird, inhaftiert wird (vgl. Gerold/Schmidt-Burhoff, RVG VV Vorb. 4 Rn. 43 und VV 4108-4111 Rn. 20). Lediglich im Fall der Inhaftierung eines Angeklagten im Sitzungssaal nach Urteilsverkündung entsteht die erhöhte Gebühr nicht, weil zu diesem Zeitpunkt der maßgebliche Verfahrensabschnitt bereits beendet ist (vgl. Göttlich/Mümmler, RVG, Stichwort "Strafsachen", Ziff. 1.2.4).

Dem Verteidiger stand somit für den zweiten Hauptverhandlungstag die erhöhte Terminsgebühr nach VV 4119 zu. Da er indes nur die erhöhte Gebühr nach VV 4115 geltend gemacht hat, war ihm wegen des Grundsatzes "ne ultra petita" nur diese Gebühr festzusetzen. Der ausgesprochene Betrag von 55,93 € ergibt sich aus der Differenz zwischen der bereits festgesetzten Gebühr VV 4114 zur erhöhten Gebühr (47 €) sowie der darauf anfallenden Mehrwertsteuer von 19 %.

IV.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.

Ende der Entscheidung

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