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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 06.08.2003
Aktenzeichen: 15 UF 14/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1603 Abs. 2 Satz 2
Ein volljähriges Kind, das das schulische Berufsgrundbildungsjahr absolviert, befindet sich jedenfalls dann in der allgemeinen Schulausbildung im Sinne von § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB, wenn es den - bisher nicht erzielten - Hauptschulabschluss erwerben kann (in Fortführung des Senatsbeschlusses vom 22. März 1999 - 15 WF 57/99 - OLG-Report 1999, 175 f.).
Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil

15 UF 14/03

Verkündet am 6. August 2003

In der Familiensache

hat der 15. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 27. Juni 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Brick ####### sowie die Richter am Oberlandesgericht ####### und ####### für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird unter Zurückweisung seines weiter gehenden Rechtsmittels das am 8. Januar 2003 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Gifhorn geändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, Kindesunterhalt für den Kläger zu 1 in Abänderung der Urkunde des Jugendamts des Landkreises ####### vom 10. März 1998 (Nr. 110/1998) für die Zeit von April bis Juni 2001 von 265,87 € (= 520 DM) monatlich, von Juli bis Dezember 2001 von 230,08 € (= 450 DM) monatlich, von Januar 2002 bis Juli 2003 von 230 € monatlich sowie ab August 2003 von 127,82 € monatlich abzüglich von April 2001 bis Juni 2003 monatlich gezahlter 127,82 € sowie für die Klägerin zu 2 zu Händen ihrer gesetzlichen Vertreterin in Abänderung der Urkunde des Jugendamts des Landkreises ####### vom 10. März 1998 (Nr. 111/1998) für die Zeit von April bis Juni 2001 von 265,87 € (= 520 DM) monatlich, von Juli bis Dezember 2001 von 230,08 € (= 450 DM) monatlich, ab Januar 2002 bis Juli 2003 von 230 € monatlich sowie ab August 2003 von monatlich 269 € abzüglich von April 2001 bis Juni 2003 monatlich gezahlter 127,82 € zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen der Beklagten 80 % und die Kläger 20 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten ist nur zum Teil begründet.

Der Beklagte ist den Klägern für die Zeit ab April 2001 zur Zahlung von Kindesunterhalt gemäß §§ 1601 ff. BGB in höherem Maße verpflichtet, als dieser durch die Urkunden des Jugendamtes ####### vom 10. März 1998 mit monatlich jeweils 127,82 € tituliert ist.

Der Beklagte kann sich auf seine durch Arbeitslosigkeit eingeschränkte Leistungsfähigkeit nicht berufen. Die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners ergibt sich nicht allein aus den tatsächlich erzielten Einkünften. Der Unterhaltspflichtige hat seine Arbeitskraft - insbesondere im Rahmen des § 1603 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB - so gut wie möglich einzusetzen, sodass die hieraus bei gehöriger Anstrengung erzielbaren Einkünfte zugrunde zu legen sind (BGH FamRZ 2000, 1358, 1359; 1994, 372). Kommt der Unterhaltsschuldner der ihm obliegenden Erwerbsverpflichtung und den sich daraus ergebenden Anstrengungen für eine neue Beschäftigung nicht ausreichend nach, sind ihm die tatsächlich nach Alter, Ausbildung, Berufserfahrung und Gesundheitszustand (BGH FamRZ, 1996, 345, 246) erzielbaren Einkünfte fiktiv zuzurechnen (Haußleiter in: Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familiengerichtlichen Praxis, 5. Aufl., Rn. 389 f. zu § 1). Dies setzt jedoch voraus, dass für den Unterhaltspflichtigen auf dem Arbeitsmarkt überhaupt die Möglichkeit besteht, eine Arbeitsstelle zu finden, mithin eine realistische Vermittlungschance gegeben ist (BGH FamRZ 1996, 345; 1998, 357). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass allein aus dem Umstand einer hohen Arbeitslosigkeit und aufgrund der regional unterschiedlichen Gegebenheiten des Arbeitsmarktes ohne Bewerbungsbemühungen des Unterhaltsschuldners keine verlässlichen Aussagen über die Vermittlungschancen möglich sind (OLG Köln, OLG-Report 1997, 177, 178; vgl. Bäumel, FUR 1997, 177, 178).

Aus der Tatsache, dass sich aus den EDV-Ausdrucken des Arbeitsamts ####### vom 30. Mai 2003 ergibt, dass in der Zeit zwischen Januar 1997 und Juli 2002 nur 16 Vermittlungsversuche stattgefunden haben, kann der Beklagte nichts für sich herleiten, weil es gerade bei gesteigerter Erwerbsobliegenheit, die hier gegeben ist, nicht ausreicht, sich zur Erlangung einer Arbeitsstelle allein auf die Hilfe des Arbeitsamts zu verlassen (BGH FamRZ 1986, 244). Der Unterhaltspflichtige ist vielmehr gehalten, Eigeninitiative zu entwickeln und sich auch um Arbeitsstellen zu bemühen, die nicht vom Arbeitsamt angeboten werden. Dass der Beklagte dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist, ergibt sich daraus, dass er Bewerbungsschreiben überhaupt nicht und lediglich zwei Absageschreiben vorgelegt hat. Der Beklagte kann sich auch nicht auf die hohe Arbeitslosenquote im Land ####### berufen, die nach den vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen Eckdaten des Arbeitsmarkts für Juni 2003 derzeit bei rund 19 % liegt. Diese Quote liegt zwar über dem Bundesdurchschnitt, besagt aber auf der anderen Seite, dass 81 % der erwerbsfähigen Arbeitnehmer Arbeit haben. Hinzu kommt, dass der Beklagte unmittelbar an der Stadtgrenze von ####### wohnt und sich auch dort hätte intensiv um Arbeit hätte bemühen müssen.

Vor diesem Hintergrund kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass der Beklagte aus einer Arbeitsstelle als Zimmerer unter Zugrundelegung des Tarifvertrages für das Bauhauptgewerbe und nach Abzug berufsbedingter Aufwendungen (5 %) ein durchschnittliches Nettoentgelt von rund 1.300 € (rund 2.540 DM) erzielen könnte.

Auf den Abtrag monatlicher Kreditraten von 513 € kann sich der Beklagte - auch nach den Ausführungen seines Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vom 27. Juni 2003 - nicht berufen, da er monatliche Zahlungen in dieser Höhe nicht nachgewiesen hat und diesen ein entsprechender Wohnwert gegenübersteht. Darüber hinaus kann der Beklagte nicht einerseits das Grundeigentum auf seine Ehefrau übertragen, zugleich jedoch die Hauslasten als eigene Verbindlichkeiten geltend machen.

Die im Haushalt ihrer Mutter lebenden Kläger sind als Schüler unterhaltsbedürftig. Der Beklagte ist dem Kläger zu 1 auch über seine Volljährigkeit seit dem 4. Oktober 2002 hinaus als privilegiertem volljährigen Kind unterhaltspflichtig. Bis Juli 2002 hatte der Kläger zu 1 die Haupt- und Realschule Wesendorf besucht und ist seit August 2002 Schüler der Berufsbildenden Schule des Landkreises ####### im schulischen Berufsgrundbildungsjahr Metalltechnik. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Begriff der allgemeinen Schulausbildung im Sinne von § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB nach dem Ausbildungsziel, der zeitlichen Beanspruchung und der Organisationsstruktur der Schule abzugrenzen (BGH FamRZ 2001, 1069 ff.; 2002, 815 ff.). Ziel des Schulbesuchs muss der Erwerb eines allgemeinen Schulabschlusses als Zugangsvoraussetzung für die Aufnahme einer Berufsausbildung sein, während der Besuch einer Schule, die neben allgemeinen Ausbildungsinhalten bereits eine auf ein konkretes Berufsbild bezogene Ausbildung vermittelt, nicht ausreichend ist. Den zweijährigen Besuch der höheren Berufsfachschule für Wirtschaft und Verwaltung (Höhere Handelsschule), durch den neben dem Erwerb der Fachhochschulreife auch die Vermittlung allgemeiner beruflicher Kenntnisse aus dem Bereich Wirtschaft und Verwaltung erfolgte, hat der Bundesgerichtshof als allgemeine Schulausbildung eingestuft (FamRZ 2002, 815, 816).

Der Besuch des schulischen Berufsgrundbildungsjahres ist jedenfalls dann eine allgemeine Schulausbildung im Sinne von § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB, wenn das volljährige Kind den - bisher nicht erzielten - Hauptschulabschluss erwerben kann (allgemein bejahend: OLG Koblenz MDR 2000, 1016; Scholz in: Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familiengerichtlichen Praxis, 5. Aufl., Rn. 459 zu § 2; Luthin/Schumacher, Handbuch des Unterhaltsrechts, 9. Aufl., Rn 3204 m. Fn. 456; verneinend: FamRef-Kommentar-Häußermann, Rn. 9 zu § 1603 BGB; Münch-Komm-Luthin, 4. Aufl., Rn. 79 m. Fn. 127 zu § 1603 BGB; Johannsen/Henrich/ Graba, Eherecht, 3. Aufl., Rn. 8a zu § 1603 BGB). Nach § 30 Nr. 3 der Verordnung über berufsbildende Schulen vom 24. Juli 2000 (Nds. GVBl. S. 178 ff.) erwirbt den Sekundarabschluss I - Hauptschulabschluss, wer das schulische Berufsgrundbildungsjahr besucht und in allen Fächern mindestens ausreichende Leistungen nachgewiesen hat. Mit seinem Abgangszeugnis vom 14. Juni 2002 hatte der Beklagte den Hauptschulabschluss nach den Anforderungen der §§ 2, 23 Abs. 1 der Verordnung über die Abschlüsse im Sekundarbereich I (Nds. GVBl. 1994, 197) mangels ausreichender Leistungen nicht erworben, sodass auch die Erwägungen des Senats im Beschluss vom 22. März 1999 - 15 WF 57/99 (OLG-Report 1999, 175 f.) -, in dem das Berufsgrundbildungsjahr den berufsqualifizierenden Abschlüssen gleichgestellt wurde, nicht entgegenstehen. In seiner Stellungnahme zur beruflichen Perspektive hat der Kläger zu 1 dargestellt, dass er das Berufsgrundbildungsjahr begonnen hat, um seinen Hauptschulabschluss zu erhalten und seine Chancen auf einen Ausbildungsplatz zu erhöhen. Damit war das Ziel des Berufsgrundbildungsjahrs der Erwerb eines allgemeinen Schulabschlusses.

Der Besuch des Berufsgrundbildungsjahrs vermittelt keine auf ein bestimmtes Berufsbild bezogene Kenntnisse, denn nach § 15 Abs. 1 Nds. Schulgesetz ist das Berufsgrundbildungsjahr sowohl auf fachliche Kenntnisse eines der in § 1 der Verordnung über berufsbildende Schulen genannten Berufsfelder bezogen als auch auf eine allgemeine Bildung gerichtet. Die Schüler sollen in dem Berufsgrundbildungsjahr ihre Allgemeinbildung vertiefen sowie Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten in einem Berufsfeld erwerben. Eine Festlegung auf eine bestimmte Berufsausbildung erfolgt daher nicht.

Die Möglichkeit, nach § 2 der Verordnung über die Anrechnung eines schulischen Berufsgrundbildungsjahres (Nds. GVBl. 1989,1084) den erfolgreichen Besuch eines Berufsgrundbildungsjahres als erstes Jahr der Berufsausbildung - unter den näher geregelten Voraussetzungen - anzurechnen, steht der Einordnung des Berufsgrundbildungsjahres als allgemeine Schulausbildung nicht entgegen. Für welchen konkreten Ausbildungsgang sich der Schüler entscheidet, steht zu Beginn des Berufsgrundbildungsjahres nicht fest, sodass über die Möglichkeit einer Anrechnung eine Entscheidung nicht getroffen ist. Die zeitlichen und organisatorischen Voraussetzungen einer allgemeinen Schulbildung sind unzweifelhaft gegeben.

Von April bis Juni 2001 ist der Bedarf der Kläger bei Nettoeinkünften von 2.540 DM mit jeweils 546 DM monatlich anzusetzen. Den Gesamtbedarf von 1.092 DM kann der Beklagte mit dem oberhalb seines Selbstbehaltes von 1.500 DM verteilungsfähigen Einkommen von 1.040 DM nicht decken, sodass der Anspruch der Kläger auf 520 DM zu reduzieren ist. Für die Zeit von Juli bis Dezember 2001 schuldet der Beklagte Kindesunterhalt nach Gruppe 1 der Düsseldorfer Tabelle in Höhe von je 525 DM, ist aber bei dem erhöhten Selbstbehalt von 1.640 DM nur in Höhe von jeweils 450 DM leistungsfähig.

Ab Januar 2002 ergeben sich bei einem Selbstbehalt von 840 €, einer Verteilungsmasse von 460 € (1.300 € - 840 €) Zahlbeträge von jeweils 230 €, wobei bis zur mündlichen Verhandlung erbrachte monatliche Zahlungen des Beklagten von 255,64 € (2 x 127,82 €) anzurechnen sind.

Mit dem Abschluss des Berufsgrundbildungsjahres zum Ende Juli 2003 ist der Kläger zu 1 nicht mehr als privilegiertes volljähriges Kind seiner Schwester, der Klägerin zu 2, unterhaltsrechtlich gleichrangig, sodass deren Anspruch in Höhe der erstinstanzlich titulierten 269 Euro besteht. Eine Einkommensfiktion im Verhältnis zum volljährigen Kläger zu 1 ist nicht mehr gerechtfertigt, sodass eine Erhöhung des mit 127,82 € titulierten Anspruchs nicht gerechtfertigt ist.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 92, 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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