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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 05.02.2004
Aktenzeichen: 14 U 163/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB a. F. § 847
1. Dass ein 3jähriges Kind in behüteten Verhältnissen lebt, kann sich nicht schmerzensgeldmindernd auswirken.

2. Es spielt auch eine untergeordnete Rolle, ob ein 3jähriges Kind verstanden hat, warum es nach einem Unfall im Krankenhaus war.

3. 20.000 Euro Schmerzensgeld bei folgenden Verletzungen und Unfallfolgen:

Oberschenkelfraktur; Prellung linke Schulter und des anderen Oberschenkels; große Skalpierungsverletzung und großflächige Hautabschürfungen

4 Wochen stationäre Behandlung mit dauerhaftem Liegen im Streckverband mit nach oben gerichteten Beinen; gut 23 cm lange verheilte Narbe ist geblieben


Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil

14 U 163/03

Verkündet am 5. Februar 2004

In dem Rechtsstreit

hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 20. Januar 2004 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht #######, des Richters am Oberlandesgericht ####### und der Richterin am Landgericht ####### für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 15. Juli 2003 verkündete Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11. Juli 2002 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche noch entstehenden materiellen Schäden, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen werden, sowie sämtliche zukünftigen immateriellen Schäden, soweit sie noch nicht sicher vorhersehbar sind, aus dem Verkehrsunfall vom 27. Mai 1999 zu ersetzen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 7.500 EUR festgesetzt, nämlich für den Schmerzensgeldantrag auf 5.000 EUR und für den Feststellungsantrag auf 2.500 EUR.

Gründe:

I.

Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 15. Juli 2003 (Bl. 76 ff. d. A.) Bezug genommen. Mit der Berufung verfolgt der Kläger unter Rüge von Ermessensfehlern den erstinstanzlich geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 5.000 EUR weiter und erweitert die Klage um einen Feststellungsantrag. Gegen die Abweisung des bezifferten Schadensersatzanspruchs in Höhe von 244,14 EUR wendet er sich nicht.

Der Kläger beantragt,

unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein weiteres, der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gesetztes, Schmerzensgeld (5.000 EUR) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11. Juli 2002 zu zahlen und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm allen weiteren materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

II.

Die Berufung ist begründet.

1. Dem Kläger steht zum Ausgleich der Verletzungen aus dem Verkehrsunfall vom 27. Mai 1999 ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 EUR zu. Unter Berücksichtigung der vorprozessual gezahlten 15.000 EUR ergibt sich ein Gesamtbetrag in Höhe von 20.000 EUR, der zum Ausgleich der unfallbedingten Gesundheitsschäden gerechtfertigt ist. Die Entscheidung des Landgerichts, wonach bereits die gezahlten 15.000 EUR einen angemessenen Ausgleich darstellen, ist ermessensfehlerhaft.

a) Das Urteil enthält teilweise nicht tragfähige Erwägungen zur Höhe des Schmerzensgeldes. So lässt sich der Formulierung, bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sei zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Kläger um einen im Zeitpunkt des Unfalls 3jährigen Jungen gehandelt habe, für den der Aufenthalt im Krankenhaus einerseits unverständlich sei, weil er den Ursachenzusammenhang noch nicht in derselben Form wie ein Erwachsener begreifen könne, dem andererseits aber durch seine Eltern die Zeit im Krankenhaus erträglich gemacht worden sei, entnehmen, dass sich diese Gesichtspunkte schmerzensgeldmindernd ausgewirkt haben. Richtigerweise ist es jedoch allenfalls von untergeordneter Bedeutung, ob der Kläger verstanden hat, weshalb er solange im Krankenhaus sein musste. Entscheidend ist, dass es sich um einen 4wöchigen Aufenthalt handelte, und zwar unter Umständen, die man wohl kaum nur als eine "missliche und unbequeme Lage" beschreiben kann, sondern in Anbetracht der als Anlage K 1 zur Klage eingereichten Fotografien (Bl. 11 d. A.) nur als Tortur. Die Besuche der Eltern sind für die Höhe des Schmerzensgeldes nicht relevant, weil es den Schädiger nicht entlasten kann, zufälligerweise jemanden zu schädigen, der in behüteten Verhältnissen lebt und sich deshalb der Fürsorge und Anteilnahme seiner Familie und Freunde gewiss sein kann. Alles andere würde zu dem unhaltbaren Ergebnis führen, dass ein sozial gut eingebundener Geschädigter generell weniger Schmerzensgeld erhielte als eine kontaktarme Person ohne entsprechende Anteilnahme und Hilfe im Schadensfall.

b) Das Landgericht hat zudem den Unfallhergang unberücksichtigt gelassen. Zwar heißt es im zweiten Absatz der Entscheidungsgründe (LGU Bl. 3, Bl. 77 d. A.), bei der Festsetzung des Schmerzensgeldes seien alle Umstände des Einzelfalls und der Unfallhergang zu bedenken, bei den nachfolgenden konkreten Erwägungen wird der Unfallhergang jedoch mit keinem Wort erwähnt. Der seinerzeit 87jährige Versicherungsnehmer der Beklagten, Herr ####### #######, fuhr von seinem Grundstück vorwärts in einem Bogen nach rechts auf die Fahrbahn, erfasste den Kläger auf seinem Dreirad mit der rechten Fahrzeugfront und schleifte diesen noch etwa 3 1/2 m mit - ohne etwas zu bemerken. Erst nach mehrfacher Aufforderung der Großmutter des Klägers, die durch das Scheppern und Schreien auf den Unfall aufmerksam geworden war, fuhr er ein Stück rückwärts, damit diese den Kläger befreien konnte. Er selbst fragte noch, was er denn unter bzw. vor dem Auto habe (Aussage der Zeugin ####### ####### vom 6. September 1999 im Ermittlungsverfahren, Bl. 31 bis 33 der Ermittlungsakte StA Lüneburg 223 Js 13531/99). Das Unfallgeschehen ist nur so zu erklären, dass Herr ####### überhaupt nicht in der Lage gewesen ist, ein Kraftfahrzeug zu führen. Wenn er dies dennoch getan hat, so muss sich die offensichtliche Fehleinschätzung seiner Fähigkeiten, dessen Opfer der Kläger geworden ist, schmerzensgelderhöhend auswirken.

c) Ein weiterer vom Landgericht nicht berücksichtigter Gesichtspunkt ist das vollkommen uneinsichtige Verhalten von Herrn ####### nach dem Unfall. Wie die Mutter des Klägers im Verhandlungstermin vor dem Senat am 20. Januar 2004 noch einmal bestätigte, hat er sich zu keinem Zeitpunkt wegen des Unfalls entschuldigt. In seiner Anhörung im Ermittlungsverfahren hat er - neben der Mitteilung, einen Rechtsanwalt beauftragen zu wollen - lediglich erklärt, dass es nicht zu dem Unfall gekommen wäre, wenn das Tor zum Grundstück der Eltern des Klägers geschlossen gewesen wäre (Bl. 12 f. d. Ermittlungsakten). Das trifft zwar zu, vermag aber natürlich das eigene Verschulden an dem Unfall nicht zu mindern. Selbst wenn die Großmutter des Klägers ein Aufsichtsverschulden träfe, wäre dies für die Haftung des Beklagten unerheblich. Denn der Geschädigte braucht sich ein Mitverschulden Dritter unter dem Gesichtspunkt einer Aufsichtspflichtverletzung nicht zurechnen zu lassen, weil es an einer entsprechenden Rechtsgrundlage fehlt: §§ 254, 278 BGB setzen eine Sonderverbindung zwischen Gläubiger und Schädiger voraus, die bei Ansprüchen aus unerlaubter Handlung nicht vorhanden ist (OLG Köln, R & S 1994, 14 [15]).

d) Schließlich passt auch die vom Landgericht zitierte Vergleichsrechtsprechung aus der Schmerzensgeldtabelle von Hacks/Ring/Böhm, 21. Aufl. nicht.

Der Hinweis auf Nr. 1916 der Tabelle (OLG Karlsruhe, Urteil vom 23. November 1995: 20.000 DM für dauerhafte Kahlköpfigkeit infolge einer Immunstörung nach HWSSchleudertrauma), der wohl sagen soll, dass die etwa 5 DMStück große kahle Stelle beim Kläger keinesfalls geeignet sei, den Schmerzensgeldanspruch in der beantragten Höhe zu stützen, trägt nicht, weil zur Begründung des Schmerzensgeldes in erster Linie andere Gesichtspunkte (3jähriges Kind, Schwere der unmittelbaren Unfallverletzungen und psychische Folgen) angeführt werden. Die Entscheidungen Nr. 2091, 2106, 2112, 2114, 2118, 2119, 2120, 2124 und 2128 sind bereits deshalb nicht vergleichbar, weil die Geschädigten erwachsen waren (den jüngsten Geschädigten betraf die Entscheidung Nr. 2128, nämlich einen Schüler, der Abitur machte). Die Entscheidung Nr. 2101 (Landgericht Bonn, Urteil vom 8. März 1999: 30.000 DM bei hirnorganischem Psychosyndrom, Schädelbasisfraktur, Hirnquetschung im Bereich des Hirnstamms und Armplexusparese, weil dem Kläger ein instabiles Fußballtor auf dem Schulhof auf den Hinterkopf gefallen war) betraf zwar einen 9jährigen Jungen. Unabhängig davon, dass der zuerkannte Schmerzensgeldbetrag jedenfalls aus heutiger Sicht zu gering sein dürfte, passt auch er letztlich nicht auf den vorliegenden Fall, weil es dort offensichtlich um die Folgen einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht und nicht um einen Verkehrsunfall ging.

Demgegenüber führt die Berufung zu Recht die Entscheidung des Landgerichts Ravensburg vom 8. Februar 1985 (Nr. 2297 der Schmerzensgeldtabelle) an, das bei einem 6 1/2jährigen Jungen nach einem unfallbedingten Bruch des linken Oberschenkels, Gesichtsabschürfungen, Unfallschock, Gehirnerschütterung, gedeckte Hirnverletzung mit posttraumatischem Anfallsleiden und Verhaltensstörungen auf ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 DM erkannt hat. Die genannten Verletzungen mögen zwar noch gravierender als die des Klägers sein, im Hinblick auf den Anstieg der allgemeinen Lebenshaltungskosten wäre das Schmerzensgeld allerdings ohnehin höher als vor 20 Jahren festzusetzen. Im Übrigen ist der Senat bestrebt, Schmerzensgelder nach Verkehrsunfällen entsprechend einer Empfehlung des Verkehrsgerichtstages 2001 angemessen zu erhöhen.

2. Der Zinsanspruch folgt aus Verzug gemäß §§ 284, 288 BGB a. F.

3. Der Feststellungsantrag ist begründet. Dies ergibt sich bereits aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils, wonach der Kläger unter einem Dauerschaden am rechten Bein und Angstzuständen, insbesondere bezogen auf den Straßenverkehr, leidet (LGU Bl. 4, Bl. 77 R d. A.).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 91 Abs. 1 ZPO. Das Unterliegen des Klägers in erster Instanz (244,14 EUR, was bei einem Streitwert von 5.244,14 EUR einer Verlustquote von knapp 5 % entspricht) ist verhältnismäßig geringfügig und hat nur geringfügig höhere Kosten veranlasst.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist gemäß §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO ergangen.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 543 ZPO.

Ende der Entscheidung

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