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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 08.07.2004
Aktenzeichen: 14 U 3/04
Rechtsgebiete: HaftpflG, BGB


Vorschriften:

HaftpflG § 2 Abs. 1
BGB § 839
1. Die Gefährdungshaftung nach § 2 Abs. 1 HaftpflG greift bei Rückstauschäden nicht ein.

2. Eine Haftung aus Amtspflichtverletzung besteht nicht, wenn eine ordnungsgemäße Rückstausicherung nicht vorhanden ist.


Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil

14 U 3/04

Verkündet am 8. Juli 2004

In dem Rechtsstreit

hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 29. Juni 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und die Richter am Oberlandesgericht ... und ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird - unter Zurückweisung der Anschlussberufung - das am 28. November 2003 verkündete Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des Landgerichts Hannover teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Wert der Beschwer übersteigt 20.000 EUR nicht.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 2.554,42 EUR.

Gründe:

(abgekürzt gem. §§ 540, 313 a Abs. 1 ZPO)

Die Berufung der Beklagten erweist sich als begründet, die Anschlussberufung des Klägers hingegen als unbegründet.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch wegen des in seinem Hause in der H.straße in H. eingetretenen Wasserschadens zu, und zwar weder aus dem Gesichtspunkt einer Gefährdungshaftung nach dem Haftpflichtgesetz noch eines Anspruches wegen Amtspflichtverletzung.

1. Entgegen der Auffassung des Landgerichts liegen die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 HaftpflichtG nicht vor. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 114, 380 ff.; NJW 1984, 615 f), der sich der erkennende Senat bereits ausdrücklich angeschlossen hat (vgl. Beschluss des Senats vom 21. Juli 2003, 14 W 25/03, veröffentlicht in Juris-Online) greift die Gefährdungshaftung des § 2 Abs. 1 HaftpflichtG (hier in Form der sog. Wirkungshaftung) grundsätzlich dann nicht ein, wenn es zu sog. Rückstauschäden kommt, also in Fällen, in denen das Wasser einer Abwasserleitung wegen unzureichender oder fehlender Funktion sich in eines der einleitenden Häuser selbst zurückstaut. Diese für den Laien angesichts der Formulierung der Haftungsvorschrift möglicherweise nicht ohne weiteres nachvollziehbare Differenzierung ist auf den erklärten Willen des Gesetzgebers bei der Neuformulierung der Vorschrift zurückzuführen, wonach für Schäden, die auf einen Rückstau durch die Anlage in das Haus zurückzuführen sind, für eine Gefährdungshaftung wegen anderer in Betracht kommender Anspruchsgrundlagen kein Bedürfnis besteht (BGH, NJW 1984, 615, 616 m. w. N.).

Mit anderen Worten: Das Haftpflichtgesetz erfasst nur Schäden, die im Zusammenhang mit der Funktion der Anlage stehen, nicht also solche, die durch das Ausbleiben der Funktion verursacht worden sind (BGHZ 114, 380 ff. m. w. N.).

Die vom Landgericht zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (VersR 2002, 1557 f.), der sich der Einzelrichter angeschlossen hat, steht mit dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des erkennenden Senats nicht in Einklang. Dabei kann auch nicht etwa, wie das Landgericht meint, als Grund für die Differenzierung darauf abgestellt werden, dass es im vorliegenden Fall zu einem Rückstau wegen einer völligen Verstopfung der Rohrleitung gekommen ist, und nicht, wie in den vom BGH entschiedenen Fällen, wegen einer Überlastung der Rohrleitung in Folge zu großer Regenwassermengen. Der Grund dafür, dass bei sog. Rückstaufällen eine Gefährdungshaftung nach dem Haftpflichtgesetz nicht in Betracht kommt, ist nicht in der Differenzierung zu suchen, ob die Kanalisationsleitung nur überlastet oder gar vollständig funktionsunfähig ist, sondern im Gegenteil gerade darin, dass ein Zusammenhang des Schadens mit der Funktion der Anlage bestehen muss und eben nicht mit dem Ausbleiben der Funktion (BGH, a. a. O.). Die zitierten Entscheidungen rechtfertigen mithin für den gegebenen Fall nicht etwa eine Abweichung, sondern vielmehr einen Erst-Recht-Schluss dahingehend, dass auch bei einer vollständigen Funktionsuntüchtigkeit der Abwasserleitung die Gefährdungshaftung gerade nicht eingreift. In diesem Fall soll der Ersatzberechtigte nicht besser gestellt werden können, als wenn überhaupt keine Leitung verlegt worden wäre (BGHZ 114, 380 ff. a. E.). Ein Rückstau einer Abwasserleitung in ein Haus, welches seine Abwässer in diese Leitung selber einleitet, ist vom Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 HaftpflichtG schlechthin nicht erfasst.

2. Dem Kläger steht auch aus dem Gesichtspunkt einer Amtspflichtverletzung oder einer schuldhaften Verletzung des Vertragsverhältnisses mit der Beklagten betreffend die (öffentlichrechtlich geregelte) Entsorgung des Abwassers kein Schadensersatzanspruch zu. Dies schon deshalb, weil die dem Kläger entstandenen Schäden außerhalb des Schutzzwecks einer etwaigen Pflichtverletzung der Beklagten lägen. Rückstauschäden, vor deren Eintritt der Geschädigte sich aufgrund seiner Verpflichtung zur eigenen Vorsorge selbst schützen kann und muss, insbesondere durch den Einbau eines funktionsgerechten Rückstauventils, unterfallen von vornherein nicht dem Schutzbereich der entsprechenden Amts oder Vertragspflicht des Versorgungsträgers betreffend die Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Abwasserableitung (BGH, BADK-Information 1999, 18 f. - Bl. 43 d. A. ; Senat, a. a. O.). Schäden, die durch eine ausreichende Rückstausicherung verhindert werden können, unterfallen also von vornherein nicht dem Schutzzweck der entsprechenden Pflichten des Versorgungsträgers. Im Hause des Klägers hat es jedoch zum Zeitpunkt des Schadensfalles eine ausreichende Rückstausicherung ersichtlich nicht gegeben, wie sich schon daraus ergibt, dass der Wasserschaden im Keller des Hauses eingetreten ist. Bei Vorhandensein einer ordnungsgemäßen und funktionierenden Rückstausicherung hätte diese die interne Abwasserleitung im Hause des Klägers wegen des von der Straßenseite sich rückstauenden Abwassers zunächst abriegeln müssen. In diesem Falle hätte sich von außen kein Abwasser in das Haus des Klägers zurückstauen können. Allenfalls wäre denkbar gewesen, dass sich das eigene Abwasser im Hause des Klägers (wegen der geschlossenen Rückstausicherung) in den dortigen Leitungen angesammelt hätte und in ihnen emporgestiegen wäre. Dann aber wäre es nicht im Keller des Hauses ausgetreten, sondern allenfalls dort, wo sich die niedrigsten Abflussöffnungen im Hause befinden (beispielsweise WCs im Erdgeschoss). Die Tatsache, dass das Abwasser im Hause des Klägers jedoch im Keller ausgetreten ist, lässt sich nur dadurch erklären, dass die Abwasserleitungen dort selber nicht dicht gewesen sind (so auch der von der Beklagten beauftragte Sachverständige Dr. G. in seinem Gutachten vom 13. August 2001, Bl. 109, 110 f. d. A.). Dem entspricht es, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat selbst erklärt hat, die Rückstausicherung in seinem Haus befinde sich im Treppenhaus, mithin 6 bis 8 Meter von der Außenwand des Gebäudes entfernt. Es bedarf keiner vertieften Erörterung, dass eine Rückstausicherung, die sich derart weit vom Übergabepunkt der hausinternen Kanalisation an das öffentliche Leitungsnetz befindet und zwischen der und dem Übergabepunkt sich offenbar undichte Leitungen befinden, unzureichend ist.

Abgesehen davon hat - ohne dass es darauf noch entscheidend ankäme - der Kläger auch nicht zureichend zu einem Verschulden der Beklagten vorgetragen. Nach deren (nicht bestrittener und nicht widerlegter) Behauptung ist diejenige Abwasserleitung, durch welche die von der ... Spezialtiefbau GmbH eingebrachte Suspensionslösung in den Abwasserkanal gelangt ist, im Kartenwerk der Beklagten nicht eingezeichnet gewesen, sei es wegen während des zweiten Weltkrieges verloren gegangener Aufzeichnungen, sei es wegen im Zuge der Wiederaufbauzeit unzureichend dokumentierter provisorischer Abwasserrohrverlegungen. Diese dem Senat nicht unplausibel klingende Erklärung (das Haus des Klägers ist nach dessen Mitteilung etwa 100 Jahre alt und befindet sich mitten in der Innenstadt) hat der für ein Verschulden der Beklagten darlegungs- und beweispflichtige Kläger nicht durch geeigneten Vortrag entkräftet. Vielmehr ergibt sich aus dem von ihm selbst eingeholten Gutachten des Sachverständigen-Büros G. vom 12. April 2002 (Bl. 6 ff. d. A.), dass die die Bauarbeiten ausführende ... Spezialtiefbau GmbH vor Beginn ihrer Tätigkeit Kontakt mit dem Stadtentwässerungsamt H. aufgenommen hat und dort gemeinsam mit dem zuständigen Mitarbeiter die Pläne und die Lage der Kanäle überprüft hat, wobei der schadensursächliche Kanal nicht verzeichnet gewesen sei (Seite 5 oben des Gutachtens, Bl. 10 d. A.).

Den ihm entstandenen Schaden kann der Kläger mithin gegen die Beklagte nicht geltend machen, weshalb - in teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts und unter Zurückweisung der Anschlussberufung des Klägers - die Klage insgesamt abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung folgt § 91 Abs. 1 ZPO, die übrigen Nebenentscheidungen folgen §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Den Wert der Beschwer hat der Senat mit Blick auf § 26 Nr. 8 EGZPO festgesetzt.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen (angesichts der zitierten gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs) nicht vor, § 543 ZPO.

Ende der Entscheidung

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