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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 31.10.2008
Aktenzeichen: 1 Ws 538/08 (StrVollz)
Rechtsgebiete: NJVollzG


Vorschriften:

NJVollzG § 13
Aus der Regelung über die Sperrfrist in § 13 Abs. 4 2. Halbsatz NJVollzG folgt nicht, dass zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilte Gefangene nach Ablauf von acht Jahren regelmäßig Anspruch auf Ausgang und Freigang haben.

Auf das Leugnen der Tat kann die Flucht oder Missbrauchsgefahr im Sinne von § 13 Abs. 2 NJVollzG nicht gestützt werden. die mangelnde Tataufarbeitung darf nur insoweit berücksichtigt werden, als sie die prognostische Beurteilung von Flucht oder Missbrauchsgefahr erschwert.

Mangelnde Mitarbeitsbereitschaft des Gefangenen entbindet die Vollzugsbehörde nicht von der Pflicht, die Prognose mit den ansonsten zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen zu stellen. solange die Vollzugsbehörde kein Gutachten nach § 16 Abs. 1 NJVollzG zur Feststellung der Voraussetzungen von Lockerungen eingeholt hat, kann sie Lockerungen nicht mit der Begründung ablehnen, die Flucht oder Missbrauchsgefahr lasse sich nicht hinreichend sicher beurteilen.


1 Ws 538/08 (StrVollz)

Beschluss

In der Strafvollzugssache

wegen Vollzugsplanung

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Beteiligung des Zentralen juristischen Dienstes für den niedersächsischen Justizvollzug auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der 1. kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts O. vom 2. September 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, den Richter am Oberlandesgericht ####### und den Richter am Oberlandesgericht ####### am 31. Oktober 2008 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss und der Vollzugsplan der Antragsgegnerin für den Antragsteller vom 17. April 2008, soweit darin die Eignung des Antragstellers für Vollzugslockerungen verneint worden ist, werden aufgehoben.

Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, über die Eignung des Antragstellers für Vollzugslockerungen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und der ersten Instanz sowie die dem Antragsteller insgesamt entstandenen notwendigen Auslagen hat die Landeskasse zu tragen.

Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 500 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller verbüßt im geschlossenen Vollzug eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Anstiftung zum Mord, von der 15 Jahre am 11. März 2015 vollstreckt sein werden. Sowohl im Erkenntnisverfahren als auch bislang im Vollzug hat der Antragsteller bestritten, den von ihm mit dem Eintreiben einer vermeintlichen Geldforderung gegenüber einem ehemaligen Geschäftspartner beauftragten Haupttäter auch zur Tötung des ehemaligen Geschäftspartners angestiftet zu haben.

In ihrem letzten Vollzugsplan für den Antragsteller vom 17. April 2008, der dem Antragsteller am 28. April 2008 ausgehändigt worden ist, hat die Antragsgegnerin unter Gliederungspunkt IV. 9. die Eignung des Antragstellers für Vollzugslockerungen verneint. Zur Begründung hat sie auf die letzten Vollzugsplanungen Bezug genommen und weiter ausgeführt, dass im 10. Haftjahr das interne Gutachten und ggf. auch externe Gutachten in Auftrag gegeben werden, so dass nach Ablauf von 10 Jahren ein Einstieg in Vollzugslockerungen erfolgen könne. In den vorangegangenen Vollzugsplanungen war zur Begründung angeführt worden, dass wegen der fehlenden Tateinsicht und Tataufarbeitung eine Flucht und Missbrauchsgefahr nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen sei.

Der Antragsteller hat am 13. Mai 2008 gerichtliche Entscheidung dahingehend beantragt, den Vollzugsplan insoweit aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, über die Eignung des Antragstellers für Vollzugslockerungen neu zu entscheiden. Er meint, dass zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilte Gefangene gemäß § 13 Abs. 4 2. Halbsatz NJVollzG nach Ablauf von acht Jahren regelmäßig Anspruch auf Ausgang und Freigang haben und diese Lockerungen nur in begründeten Ausnahmefällen abgelehnt werden dürften. Weiter macht er geltend, dass die Antragsgegnerin die Flucht und Missbrauchsgefahr nicht tragfähig begründet habe, indem sie zu Unrecht allein auf das Leugnen der Tat abgestellt habe.

Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 2. September 2008 als unbegründet zurückgewiesen. Sie hat sich insbesondere den Stellungnahmen der Antragsgegnerin angeschlossen, nach denen die mangelnde Tataufarbeitung jedenfalls insoweit berücksichtigt werden dürfe, als diese die prognostische Beurteilung von Flucht und Missbrauchsgefahr erschwere. Ausgang und Freigang sollten gemäß § 13 Abs. 3 NJVollzG erst angeordnet werden, wenn hinreichende Erkenntnisse über den Gefangenen vorlägen, auf Grund derer verlässlich beurteilt werden könne, ob die Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 NJVollzG gegeben seien. Das sei wegen der fehlenden Mitarbeit des Antragstellers derzeit nicht möglich. Ein regelmäßiger Anspruch auf Ausgang und Freigang nach Ablauf von acht Jahren ergebe sich aus § 13 Abs. 4 NJVollzG nicht. Weiter hat die Strafvollstreckungskammer angeführt, dass der Antragsteller aus materiellem Interesse bereit gewesen sei, einen Menschen töten zu lassen, dass er bereits vor der letzten Tat strafrechtlich in Erscheinung getreten sei und dass er als früherer Baustellenleiter und langjähriger Unternehmer auch die nötige Gewandtheit besitze, um unterzutauchen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Antragsteller mit seiner Rechtsbeschwerde. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts und beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und - konkludent - im Sinne seines ursprünglichen Hauptsacheantrages vom 13. Mai 2008 zu entscheiden.

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil es geboten ist, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§ 102 NJVollzG i. V. m. 116 Abs. 1 StVollzG). Es gilt, der Wiederholung nachfolgend aufgezeigter Rechtsfehler entgegen zu wirken.

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Überprüfung auf die in zulässiger Form erhobene Sachrüge führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Vollzugsplanes der Antragsgegnerin für den Antragsteller vom 17. April 2008, soweit darin die Eignung des Antragstellers für Vollzugslockerungen verneint worden ist, sowie zum Ausspruch der Verpflichtung der Antragsgegnerin, den Antragsteller insofern unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

Die Rechtsbeschwerde deckt mit der Sachrüge durchgreifende Rechtsfehler bei der Anwendung von § 13 Abs. 2 NJVollzG auf. Danach dürfen Lockerungen des Vollzuges nach Abs. 1 der Vorschrift nur angeordnet werden, wenn nicht zu befürchten ist, dass die oder der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entzieht oder die Lockerungen zu Straftaten missbrauchen wird. Der Versagungsgrund der Flucht oder Missbrauchsgefahr eröffnet der Vollzugsbehörde einen Beurteilungsspielraum, der der gerichtlichen Kontrolle nur beschränkt unterliegt. Danach darf das Gericht lediglich überprüfen, ob die Vollzugsbehörde von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie ihrer Entscheidung den richtigen Begriff des Versagungsgrundes zugrunde gelegt und sie dabei die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums eingehalten hat (vgl. BGHSt 30, 320). Den vorstehenden Rechtsgrundsätzen werden die angefochtene Entscheidung der Strafvollstreckungskammer und der Vollzugsplan der Antragsgegnerin vom 17. April 2008 nicht gerecht. Die dort angeführten Erwägungen tragen die Verneinung der Eignung für Lockerungen nicht.

Zwar folgt entgegen der Ansicht des Antragstellers aus § 13 Abs. 4 2. Halbsatz NJVollzG nicht, dass zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilte Gefangene nach Ablauf von acht Jahren regelmäßig Anspruch auf Ausgang und Freigang haben und diese Lockerungen nur in begründeten Ausnahmefällen abgelehnt werden dürften. Mit dieser Regelung wurde lediglich gegenüber der bislang auch auf Freigang und Ausgang angewendeten Sperrfrist von zehn Jahren nach § 13 Abs. 3 StVollzG (vgl. Arloth, StVollzG, 2. Aufl., § 11 Rdnr. 19) eine kürzere Sperrfrist für Ausgang und Freigang eingeführt. Es handelt sich dabei um eine "Regelsperrfrist" (vgl. LTDrucks. 15/3565, S. 102). Das bedeutet, dass im Regelfall einem zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Gefangenen Ausgang und Freigang nicht in den ersten acht Haftjahren gewährt werden sollen und davon nur im Ausnahmefall abgewichen werden darf. Auswirkungen auf die Entscheidung über die Bewilligung dieser Lockerungen nach Ablauf von acht Jahren hat die Regelung nur insofern, als dann keine Sperrfrist mehr gilt. Dass die Bewilligung von Lockerungen nach Ablauf der Sperrfrist gleichsam "automatisch" den Regelfall darstellen soll, ergibt sich aus der Vorschrift indes nicht.

Die Verneinung der Eignung für Lockerungen im Vollzugsplan ist vorliegend aber deshalb aufzuheben, weil sie nicht auf einem vollständig ermittelten Sachverhalt beruht. Die Antragsgegnerin hat ihre Entscheidung damit begründet, dass wegen der fehlenden Tateinsicht und Tataufarbeitung eine Flucht und Missbrauchsgefahr nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen sei. Dies wird den Anforderungen an eine tragfähige Gesamtabwägung zur Beurteilung der Flucht und Missbrauchsgefahr nicht gerecht. In diese sind namentlich die Persönlichkeit des Gefangenen, die Art und Weise sowie die Motive der Tat, das Nachtatverhalten, die Entwicklung des Gefangenen im Vollzug sowie die konkreten Bedingungen, unter denen die Vollzugslockerungen erfolgen, einzustellen. Auf das Leugnen der Tat allein kann die Flucht und Missbrauchsgefahr nicht gestützt werden (vgl. Senat vom 9. September 1999, 1 Ws 206/99, Leitsatz in NStZ 2000, 464. OLG Saarbrücken NJW 1999, 433. ZfStrVo 2005, 368 bei Bothe. OLG Frankfurt NStZRR 2004, 94). Zwar kann die mangelnde Tataufarbeitung insoweit berücksichtigt werden, als diese die prognostische Beurteilung von Flucht und Missbrauchsgefahr erschwert (vgl. OLG Hamm NStZ 2004, 227. OLG Schleswig SchlHA 2007, 542). Indes trägt auch diese Erwägung die Ablehnungsentscheidung vorliegend nicht. Denn der Grund dafür, dass die mangelnde Tataufarbeitung insoweit berücksichtigt werden darf, liegt darin, dass das "verbleibende Dunkel der Tatmotivation" des Gefangenen in derartigen Fällen die Prognose schwieriger macht (OLG Schleswig aaO). Dies entbindet die Vollzugsbehörde aber nicht von der Pflicht, die Prognose mit den ansonsten zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen zu stellen, zumal im vorliegenden Fall die Motivation des Antragstellers für die Tat kaum im Dunkel liegen, sondern dem Urteil des Schwurgerichts zu entnehmen sein dürfte. Abgesehen davon begründet § 16 Abs. 1 Satz 1 NJVollzG die Pflicht der Vollzugsbehörde, einen Gefangenen begutachten zu lassen, wenn dies zur Feststellung der Voraussetzungen einer Lockerung nach § 13 Abs. 2 erforderlich ist, wobei diese Erforderlichkeit nach § 16 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 NJVollzG bei zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Gefangenen in der Regel gegeben ist. Solange die Vollzugsbehörde also kein Gutachten hierüber eingeholt hat, kann sie Lockerungen nicht mit der Begründung verneinen, die Flucht und Missbrauchsgefahr lasse sich nicht hinreichend sicher beurteilen. In sich widersprüchlich erscheint es auch, dass die Vollzugsbehörde trotz der von ihr als entscheidend angesehenen mangelnden Tataufarbeitung eine Lockerungsplanung für das 10. Haftjahr vorgesehen hat, obwohl nicht ersichtlich ist, dass bzw. ob sich an der Haltung des Antragstellers insoweit bis dahin etwas geändert haben wird. Dies lässt besorgen, dass sich die Vollzugsbehörde bei ihrer Planung von der bisher unterschiedslos angewendeten Sperrfrist von 10 Jahren nach § 13 Abs. 3 StVollzG hat leiten lassen.

Soweit die Strafvollstreckungskammer darüber hinaus weitere Umstände angeführt hat, die die Ablehnung von Lockerungen nach ihrer Auffassung im vorliegenden Fall rechtfertigen, handelt es sich um zusätzliche, eigene Erwägungen des Gerichts, die sich in der Entscheidung der Vollzugsbehörde nicht wiederfinden und diese damit auch nicht nachträglich stützen können (vgl. Lesting, in AKStVollzG, 5. Aufl., § 11 Rdnr. 33 m. w. N.).

Aufgrund der vorgenannten Rechtsfehler hebt der Senat nicht nur den angefochtenen Beschluss der Strafvollstreckungskammer, sondern auch die entsprechende Regelung im Vollzugsplan auf und verpflichtet die Antragsgegnerin, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden, weil die Sache insoweit spruchreif ist (§ 102 NJVollzG i. V. m. § 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 4 StVollzG i. V. m. § 467 Abs. 1 StPO.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 1 Nr. 1j, 63 Abs. 3, 65 GKG.

Ende der Entscheidung

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