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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 24.06.2004
Aktenzeichen: 11 U 57/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 514 Abs. 2
1. Ein Prozessbevollmächtigter, der sich mittels eines Computerprogramms am Vortag eines auf 11 Uhr angesetzten Termins für eine Fahrtstrecke von etwa 410 Kilometern (im Wesentlichen auf der BAB A 1) eine voraussichtliche Fahrtdauer von 3 Stunden 38 Minuten ermitteln lässt und dann mit 52 Minuten Zeitzugabe startet, darf, wenn der Verkehr für die Dauer von einer Stunde zum Erliegen kommt, nicht bis zur Terminsstunde davon ausgehen, noch rechtzeitig anzulangen.

2. Wenn über das mitgeführte Handy mangels Funkverbindung eine telefonische Benachrichtigung des Gerichts über die zu erwartende Verspätung nicht gelingt, obliegt es dem Bevollmächtigten, eine Raststätte oder Tankstelle aufzusuchen, um die Benachrichtigung über das Festnetz zu veranlassen.


Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil

11 U 57/04

Verkündet am 24. Juni 2004

In dem Rechtsstreit

hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 10. Juni 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, den Richter am Oberlandesgericht ####### und die Richterin am Oberlandesgericht ####### für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das zweite Versäumnisurteil des Landgerichts Lüneburg vom 15. Januar 2004 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Die Beschwer der Beklagten übersteigt nicht 20.000 EUR.

Gründe:

I.

Die Beklagte, eine Unternehmerin, begehrt die Aufhebung eines gegen sie in einer Handelsvertreterangelegenheit ergangenen 2. Versäumnisurteils.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin als Inhaberin einer Handelsvertretung für medizinische Produkte eine Provision in Höhe von 1.101,48 EUR, nach teilweiser Klagrücknahme einen Handelsvertreterausgleich in Höhe von noch 7.740,47 EUR sowie diverse Auskünfte über von der Beklagten im Tätigkeitsgebiet, welches der Klägerin ursprünglich zugewiesen war noch getätigte Abschlüsse, von denen die Klägerin meint, sie seien auf ihre Bemühungen zurückzuführen.

Über die ursprüngliche Klage, die einen Rechenfehler in Höhe von 2.000 EUR enthielt, sollte in einem ersten Termin zur mündlichen Verhandlung am 23. Oktober 2003 verhandelt werden; zu diesem Termin erschien der Prozesbevollmächtigte der Beklagten trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht. Das Landgericht Lüneburg hat ein erstes Versäumnisurteil erlassen, in welchem der Rechenfehler noch nicht bemerkt war. Das Versäumnisurteil ist den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 29. Oktober 2003 zugestellt worden. Auf deren rechtzeitigen Einspruch vom 30. Oktober 2003 hat das Landgericht Termin zur Verhandlung über den Einspruch auf den 15. Januar 2004, 11:00 Uhr, anberaumt und die Beklagte zu diesem Termin ausweislich Bl. 213 d. A. geladen. In diesem Termin ist der Prozessbevollmächtigte der Beklagten nicht erschienen. Im Termin hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Klage in Höhe von 1.259,53 EUR zurückgenommen. Er hat im Übrigen beantragt, das Versäumnisurteil vom 23. Oktober 2003 in Höhe von 8.841,95 EUR nebst Zinsen aufrechtzuerhalten und insoweit ein zweites Versäumnisurteil zu erlassen.

Der Termin endete mit dem Beschluss, eine Entscheidung solle am Schluss der Sitzung ergehen. Nach Ende des Termins, aber vor Verkündung des 2. Versäumnisurteiles hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten nach seiner Angabe kurz nach 11:25 Uhr, nach Angabe der Geschäftsstellenbediensteten um 11:35 Uhr telefonisch mitgeteilt, dass er gerade von der Autobahn herunter sei und sich verspäte bzw. verspätet habe. Um 12:00 Uhr ist er im Dienstzimmer der Richterin erschienen, die zwischenzeitlich jedoch das angefochtene 2. Versäumnisurteil verkündet hatte.

Mit ihrer form- und fristgemäß eingelegten Berufung macht die Beklagte geltend, ihr Prozessbevollmächtigter habe den Termin am 15. Januar 2004 ohne eigenes Verschulden versäumt. Hierzu trägt der Prozessbevollmächtigte folgenden Sachverhalt vor: Er sei am Terminstage von Wuppertal aus nach Lüneburg angereist. Er habe sich am Vortrage über die voraussichtliche Fahrzeit mittels eines Computerprogrammes informiert. Dieses Programm habe ihm die Strecke mit ca. 410 km und die Fahrzeit mit 3 Stunden 38 Minuten berechnet. Dabei lege das Programm zugrunde, dass eine durchschnittliche Reisegeschwindigkeit von 120 km/h auf Autobahnen, von 100 km auf Schnellstraßen sowie 50 km/h innerorts erreicht werde. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten sei daraufhin in Wuppertal um 6:30 Uhr aufgebrochen und auf der Autobahn A1 gegen 8:40 Uhr in einen Stau geraten, der teilweise zum gänzlichen Erliegen des Verkehrs geführt habe. Ab 8:55 Uhr habe er versucht, die Geschäftsstelle des Landgerichts Lüneburg zu erreichen, um eine mögliche Verspätung anzukündigen, habe aber keine Funkverbindung für sein Mobilfunkhandy des Betreibers "E-Plus" erreichen können. Um 9:40 Uhr habe sich der Stau aufgelöst und es habe danach keine weiteren Fahrtbehinderungen mehr gegeben. Der Prozessbevollmächtigte habe immer wieder versucht, das Landgericht Lüneburg telefonisch zu erreichen, jedoch habe das Funknetz von E-Plus weiterhin nicht zur Verfügung gestanden. Erst gegen 11:20 Uhr habe er Lüneburg erreicht und habe, nachdem die Telefonleitung der Geschäftsstelle zunächst besetzt gewesen sei, nach dem Abstellen des Autos ca. 11:25 Uhr auf dem Fußweg zum Landgericht die Geschäftsstelle erreicht und über seine Verspätung informiert. Nachdem er im Sitzungssaal niemanden mehr angetroffen habe, habe er sich zur Geschäftsstelle begeben und dort die Mitarbeiterin angetroffen, mit der er schon telefoniert gehabt habe. Diese habe ihn zur Vorsitzenden Richterin begleitet, die aber mitgeteilt habe, dass das Versäumnisurteil bereits verkündet sei.

Die Beklagte beantragt,

das 2. Versäumnisurteil vom 15. Januar 2004 - Az: 7 O 87/03 - aufzuheben, soweit gegen die Beklagte erkannt worden, sei und die Klage an das Landgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und das 2. Versäumnisurteil vom 15. Januar 2004, Az: 7 O 87/03, aufrechtzuerhalten.

Sie bestreitet das tatsächliche Vorbringen der Beklagten in allen Punkten und ist der Meinung, dass selbst, wenn es unstreitig wäre, ein grob fahrlässiges Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten vorliege, welches sie sich zurechnen lassen müsse.

II.

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.

Gemäß § 514 Abs. 2 ZPO kann ein 2. Versäumnisurteil, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, aufgrund einer Berufung aufgehoben werden, wenn insoweit vorgetragen werden kann, dass der Fall einer schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe. Diese Beurteilung, an die ähnliche Maßstäben anzulegen sind, wie sie an Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gestellt werden (BGH NJW 1999, Seite 2120), führt im Streitfall dazu, dass von einem Verschulden des Bevollmächtigten des Beklagten auszugehen ist, welches der Partei entsprechend § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet wird. Dabei ist der Sorgfaltsmaßstab, an dem das Verhalten des Bevollmächtigten zu messen ist, derjenige des § 276 Abs. 2 BGB, wobei allerdings eine standesbedingt strenge Sorgfalt vorauszusetzen und der Maßstab anzulegen ist, wie ein pflichtbewusster Anwalt sich verhalten haben würde.

Die insoweit erforderlichen Darlegungen enthält das Vorbringen der Beklagten, seine Richtigkeit in allen Punkten unterstellt, jedoch nicht.

Dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten musste schon bei Betrachtung des Berechnungsergebnisses des von ihm konsultierten Computerprogrammes, das eine Durchschnittsgeschwindigkeit innerorts von 50 km/h zugrunde legt und eine erzielbare Durchschnittsgeschwindigkeit auf Autobahnen von 120 km/h, was im Berufsverkehr regelmäßig nicht unterstellt werden kann, klar sein, dass die Zeitbedarfsberechnung zu einem äußerst knappen Ergebnis führte. Selbst wenn er aufgrund seiner Abfahrtszeit eine Karenz von 52 Minuten zur Verfügung hatte, musste ihm klar sein, dass er diese Karenzzeit in jedem Falle brauchen würde. Schon bei normalem Berufsverkehr ist auf Autobahnen eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 120 km/h ebensowenig zu erreichen wie eine innerörtliche Geschwindigkeit von 50 km/h. Nachdem der Beklagtenvertreter von 8:40 Uhr bis 9:40 Uhr in einem im Verkehrsfunk nicht erwähnten Stau gestanden haben will, hatte er mehr als die zur Verfügung stehende Karenzzeit verbraucht und konnte mit pünktlichem Eintreffen in Lüneburg auch bei günstigstem Verlauf nicht mehr rechnen. Deshalb hätte es ihm zu diesem Zeitpunkt oblegen, telefonische Mitteilung von seiner zu erwartenden Verspätung zu machen. Wenn sein Mobiltelefon eine Funkverbindung nicht herzustellen vermochte, so hätte er ab 9:40 Uhr noch vor der Terminsstunde die erforderliche Zeit und vielfache Gelegenheit gehabt, eine Tankstelle oder Raststätte anzufahren und von deren Festnetzanschluss aus das Landgericht zu informieren. Diese Sorgfaltsanforderungen mussten dem Beklagtenvertreter auch klar sein. In diesem Falle hätte das Landgericht den Termin möglicherweise nicht zur festgesetzten Stunde abgehalten, sondern hätte die Terminsstunde vertagen können. Diese ihm zumutbaren Erwägungen, die sich dem Beklagtenvertreter auch nach seinem eigenen Vorbringen aufdrängen mussten, hat er nicht beachtet. Dies gereicht ihm und der Partei, der sein Verschulden zuzurechnen ist, zum Nachteil.

Dem vorstehenden Ergebnis lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten bis zur Terminsstunde davon ausgehen durfte, noch beim Landgericht Lüneburg anzugelangen. Es ist anerkannt, dass eine unverschuldete Säumis nur dann vorliegt, wenn die Partei einen ihr bekannten Hinderungsgrund dem Gericht so rechtzeitig mitteilt wie möglich und ihm dadurch eine Vertagung zumindest ermöglicht; von diesem Erfordernis ist nur abzusehen, wenn die rechtzeitige Mitteilung nicht möglich oder der Partei unzumutbar ist (Zöller, ZPO, 24. Aufl., § 514 Rn. 9). Ein solcher Fall liegt nicht vor. Dem Bevollmächtigten der Beklagten musste bei Ende der von ihm behaupteten Stauung um 9:40 Uhr klar sein, dass er den Rest der Fahrstrecke nicht mehr rechtzeitig schaffen konnte. Dass dies so war, darauf deutet auch hin, dass der Bevollmächtigte nicht einmal angibt, an welcher Stelle sich die Stauung befunden haben soll, sodass auch nicht abgeschätzt werden kann, welche Fahrtstrecke schon erledigt war und welche restliche Fahrtzeit in etwa verbleiben würde.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen gründen sich auf § 97 Abs. 1 ZPO hinsichtlich der Kosten des Berufungsverfahrens sowie auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit.

Zur Zulassung der Revision hat der Senat weder aus Gründen der Fortbildung des Rechts noch wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache einen Anlass gesehen.

Die Parteien haben insoweit auch nichts aufgezeigt, was zu anderer Beurteilung hätte führen können.

Ende der Entscheidung

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